Full text: Arbeiter-Jugend - 8.1916 (8)

Arbeiter»Jugend 
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wenig angeleitet wurde. Der Schäler lernt im Unterricht die 
ihm, troß de8 deutſhen Unterricht3 der Volks8ſ<ule, faſt vollig 
unbefannte Gliederung der Wortſtämme mit ihren Bor- und 
Nachſilben kennen; er verbeſſert ſeine Orthographie und Gram- 
mailt und erweitert feine Kenntmiſſe der deutichen Sprache im all- 
gemeinen. Dieſe neue geiſtige Tätigkeit erweitert und jtählt 
genau Jo die Arbeitsfähigkeit ſeines Gehirns, wie Die 
ſtete Uebung mit „Gewichten die WMuskelfräfte der Arme 
erhöht und feſtigt. Der Schüler lernt auch im Unterricht dit 
' beſondere Schreibweiſe der Fremdwörter und damit die JremDd- 
wörter und ihre Bedeutung überhaupt kennen. Durch das 
Schreiben nach Diltat und das Wiederleſen de3 Geſchrieben en 
Lernt er ferner den Bau d85 Saße3 onnen. Er wird angeleitet, 
etwaige Lücken in ſeinem Stenogramm nach dem Sinn des Bor- 
handenen zu ergänzen. Je fleißiger ein Schüler zu Hauſe geübt 
hat, um jo ſchneller ſteigert ſich feine Schreibgewandtheit, deſto 
. raſcher vermag er mit der Feder dem Diktat zu folgen; ſein Auf- 
faſjung3vermögen erweitert ſich und befähigt ihn immer mehr, 
eincm Vortrage mit Verſtändnis zu folgen. Er lernt das Wefenk- 
liche eines Vortrages von dem Univefentlichen unterſcheiden und 
brauchbare Notizen machen. So nimmt der Arbeiter, der durch 
Erlernung der Stenogravphie an klares Denken und ichnelle3 Auf- 
faſſen gewöhnte Arbeiter, einen ganz anderen Schal aus cinem 
Vortrage mit nach Hauſe, al38 ihm vordem je möglich war. 
Dem Arbeiter bringt aljo die Erlernung der Stenographie 
einen geiſtigen Gewinn und vermittelt ihm jene Fähigteiten, die 
Herr Conradi al3 Vorbedingung für Die Erlernung der Kurz- 
I<rift aufſtellte. A<b, wie viele Arbeiter habe ich ichen unter- 
richtet und ausgebildet, die eine ſehr miſerable Handſchrift und 
eine Jdjwere Hand hatten, al3 jie im den Unterricht eintraten! 
Und wie haben ſich dieſe Arbeiter, eindringlich hingewieſen auf 
den Wert ziner ;chönen und deutlichen Kurz) crift, dieſe 
IGon vor Beendigung de8 Unterricht3 in ſolcher Vollendung 
angeeignet, daß ſic ſi< damit vor feinem Beruſsſteno- 
graphen zu verjteden brauchten. So groß iſt der Fleiß 
und die AnsSdauer der vorwärtsſtrebenden Arbeiter! Allerdings 
Hatte ich auc< Schüler, die e3 troß aller Ermahnungen und iroß 
größtem Jleiße zU feiner ſtenographiſhen Schöni<rift, aber zu 
großer Schne Wigfeit brachten und ihre Stenogramme rah und 
fehlerlos wiederleien konnten. Und daß es varauf in erſter Linie 
anfommt, Jagt in jeimem Schluß! aße auc Herr Conradi. Ja, 
man muß den Eifer und die Arbeitsfreudigkeit der nach 
geiſtiger Fortbildung ringenden Arbeiter fennen gelernt haben, 
um zu. begreifen, wodurc<h die jungen Mädchen in den YNMochtsan- 
waltsbureauns ohne Sprachkenntniſſe fehlerfreie Diktate miſzui- 
nehmen vermögen. Durch ihren unermüdlichen Flein war i9nen 
Dd1C3 moglid), nicht dur4h die Geduld ihrer Arbeitgeber. Die ge- 
duldigen Arbeitgeber des Herrn Conradi jind 19 jelien wie weiße 
Raben. DesShalb fann ich nach meiner voll ſten Ueberzeuagung und 
geſtüßt auf meine reichen Erfahrungen :odem Arbeiter und jeder 
Arbeiterin nur zurufen: Lernt Stenographie. Jbr dient damit 
enren Intereſſen und ihr könnt ſie erlernen, wenn ihr mit Jleiß 
das Gritrebte wollt. 
Herr Conradi ſtellt dann da3 Schreiben auf der Maſchine 
nach Diktat al8 viel leichter hin al3 das Stenographieren und er- 
flärt, daß e8 Maſchinen gebe, auf denen man für wenig Geld in 
FULzer Zeit blindlings mit zehn Fingern arbeiten lerne. Hat 
Herr Conradi ſchon einmal, auch mir einen halben Tag, auf eine 
19 vollfommenen Maſchine blindlings mit zehn Fingern nach Dik- 
vai gearbeitet, um würdigen zu können, wie anjtrengend das 11t? 
Sind &errir Conradi ſchon einmal die abgeipannten Züge der 
fungen "Maſchinenſchreiberinnen nach Geſihäft3i<mluß aufgefallen? 
Wäre das der Fall, ſo hätte er andere Anſichten über den Wert 
jol<er Maichinenſchnellichreiberei. .- 
Herr Conradi ſtellt eingangs ſeines Artikel3 da3 Abhalten 
von Stenographiekurien für 3 Mk. Unterricht3geld als ein erträgz= 
ches Geſchäft hin. Da nur die Arbeiterſtenographenvereine ein 
10 Teringes Unterricht3geld erheben, können nur dieſe gemeint 
7ein. Daß die Arbeiterſtenographenvereine ihre Ankündigungen 
nicht aus Ge jchäftSſinn erlaſſen, TJondern um ihren Klaſſengenoſſen 
im Verein mit Gleichgeſinnten die Möglichkeit zu gewähren, die 
Stenographie zu ihrem Nußen zu erlernen, braucht Herr Conradi 
nicht zu wiſſen. Aber ich kann Herr Conradi verraten, was mit 
dem Ueberſchuß geſchieht. Verbleibt ein ſolcher, nach Abzug der 
Unkoſten für die Lehrmittel und Anzeigen und andere ſachliche 
Ausgaben, danin werden für den Reſt Bibliotheken angelegt 
und ſtenographiſ<e Zeitſchriften heraus8gegeben zum Nuten der 
Teilnehmer an den Anfängerkurfſen. So ſicht das erträgliche Ge- 
ſchäft der Arbeiterſtenographenvereine aus! 
Arbeiterſtenographenvereine durc<au8 nicht zutreffenden BWBe- 
hauptung de3 Herrn Conradi ſieht es mit dem Zeitvertrödeln bei 
Bier und Qualm, mit dem Jahrmarktkrimskrams und dergleichen 
Tage wie 
das wäre kein Wunder, denn die Menſc<en find immer hart. 
Wie mit dieſer auf - 
Fahrdamm, etwa zehn Schritt vom Hauſe. 
aus. Jn Arbeiterſienographenvereinen bat Herr Conradi dieſs 
Erfahrungen jedenfalls nicht fammelin fönnen, dort acht es mir- 
GgenDd3 jo zu. 
Ganz unbekannt jigGeimt Serrn Conradi hlieklich die Ford2- 
rung der Arbeiterjtenographen zu jein, die Stenogravhie «al3 
Lehrfach in ven Unterricht3plan der Loltsichule aufzunehmen. 
Sieht e8 etwa nac< Geſchäft5mache aus, wenn man den obliga= 
toriichen Stenographieuntericht in der Schule verlangt? 2 
Ulerxander Urban 
Gegenwärtig Leiter des UArbeiierſtenographen- 
verbandes Stolzo-Schrey. 
n.4 
Soneil. 
Ein jeder muß des Lebens Bürde iragen, 
Da heißt es Dulder oder Kämpfer jein. 
So wiſſe: ſtellit du dich in unjre Reihn 
Wählſt du den Kampf und mußt als Mann ihn wagen. 
Drum endige dein kinTiſch, eitel Klagen. 
Kein Gott kann dic von deiner Laſt befrein. 
Vertrau dir ſelbſt! Steh' für die andern ein: 
Dann wird dir der Erlöfung Stunde ſchlagen. 
So wähl' denn Freiheit oder Sklaverei. 
Trägſt weiter du in Demut ſtill dein Joch, 
So klage nicht, daß es dir drüc>end ſei. 
Doch fühljt du dich als Mann, als freier noch, 
So ſtell als Bruder dich in unſre Reih 
Und glaub's: Tro8 alledem, wir ſiegen doc). 
> 
Im oc. 
Von Werner Peter Larien. 
„wdv war ciner jener EGnierbien, die von früß 912 1pai vor Iem Karren 
V“ geben und des Nacht3 auf den Flicjen fauern. Obs er je ein 
Bw qudere3 Leben gehabt bhaits, weißz ich nichi. I< 1a58 ihn nur ain 
Karren. Den 3og ex von früh bis Pal, (GcoZte, TRE, 390g i9n ſteis mit 
der gleichen gegälten Miene, den frampfbhait geſpannien Beinen, ale 
immer, nude und mati, ganz Sei ob dor Karren Zei ungen 
enthielt odex Grünkfram, Lehm oder Koblen. Er 308 ihn von früh bis 
Jpät, ſtredte jich nachts auf die Flieſen, einachte Und FLoL UND Jprang, 
faum daß der Tag graute, von neuem auf, um wieder angeſpannt zu 
werden, D ax die Straßen zu fouchen und 3U zießben, ZU Zichn . + » 
ohne Gnde2. . 
I<h habe ihn geſehen, wie er an cinem Mittag drunien im Dorf 
lag. Er war ganz voller Staub und Schweiß, Janz Crmaztung: „ber 
jein Bli war klar. Es war ceiivas wie Hoffnung in. diejem Bl 
ja, wic voſfnung und Stol3; er olitt ÜoeL Die Brandmaue ue gli Eu höher 
hinauf ' , ZUL Sone CpoLX NUS ICM grauen, 
TOmuBigen ZGofſchabt -- ZUL Sonne. 
Jh hatte nicht gewußt, daß ein Bli> fo viel ſagen kann. Cin vin 
Adolf Stark. 
 
   
 
ziger langer Bli, den ein gequältes Weſen, den ein Hund ZUL SoMune 
aufiuk. . 
Und dann ging e3 bergab mit ihm. Der Karren rollie langjanter, 
die Schläge fielen dichter. Er war ja nun alt; ex konnte uun nicht 
mehr. 
„Huh!“ ſchrie fein Herr, ein roßer Ratron. „Füitere ic Di) Unmt= 
ſonſt, faules Luder?“ 
„Hüb!“ äfften die Gaſſenjungen ihn nach. 
ſonſt?“ 
Und er 309g. « 
Von Straße zu Straße, von Haus 
Blik für ihn, niemand ein gutes Wort. 
rx dil) Um 
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NETT ug € 
„eYEUTLICELT 
zu Haus. Niemand hatie einen 
Nicht nur die Menſchen nichtz 
| Nein, aber 
ſelbſt nicht die Hunde. E3 gingen Hunde vorbei, feijt und gejtriegelt, 
die ſich warm durchs Leben ſ<maroßten; e3 fuhren Hunde daher in- 
breiten Equipagen, große, ſtolz auf dem Kutſcherbo>, und kleine, in 
wärmende Dec>en gehüllt = nicht einer von allen achtete auf ihn. 
' War ex denn überhaupt no<h ein Hund? Ein Gleichwertiger, einer 
der ihrigen? Nein! Er war cin Arbeitstier, halb Karvenwächter, halb 
Laſtgaul, das im Rinnſtein wohnte, iin Rinnſtein fraß und vom Scchi>- 
ſal dazu beſtimmt war, auch im Rinnſtein zu ſterben. , . « 
„Hüh!“" ſerie ſein Herr. „Hüh! faules Luder ?“ 
„Hüh!“ äfften die Gaſſenjungen ihm nach. =- 
Jh entſinne mich nod) des Tages, da ex zuſammenbrach. G5 war 
ein fhöner, warmer Tag, und er lag auf der Straße, mitten auf dem 
Die Zunge hing heraus,
	        
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