Full text: Arbeiter-Jugend - 10.1918 (10)

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Arbeiter» Ingend 
= 
 
ine ganze Anzahhanſerer Feldgrauen iſt im Verlauf der Krieg8- 
zeit dur< den Balkan, und no< darüber hinaus ims eigent- 
lihe Morgenland, hineingekommen. Mance3 Fremdartige 
haben ſie dort zu ſehen bekommen, manche eigenartige Sitte kennen- 
gelernt. Da wird ſicherlich auch den Daheimgebliebenen das eine 
oder andere intereſſieren, was ſeinem Freund oder Verwandten in 
Uniform begegnet iſt. Und zu dieſem Fremdartigen gehören in erſter 
Linie. die Art, wie man in einem Hauſe aufgenommen wird, wenn 
man einen kurzen Beſuch abſtattet, und der Gruß. vn 
. Ein Händeſchütteln, wie das bei uns zu Land Üblich iſt, kennt 
der Orientale nicht. Eine gewiſſe Würde iſt von ſeinem ganzen 
Weſen untrennbar. Sein Gang iſt gemeſſen und bedächtig. Seinc 
Bewegungen ſind natürlich, doch frei von jeder Temperaments- 
beeinfluſſung: Seine Worte ſind gewählt, ganz in blumigen Ver- 
gleichen gebalten, Jelten überſtürzt und über das Ziel ſchießend. 
So ernſt ſein ganzes Weſen geſtimmt iſt, niemals wird es finſter 
oder verbittert wirken. Denn er iſt beſtrebt, ſich eine goldene 
Heiterkeit zu wahren, ſich nie von den Geſchehniſſen fortreißen zu 
laſſen, weniger im Leben, als üb er dem Leben zu ſtehen.“ Ueber- 
all wo der Nichtmorgenländer mehrere Menſchen beieinander trifft 
=- in der Bahn, auf dem Markt, im Kaffeehaus --, wird es Ein- 
druck auf ihn machen, wie ruhig und leidenſchaftslos3 ſich die Leute 
bewegen, die anſcheinend nichts aus ihrer Faſſung zu bringen ver- 
mag. Entſchieden wirkt das Gehabe des Weſt- und VPittol- 
europäers beweglicher, impulſiver, nervöſer. 
Orientale. Seine Formen ſind gemeſſener Art und weniger 
vertraulich. Das mag in einem gewiſſen Mißtrauen begründet ſein. 
Weiß man do<ß zum Beiſpiel von gleicßfal8 mohammedaniſchen 
nordafrikaniſchen Wüſtenſtämmen, daß ſich ihre Angehörigen in einer 
Weiſe begrüßen, al38 wollten ſie zum Zweikampf ſchreiten, daß ſie ſich 
nict nur äußerlich, die Waffen in der Hand, in hokender StellunJ 
belauern, ſondern ſolange Gruß und Gegengruß in beſtimmten 
Formeln fortſpinnen, bis ſie ſich überzeugt haben, daß der des Weges 
Kommende keinerlei böſe oder hinterhältige Abſichten hegt. Ganz 
ähnlich, nur in erheblich gemilderter Form, geſchieht das heute noch) 
im europäiſchen Morgenland. | | 
Begegnen zwei gute Bekannte einander, dann machen ſie zu- 
nächſt das „Temena“, d. bh. ſie führen die rechte Hand erſt zur Bruſt, 
dann zum Munde und ſchließlich zur Stirn. Dieſe möglichſt würde- 
voll ausgeführte Pantomime foll bedeuten: „J< grüße dich von 
: ' Herzen, drüde dies mit dem Munde 
aus und erweiſe dir dieſe Ehre 
mit meinem vollen Verſtande.“ 
Der Jüngere muß dabei beſtrebt 
ſein, mit dem Gruß den Anfang 
zu machen und möglichſt unter- 
würfig zu ſagen: „Salem aleikum“ 
(„Friede ſeimit dir“). Der ältere ant- 
wortet darauf: „aleikumnu salem“ 
(„Auch mit dir ſei Friede!) Nun 
erſt folgt der Teil. der Grußes, 
der die eigentliche Tage3zeit in ſich 
ſchließt und lautet: „Sabah hai- 
rolla“ („Glüklichen Morgen“), 
worauf als Antwort erfolgt: 
- „Allah razosun“ („Gott gebe ihn 
dir!“). Mittags grüßt man: 
„Merhaba“ („Sei gegrüßt!“); 
dieſer Gruß wird beantwortet mit 
„aleilkumu merhaba“ („Sei auch du 
gegrüßt!“). Und am Abend ſagt 
man: „Aksam hairolla“ („Guten 
erze. 2 Abend“); der Gegengruß lautet 
ew 3 in dieſem Falle wieder ebenſo wie 
'8-,; am Morgen: „Allah razosun!“ 
Nicht nur die. mohammedaniſchen 
Glaubensgenoſſen grüßen in dieſer 
Art; auch den Nichtgläubigen be- 
gegnet man in der gleichen Weiſe. 
Nur ſieht man es von dieſen nicht 
gern, daß ſie mit dem Worte 
„Merhaba“ antworten, das au 
ihnen gegenüber niental3s ange- 
wendet zu werden pflegt. 
Die Kopfbede>ung (Fez oder 
Turban) ſpielt beint Gruß des 
mohammedaniſchen . Orientalen 
niemals eine Rolle; ſie wird weder 
?j auf der Straße, noch im Gotte3- 
Nn „In hauſe, noh im Privathauſe jemals 
Mohammedaniſcher Südſlawe. abgenommen. Zm Gegenteil: es 
 
 
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Ganz anders der ' 
Gruß und Bewirkung im europäiſchen Morgenlande. 
würde als eine Verſpottung oder eine ſchwere Beleidigung au- 
geſehen werden, wenn ein Gläubiger vor einen anderen Gläubigen 
jemals ſeine Kopfbedekung auch nur ein ganz klein wenig zu 
lüften wagte. * . 
Betritt nun der Morgenländer ein Kaffeehaus oder ein Privat- 
haus, ſo ſetzt er ſich erſt einmal ruhig nieder, ohne ein Wort zu 
ſprechen. Dann erſt grüßt er die Anweſenden mit „Salem 
aleikum“. Er bekommt nun die übliche Allgemeinantwort und erſt 
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hierauf den perſönlichen Gruß (Merhaba NN. N.). Jeder einzelne 
grüßt ihn auf dieſe Art, und er hat ihn in der gleichen Weiſe wieder- 
zugrüßen, d. h. das Merhaba mit den Namen der anweſenden Per- 
ſonen zu verbinden. 
Die * Verabſchiedung erfolgt mit einent einfachen „Ejvallah“ 
(„Zu guter Stunde“), was mit „Ejsahadille“ („Gebe nit Glück“) 
beantwortet wird. Das iſt auch der: Gruß, der bei größeren Reiſen 
Anwendung findet. Denn ſelbſt bei Pilgerfahrten nach Mekka wahren 
die ſich Verabſchiedenden immer die äußere Ruhe, Nach mohainnie- 
daniſcher Auffaſſung wäre es ja auch völlig unangebracht, ſich durc 
irgendwelche Hoffnungen oder Befür<tungen in Aufregung bringen 
zu laſſen, denn das Leben des Gläubigen ſteht in Allahs Hand; 
en Crgehen iſt in dem Buch des Schicfals unabänderlich vorgo- 
zeichnet. | | 
Gewiſſe Gruß- und Willkommenformalitäten haben ſich troß 
dieſes aus8geſprochenen FataliSmus natürlich denno<h auc< im euro- 
päiſchen Morgenlande ausgedildet. Schon die recht unſicheren Wege- 
verhältniſſe haben da eine Nolle geſpielt. Zu manchen Zeiten war 
das Reiſen im Balkan. kein Kinderſpiel. Bei den mohammedaniſchen 
Südſlawen hört man bei dieſer Gelegenheit zum Beiſpiel auch heut2 
noch die Grußformeln „Dobro dosao“ („Mögeſt du gut gekommen 
ſein!“); auch fragt man den Seimgefehrten“ noch: „Zdrawo:?“ 
„Mirno?2" („Biſt du ruhig gereiſt?“ Wie geht es dir?“) Aehnliche 
Fragen nac< dem Befinden zu ſtellen, gehört überhaupt zum guten 
Umgang8ton im Morgenlande. / 
'Beſonder3 ehrwürdige und alte Leute begrüßt man im Orient 
dadur<, daß man ſich bei ihrem Nahen lautlo38 von ſeinem Sit er- 
hebt und ſtill ſtehen bleibt, bis der alſo Geehrte vorübergegangen iſt 
oder den Gruß in irgendeiner Art erwidert hat; erſt dann ſekt man 
ſich wieder lautlos nieder. Iſt die Geſellſchaft, auf die man ſtößt, 
religiv8 gemiſcht, ſo begrüßt der Mohammedaner imnier erſt ſeine 
Glaubens8genoſſen, mögen ſie au) no< ſo arme und geringe Leute 
ſein; dann erſt wendet er ſic an die Anderö3aläubigen. “ | 
Aber nur Männer grüßen einander. Als eine Unziemlichkeit 
und Ungeſchielichkeit ſonderö8gleichen würde e8 angeſehen werden, 
wollte ein Mann eine Frau begrüßen. Dice tief verſchleierte, auf 
der Straße dahineilende Frau darf nicht nur nicht angeſprochen 
und gegrüßt, ſondern aud) nicht einmal angeſchaut werden. Als 
ein Verbrechen, das ſi< gar nicht wieder gutmachen ließe, würde 
es gedeutet werden, wollte man ihr auf offener Straße, wenn auch 
in der höflichſten Form, in den Weg treten. Und gegen gute Sitte 
und Herkommen verſtoßend wird es auch betrachtet, erkundigt man 
ſiHh bei einem Manne nach dem Befinden: ſeiner Frau, ſeiner 
Mutter, ſeiner Schweſter oder ſeiner Töchter. Die Abgeſchloſſenheit 
der Welt, in der ſich die mohammedaniſche Frau bewegt, darf auch 
durd) einen reinen formellen Höflichkeit8akt in keiner Weiſe gelüftet 
werden. Frauen untereinander begrüßen ſich natürlich auch, und 
zwar meiſt in recht weitſchweifiger und herzlicher Art. Den Gruß 
'auf der Straße meiden aber auc<h ſie. Nur in den Harems geben 
5.
	        
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