6 | Arbeiter-Jugend | SE
Der Fall Stoe&FGer.
BS icle unjercr Leſer erinnern fich gewiß noch de3 „Falles Düwell“.
2 Der Jugendgenoſſe Dütwvell, der aht Tage lang Bor-
fſißender cines Jugendbildungsvereins in Lichtenberg bei Berlin
geweſen war, war wegen des angeblich politiigen Charaftters
einer Verſammlung, der „er gar nicht beigewohnt hatte, zu 6 Wet.
Geldſtrafe verurteiit worden.
von der Zulaſſung zum Abiturientenexamen ausgeſchlofſen, das beißt,
ihm die Möglichfeit genommen, an deutſchen Univ orfitäten zu
ſtudieren. Die Militärbehörde verweigerte ihm außerdem, troß-
dem cr das Befähigung8zeuanis beſaß, die Wapicre, die izn be=
rechtigien, als Ginjährig-Freiwilliger zu dienen. Alles wegen der 6 Mi.
Geldf jirafe, vielmehr, weil er als gebildeter junger Mann es gewagt
Date, jungen Arbeitern in ihren Bildungs5beſtrebungen behilflich zu fein.
Der Fal hatte ſogar im bürgerlichen Kreiſen Cmpörung erregt und
war von ſozialdemokratiſcher Seite im Re ie8tag ZUL Sprade gebracht
worden. Troßdem damals den beteiligten Behörden energiſch flarge-
macht wurde, daß ihr Vorgehen dem N echt3empfinden allex anftändigen
Menſchen in38 Geſicht Trage, hat jich jezt der Fall Düwell in zweiter
Auflage wiederholt. Dieſe8 Mal ijt das Opfer unfer Freund Walter
Stoeer in Köln, der auch außerhalb Des » Abeinlandes UNTCrxen SUgend=
fameraden als eifriger Anhänger und Wortführer unſerer Bewegung
vcfannt iſt. Auch Stioced>er ſoll wegen feiner Geſinnung am Leibe ge-
ſtraft werden. Wieder muß das Ginjährigen-Zeugnis als SGStraf-
infirument herhalten.
den wahren Wert feiner Einrichtungen. Bei patriotiſchen F2 „imählern
wird immer der „Dienſt im Rock des König8“ als die höchſte Chre ge-
prieien, die einem ſhwarz-weiß-roten Sterblichen zuteil iverden könne.
Wie wird aber nad der Mahlzeit mit dieſer Chre umgegangen? Sie
wird als ſchwere Strafe gehandhabt, und wenn der Militarismus einen
Menjchen oejonders bart treſfen will, dann laßt er ihn den königlichen |
Ro> zwei Jahre ſtati eines Jahres tragen. So foll es jekt unjerem
Freunde Stoe>er ergehen. Eines ſchönen Tages im verfloſſenen Sommer
fam ein Shüusmann in ſeine “oanung Und beſchlagnahmte feinen Be-
rehtigung3ſ<hein. Das war, wohl gemerkt, ein noch kraßjerer Strei,
als der entſprechende Vorgang im Falle Düwell, denn Stoe>der beſaß
bereits den Schein, während Düwell bloß das Zeugnis der Schulbehörde
vorweiſen konnte und ſich um den mititäriichen Beorechtigungö3ſichein erſt
bewarb. Stoedfer wandte fich an die Grfaßfommiſſion um Ausfkunft
über die Gründe zu ihrem Vorgehen und erhieli den Beſcheid, daß
ihm die Militärbehörde wegen ſeiner Agitation für dic jo3ialdemefratiſche
Partei den Schein entzogen habe. Dabei wurde auf einen Gebeim-
crlaß vom Jahre 1895 hingewieſen, über deſſen Inhalt. aber" Stoc>er
lange Zeit nicht3 Beſtimmtes erfahren konnie, Nach allerlei Eingaben
und Beſchwerden an all die Inſtanzen und Behörden, die an dem Ver-
fahren beteiligt waren, erhielt Stoe>er endlich folgenden Beſcheid:
Herrn Kriegzminiſter3 und de8 Herrn Miniſters
des Innern vom 21. Mai 1885 ſpricht ſich dahin aus, daß derjenige,
welcher fich wie Sie in bejondercm Maße in ſtaatsfeind! (ichem Sinne
agitaioriſch betätigt, die für den freiwilligen Eintritt ins Heer exr-
farderliche moraliſche Qualifikation nicht mehr beſit, und daß ihm
daher gemäß 8 93, Abf. 2, dex Wehrordnung die Berechtigung zum
einjährig-freiwilligen Dienſt zu cntzichen iſt.
Der Chef des Generalitabes.
Der Oberpräſident der MRheinprovinz.
Alfo Stoe>er iſt für f ittſich minderwertig erflärti! WeStalb? Weil
er Sozialdemokrat iſt und feine ſozialdemo*ratiſche Geſinnung in geſeß-
lich durchaus zuläſſiger Weiſe betätigt hat. Die „Rheiniſche Zeitung“
in Köln, an der Sioec>ker bis vor furzem als Berichterſtatter mitarbeitete,
Ichreibt dazu:
Stoe>er it vöilig unbeſcholten ;
Dor Erlaß des
. er hat feine filbernen Löffel ge-
ſtohlen, ebenfewenig nach dem Vorbilde der ſtaat3erhalienden Bonner
Korpsſtudenten Ciſenbahntran3porte nefährdet oder ſchweren HaUS3-
friedensbruch verübt; er iſt überhaupt mit feinem einzigen Paragraphen
des Strafgeſesbuches zuſammengeſtoßen und zeitlebens ein anſtändiger
Kerl geweſen =- troßdem „wird er „moraliſch minderwertig“, weil die
Anmaßlichfeit preußiſcher Burcaufraten in dem Bekenntnis zur Svozial-=
demokratie eine Sittenwidrigkeit ſicht.
Allerdings hat dieſer Stoe>er unklug gehandelt. Hätte er iich,
anſtait jich an den Studiertiſch zu ſehen und über das ſoziale Proviem
naczuti innen, allabendlich hinter den Bierkrug geſeßt und durch komment=
mäßige3 Sauſen den Befähig: ungönadhiveis zur preußiſchen Staatsſtüke
erbracht, hätte er fich auf Zanzböden vder in zweifelhaften Spelunken
herumgetrieben, anſtatt die JIUQenDd zu organiſieren und für Jdeale
begeiſtern: er wäre der Ginjährigenwürde niemals verluſtig WAANRE.
Genoſſe Stoe>er iit kein begeiſterter Verehrer de3 Sinjährigenvorrechts,
deſſen Beſeitigung er ebenſogut verlangt wie jeder andere Sozial-
demokrat. Solange aber das Vorrecht beſteht, darf auch er ſelbſtver
ſtändlich Anſpruch auf ſeinen Genuß machen, ſobald ex nur den vor-
geſchriebenen Berechtigungsſchein beibringt. nd. wenn ihm dieſer Schein
wegen jozialdemokratiſcher Geſinnung entzogen wird, ſo liegt ein uner-
hörter Gewaltſtreich vor, dem durch den ſchärfften Pr 'otcſt t zu begegnen ift.
Dieſer Gewaltjtreich richtet fich ja nicht nur gegen 'Stoecer, jondern
in gleichem Maße gegen die 4% Millionen deutſcher ReichStagswähler,
Daraufhin hatte ihn die Schulbehörde
Der Militarismu3 hat eben eine feine Naſe für -
Geheimnis.
die fich zur Sozialdemokratie bekennen, und gegen die Millionen Frauen
und jugendlicher Arbeiter, die zwar nicht ſozialdemotratiich wählen
vürfen, aber ſoziald emotratiſch gefinnt find. Nile diefe Millionen, ficher
der Drittc Teil des deutſchen Volkes und jedenfalls Der wertvolljte Be=
vöſferungzöicil, werden mit Stioe&er für ſittlich minderwertig erklärt.
Das ijt eine gang ungeheuerliche Beſchimpfung diefer Bevölferung3-=
ſhichten, wie fogar bürgerliche Blätter feſtſtellen. Es iſt deShalb nur
mit Freuden zu begrüßen, daß die Sozialdemokratie im Yieichstage,
jobald er wieder zuſammentritt, den Reich8tanzler und den Krieg8=
nuniſter zur Vera nawortung ziehen wird.
Oie Gegner an derArbeit SFL
Vaßhrauh ver Fortbildungöichule.
Aus Schweidnitz wi ILD gemeldei: Auch hier bemühen ſich unſere
Gegner in ſchr eifriger Weiſe um die Jugend, 139 daß man getroſt von
cinem Tampf um die Jugend ſprechen kann. Allerdings iſt e3 cin Kampf
mt jehr Ung [eichen Weitteln. Während bei uns die Veran alftungen für
die Jugend bei ven geringſten Anläſſen für politiſch erflärt und dann
mt Hilfe des Vereinsgeſe3e38 verhindert werden, können ſich unſere
Gegner alles erlauben, obgleich der politiſc<e Charakter bei ihren Ver-
anitalt ingen immer deutlich bervorleuchtet. Auch in den Fortbildungs-
jchulen jucht man Stimmung für die patriotiſche Jugendpflege zu machen.
JeBt werden ſogar alle Schüler von dem Rektor befragt, welchen Ver-
einigungen jie angehören. 'So frägt der Rekior 3. B.: „Wer gehört dem
Jungdeutiſ<hlandbund an? Wer gehört dem Männer-Turnverein an?
Wer gehört Der Turngemeinde an?“ ujw. Die Schüler müſſen fich au?
dieſe Fragen melden, Die eie Frage iſt dann immer: „Wer gebört
dem Arbeiterturnverein an?“ Darauf ertläri dann der Rettor: „Wer
feiner Vereinigung angehört, muß jeBt jeden Sonntag nad Der T TULN=
balle an der Waſſerſtraße fommen, wo 'Spiele veranſtaliet werden.“ Gr
vergißt aber nie, auf den Anſchluß an die bürgerlichen Jugendvereini-
gungen hinzutveifen. Weit welchem dieht nun die Fortbildungs <hüler
ZU Dent ſonntäglichen Spielen fommandieri werden, ijt wohl jedem ein
Das Ortsſtatut über die Vortbildu nf g8ſch: ie enihalt feine
Handhabe zu derartigen B efeblen und ſ9 macher: fich die Schüler ſowie
deren Eltern und Vormünder in keiner Weiſe ſtrafbar, wenn ſie dieſen
Zwangs8]picelen fernbleiben, oder wenn die Gltern ſie davon abhalten.
*
| Eine mißglücte gelbe Gründung.
A138 ein ſchöner Grfoig profetariſcher Jugenderziehung darf Die
folgende Tatſache verbucht werden: Die Firma H. W. Keuma in Giber-
feld wolltic fürglich eine Jur gendabtei lung der gelben Werfvereine ins
Leben rufen. Zu dieſem Zwe hatte ſie ihre Lehrlinge, nahezu hundert,
verſammeln laſſen. Gin beſtellter gelber Agitator ſuchte don RLehr=
lingen den Mund ordentlich wäſſerig zu machen mit all dem Guien
und Sdchvönein, was der gelbe Jugendbund loiſton werde, Für Die jvegib-
lichen Weitglieder ſollen Näh- und Kochabende und ähnliche Ginrichtungen.
getroffen . Werden, um Die Mädchen zU braven Hausfrauen zu cerzichen.
FÜR DIE männlichen Mitglieder aber joll eine Jugendivehr gebildei
WELDEN, die an ihre Jungen Krieger während der militäriichen Dienſt-
zeit im Monat 3 Ver. Interſtüßu ng zahlen würde. Und noch ver-
Ichiedene andere große Verſprechungen wußte der gelbe Mann zu
machen. Villes dies machte aber auf die jungen, zum Klaſſenbewußtſein
crivachten Vrbeiier und Arbeiterinnen feinen Gindrud, Sie durch-
ſchauten den heudleriſchen Charafter und den arbeiterfeindli; hen Zwe
des neuen Unternehmens. Von den nahezu hundert amwve jeden
WUgendlicen meldeten ficß ganze zwei Arbeiterinnen und cin junger
Arbeiter zur Aufnahme,
Wenn alle erwachſenen Arbeiter ſoviel -Ginſicht und Mut beſäßen
wie Dieſe Jugendgenoſſen, dann wäre die Suinpfpflanze der gelben
Bowegung längjt eingegangen. HSeoffentlich nehmen fich auch ander-
warts die 1ungen Kameraden ein Beiſpiel an dem Verhalten ihrer
G!lbeorfelder Genoſſen, falls ähnliche Zumutungen an ſie geſrellt werden.
Zie gelbe: Werkvereine jind Schußiruppen dor Unternehmer. Sie
erden von den Unternehmern gegründet und bvochTchalten, damit fie,
falls die geivertſchaftlich organiſi erten Arveiter dem Unternehmer 1wn=
beguent werden, gegen dieſe, ihre eigenen Klaſſengenoſſen, lo8gelaſſen
WELDEN konnen. Gin jug endlicher Arbeiter, dex Ehre hat, läßt ſich
deShalb auch nicht durm? Bejiechungen zum Eintritt in die Jugendab=
teilungen diefer gelben Werkvereine bewegen.
Ie
Wohlfahrt3cinrichtungen und Jugendbeivegung.
LGAus Württe: nberg wird uns geſchrieben: Gin neuer Betveis dafür,
daß die ſogenannten Wohlfahrtseinrichtungen bürgerlicher Kreiſe nur
Vom *
darauf berechnet jind, die Arbeiter in ſklaviſcher Abhängigkeit vom
Kapital zu erhalten, iſt durch den Vorſtoß eines württembergiſchen
Scharfmachers gs gegen die proletariſche Jugendbewegung erbracht. Die
Arbeiter der Spinnerei und Weberei Brühl bei Cklingen haben das
zweifelhafte Vergnügen, im den Arbeiterwohnungen der Firma zu
WOHNEN, unter der Borausſehung, daß dit: ganze Familie im Betriebe
arbeitet. Jm Chlinger Stadtteil Melligen wurde nun vor furzem eine
ſreie Jugendorganiſation gegründet, der auch jugendliche Arbeiter von
Irühl beitraten. Der Direktor der Fabrik zitierte daraufhin deren.
Eltern vor ſeinen Richterfiuhl und eröffnete ihnen, daß ſie ihre Söhne
und Töchter von der Jugendorganiſation und deren Verſammlunger:
fernzuhalten hätien, widrigenfails ihnen die Favrikwohnungen ent=