Arbeiter-Jugend 39
nicht zu reden! = auf ganz natürliche Weiſe vor ſich
geht und dabei niemal3 auch nur die geringſte Hexerei im Spiele
iſt. Aber über dem Werden der Aufgußtierc<en lag auch noch in
der erſten Hälfte de3 neunzehnten Jahrhunderts ein geheimni3-
voller Schleier. Nach allem, wa8 man über die Fortpflanzung
von Hunderttauſenden von Organiömen wußte, konnte man wohl
annehmen, daß die mikroſkopiſch kleinen Waſſerbewohner Feine
Aus8nahme von der allgemeinen Regel machen würden, daß aljo
auch ſie von anderen Lebeweſen abſtammten; aber der Beweis
war nicht zu erbringen. Und nun fand man gar, al3 das Veikro-
ſkop verbeſſert worden war, faſt täglich immer neue Lebeweſen, die
anſcheinend genau jo wie die Aufgußtierc<hen elternlos8 waren,
acuh direkt aus der toten Materie hervorgingen. Die einen waren
offenbar mit den Aufgußtier<en nahe verwandt, die andere Ge-
jellſchaft aber war von ganz anderer Art, viel kleiner und noch
einfacher gebaut. Nur drei verſchiedene Formen traf man an:
Kügelchen, Stäbchen und winzige Schrauben, doch alle drei Sorten
fanden ſich ſtet8 in ungeheuren Mengen. WMean brauchte nur
fauliges Waſſer, ſaure Milch, menſchlichen Auswurf oder irgend
eine verdorbene feuchte Subſtanz mit den am ſtärkſten vergrößern-
den Linſen zu betrachten, und man entdeckte in jedein Tropfchen
unzählige Millionen dieſer Lebeweſen. Das unbewaffnete Auge
fah nicht eine Spur von ihnen; ſind doch mehrere Hundert an-
einandergereiht erſt einen Millimeter lang! In den folgenden
Jahrzehnten hat man no<h viele neue Arten von dieſen Lilipu-
tanern aufgefunden und ſie alle gründlich ſiudiert; unter dem
Namen Bakterien iſt die Sippichaft in da38 Syſtem der Or-
ganiömen eingeordnet worden. -
Damal3, vor ungefähr fünfzig Jahren, al8 man mit den
Bakterien etwa3 näher . bekannt wurde, ſtand die große Frage:
„Wie iſt das Leben auf unjerer Erde entſtanden, woher ſind
die Lebeweſen gekommen?“ im Mittelpunkt de3 Jntereſjes
aller Fachleute. Um das LebenS3problem drehten ſich alle Ge-
danken der Naturforicher; ihm galt ihre Arbeit im Labora-
torium und im Studierzimmer. Die Bibel ſtillte nun nicht
mehr die Wißbegier de8 Wahrheit3durſtigen, beruhigte keinen
mehr, der einmal zu zweifeln angefangen. Darwin hatte e3 ein
für allemal widerlegt, daß die Tiere und Pflanzen, ſo wie jie heute
zind, au3 der Hand eine38 Schöpfers hervorgegangen ſeien, hatte
unumſtößlich bewieſen, daß ſie im Laufe ſehr langer Zeiträume
“ich allmählich aus ganz einfachen OrganiSmen entwicdelt haben.
In die Stelle de3 moſaiſchen Schöpfung3bericht3 war Darwins
Abſtammungslehre getreten, aber eine Frage blieb offen: woher
haben die einfachſten Lebeweſen, dieje Urahnen der gejamten
Qobewelt, ihren Urſprung genommen? Sollte etwa bei ihrer Ent-
FHehung ein übernatürliches Wunder wirkſam geweſen ſein, alſo
ein außerirdiſ<er Gott perſönlich eingegriffen baben? E3 iſt
lar, daß mit dieſer Annahme die ernſte, vorurteilsfreie Wiſſen-
ſGaft ſich niemal3 abfinden konnte. Sie, die ſtet3 nur von den
durch Beobachtung gewonnenen Erfahrungen ausgeht, ſollte mit
einem Male eine gänzlich nnbekfannte, niemal8 beobachtete, nur
erdachte Kraft zur Erklärung heranziehen, der Vernunft Gewalt
antun, bloßem Glauben huldigen? Inu ihrer überwiegenden
Mehrzahl lehnten auch die Biologen -- die Erforſcher de3 LebenSZ,
feines Weſen38, ſeiner Vorausfſekungen = einen göttlichen
Schöpfung3akt für die Urlebeweſen ganz entſchieden ab; für ſie
war außer Zweifel, daß das erſte Leben auf natürlichem
Wege, alfo au3 unbeloebtom Stoff, entſtanden fein
müſſe. 87 (Schluß folgt.)
Die Geburk des Homunkulus.
(Goethes Fauſt, 2. Teil) *)
Laboratorium im Sinne des Mittelalter3; weitläufige, unbehilfliße
- Apparate zu phantaſtiſchen Zwecken.
Wagner /am Herde). Die Glocke tönt, die fürchterliche,
Durc<hſchauert die berußten Mauern;
Nichf länger kann: das Ungewijſe
Der ernſteſten Erwartung dauern,
Schon hellen ſich die Finſterniſſe;
Schon in der innerſten Phiole
Grglüht e3 wie lebendige Kohle,
Ja, wie der herrlichſte Karfunkel,
-Verſtrahlend Blite durch das Dunkel.
“Ein helles weißes Licht erſcheint,
O daß ich's dieSmal nicht verliere! --
Ach Gott! wa3 raſſelt an der Türe?
Mephiſtophele3 (eintretend). Willfommen! e3 iſt gut gemeint.
Wagner (ängſtlich). Willkommen zu dem Stern der Stunde!
(Leiſe.) Doch haltet Wort und Atem feſt im Munde!
Sin hberrlicd) Werk iſt gleich zu Stand gebracht.
Mephiſtopheles (leiſer). Was gibt es denn?
Wagner (leiſer). E35 wird ein Menſc< gemacht.
*) Vergl. den vorangehenden Aufſelz „Das LebensSrätjel",
Mephiſtopheles. Cin Menich? Und welch verliebte3 Paar
Habt ihr ins Rauchloc< eingeſchloſſen?
Wagner, Behüte Goit! Wie ſonſt da3 Zeugen mode war,
Grklären wir für eitel Poſſen. .
Der zarte Punkt, aus dem da3 Leben ſprang,
Die holde Kraft, die aus dem Jnnern drang .
Und nahm und gab, bejtimmt ſich felbjt zu zeichnen,
Erſt Nächſtes, dann fich fremdes anzguzgignen,
Die iſt von ihrer Würde nun entfezts;
Wenn ſich das Tier noch weiter dran ergöBt,
So muß der Menjc<h mit ſeinen großen Gaben
Doh künfiig reinern, höhern Urſprung haben. Zum Sers gewendet.)
EZ leuchtet! Seht! -- Nun läßt ſich wirklich hokten,
Daß wenn wir aus viel hundert Stoffen |
Durch Miſchung = denn auf Miſchung fommt 22 an --
Den Meniſchenſtoff gemächlich fomvonieren,
In einem Kolben verlutieren
Und ihn gehörig fohobieren,
So iſt das Werk im ſtillen abgeian. (Wicder zum HDerd geivonvet.)
ES wird, die Maſſe regt fich klarer!
Die Ueberzeugung wahrer, wahrer!
Wa38 man an der Natur GeheimnisSvolle3 prics,
Das wagen wir verſtändig zu prodieren,
Und was jie font organijieren licß,
Da3 laſſen wir friſtallinieren.
Mephiſtopheles. Wer langz2 lebt, hat viel era
Nichts Neues kann für ihn auf diefer Weit geſchenn;
I<h habe jhen in meinen Wanderjahren
Kriſtallijierte3 Menſchenvolf geſehn.
Wagner (viäher immer aufmerkiam auf die Poole).
Es jieigt, es bliBt, es hauft jich an,
Im Augenblick iſt es getan!
Sin großer Vorſas ſcheint im Llinfang iöoll;
Doch wollen wir des Zufall38 fünftiig laden,
Und ſo ein Hirn, da3 trefflich denfen joU,
Wird künftig auch ein Denfer machen. (Gnizückt die Pöiole Loitasiend.)
Da3 Glas erklingt von lieblichex Gewalt,
S3 trübt, es fläri ſich; aljo muß e3 werden!
Ih feh in zierlicher Geſtalt
Gin artig Männlein n< gevarven.
Wa3 wollen wir, wa8 will die Welt nun mehr?
Denn das Geheimnis liegt am Tage:
Gebt dieſem Laute nur Gehör,
Er wird zur Stimme, wird zur Sprache.
Homunkfulus (in der Phiole zu Wagnor".
Nun, Väterchen, wie itebt's? Es war koi Shcr3!
Komm, drücde mich recht zärtlich air Dein: DerZ:
Doh nicht zu feſt, damit das Gla35 nicht ipringe.
Da3 iſt die Eigenſchaft der Dinges;
Natürlichem genügt das Weliall kaum;
Wa3 künſtlich iſt, verlangt geichloſſnen Naum. Zu MeopbitiopbeleB.)
Du aber Schalk, Herr Vetier, bit du hier?
Im rechten LTugenbli&! Jh Danke Dir.
Ein gut Geſchi> führt dich zu uns herein;
Dieweil ich bin, muß ich auch täiig jein.
JH möchie mich ſogleich zur Arbeit Ichürzen;
Du biſt gewandt, die Wege mir zu kürzen.
Wagner (immer in die Phiole ſchauen".
Führwahr, du biſt cin allerliebſter Knavc!
N-4
Wer darf ſtenographieren lernen ?
Von M. Conradi, Landtagsſtenograph.
“VD ei Beginn jedes Halbjahres ſieht man an den Strazenſäulen
5 Anzeigen, die zur Teilnahme an ſtenographiſchem Unter-
=“ richt einladen; in den Zeitungen ſtehen ſogar Angebote zuu
unentgeltlichen Unterricht, nur werden in der Regel drei Mark
fiir Lehrmittel und Yebenfojien gefordert.
Wenn ſich auf fol<he Anzeige zwanzig Teilnehmer nden,
macht der Anbieter immer noch ein erträgliches Geſ<aft, denn das
Qehrbuc koſtet noh nicht 50 Pf. und der Verein, der hinter dem
Cehrer ſteht, gibt zuweilen für den Unterricht einen Zuichnt. Aber
wir wollen zunächſt von dem Geſchäft abſehen und uns fragen: IJ
Stenographieunterricht ſo ohne weiteres fiir jedermänn mußlich?
Antwort: Nein! --
Am leichteſten kann der Laie ſich dariiber ein Urteil bilden,
wenn er ſich nur eine halbe Stunde lang von einem Bekannten
die Buchſtabenformen irgendeines Syſtems erklären läßt. Da wird
er gleich merken, wie eigenartig der Haarſtrich, der Grundſtrich,
der Punkt, die gerade und die gebogene Linie ausSgenubt werden,
um ein möglichſt hobhe3 Maß von Kürze zu erzielen; wie ähnliche
Zeichen fir verſchiedene Bedeutungen groß, klein, di>, dunn, eng
und weit voneinander geſchrieben werden. Der Prüfende wird
ich ſofort überzeugen, mit welchen verſchiedenartigen Scrift-
feinheiten man e3 hier zu tun hat, und wird ſa<nell erkennen, daß
nicht jeder Menſ< ſo viel Geſchi> und Formenſinn beſißt, um
ſtenographiſ<e Wortbilder überhaupt deutlich. und ſ<vn dar-
zuſtellen. Klar und ſc<vn muß aber geſchrieben werden, fonit wird
das Wiederleſen erſchwert und gefährdet.