Full text: Arbeiter-Jugend - 8.1916 (8)

| Arbeiter-Jugend. . 53 
 
 
Verhalten3 in den Verfammlungen ſündigt und wie. Außer den 
hier angeführten Unarten gibt e8 ja noc< ähnliche, die ſich in den 
Verſammlüngen mehr als genug bemerkbar machen. Natürlich 
haben wir alle auch unfere guten Seiten, aber die brauchen wir 
uns nicht. gegenſeitig anzupreiſen. 
Sollte einer unſerer Gegner in die Verjuchung kommen, aus 
dieſer unſerer Selbſtkritik Schlüſſe auf mangelhafte Erziehungs- 
ergebniſſe unſerer Jugendbewegung ziehen zu wollen, jo mög2 er 
zuvor gefälligſt in ſeiner eigenen geliebten Gemeinde kehren. 
No kürzlich börte ich einen katholiſchen Geiſtlichen und JZugendD- 
führer vor „höheren“ Söhnen und Töchtern aufbegehren, weil jie 
feinen lebendigen und feſſelnden Vortrag ſtörten. I< batt 
während meiner Anſprache die Unerzogenheit der jungen Herr- 
haften in Ergebung hingenommen, da<te mir aber: derartige 
Bengels ſind do< in Verjammlungen der freien Jugend kaum 
zu finden. W. Sollmann. 
& 
Der Hamburger Zugendbund zeitweilig 
aufgelöſt. 
ef ine für unſere Betvegung außerordentlich wichtige Maßregel, die in 
E 9, den Kreiſen der deutſchen Jugendgenoſſen und darüber hinaus in der 
gs geſamten gewerkſchaftlich und politiſm organijierten Arbeiteric<at 
großes Auffehen erregt hat, hat ſoeben die Hamburger Partei= und 
Gewerlichaftsleitung durchgeführt. Gine gemeinichaftliche Delegierion- 
verſammlung der Lande23organiſation der ſozialdemokratijichen Pariet 
Hamburgs und de3 Gewerkſchaftskartell38 für Hamburg-Aliona hatte ſich 
mit folgendem Antrag der Partei- und Gewerkſchaftsleitung zu Pe=- 
ſaſſen: 
 
 
Da infolge der Ginberufung zum Kriegsdienit die Ginnahmen 
der Partei und gewerkſchaftlichen Organiſationen. um zwei Drittei 
zurücdgegangen jind und noch ein weiterer Rüdgang in nächſter Zeit 
eintveten wird, önnen die gemeinjam geſchaffenen Cinrichtungen dor 
Partei und Gewerkſchaften während des Krieges nicht mehr auſrecht=- 
erhalten werden. . 
Um die Auz3gaben einzuſchränken, beſhließt die Delegiertenver- 
fammlung, in Anlehnung an die im Auguſt 1915 gefaßten Beſchlüfte 
üb2rx die Ginfiellung des Bildungs3weſens, die Tätigkeit des JugenD- 
bunde3 von Hamburg, Altona und Uingegend bis auf weiteres einzu- 
teilen, 
Die Abteilungen de3 Jugendbundes3, die in Gaſiwirtſbaften und 
fonſtigen Lokalen ſich befinden, ſind - aufzuheben. Die gemieteten 
Lokale ſind zu kündigen. Das in dieſen Lokalen befindliche Gigen- 
tum (Inventar, Bibliotheken uſw.) der Zentralfommiſſion für das 
Arbeiterbildung8weſen ijt an einem geeignetem Ort gut aufzube- 
wahren. Die Parte vorjtände und die Kartellfgmmijjion regeln ge- 
meinſam die rejilichen Verpflichtungen. 
Bis auf weitere3s werden für die Jugend nach Möglichkeit und 
Bedarf im Gewerkſc<hafts8haus Vorträge uſw. verankialtet. Uever 
Zeit und Art der Veranſtaliungen entſcheiden die Parteivorſtände und 
Die Kartelkommijtion. | 
Die Zentralkommiſſion löſt fich bi8 auf weiteres auf. 
Jn der eingehenden Begründung des Antrag3 wurde dargelegt, daß 
fich vie Hamburger Arbeiterbewegung in der ſchwierigjten fſinanzielleit 
Lage befinde. Die Mitgliederzahl der Parteiorganiſation ſei ſeit Kriegs- 
beginn bi3 Ende 1915 von 120 009 auf 40 009 gejunfen. Infolge des 
gewaltigen Ausfalls an Ginnahmen ſeien die Aufwendungen für das 
Bildung3weſen nicht mehr aufrechtzuerhalten. Seien dieſe Ausgaben 
dod) im dem Zeitraum von 1909 bis 1913 von 17 000 Mk. auf mehr als" 
50 000 Mk. geſtiegen. Im Kriegsjahr 1914 betrugen fie noh rund 
: 47. 000 Mk., und im Jahre 1915, in deſſen Verlauf die Bildungz5ver= 
anſtaltungen für die Erwachſenen eingeſtellt wurden, belief jich die 
Summe immer noch auf rund 30 000 Mk. (wenn man die Zuivendungen 
anderer Inſtitute hinzurechnet, ſogar auf 45 000 Mk.), die im weſent=- 
lichen für die Jugendbewegung verwandt wurden. Dieſe Ausgabe könne 
die im Kricg auf ein Drittel reduzierte Arbeiterſchaft Hamburgs nicht 
mehr tragen, denn ſie könne kaum noch die Mittel zur Aufrechterhaltung 
de3 notwendigſten Organiſation3apparat3 aufbringen. So ſei die Ans- 
nahme de3 Anirags der lezte Aus8weg, der übrig bleibe, 
Die Vertreter de3 JugendbundeS3, die in der Verſammlung zu Wort 
' Iamen, wandten ſich ebenſo wie eine Reihe anderer Delegierter in lcd= 
haften Ausführungen gegen den Antrag. In einer Erklärung, die Die 
Vertreter der Jugendlichen abgaben, legten ſie dar, daß gerade jekt, wo 
Tauſende und Abertauſende von jugendlichen Arbeitern an die Stell2 
von Vollarbeitern getreten ſeien, der engjte Anſchluß des Jugendprolec= 
tariat3 an die Geſamtbewegung der Arbeiterſchaft vow höchjter Bedeu- 
tung ſei und auch in den wirtſchaftlichen Kämpfen, die nac< dem Krieg 
zu erwarten ſeien, ſich im Intereſſe der geſamten Arbeiterbewegung 
al38 dringend notwendig erweiſen werde. Auch gegenüber dem Zu 
fammenſchluß der bürgerlichen Jugendwehrbeſtrebungen jei die ſtraffite 
Organiſation der proletariſchen Jugend geboten. Für die Grfüllung 
dieſer Aufgaben habe biSher der Jugendbund die beite Garantie gc= 
leiſtet. An der finanziellen Frage dürfe ein ſo wichtiges Werk un=- 
möglich ſcheitern, Der Antrag mache einen gewaltigen Strich über die 
müßgjame Arbeit von zehn Jahren und müſſe die Arbeiterjugendbewegung 
zum Schaden der gejamien Ürbeiterſchaft auſs tiefte erjchüitern. 
“Leider fonnten alle Proteſte das Schi&ſal des Antrag3 nicht auf= 
halten. Mit großer Mehrheit entſchied jich die Verſammlung für die 
Annahme der Vorſtandsreſolution. -- 
Wix hoffen, daß mit dieſem Befchiuß das letzte Wort in diejer Anz 
gelegenßeit noch nicht geſprochen iſt. Die Hamburger Arbeiterſchaft zar 
bi3 jeht ihre Chre darin gejeßt, in den Leijtungen für die EildungzZ= 
befirebhungen 1ihre8 Nachwuckjes allen übrigen (Großſiädien voranzu- 
geßen. So werig wir das Gewicht der Grünve verfennen, vie zur Neht= 
fertigung dcs folgenſchweren Beſchluſſes ins Feld geführt wurden, ſ9 ſebr 
jind wir mit den Vertreiern der Jugendorgamiation der Unjicht, daß 
ein folche3s Kulturwerf, wie unſere Jugendbewegung, in cinem füßrenz= 
den Ort wie Hamburg an der Finanzfrage nicht Schiffbruch leiden darf. 
Müag2 ſich doh einmal die Grozzitadt ein Beijpiel nehmen an Ien unz 
zähligen ileinew und fleinjten Orten Deutſchlands, die gewiß nicht 
weniger als die Hamburger Organijation mit den dargelcgien S<hwie- 
Ligfeiten zu fämpfen haven, und die troßdcam den lezten Mann und Dei 
lebten Groſchen daran jeßen, ihre Jugendveipegung, dcr Urbeiter 
bewegung jüngjtes, liebjtes Kind, dur: die Z%9i der Zeit hindurGzu 
bringen! Im Parteiorgan der Hamburger Arboiierichati, dem „Dam 
burger Ch>o“, wird doch ſont mit Wärme, ja mit Leidenjſcwafi der Sa 
des Durchhalten3 verfochien! Wie verträgt ſich mit dieſein EGntichiuß 
Der angenommene Antrag, der an Sielle des Durcbalienzs die iombpleiie 
Waffenſtredung, die bedingungsloſe Uebergave cinez unſerer wichtigjien 
Poſten fordert? Zwiſchen dem „Alles oder Nichts“, vor vas der Ünirag 
die Verjammlung ſtellte, gibt es doch noch eine ganze Noize MsögliP- 
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Feiten, die Form der dortigen Jugendöcwegung den KriegönoiwenDdig- 
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keiten anzupajſen. Solc<e Unpaſjung, eing „Siredung“ auf diejem 
Gebiet wie auf ſo vielen anderen, iſt eben daz Weſen jeder Durchöalie- 
Taktik, die wahrlich niht darin. beſicht, die Flinie ins Korn 31 werfen, 
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ſondern zu retten, wa3 nach Möglichtfeit zu retien it. 
E83 gibt nicht3 Zwedloierc3, als über eing vollendete TatiaGe Wort2 
zu verlieren. Aber ſoviel wollen wir wenigſtens nos ſagen, daß, vie 
au< durdweg aus den Preßſiimmen über den Hamüurger Leihiuß 
bervorgebt, von der Hamburger Rariei beſtimmt erwariet wird, 3038 Ne 
nict nur die „Strafbeſtimmungen“, jondern auch die „miiIernIen Un 
ſtände“ ihres Verdifi3 über ibre Jugendscpegung zur Ünzführung 
bringt. Die Milderung ibro3 Urteil3 erdlicen wir daritt, daß in Lom 
Veſchlunß zugeſichert wird, c3 ſollien auch fünftig Veranraliungeon für 
die Jugend getroffen werden = „damit der Zufammenhalt der Jtgend 
nicht verloren geht“, wie in der Erläuterung zu dem Antrage exilärt 
purde Solche Veranſtaltungen müßten freitich blianmäßig orgamiicrt 
werden, wenn jie ißren Zwe erfüllen follen. Un5 da ift es vpieiletDt 
nicht anmaßend, wenn wir die Hamburger Parteigensſſen bara 2L2 
innern, daß der Beſchluß des Nürnberger Parteitags und de3 Ge:vor? 
ſ<aft3fongreſſcs vom Jahre 1808 auch für jie gilt, jene CLUB, DULZ 
den die Partei= und Gewerkichafisgenoſien in Stadi un 
pflichtet wurden, Jnugendausſ<üſſe cinzuſeßen, die dafür zu 1orgen 
haben, daß die Arbeiterjugend im Sinne dor proloiariic<cen Welt- 
anſ<auung erzogen wird. Da diefer Beſchluß bis jeht noh nicht außer 
Kraft geſeßt iſt, auch zeitweilig nicht, vielmehr in vielen Hunderten 
von Parteiorten mit der größten Opferwilligkeit auh in dieſer jewzren 
Zeit von den Partei- und Gewerkſchaftsgenoſſen im Geiſte jenes Be- 
ſchluſſes gearbeitet wird, 19 iſt auch von der bewährien Ditziplin der 
Hamburger Rarteigenofien auf da3 beitimmieite zu erwarten, daß ffe, 
nachdem ſig die beſondere Form ibrer Jugendbewegung aufgegeben 
haben, durch Errichtung von Jugendausſchüſſen fich der allgemein gülti- 
gen Organiſaiion unjerer Jugendbewegung anſchließen. 
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Schulfäle für die Arbeiterjugend. 
Bekanntlich haben die Generalfommando3 in letter Zeit eine Fülle 
von Grlaſjen herausgegeben, die ſich auf den Kin9= und Wirts5hausöeſuh, 
das Rauchen und den Alfoholkonſum Jugendlicher beziehen. Wie der unten 
abgedrudte Aufruf der Haller Bezirksleitung mit Recht darlegt, wird 
unjere Jugendbewegung von der Mehrzahl diejer Erlaſſe wenig oder 
gar nicht betroffen, da die meiſten darin mit Strafe bedrohten Unſitten 
in der proletariſchen Jugendbewegung von jeher verpönt waren. Höchſten3 
Fönnte man 23 bedauern, daß ſo auf dem Wege de3 Zwangs Beiſtrebunz= 
gen gefördert, werden ſollen, die vollen Erfolg und jittilicken Wert doch 
eigentlich nur dann haben, wenn ſie freiwillig von den Beteiligten an= 
erfannt und dur<geführt werden. Andere Erlajſe der Militärbehörden 
Gaben mehr Anlaß zur Kritik gegeben, beſonders ſolche, die die freie 
Bewegung der Jugend beeinträchtigen. Indeſſen auc) von ſolchen 
„Straßenverboten“ fühlt ſich vielleicht gerade die arbeitende Jugend 
weniger beſchwert, als in manchen Orten die bürgerlichen jungen Leute. 
Hat doh kurz vor dem Krieg in dent Berliner Vorort Stegliß ein 
Pfarrer ſich veranlaßt geſehen, gegen das Herumflanieren und Herums- 
pouſſieren buntbemüßter Schüler und „höherer“ Töchter, da3 na< ſeiner 
Anſicht in beſtimmten Straßen während der Dämmer= und Abendſtunden 
geradezu zum öffentlic<en Skandal ausgeartet war, geharniſchten Pro- 
teſt einzulegen. Auch gegen ſolchen Unfug iſt unjere Jugend ge-
	        
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