46 | . un Arbeiter-Jugend
aufjuchen, vermag ſie nicht zu verwiſ<en. Und Wwir tragen
ſie mit einer unausSlöſchlichen, andacht8vollen Weihe zurück
naß der Stadt und auf das Schiff, das ſich bald wieder
ZUr Abfahrt rüſtet. Jhr Lärm ſummt uns ſc<on von
weitem entgegen. Au38 den Strohſchnüren der vaſchelnden
BSorhänge bauchen die ſtarben Gerüche ſcharf gewürzter Speiſen,
ballen die Flagenden Klänge einer Okarinaflöte, tönt das laute
Lachen froh! iGer Zecher. Soldatenſhriite klirren über - das
Wflafter. Kinder mit aroßen, gelben, fremdartigen Blumen in den
Händen kommen einher. Gin Iremdenführer tulchelt uns in eng-
liier oder franzöſiſcher Sprache irgendeine verlotende Abend-
unterhaltung ims Ohr Wir aber pilgern zum Hafen hinunter und
lajfjen uns von einem der Barkenführer zu unſerem Sciffe hin-
Überrudern. .
Zange und jinnend lehnen wir noh an der Bordbrüſtung des
bald ic in Bewegung jeßenden Dampfers und ſehen das alte
Phaareneiland, von dem der griechiſchen Sage nach Odyſſeus wieder
in die zwanzig Jahre hindurch entbehrte Seimat zurückfehrte,
mahl ich in den blauen Fluten verdämmern.. Starr und fab! ragen
n der Jeſtlands3küſte die Felfen de8 epirotiſchen Lande3, um deſſen
Beſig 1 nun feit Jahren die Waffen nicht ſc<weigen wollen. Werden
Die Örtichaften. die jich an dem Ichmalen, grünen Küſtenfaum an
geſiedelt haben, weiterblüßhen? Dder wird der Krieg feine Zer=
jivrungsnale in ihre Gaſſen graben und feine Brandfackeln auf
ihren Dächern hiffen? . . . | Q. Leſſen.
N-4
Sfurmnacht.
Im nächt'gen Simmel fiatiern geiſterhaft
Der Wolfen j<war3-zerfeßte Riejenfahnen,
Hs wären losgerifſen fie vom Schaft
Und jagten bin auf ſelbſigewählten Bahnen.
Cin kurzes Leuchten zust am Firmament;
Son bat die Yiacht den Sternenbti verfälungen. |
Die wi iſde Meute heulend fläfit und rennt;
Die Föhren beugen ſi<ß, vom Sturm bezwungen.
Huf iGwarzem Rofie ſprengt es auf mich ein,
Und droßend heöt es ſeinen Urm am Himmel.
Willſt du mich i<reden? Sieh, iM jpottie dein
Und jauchze in das rajende Getümmel. --
er Jürgen Brand.
Die Triebkräfte | der Geſhite.*)
AK KT o das Privateigentum eine » 0rößere Zedeutung erlangt hat,
py 5.95 iich nicht etwa bloß auf wertloſes, unmittelbar dem perjön-
+o lichen Bedarf dienende8 Gerät beſchränkt, iſt die Vor-
bedingung für die Bildung von Klaſſen gegeben. Klaſſen ſind
Schichten eine3 Volkes, die durch die Art oder den Umfang des
Vermögens und Cinfommens3 ihrer Angehörigen geſchieden ſind.
So ſtehen fich einerſeit3 die viel und die wenig oder nicht3 Be-
ſikenden, andererſeits die Landwirtſchaft und die Gewerbe oder
Handel treibenden Teile der Bevölkerung gegenüber und ihre.
Intereſſen laufen einander oft zuwider. Die Beziehungen und
AusSeinanderſezungen zwiſchen den einzelnen Klaſſen beſtimmen
im weſentlichen die innere politiſche Geſchichte der Völker, wenn
auc<h der Klaſjencharakter der einander gegenüberſtehenden War-
teien nicht immer auf den erſten Bli> zu erkennen iſt. Die Beſiß-
loten fonnen gezwungen ſein, einen mehr oder minder großen Teil
des Ertrages ihrer Arbeit an die Beſikenden abzugeben, ſei es
weil das herrſchende Necht den Beſizenden ihnen gegenüber eine
Zwang8gewalt einräumt =- ſo in den Staaten, die auf Sklaverei
und Leibeigenſ<aft beruhen --, ſei e8, weil die Befikloſen ihre
Arbeitskraft nicht verwerten können und keine Exiſtenzmöglich-
keiten haben, wenn nicht Angehörige der beſizenden Klaſſen ſie an
ihren Produktionsmitteln tätig ſein laſſen, ſo bei den auf der
Lohnarbeit beruhenden Wirtſchaftsſyſtemen.
Die wirtſchaftlichen Verhältniſſe ſind zunächſt für die wirt
ſchaftliche Vetätigung des einzelnen, dann aber auc< für ſein
Wollen und Handeln im öffentlichen Leben, für die politiſchen und
ſittlichen Anſchauungen der Volksmaſſen beſtimmend. Häufig
ſuchen die Klaſſen ganz bewußt die öffentlichen Einrichtungen in
den Dienſt ihrer Intereſſen zu ſtellen; jehr oft haben ſie dabei aber
gar nicht das Bewußtſein, daß ſie in ihrem Klaſſenintereſſe han-
deln, ſondern „das, was ihnen frommt, von dem glauben ſie ganz
ehrlich, daß es auch im Intereſſe der Allgemeinheit liegt, ja, ſie
+) Vergl. Nr. 4.
entſprechen, nur ſc<wer und langſam „UQÄNGl.
hunderte früher oder ſpäter zur Welt gekommen wären.
halten e3s ganz naiv für das ſittlich Gute. E23 iſt die38 eine Er-
jGeinung, die mit einem pfſychologiſ<en Vorgang verwandt iſt,
den wir im täglichen Leben häufig beobachten können: was der
tenſ<) wünſcht, das glaubt er gern.
(So iſt es erklärlich, daß heute die beſißenden Klaſſen, die Ur-
ſache haben, mit den berrſchenden Zuſtänden zufrieden zu fein,
auchy wirtlich davon überzeugt ſind, daß die beſtehende Geſelſ<aft3-
ordnung gut iſt, während der Arbeiter, der unter den Nachteilen
dieſer GeſellichaftSordnung leidet, leicht jich von ihrer UnvolU-
Fommendeit Überzeugt. Dazu kommt, 068 im allgemeinen Der
WMenſc< geneigt ſein wird, ſich die große Welt nach dem Muſter
der Heinen Welt zu denfen, in der ſich fein Leben abſpielt. Dem
Kaufmann .oder Induſtriellen, der im freien Wettbewerb als
felbſtändiger Geſchäftfamann LebenzSunterhalt und Vermögen er-
wirbt, mird e3 cOwer werden, „ſich vorzuſtellen, daß e3 einmal
einen Zuſtand der Geſelichaft geben könnte, in dem eine folche Be-
tätigung, wie er ſie kennt, nicht mehr möglich iſt. Hingegen der
Arbeiter, der in der Fabrik nur ein Rädchen in einem großen Ge-
triebe iſt, wird ſich leicht in den Gedanken finden, daß das ganze
Wirtſchaftsleben jo planmäßig organijiert werden kann, wie heute
eine einzelne Fabrik,
Hüten muß man ſich davor, da3 Denken und Wollen einer
Scticht von Menſchen ſtets al8 den Ausdruc> ihrer wirklichen
Intereſſen anzuſehen. Die Menſchen verfallen leicht den größten
VSrietümern Über das, was ihren Intereſſen entſpricht. Der weitaus
größte Teil der Menſchen neigt dazu, die iberliefecten Anſchau-
ungen, Sitten und Einrichtungen als richtig und ſittlich gut an-
zuſehen und iſt neuen Ideen, auch wenn. jie feinen Intereſſen
Itur ſo iſt 83 zu
ertlären, vaß eine Partei wie die Sozialdemokratie, die jo ent-
ſchieden die Intereſſen der LVolksmaſſen vertritt, Jahrzehnte
braut, um die Mehrzahl der an ihren Forderungen intereſſierten
Arbeiter zu gewinnen.
Zm allgemeinen aber werden die Angehörigen derjenigen
Klaſſen, die mit den herrſchenden. wirtſchaftlichen Verhältniſſe
unzufrieden jind, für neue Idecn auf den verſchiedenſten Gebieten
Des geiſtigen Lebens leicht empfänglich fein. Sind die Menſchen
einmal gewohnt, das Ueberlieferte nicht ſchlechthin für richtig an».
zuſehen, jo werden fic auch den hergebrachten ſitilichen, religiöſen
und philoſophiſchen Anſchauungen kritiſch und zweifelnd gegen=-
überſtehen, während die, die an der Erhaltung de3 Beſtehenden
intereſſiert find, häufig in jeder Beziehung konjervativ, das heißt
zum Feſthalten an den Überlieferten Anſchauungen geneigt ſind.
Klaſſen, die wirtf jhMafiliche und politiſche Umwälzungen erftreben.
werden ſo oft zu Trägern neuer Jdeen auch auf anderen Gebieten.
So hatte das aufſtrebende Bürgertum, das8 im achtzehnten und
neunzehnten Jahrhundert für die Beſeitigung der mittelalterlichen
Veſchräntungen der wirtſchaftlichen Freiheit und gegen die Vor-
herrſchaft des grundbeſjikenden Adel3 im Staate kämpfte, zum
großen Teil auch mit den bis dahin allgemein anerkannten reli=
givſen Anſchauungen gebrochen.
Sehr häufig werden von den einzelnen K laſſen 3 in ihren wirt-
Ichaftlichen und politiſchen Kämpfen auch Wirkungen erzielt, die
ſie nicht voraus8geſebhen und de8halb au< nicht gewollt haben. Al3
das Bürgertum es durc<ſeßte, daß alle geſjekßlichen Schranken be-
faitigt wurden, die die Entwickelung des KavpitaliSmus behinderten,
trat zugleich eine andere Wirkung dieſer Beſtrebungen zutage, die
von den bürgerlichen Klaſſen ſicher nicht gewollt war. E83 entſtand
nämlich im Gefolge der kapitaliſtiſchen Entwickelung eine Klaſſe,
das Proletariat, deren Angehörige Forderungen erheben, die den
Intereſſen und den Wünſchen des Bürgertums ſc<nurſtra>3 zu-
widerlauſfen.
Falſc< iſt e8, wenn geſagt wird, die materialiſtiſche Geſchicht3-
auffaſſung behaupte: das nur wirtſchaftliche Urſachen für den
Verlauf der Geſchichte maßgebend ſeien. E3 beſteht vielmehr, wie
von den Vertretern der materialiſtiſchen Geſchicht3auffaſjung ſtet3
anerfannt worden iſt, zwiſchen der wirtſchaftlichen Entwickelung .
und der Entwickelung auf den übrigen LebenS8gebieten eine ſtändige
Wechſelwirkung. So iſt zweifellos die gewaltige Entwid>elung
der techniſchen Wiſſenſ<aften in der neueſten Zeit zum großen
Teil durch die Bedürfniſſe der modernen Induſtrie veranlaßt
worden, aber die Errungenſchaften dieſer Wiſſenſchaft wirken nun
wieder häufig umaeſtaltend auf das Wirtſ<aftsleben ein.
Die materialiſtiſche Geſ<hicht3uuffaſſung leugnet auc< niht,
wie ihr manchmal fälſchlich unterſ<oben wird, die Bedeutung, die
die großen Männer, deren Namen dur< die Jahrhunderte leuchten,
für die Entwidelung des Menſc<hengeſchlec<hts gehabt haben; ſie
betont nur, daß auh dieſe Männer unter dem Einfluß ihrer Zeit
geſtanden haben. Ein Kant, ein Goethe oder ein Marx hätten
anders gedacht und anders gehandelt, wenn jie ein paar Sahr-
Die
materialiſtiſche Geſchichtöauffaſſung ſc<ließt auch keineSwegs die
Annahme a138, daß unter Umſtänden -- wenn in der Organiſation