6 „Arbeiter- Iugend
nichtig werden, weil ſie von Natur willen8ſ<wach ſind; er iſt viel-
mehr ein Kerl, der das Zugreifen ebenſo energiſ< in ſich hat wie
das Verlangen, fein Leben zu wagen. Er iſt ein Unerſchrodener,
ein Draufgänger durchaus. Nur daß nun eben für den, der gar
nicht3 hat an Gut und Geld und ſo weiter, zwar die ganze Welt
offenſteht, aber kaum eine Möglichkeit, ſich zur Tat einzuſegen.
Seine Weglinien und Gelegenheiten beſtimmt die Landſtraße, unv
die hat bloß viele Kilometer, Kreuzpunkte, Richtungen und Fern-
blie, an denen die Unraſt eines Baldamus nur wilder werden,
aber nie ſich ſtillen kann. Sie hat den BaldamuSs, der unten aus
dem Oberelfaß ſtammt und der einmal Seminarichüler war,
ſ<ließli< in der franzöſiſchen Fremdenlegion landen lajfen --
von Stranden kann in dieſem Falle nicht gut geſprochen werden;
und eines Tages bringt er auch das wieder hinter ſich: als Flücht-
ling natürlich, taucht in der Heimat wieder auf, nimmt Arbeit
in Järbereifabriken, hat militäriſche Dienſtzeit abzuleiſten, als
Kanonier, kommt aus Gründen ider Geſundheit vor der Zeit frei,
und nun begehrt in ihm auf, was ſich dort an beſten Wünichen
angeſammelt und zum Einſaß bereitgeſtellt hat. Wie er auf der
Heimfahrt aus dem Bahnfeniter ſ<aut, bliken ihn die blanken
Schienen de8 Nebengleite8 an. „Die Sonne wirft ihre letkte
Kraft hinein. Was iſt es nur, daß meine Augen haften bleiben
an den aufleuchtenden, troßig geraden Stahlbändern? Was iſt
es nur? Sei's, wa38 es ſei! Mir gilt e8 als Wegzeichen, als Auſ-
munterung. So harte unerbittliche Striche will auch ic<ß ziehen,
mein Vergangenes und mein Zukünftiges trennen, meine Wege
blank halten. Was ſchiert mich die Sonne, die untergeht? Was
die Nacht, die ihre ungeheuren Schatten herwirft, die Gegend auf-
füllt und heute ſelbſt die Sterne verſte>t? I< trotze ihren Ge-
walten. I< trage Leuchten in mir ſelber. . . .“ Wöhrle hat
Lieder eine3 Legionärs geſ<rieben: in einem gibt er feinem Ueber-
mut ſchuld an den Wegen, die er einſchlug. Das geſchah in einer
Stunde, wo er erkannte, daß ſein Traumland nicht war, was er
davon erhofft, als er, wie die Ueberſchrift des Liedes ſagt, tros
“ pieler Liter Wein noh immer nüchtern war. Aber was war dieſer
Vebermut anderes als unbändige Luſt, ſich in der Welt nach
eigenem Willen zu bewegen! Bis in die Hölle und Hexenküche
de3 Kolonialkrieges hatte dieſer Drang ihn geriſſen, und als
nächſten Akt hatte er ihm da3 Leben des Fabrikproletarier3 be-
ſchert. Und als er meinte, das alles überwunden zu haben, als er
an ein Tiefer- und Reicherwerdenkönnen glaubte, ſc<lug vas
Schifal ein hohnvolle8 Lachen an und ſchickte ihn als feldgrauen
Kanonier in den Weltkrieg.
Von dieſem Leben8gang muß man wiſſen, wenn man die
Soldatenlieder lieſt, die Wöhrle jet als ſeinen lyriſchen Kriegs-
ertrag zum Buch zuſammengefaßt hat. Er iſt nicht etwa ein
Sammeltyp des gegenwärtigen deutſchen Feldſoldaten. Auch der
Arbeiterfrieger iſt er nicht, der ſeine Herkunft aus der Welt und
Schule der wirtſchaftlichen und politiſchen Kampforganiſation in
deutlichen Zeichen verrät. Wa3 einen Teil der Gedichte kenn-
zeichnet, iſt unverfälſchtes VaJantenblut, und das pulſt nun unterm
QLand8knehtwams8. Der Baldamu38 von ehedem marſchiert wieder
auf der Landſtraße, und ſein alemanniſches Herz, das ſchon früher
in Volksliedrhythmen pochte, ergeht ſich auch jeßt wieder darin.
Wöhrle hat zweierlei, was dieſe ſeine Neigung aus natür-
lißem Saftgrunde nährt. Einmal iſt er in einem Gebiet be-
heimatet, das ihn ſprachlich für das Volksliedhafte trefflich aus-
rüſtet, und zweitens hat er das, was im. alten Soldatenliede
weſentlich iſt, aus eigenem Lebenslauf in aller Luſt und Schwere
erfahren. Er weiß ja, was es beißt, als Söldner ſein Blut und
Leben fremdem Dienſt verkauft und alle bürgerlichen, vater-
ländiſchen Brücken hinter ſich abgebrochen zu haben. Das liegt nun
etliche Jahre binter ihm zurück, und der Kriegsdienſt, den er
heute leiſtet, iſt ein anderer als der damals übernommene. Aber
vie Vorprobe auf das Abſchließen mit dem Leben kannte er doh
ſhon, dies tägliche Todgewärtigſein, das heute Millionen Krieger
lernen mußten. Wöhrle ſteht zu dieſem Gefühl als der junge
kraftvolle Menſ<, in dem beiße Liebe zum Leben eng geſellt zu-
ſammenbauſt mit feſter Bereitſchaft zum Tode. Er wirft ſein
QCeben nicht leichtfertig hin, weil er e8 etwa verachtet, er hat im
Gegenteil das volle Bewußtſein, was e3 wert iſt. Die Tode3nähe
ſteigert die3 Bewußtſein und ſteigert den Drang ſeines Lebens
nac<ß Jreude. Das grauſame Soldatenlo3 kann ihm davon nichts
nehmen. Die38 gibt den Liedern Wöhrles den tüchtigen Kern. In
dem ſchönen Gedichte „Nach einem Begräbnis" tönt es zum Schluß:
AJ, mit fünfundzwanzig Jahren
Weiß man erſt, idie Welt iſt dein!
Ach, erſt dann kann man erfahren,
'Wa3 e3 heißt, ein Menſc< zu ſein,
Ach, wenn die Kanonen 1prechen,
Während draußen Frühling Iſt,
Fühlt man aus dem Herzen brechen,
Wie ſo ſchwer das Sterben iſt.
Daß Wöhrle ſi< in einer Reihe von Gedichten dem Volks-
liedton hingab, hing vielleicht zuſammen auch mit einer Aufgabe,
die ſeit etlichen Jahren in Deutſchland geſtellt war: man rief nach
einer Säuberung des Soldatenliederbuches, in dem- Schlechtes
aller Art ſich breitmacht. Hier hat nun Wöhrle in der Tat Beſjere3
geſ<entt. Die Marichierſtimmungen trifft er prächtig, ſofern ein
Vergleich mit Vorhandenem ein Urteil rechtfertigen kann. Ct
Wöhrleſchen Bezug lieſt man einmal aus der Zeile: „Wir Deutſchen
finden nirgend8 als nur im Grabe Ruh.“ Daß dieſe vagantiſch
empfundenen Lieder romantiſch anmuten, wollen wir ihnen nicht
verübeln. Sie wollen ja kein Zeitbild ſein. Aber es iſt zu be-
achten, daß ſie das Büchlein einleiten und daß dieſes dann zU
ichwereren Stimmungen fortſchreitet, denen die Gegenwart ihren.
Stempel aufdrükt. Neben den Frohſinns8willen,* der in Wöhrle
ſtart. iſt, drängt. ſich mehr und mehr das Kriegs8grauen. -Er ift
beileibe fein Schlachtluſtſänger. Daß ihm das Kanonieren: das
Herz mächtig ſdlagen macht, weiß man ſhon aus dem Buch von
den Streichen de8 Baldamus. Aber ſc<on dort, wo dieſe Arbeit
doch nur Manöverſc<ein war, ſtieg ihm einmal der AuSblik auf:
„Wenn das im Ernſt geſchähe!“ Da3 hat er nun erleben ſollen, im
Weſten und im Oſten, und erlebt e8 immer no<. Er ſchreibt ein
ſOlachtichilderndes Lied, wie er beifügt im „Soldatenton“, und
er jeßt es hin mit Strichen wie alter derber Holzſchnitt, der auf
vergilbtem Blatt gedruckt 11t; da heißt e8, als der Sturm auf
Wall und Tor beendet iſt und ſech8stauſend Mann in blutigem
Tod Daliegen: „Wir wachten.“
Infanteriqt und Reiterömann
Kam auf eimmal das Weinen an.
Weint nur, ihr deutſchen Brüder!
Der Krieg iſt lang, ider Frdeide weit.
Krieg iſt eine ſchre>liche Zeit!
Die Tränen ſtürzen hernieder. .
Brindex,
Sehn wir die Heimat wieder ?
. Sehn wir die Heimat wieder ? -
Der leßte Teil des Gedichtbucheswuchtet von ſchweren Tönen.
Die Gegenwart, der Gegenwart5dichter kommen nah hervor, Nachts
ſhreitet der Dichter draußen, „wo die Kameraden verwejen“,
Sterne über dem Grab als Totenampeln.
Veber der endlojen polniſchen Fläche
Fluten idie Winde wie braujſende Bäche.
Luft und Gruft tönt von ſchallendem Ruf,
Nollendem Rad, hallendem Huf.
Wer die Seele der Weltkriegſoldaten erkennen will, wie die
endloſe Dauer des Ringen ſie geſtaltet hat, wird nachdenklich ver-
weilen bei Nachtzeilen wie dieſen: “ |
- Die Lichter der Heimat, die loſchen läangyi aus.
Die Stimmen der Heimat verklangen im Braus.
Da3 viele Begeben bekümmert mich ſchwer,
'Troß allem Erleben bleibt das Herz einem leer.
Dieſer Dichter iſt einer, der trotz allem kein Kopfhänger wird.
Er weiß, um was es gebt, und ſebt beim Erſchauen eines Tag-
anbruchs den Vers an iden Buchſchluß: „Neu leuchtet das Leben.
Komme, wa38 mag!“ Aber in ihm wühlt, reißt, hadert es. Einmal
kingt ſich's aus diefem Herzen 103: es ſei einmal jo, gut Blut
müſſe noch fließen in Strömen, „daß alle die Menſchen mal brüder-
lich fein“. Wa3 notwendig geworden iſt, darüber iſt er ſich klar.
Aber der Sinn all des Furchtbaren, der Weltſinn! Wer kann
ihn geben? Grell flackert e8 in dem packenden Gedicht „Ueber-
Iblag“ aushallend auf: Sn |
Der Sinn des Lebens ät verrückt
Und allem Wiäderſinn verbündet. .
Derweil die Erdheit gräßlich blutend ſich zerſtüct,
Hat ſich im fernen Blau gin neuer Stern entzündet.
So aibt dies Gedichtbuch den jungen Baldamus von einſt,
den wir ſ<on vordem kannten, und es gibt den mehr gereiften,
der ſim zubeßt in jenem Landſtreicherbuch ankündigte. Aber nur
ein Stü von dieſem macht es ſichtbar. Was Wöhrle dem Kriege
abgewann, ſteht auch in anderer Form niedergeſchrieben. Frei-
li< noFh nicht in Büchern, nur auf loſen Druckblättern da und
dort in Zeitungen und Zeitſchriften, auc<, wie unſere Leſer wiſſen,
in der „Arbeiter-Jugend“. Wöhrle wird zu denen gehören, die
uns den Weltkrieg aus der Perſpektive des Soldaten unmittelbar
geben. Denn er hat die Kraft, den kleinen Augenbli> in reichem,
tiefem Erleben feſtzuhalten. Dafür mag dieſes kurze Bild zeugen,
das unlängſt zu lefen ſtand. „Mandc<matl“ iſt es überſchrieben :
„Manchmal, wenn idie Soldaten an dir vorbeimarſchieren, die
Infanteriſten mit ihren ſchleppenden Schritten, die iden Charakter
des ganzen Feldzuges aufide>en, - die Feldartillerijten mit ähren .
jungen, wiſſenden Geſichtern, die Pioniere mit ähren ſtolzen, tode3=
mutigen Bewegungen, die Maſchinengewehrler, die Jäger, die Fuß-
artilleriſten und wie Die Truppen alle heißen: manc<mal kommt es
vor, daß ein Geſicht aufblikt, eine8, den du Bruder nenneſt, du
ſiehſt es ihm an Den Augen an. |