Erſcheint alle 14 Tage.
Preis der Einzel - Nummer 10 Pfennig.
Abonnement vierteljährlich 50 Pfennig.
Eingetragen in die Poſt - Zeitungsliſte.
Berlin, 12. Februar
Expedition: Buchhandlung Vorwärts, Pauz
Singer G. m. b. H, Lindenſtraße 3. Alle Zu-
ſchriften für die Redaktion ſind zu richten
an Karl Korn, Lindenſtraße 3, Berlin SW. 68
Die Triebkräfte der Geſchichte.
Von M. Sa<8.
ic Gehirne all der Zeitgenoſſen, die durc< das blutige Schai-
pl el dieſes Weltkriegs tief erſchüttert find, bewegt heute vie
| Frage: Mußte es ſein? Millionen zerbrechen fich den Kopf
Über die Urſachen des furchtbaren Krieges. AU dieſes Grübeln
aber wird für den ktiefor- Denfenden in die Frage münden: Wolches
jind überhaupt die Kräfte, die die Geſchichte des Menſc<engeichlechts
geſtalten?
In dem Geoſchichtsunterricht der Schulen erfährt man dariiber
fanm etiva8. Dieſer Unterricht beſchränkt ſich ja in der Regel au?
eine mehr oder minder l9fc Aneinanderreihung geſchichtlicher Iat-
fachen, wobei die Darlegung der wirklichen oder vermeintlichen
Verdienſte einzelner Männer, meiſt der Fürſten und ihrer getreten
Diener, der Staatömänner und Heeresführer, eine Wichtige
Noc wpielt. -
Die von den JThceoretifern des SozialiSmus vertretene matc-
rialiitiſche Geſchichtsauffaſſung ſucht dagegen die wirklichen Ür-
fachen des geſchichtlichen Geſchehens zu erfaſſen. Jhr liegt zi-
nächſt der Gedanke zugrunde, daß die geſchichtlichen CEreianiſte
Liner Zeitepoche durch Die Verhältniſſe zu erflären ſind, unter
Denen die Menſchen jener Zeit lebten. Aber damit ſoll nicht etwe
geſagt 1ein, Daß die Geſchichte ihren Wea über die Kopfe der
Menſc<cn hinweanmunt, ganz gleichgültig, was dieje wollen.
Alle menſchliche Goſchichte umfaßt ja nur Handlungen, Die irge1nd-
wic erſt gewollt fein mußten, ehe fic Tat werden konnten.
„Die joziale Entwicklung iſt nicht ein Fatum (blindes Schictal)
fir die Men! De ſondern vielmehr ihr Werk.“*) Unter den
„Verhältniſſen“ Jud eben all die Tatſachen zu verſtehen, die auf
das Wollen der 'M tentchen einivirfen können. Dazu gehören dit
natürliche Beſchaffenheit des Landes, in dem die Menſchen wohnen,
hre wirtſchaftliche Lage, die vorhandenen Staats3ceinrichtungen, die
Geſtaltung der Goſezaebung, die überlieferten religivfen und jitt-
lichen Anſchauungen, die gewohnten Gebräuche, der Stand der
Volfsbildung uſw. Und wenn wir irgendeine VorausJage über
den mutmaßlichen Gang der zukünftigen Entwieklung wagen, 19
nehmen wir von vornherein an, daß auch in jener Zukunft die vor-
liegenden Verhältniſſe das Wollen der Menſchen im eimer be-
ſtmmten Weiſe beeinfluſſen werden. Dabei iſt mmer voraus-
geſc.t, daß dic Menſ<en in ihren Grundeigenſhaften ſo bleiben,
wie wir ſie aus der Geſchichte und aus der Erfahrung des täg-
Tichen Leben8 kennen. Würden die Menſ<en = was natürlich
ausgeſchloſſen iſt = auf einmal viel edler oder viel gemeiner,
viel klüger oder viel dümmer werden, al8 wir erwarten konnten,
ſo würden alle unſere Vorausfagen hinfällig werden.
Von iden Momenten, die den Willen der Menſchen beeimfluſſen
und damit der Geſchichte ihre Richtung geben, ſind nach der
materialiſtiſchen Geſchicht3auffaſſung die wirtſchalifuben Vorhält-
mſſe die grundlegenden; auf ſie geht alle gejellichaftliche Ent-
wicklung in lezter Linie zurü&. Unter wirtſchaftlichen Vorhält-
niſſen aber verſteht man die Art, wie die Menſchen ihren Bedarf
' am Gütern befriedigen, ſowie die Beziehungen, in die ſie dabei
zueinander treten. Von all dieſen wirtſchaftlichen Urjachen wieder-
um iſt für die Entwieklung der Menſchheit auf einer beſtimmten
geſchichtlichen Stufe von größter Bedeutung die Höbe, die die
Broduktivkraft der menſ<lichen Arbeit zu dieſer Zeit erreicht hat,
d. h). wie oroß die Menge und die Mannigfaltigkeit der Güter iſt,
die die Men ſchen mit den ihnen zur Verfügung ſtehenden Kräften
*) May Adler: Prinzip oder Nomantift. S,. 51.
gquvorden. TLS
'auten Teil davon abhängen, ob die Y
herzuſtellen vermögen. Solange 3. B. die Wenſchen nur imſtande
ſind, fich fovicl Güter zu beſchaffen, als fie zur Befriedigung ver
dringendſten Lebonsbedürfmiie brauchen, ſolange iſt keine fultu-
relle Entwieklung möglich, weil feine Kräfte für irgendwelche
Kulturtätigkeit frei ſind. Aber aul feine AuSbeutung des Mein-
ichen dur<“ den Menichen it dann möglich; denn ſolche Aus-
bentung beruht naturgemäß darauf, daß der eine einen Teil des
Ertrages ſeiner Arbeit an den anderen abgeben muß, was natürlich
«8gceſchloſfen iſt, wenn jeder zum aunſtigiten Fall nur joviel
Güter herſtellen kann, als er braucht, um ſein Leben notdüriti
zu friſten. Kämpfe, die zwiſchen Gruppen von Menichen ſratt-
finden, bei denen die Kroduftivität der Arbeit auf ſolch medriticr
Stufe ſteht, können daher nur au? die Vertreibung odor Ber-
nichtung des Gegners gerichtet fein: vine Unterjochma des Fein-
dos, teme Ueberführung in Sftlaverei, hatte (einen Zinn.
Von aroßan GIN auf die geſmctlicht Botati DUUnn GIS
BVolfos „wird es Terner lein, ob einc Bien NiCD HDCLWDICJENTD
Ey
Ddur< Jagd und Fiſcherei, durc Vichzucht oder dur? Aeerbau,
durch Sandel oder durch Gewerbe ernähren. Einem Viehzuir
ireibenden Volf wird vei Bermehrung feiner Volfszalt iel 1 Webivt
ſeicht zu ena werden. Die Wenge vor Nabrungsmittel, die HIE ALT
Der Biehzucht auf einen bejinnmten OÖcdigt gerzonat Word Fann,
it Hoſchränft. Die Fütterumg des Viehs dD! ar Stitternittel, die
aus Tronden OGebieten berbeigeſatit werden, 1 iniglge 3e r Ror-
beſſerung der Verfehrömittel erit in der allernonenen Zeit mvoaltich
Deshalb ſehen wir 1m der Geoſicmichts wicderholt, as
Hunncn, Tataren, Mongaoien, aus ir
Steppen hervorbrecßen, um neies Land zu erobern und 71 712de
Volfer zu unterwerfen, und 10 den AN? IB ZU del gepaltigeit
geiMidtlichen Ericheinungen geben, div 3115 alis Volferwande-
rungen bekannt find. Die Neigung folchor Volfsftämime zu fricac-
riſchen Croberunas3naen mag nod dadurch gefördert worden ein,
daß fic ihr freies Hirtenleben tüchtig ini Gedraun<m der Warren
und leichtbeiweglich gemadt hat. Anders ein Acferbaumvolk,
jich auch bei ſteigender Volkszahl eher auf icin Gebiet boichränken
kann, weil durc< forgfamere Bearbeitung des Bodens die Menge
der erzeugten Nahrungsmittel weſentlich vermehrt werden kann.
Da3 beſte Beiſpiel dafür iſt wohl das <inz2 iche Volf, das aur
einem im Verhältnis zu ſeiner Zahl kleinen Gebiet außerordentlie?
eng zuſanmmengedrängt iwwohnt, was dadurch möglich iſt, daß die
<ineſiſchen Bauern durc außerordentlich fleißige Bearbeitung des
Bodens aus einen kleinen Stü> Land ehr viel herauszuholen
vorſtehen. Natürlich kann auch bei emem A>orbanvolk der Zeit=
vunkt fommen, wo das Bedürfnis nach neuen Sicedlungsgebieten
mehr oder minder ſtark hervortritt.
Die Goſtaltung der Beziehungen der Monſchen innorhalb
einer Gemeinſc<aft, eines Stammes over eines Volfos, wird zin
enſhen einzeln oder gumneint-
fam bei der Beſchaffung der Güter tätig jind, die ſie zur Deckung
ihre8 Bedarfs brauchen. Vor alleni wird davon das Cigentumsrecht
beeinflußt werden. Wo eine Horde von Jägern gemeinſam 1m
Walde ftreift, wird kaum ein Mitglicd der Horde auf den Ve»
danfen kommen, einen Teil des Jagdgrundes als Krivateoigentum
zu beanſpruchen. Das Jagdgebiet gehört ganz telbſwerſtändlich
den Gliedern der Horde gemeinſam, und ebenſo die Bouto, die
natürlich dann unter fämtliche Mitglieder verteilt worden muß.
Erſt wenn ein ſolcher Stamm zum A&erbau übergeht und die ein-
zelne Familie vetrennt von den anderen ein Stück Lamd bebaut,
wird Privateigentum am Grund und Boden möglich. Aber es
wäre falſch anzunehnren, daß die Aenderung der Arbeit8weiſe ſtets“
*
UT
4-4
1
[u
jow
Hirtenvölfer, wie Dio
Dus