Full text: Arbeiter-Jugend - 8.1916 (8)

Arbeiter-Iugend 11 
 
 
Der burggrafe vnde die ſtat 
hant auh daz reht hinge den becken 
ſwelher daz veichen: bachet, daz itt 
ſwelber leie brot daz ift ander3 
Danne davor geſchriben ſtat, daz 
beiget daz veichen daz ſol der burg= 
grafe hing im rihten mit der 
ſchuphen. vnde mak ſi des der 
biSſ<of noh der Burgagrafe niht 
vberheben ane der ratgäber willen, 
e3 enwärde danne der ſtat gerihtet. 
vnde jiv jelbe ſchuphe ſol ſtan an 
der Hauptſtat. 
In unſerer heutigen Sprache: 
Der Burggraf und die Stadt haben 
auch das Recht gegen die Bäder: 
wer „veichen“ bat, d. h. Brot 
ander3, al8 e3 verordnet iſt, badt, 
da3 heißt veichewm brod, das jol 
der Burggraf gegen ihn richten 
mit der Schupfen. Und foll fie 
davor weder der Biſchof noch der 
Burggraf ſchüßen können ohne der 
Rathgeber (Rathmannen) GErlaub- 
mi8, denn da8 Gericht iſt von 
Stadt wegen. Und diejer Schupfen 
ſoll ſtehen an der Haupthofſkatt. 
Daß aber dieſes ſtrenge Geſez in Aug3burg auch angewendet 
- wurde, jelbſt noc< im 15. Jahrhundert, davon haben wir ein be 
itimmt verzeichnetes Beiſpiel. A1l3 es nämlich um das Jahr 1442 
wegen des grimmigen Winters unmöglich geworden war, Getreiwe 
zu mahlen, weil alle Gewäſſer bis auf den Grund zugefroren 
waren, ließ der Rat der Stadt zwei Handmühlen bauen, um 
einigermaßen den Bedarf an Mehl notdürftig erzeugen zu können. 
Da heißt es denn in einer alten Chronik, daß die Bäcer jener 
Zeit bei dem allgemeinen Elend tagtägli< mit dem Gewicht großen 
Betrug wider die geſezliche Ordnung verübt hätten. Um dem 
zu begegnen, habe der Rat einen Schnellgalgen für ſie errichten 
und auf dem St.-Ulrich8-Plaß über einer Lache aufſtellen laſſen, 
in der man zu jener Zeit die Pferde zu IiMwemmen pflegte. Die- 
jenigen nun, die. ſich Betrügereien beim Brotba>en zuichulden 
Fommen ließen, ſollten in den Korb geſeßt, und wenn ſie lange 
genug dem Volk zum Schauſpiel gedient, alödann in da3 kotige 
Waſer himabgeſtoßen werden. Die ihnen jolchermaßen angetane 
Schmach nahmen aber die Bäcker gar übel. Am 10. Mai wan- 
derten ſie in hellen Haufen von Aug8burg gen Friedland au3, um 
fich „in die Freihung zu begeben“, weil dort die Augsburger Be- 
Hörden beine Gewalt mehr über ſie hatten. Da ſie aber ſahen, 
daß ihnen dieſe Maßnahme wenig half, fo kehrten ſie nach acht 
Tagen wieder zurück und fügten fich dem Willen de38 Rats. Die 
Folge dieſe3 wider]penſtigen Benehmens war, daß at und Bür- 
gerſchaft die Zunftgenoſſen des Bäckerhandwerks auf zehn Jahre 
hinaus für unfähig erfannten, im Rat zu ſißen, welches Urteil 
45 Meiſter al8 durchaus gerec<ht mit Angelobung an Eide3ſtatt 
anerkennen mußten. Der Obermeiſter aber, der ſich ob Ddieſe3 Be- 
IhGluſſes gar wild zeigte und ſich dem Urbeil nicht unterwerkfen 
wollte, wurde auf ewige Zeiten aus der Stadt verbannt. 
Aber nicht nur zn Augs8burg allein war das beſchriebene Ver- 
fahren ein zu Geſck und Recht beſtehende3 Strafſmittel, fondern 
auch in Regens8burg wurden „Ruffiane ab der Schupfen geworfen 
in die Paßenhüll“. In Zürich gab die Anwendung dieſes Ver- 
fahbren3 einſt die Veranlaſſung zu einem traurigen und in ſeinen 
Jolgen bedeutſamen 'Ereigni3,. 
 
 
 
„Was38 auweh!? Nix auweh! An Dredd auweh!" fagte unier Haupt= 
mann, und die Schlacht begann mit wildem Kriegs3geſc<hrei. -- „Haut'3 
zua! Haut's zua!“ ertönte e3 von allen Seiten. 
Hin und her wogte da8 Kriegs8glü>. Erbittert hatten wir uns in- 
einander verfißt. Die breiten Schwerter blißten. Ginigen Kämpfern 
wurde der Roc beruntergeriſſen. Alte, von. Mutter ſorgſam ausgeflicte 
FKleiderwundenw brachen wieder auf. E5 hieß, dem Doppler ſein Bruder 
hätte einem von uns bereits ein Loh in den Kopf geſc<hlagen.-. 
„Blut alſo!“ ſc<hrillie es in unſeren Knabenherzen, „Blut? 1" 
Da ſah ich dicht vor mir den Lehmann Heinrich fechten. Still und 
ruhig focht er, gar nicht aufgeregt. Wenigſtens ſchien es ſo. Blaß war 
er ja. Aber das war er immer. 
Ich ſtürzte mich auf ihn. Er ſah mich kommen. EC ſchien, als wollte 
er dem Kampf ausweichen. Wenigſtens made er einen verlegenen Rüc= 
zug. Dabei pate ihn einer von uns an der Seite. Aber mit einem 
geſchidten Boxer legte er ihn auf den Boden. E3 war der, der „auweh!“ 
geſchrien hatte vorhin. 
„Hau zua! Hau zua, Müller!" feuerte mich unſer Anführer an, =- 
„Der Lehmann g'hört zu un3!“ rief ich. 
„Warum denn?“ ſchrie unſer Hauptmann. 
„Weil er mit uns inn Landauf-=“ 
Sclachtenwut. . 
Weiter kam ich nicht. Der Lehmann: war auf mich zugeſprungen 
und -- e3 hat keinen Sinn, die Wahrheit zu verbergen -- verhaute mich 
nach allen Regeln der Kunſt. | 
Und nun kommt da3 Merkwürdige von der Geſchichte: auf Grund 
deſſen verlor er in meinen Jungenaugen die Qualität des Wohltätig= 
Feitzbuben ganz und gar und wurde ein gleichberedhtigter Freund um 
und um. Und wenn ich auh am gleichen Tag noch ſchäumte vor Wut 
und Schmerz -- am anderen Tag gab ich ihm die Hand und war und 
blieb ihm herzlich gut. 
Um ſo mehr, als wir Bayerſträßler an jenem Schlachtentage troß 
alledem gewonnen hatten. 
rief ih, ſinnlo8 vor 
- Seit langer Zeit nämlich beſchuldigte die öffentliche Meinung 
einen Züricher Bäcker namen3 Wacerbolid, daß er zu leichtes Ge» 
wicht führe, und dieſes allgemein verbreitete Gerücht erregie end- 
lich die Aufmerkſamkeit der ſtädtiſchen Behörden, die auc< den 
Bäder warnten. Dieſer aber achtete ni<t darauf, und wiederholte 
Klagen von jeiten der Bürgerſ<aft führten endlich im Jahre 1280 
zu einer Durchſuchung de3 Wackerboldſchen Haufes. Des Betruges 
al8bald überführt, wurde Wacerbold in Gewahrjam gebracht und 
zum Schnellgalgen verurteilt, mit dem Zuſag, ihn hungrig in iden 
Korb zu ifeßen und es ihm ſelbſt zu überlaſſen, durc< den Hunger 
genötigt herabzuſpringen. Groß war am Tage der Vollziehung 
des Urteils die Menge der Zuſchauer, und miemand hatte Meitleid 
mit dem Betrüger. Ungeduldig erwartete man den Augendlid der 
Kataſtrophe, daß nämlich Wackerbold in die Pfüze untertauchen 
würde. Indeſſen blieb dieſer ruhig in feinem Korbe ho>en, ohne 
Miene zu machen, herauszuipringen; jedenfalls hofite er, die Ge- 
duld de8 Rublifum38 zu ermüden. Aber während er jo im Korbe' 
hodte und auf jede Weiſe gehänſelt wurde, hatte der Bäder ge- 
jihworen, fic ſchredlich zu räßen. Da er indeſſen jah, daß der 
Saufen ſich micht verlief, auß ichon längſt Hunger und Durſt ihn 
entſeßlich quälten, fo entichloß er ſi endlich zu dem Sprung. 
Unter einem wahren Beifallädonner und laut aufjubelndem Ge- 
ihrei führte er feinen Entſchluß aus. Ueber und über mit Kot 
bededt, beeilte er ſi, dem ſtinfenden Ort zu entfommen, und, be- 
gleitet von einer unzähligen Schar von Gaſſenbuben, fioß er nach 
ſeinem Haufe. Einige Tage vergingen, während deren Wa>erbold 
ungemein viel Holz anfaufte und ausgezeichnet iHGönes und großes 
Brot buk. Da plößlich, in einer ſtürmiſchen Yacht, geht das 
Jeuerjo dur< die Straßen. Wackerbold hatte jein Saus ange- 
zündet, und bei den unzureichenden Löſchvorrichtungen und dem 
leichten Solzbau der damaligen Häuſer ward ein großer Teil der 
Stadt eine Beute der Flammen. 
Daß Wacerbold entkommen iſt, aber aus der Stadt für 
ewige Zeiten verbannt wurde, geht aus dem „Richte-Briep“ Der 
Bürger von Zürich hervor, in dem 23 beißt: „So 191! Wackerboldtes 
Zofſtat, von der Zürich vorbrann, niemer geduwen werden wan 
von gemüre als ein Tach daru?. Derijelbe Waceordboldt jol niemer 
Zürich ein gafigebe werden OO. 9. ſich niederlaſien).“ 
In Wien war das Shupfen im 14. Jahrhundert das einzige 
gegen Bäcker vorgeſehene Strafmittel bei Ic<hle<htem Brotbaden; 
einer anderen Strafe jollen ſie nict unterworfen werden. Das 
Verfahren wird als ein altes fürjtliches Herkfommen bezeichnet. 
Ia, e8 war ſogar eine in das Kaiſerrecht auſgenommene, alfo 
allgemein übliche Sirafart, wie dies aus einer alten Rechtsquelle 
hervorgeht, in der es Heißt: „Wenn ein Bäder feinen Handel ver- 
wirket nach dem Kaiſerrecht mit zu klein geba>enem Brot, 10 wird 
er in einen Korb geſeßt, diefer an eine Säule gehängt und ihm 
ein Meſſer aund eine Semmel in die Hand gegeben. Hier mag er 
kurze oder lange Zeit ſigen. Will er fort, 19 muß er hermieder- 
fallen (ipringen) in die Straßenpfüße. Nach unferem Recht iſt 
das ihre Buße, wie ſie in einer jeglichen Stadt feſtgetett iſt DUrD 
Beſchluß. In einigen Städten gibt man eine genannte (beſtimmte) 
Zahl (Summe) Gelde3 von dem Brote in das Ho1pital, im anderen 
Städten ſekt man das Brot (ſelbſt) al5 Straſſe, wie das an dem 
Korn (Getreide) ſeinen Lauf hat." 
In Straßburg traf die Strafe des Schupfens den Wein- 
händler, der falſches Maß anwandie. In Meß wurde Der Uebels 
täter ſtatt in einen Korb in einen Käfig geſperrt und Dieter 
an dem Strike auf- und niedergezogen umd 19 in den Kot ge- 
taucht. Die „Schinderknechte“ wälzten fogar mit allem Jleis 
den Käfig in dem Kote berum, und zwar 195 lange, b15 die Ver- 
treter der Obrigbeit es für gut befanden. der Prozedur eim Ende 
zu machen. 
In Böhme38 diplomatiſchen Beiträgen zur 1Ic<hlefiſchen Ge- 
ſchichte wird über die Beſtrafung der Markthöker, die ſich Ueber- 
griffe zuſchulden kommen ließen, geſagt: daß ſie aus des „puttels 
flaſ<e trinken“ mußten, d. h. ſie bekamen zwei längliche Steine in 
der Jorm einer Flaſche umgebunden, die ſie nun dur<h die Straßen 
Ihleppen mußten. Waren es mehrere, 19 mußte Der hintere feinem 
Vordermann mit einer in einen Stab geſte>ten Nadel „in den 
ars prykelen“. Dum 
Solche Strafen ſind ja heute nicht mehr üblich, dazu ſind wir 
viel zu „kultiviert“. Und es iſt auch nicht mehr gebräuchlich, daB 
der eine Preistreiber den anderen mit einer Nadel in die fleiſchige 
Vorlängerung 'de8 Rückens „pribelt“. Draſtiſch ſind jene Methoden 
auf jeden Fall geweſen und ſie ſ<einen auch den erſtrebten Ziveck 
erreicht zu haben. 
Hoffentlich findet au< unſere Zeit noch die Mittel, der Preis8- 
treiberei energiſ< entgegenzuwirken, und zwar recht bald. 
Rudolf Wiſſel. 
Td
	        
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