Full text: Arbeiter-Jugend - 8.1916 (8)

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Arbeiker- Jugend | | | | - 
 
 
-Arbeitsverträge und Tarifverträge 
Von A. Ellinger 
I. 
2) bwohl es im Wirtſhaftsgetriebe der Gegenwart faſt feinen 
Y 7 Menichen gibt, der nicht de3 öfteren in jeinem Leben, tei es 
*“ als Arbeiter oder al38 Arbeitgeber, in irgendeiner Form 
Arbeitsverträge abſchließt, beſteht doch über Weſen und Bedeutung 
dieſer Verträge vielfach no< Unflarheit. Nicht anders verhält es 
ſich mit dem Tarifvertrag, der häufig fogar mit dem Arbeit3- 
vertrag verwechjelt wird. Eine Darjtellung der weſentlichſten 
Eigentümlichkeiten beider Bertragsarten wird .deShalb uniern 
Lejern und Leſerinnen nicht unerwünfcht fein. Zunächſt etvas 
über den Arbeit83vertrag. 
Unter Vertrag verſteht man ein Recht8geſhäft, das zwei PWer- 
jonen oder zwei Barteien nnteinander abichlicßen und aus dem, 
wenn nicht entgegenſtehende Beſtimmungen im Vertrag jelbiſt 
enthalten ſind, auf Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen 
geflagt werden kann. Dor Arbeitsövertrag iſt ein Vertrag, durch 
den einem andern eine beſtimmte Ware, nämlich die Ware Ar- 
beit3kraft, gegen Entgelt überlaſſen wird. Er iſt mir mog- 
lich in einer Wirtſchaft3ordnung, in der die Arbeit3kraft von den 
Arbeitsmitteln, die jie zu ihrer Betätigung braut, getrennt iſt 
und in der der Träger der Arbeitskraft, wenn er ſic) an den 
Arbeit3mitteln betätigen will, dieje an den Beſißer ver Arbeits- 
mittel verfaufen muß. Da die Arbeitsfraft „mit der Perſon des 
Arbeiter3 eng verbunden iſt, ſo ſtellt dieſer bei der Erfüllung des 
Arbeit8vertrages dem Beſißer der Arbeitsmittel bis zu einem 
gewijjen Grade feine ganze Perjon zur Verfügung, während an- 
derteit3 der Beſitzer der Arbeitsmittel nur mit ſeinem Bermögen 
für die Erfüllung de3 Vertrages haftet. 
Vorau3sjekung zum „Vertragsj<h! uß iſt beim Arbeitsvertrag 
wie bet (ode andern Vertrag die per) NIE: Greiheit 
unddie rechtliche Gleichheit der Vertrag? <ließenden. Im 
Altertum, wo 23 eine freie Lohnarbeiterſchaft nicht gab, war der 
Abſhluß von Arbeit3verträgen no< unbekannt. Die damalige 
„gewohnliche“ Arbeit war faſt ausſc<ließlich Sklavenarbeit. Da- 
mals war die Arbeit noch keine Ware, die der Sklave nach freiem 
Ermeſßien verfaufen fonnte, vielmehr war der Stlaye ſelbſt eine 
Ware, die durc< Kauf in den Bo jiß eine3 Herrn übBtging. Der 
Sklavenhalter faufte nicht die Arbeits [1.4 it, aum nicht das 
Arbeits produtt, jondern die Perſon des Sklaven. In dent 
. Beſitz feines Herrn hatte der Sklave über ſeine Berſon nicht mehr 
zu beſtimmen. Er war ein völlig recchtloſer Gegenſtand, ein Ar- 
beit3mittel, ähnlich, wie das Pferd des Bauern heute ein Arbeit3- 
mittel itt. Auch die mittelalterlichen Leibeigenen konnten ihre 
Arbeitskraft nicht frei verkaufen, weil fie ſelbſt unfrei waren und 
zum Grund und Boden gehörten. Kraft der Erhuntertänigkeit 
war der Leibeigene zur Dienſtleiſtung für ſeinen Herrn einfach 
verpflichtet. Die Arbeit war alſo damals fein R e FZ t 3 verhältni3, 
 
perjönliche Freiheit, 
ſondern ein Gewaltverhältni3. Selbſt den mittelalterlichen 
Handwerk3geſellen waren durd< die behördlichen Lohntaxen- für 
Lohnver einbarungen mit ihren Meiſtern enge Schranken gejeßt; 
wer fich gegen die Lohntaxen verging, wurde ſtreng beſtraft. 
Das Bedürfni8, Arbeit5verträge abzuſchließen, machte ſic) 
erſt geltend, als mit der Entwicklung der modernen Wirtſchaft3- 
weiſe die Arbeiterſchaft in immer größerem Umfang von den Pro- 
duttion3mitteln, den Maſchinen, Fabriken, dem Grund und Bo- 
den getrennt wurde, als neben den Kapitalbeſißern eine immer 
ſteigende Zahl eigentumslojer Broletarier heranwuchs. un 
wurde die Arbeitskraft zum einzigen Beſitz de3 Proletarier3 unv 
fie niußte an den Beſißer der Produktionsmittel gegen Ent gelt 
verfauft werden, damit ſie überhaupt angewandt werden und 
ihrem Eigner, dem veſiklofen Arbeiter, den Leben3unterhalt ver- 
ſchaf? Ten Fonnte. Zum regelrechten Verkauf diefer Ware bedurfte 
es aver der perfönlichen Freiheit und der rechtlichen Gleichheit des 
Arbeiter8 mit feinem Arbeit3bherin. Jn den Revolutionen des 
17. und 18. Jahrhundert3 wurden dieſe Bedingungen verwirklicht. 
Nun gab es weder Sklaverei noc< Leibeigenſ<aft mehr; alle Men- 
jen waren Teel und gleich. Dem Berkau7 der Ware Arbeitstraſt 
und dem Avbichluß von Arbeitsverträgen ſiand nichts mehr im 
Wege. 
Die erſte Form d2e8 Arbeitä3vertragc3, oder vielmehr deſſen 
Vorgänger, war der Werkvertrag. Das iſt ein Vertrag, bei 
dem jemand den Auftrag befommt, einen Gegenſtand Fegen Cni-= 
gelt herzuſtellen. Bein Abſchluß des Werkvertrages wird nicht 
die Arbeits kraft, ſondern 9a3 Arbeits produ lt vsrfaufi. 
Einen Werkvertrag hließt 3. B. ein Bauberr ab, der einen Bau 
unterneginer zum Bau eine3 Hau)es verpflichtet, aber auc der 
Schneidermeiſter, der ſeinem Kunden auf Beſtellun; J einen Anzug 
liefert. Zum Abſhluß eine3 Werfvertrage3 iſt nicht mir die 
jondern aud) eine gewiſſe wirtſchaftliche 
Selbſtändigkeit erforderlich. Ein beſiklojer Proletarior, der weder 
Kapital noh ſonſtige Arbeitsmittel hat, fann einen Werkvertrag 
nicht abſchließen. 
Eine viel umfaſſendere Bedeutung im modernen Wirtſchafi3- 
leben hat der Arbeit3vertirag Auf Arbeit3verträgen Hbe- 
ruht die geſamte Warenproduktion, die gewerbliche Arbeit, beruht 
Handel und Dere vie die Ausübung der Künſte, füurz, die 
ganze kapitaliſtiſche Wirtic<haft. Unter den Arbeitsvertrag falls 
Die Ardeit des Dienſtmannes der dir Deinen Koffer vom Bahnyo9of 
trägt, wie die Arbeit des Fabrikdirektors, der gegen ein Gehalt 
von hunderttaujend Mark im Jahr die Beſißer einer Fabrik ver- 
tritt und in ibrem Auftrag mit Taufenden von Arbeitern eben- 
falls wieder Arbeit3verträge abſchließt. Unter den ArbeitS5vertrag. 
fallt die Arbeit des Sandwertsgeſellen wic des Fadbrifarboriers, 
des Dienſimädhens wie der faufmänniſhen Angeſtellten, die 
Tätigkeit des Schauſpieler38 wie die des länditichen Tageiohners, 
Veillionen und Abormtiliionen Menichen ſchließen UrbeitSverträg? 
weil ſie ihre Arbeiiskraft verkaufen mütien, um leben 31 fönne it 
 
 
Eine Winterwanderung. 
Von C. A. Seidel. (Fortſekung.) 
"Zebyach dem Kaffee brach iM auf und fekte meine Reiſe in der Nichtung 
H & nach Oſchaß fort. Während der Nacht hatte e3 geregnet, und auf 
Y OC den Straßen ſtand Waſſer in den Fahrrinnen und Pfüßen. 
Gs wehte ein Falter Wind, doch die Sonne ſtrahlie zuweilen recht 
freundlich durch die zerriſſenen Wolken und wärmte die Wanderer, die 
die Landſtraße beiebien. J< wanderte auch heute wieder allein; doch 
nahm ich mir vor, nun das „Fechter“ mit Ernſt zu betreiben. Dem 
„Herrn“ durfte ich natürlich nicht mehr ſpielen, wie am Tage vorher, 
ſonſt wäre mein bißchen Geld bald „alle“ geworden, und der Winter 
war noch lang. , 
Draußen vor der Stadt lag eine kleine Gärtnerei. Das ſ<mucde 
Wohnhäus<en ſtand dicht an der Straße. J<d<H ging durch den ſchmalen 
Vorgarten in da3 offene Hau3 und fand die Tür zum Wohnzimmer 
nur angelehnt. Beſcheiden klopfte ich an, aber niemand antwortete. 
I< klopfte ſtärker, doch alles blieb till. 
Da ich nicht ohne Grfolg d23 Hau3 verlaſſen wollte, öffnete ich die 
Tür und ſah mich im Zimmer um: e38 war kein Menſ<h darin. Doch 
auf der Kommode zwiſchen den beiden Fenſtern lag unter dem Pfeiler- 
ſpiegel auf der bunten De&e, zwiſchen allerlei NippeSſachen, ein ſchwar- 
ze8, didgefülltes Portemonnaie. 
„Donnerwetter! Das Geld ſo leichtſinnig liegen zu laſſen! Wie 
leicht fann es geſtohlen werden,“ ſchimpfte ich innerlich, nahm meinen 
Knotenſto> und klopfte re<ht kräftig gegen die Tür. Aber nichts regte ſich. 
Ih klopfte noc einmal, aber e3 blicb ſtill. „Wie leicht kann man hier 
aum Diebe werden!“ dachte ich, ſchloß ärgerlich die Tür und verließ 
das Hau3; kein Menſc<h licß ſich erbliken. 
So wanderte ich denn weiter. Im nächſten! Ort faßte ich mir 
7 wieder cin Herz und klopfte an einem kleinen Häus<hen an. Eine junge, 
 
- Landſchaft. 
blondhaarige Frau mit einem roſigen Kindchen auf dem Arm öffnete 
und holie a.13 dem Glasſchranf, dex im freundlich eingerichteten, ſon- 
nigen Zimmer ſtand, ein großes Stü> Napfkfuchen, ſchenkie es mix und 
ſchnitt meinen Dank mit einem freundlichen Kopfnicken ab. Nie werde 
ich die freundliche Madonna mit dem Kinde auf dem Arm vergeſſen. 
Nachmittag3 wanderte ich an eincr Fabrik vorbei, einer mechaniſchen 
Spinnerei und Weberei. Links und recht8 der Landſiraße war ein 
junger Tannenwald, deſſen Duft die Luft erfüllte. I< atmete den 
Tannenduft in tiefen Zügen ein und bemitleidets die Arbeiter und 
Arbeiterimnen, die .in die Fabrik geijperxrt waren und die klapperndcn 
Maſchinen bedienen mußten. 
Von der Fabrik kam, in Gedanken verjunken, langſam ein be= 
bBäbiger Herr im ſchwarzen Gehro> dahergegangen und Jog mit Behagen 
die friſche Luft ein. E3 mußte der Beſiker ſein. Ohne Gruß gingen 
wir aneinander vorbei und muſterten uns gegenſeitig mit auſmerffjamctin 
Bliden. Ich betrachtete mich als ven Glüclicheren von un3 beiden, 
denn ich war jung, mein Bündel war leicht, Sorgen hatte ich feine, und 
an der gegenwärtigen Stunde konnte der Fabrikant auch keinen ( grüöße= 
ren Genuß haben als ich. 
So zog ic< rüſtig meine Straße und freute mich an der ionnigen 
Einen guten Steinwurf von der Straße enifernt ſtanden 
zwei Rehe äſend im Winterkorn. Al3 ſie mich witterten, ſpißzten ſie die 
Ohren, und -- huſch, huſc< = waren fie mit ein paar Säßen im dunklen 
Jorft verſchwunden. 
Oſc<haß erreichte nod vor Sonnenuntergang. Bei einem Bäcker 
Fopfte ich an. Des Meijter3 Töchterlein gab mir raſch etwas weißes 
Gebä> und warnte mich vor dem Bäcker am Ende der Straße; der hole 
die Polizei. 
Da ich no< Geld hatte, ging ic in emen Fleiſherladen und ver- 
langte, wie ich es als Schuljunge oft getan hatte, für fünf Pfennig 
LElutwurſt, = „Was ſoll man denn für fünf Pfennige geden?“ ſragie
	        
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