Full text: Arbeiter-Jugend - 10.1918 (10)

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I%m vergangenen Geſchäft3jahr machten ſich an verſchiedenen 
Orten Beſtrebungen geltend, unſere Drganiſation auf eine feſtere 
Grundlage zu ſtellen. Mit großem Eifer trat die Jugend für die 
Dieſe Be- 
Gründung geſchloſſener Jugendvereine ein. 
ſtrebungen ſind begreiflich und durchaus zu begrüßen. Die bi3- 
herige loſe Form unſerer Bewegung hat für die Vergangenheit 
ihre Berechtigung gehabt, für die Zufunft genügt ſie niht. Neue 
Kräfte ſind unter der Jugend lebendig und verlangen nach neuen 
AuSdruck8formen, nach einer feſteren Geſtaltung unſeres Organi- 
ſationöSrahmen8. Die Zentralſtelle hat ſich daher dieſen Beſtre- 
bungen gegenüber zuſtimmend geäußert und in einem Zirkular 
an die Bezirfs8leitungen die Richtlinien aufgeſtellt, nach denen die 
Neugründung von Jugendvercvimen erfolgen joll. 
Dieſe von innen heraus kommende neue Entwieklung unſerer 
Jugendbewegung iſt ein Zeichen der friſchen, vorwärt3drängenden 
Kraft der Jugend, die mit Begeiſterung und zäher Entſchloſſenheit 
für die Verbreitung unſerer Jdeen wirkt. Die Berichte des ver- 
gangenen, für unſere Bewegung außerordentl'< kritiſchen Geſchäft3- 
jahre3 ſpiegeln die ungeheuren Schwierigkeiten wider, die ſich 
unſerer Arbeit auf Scritt und Tritt entgegenſtellen. Sie geben 
uns aber auch die Gewißheit, daß der Tiefſtand unſerer Jugend» 
bewegung überwunden iſt, daß friſche Kräfte ſich regen, neue Triebe 
ſich entfalten und unſer alte8 Loſung8wort wieder Geltung erhält: 
Vorwärts und aufwarts8! 
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Das Volksvermögen im Kriege. 
on einem reichen Mann hört man ſehr oft ſagen, daß er ſehr 
viel Geld hat. Würde man aber die Kaſten und Geldbeutel 
dieſes glücklichen Zeitgenoſſen durchſuchen, ſo fände man oft 
nicht viel mehr Geld darin, als bei irgendeinem armen Angeſtellten, 
dem ſoeben ſein Gehalt aus8gezahlt wurde. Ein reicher Mann, der 
ſein Vermögen ganz oder zum großen Teil in blanken Goldſtü>en 
anlegen wollte, würde als reif für3 Irrenhaus betrachtet werden. 
Auf niedriger Wirtſchaftsſtufe kommt es allerding3 vor, daß reiche 
Leute große Schäe von Gold und Silber aufhäufen, heute aber 
wird ein reißer Mann nur einen kleinen Teil ſeines Vermögens in 
barem Geld verfügbar halten, nur ſoviel, al38 er eben braucht, um 
ſeine nächſten AuS8gaben zu beſtreiten. Sein Vermögen wird ſich 
vielmehr aus Gütern zuſammenſetßen, die ihm entweder einen Er- 
trag einbringen oder die dazu beſtimmt ſind, ſeine und ſeiner Ange- 
hörigen perſönliche Bedürfniſſe zu befriedigen, alſo etwa einer Fabrik 
mit Maſchinen, Werkzeugen und Warenvorräten, .oder Ae>ern und 
Wieſen, einein Park, einer Villa, einem Kraftwagen uſw.; ferner 
aus Forderungen an Private oder öffentliche Körperſchaften, für die 
Wie ich zur Sozialdemokratie kam. 
Von P. Trimborn. 
er. Altmeiſter der deutſchen Sozialdemokrabie, Auguſt Bebel, hat 
einmal irgendwo den bezeichnenden Ausſpruch getan: „Gegen 
den Sozialiamus iſt kein Kraut gewachſen; langſam aber ſicher 
zwingt er un5 alle in ſeiwen Bann.“ An dieſes Bebelwort muß ich 
immer wieder denken, wenn vor meinem geiſtigen Auge meine eigene 
Jugend emporſteigt, In kleinſtädtiſchen, engen Verhältniſſen aufge=- 
wachſen, erzogen! in den Ueberlieferungen und Anſ<auungen ſtreng 
katholiſcher Kreiſe, habe ich mir in meinxr Kindheit nicht3 von meiner 
ſpäteren ſozialiſtiſchen Betätigung träumen Taſſepn. Die mächtigen Eimn- 
flüſſe der Erfahrung uind des Leben3, denen wir alle ausnahms8lo3 
unterliegen, die auch den Soldatenſohn und ſpäteran Geſellenvereinber 
Bebel zu einem glühenden Vorkämpfer für die ſozialiſtiſche Neuordaung 
der menſchlihen Geſellſchaft ſchufen, ſie trieben auc<ß mich aus der 
Moderluft extrem=klerikaler Kreiſe zur Sozialdemokratie, Wie ich als 
junger Tuchweber und Mitglied eine3 katholiſchen Arbeitervereims den 
Weg zum Soziali3mus fand, ſei nachſtehend unferen jungen Freunden 
erzählt, | 
+* 
Als nach dem Fall de3 Ausnahmegeſeßes zur Bekämpfung der So- 
„Fialdemokratie die politiſche und gewerkſchaftliche Arbeiterbewegung zu 
Beginn der mweunziger Jahve innerlich und äußerlich erſtarkte und Macht 
und Anſehen gewann, hielt e8 auch der KlerikaliSmus an der Zeit, 
organiſatoriſche Maßnahmew zu treffen, um die katholiſche Arbeiter- 
ft an die Zentrumsfahne zu ketten. Die Reichstagswahlen von 1890 
und: 1893, die ein gewaltige? Anwachſen der ſogialdemokratiſchen Wahl- 
giffern brachten, hatten den Ultramontanen gezeigt, wie ernſt für ſie 
bei längerem Zögern die Situation werden mußte. „Hannibal ſteht vor 
den Toren", lautete ein damals in katholiſchen Kreiſen viel zitierter 
Ausſpruch des Zentrumsführers Reichenſperger. Politiſche Berechnung 
erforderte alſo die Gründung katholiſcher Gegenorganiſationen, um die 
. Arbekker-Jugend m | - 
Fiene 
ihm in der Regel Zinſen gezahlt werden, oder aus Anteilen an 
Unternehmungen, Aktien uſw., die ihm ein Recht auf einen Teil des 
Ertrag3 der betreffenden Betriebe ſichern. 
No<h viel weniger al8 das Vermögen eines einzelnen kann man 
das Vermögen eine3 Volke3 na< der Menge Geld bemeſſen, die in 
Lande vorhanden iſt, wenn auch lange Zeit im ſiebzehnten und acht- 
zehnten Jahrhundert al8 Theorie des ſogenannten MerkantiliSmus 
die Auffaſſung herrſchte, e8 käme darauf an, daß ein Land möglichſt 
reich an Gold und Silber ſei. 
Nur ein verhältniSmäßig kleiner Teil des Vermögen3 eines 
' Volke3 wird alſo in Geld beſtehen. Dabei darf ſfelbſtverſtändlich nur 
das aus Metall beſtehende Geld mit ſeinem Metallwert in NechnunJ 
gezogen werden, nicht etwa ſogenanntes Papiergeld, das wohl einen 
Teil de38 Vermögens der einzelnen Bürger au38machen kann, aber 
mcht3 mit dem Vermögen de3 Volke38 zu ſchaffen hat, von deſſen 
Staatsgewalt es aus8gegeben wurde. Gäbe es do< ſonſt ein ſehr 
einfaches Mittel, um das Vermögen eines Volkes zu vermehren: 
man brauchte nur die Druckerpreſſe in Bewegung zu ſeßen und 
Papiergeld anfertigen zu kaſſen. 
Da3 Volk38vermögen beſteht vielmehr aus der Geſamtheit der 
in einem Land vorhandenen Güter, die der Produktion, der De>ung 
de38 Bedarf8 der Bewohner oder den Zwecken des Staats und der 
anderen öffentüichen Körperſchaften dienen, alſo aus dem Grund und 
Boden, den Fabriken, Warenvorräten, öffentlichen und privaten Ge- 
bäuden uſw. Dazu kommen nod die Beſiktümer, die die im Inland 
wohnenden Volk3angehörigen im Ausland haben, ferner ihre Forde- 
rungen an ausländiſche Staaten oder Private. Ob ſich das Geſamt» 
vermögen eine38 Volkes vermehrt oder vermindert hat, iſt auch bei 
viner Zählung der Vermögen der einzelnen nicht ohne weiteres feſt- 
zuſtellen. Ergibt ſich, daß im Durchſchnitt das Vermögen der Volk3- 
angehörigen größer iſt al38 früher, ſo braucht damit in Wirklichkeit 
keine Vermehrung des Volk3vermögens8 verbunden zu ſein: Wenn 
zum Beiſpiel in einem Land die Grundſtücs8preiſe ſteigen, weil die 
Nachfrage nach Grund und Boden ſehr groß iſt, jo werden dadurd) 
zwar eine Reihe Leute reicher geworden ſein, aber die Menge der in 
dem Land vorhandenen Güter iſt dadur< nicht größer geworden, das 
VLolks8vermögen hat ſich nicht vermehrt. . 
Bei- einer oberflächlichen Betrachtung könnte es ſo ſcheinen, als 
. ob jeht während des Krieges unſer deutſches Volk reicher geworden 
jei. Sehr viele Leute haben ihr Vermögen bedeutend vermehrt. 
Bei den Sparkaſſen und Banken ſammeln ſi< große Summen an, 
jo daß dieſe Inſtitute nicht wüßten, wo ſie mit dem Segen hin- 
ſollten, wenn nicht von Zeit zu Zeit die Krieg3anleihen des Reichs 
die flüſſigen Geldmittel immer wieder aufzehrten. Wenn wir darum 
die Vermögen aller Einwohner Deutſchlands nach ihrem Geldwert 
zuſammenzählten, ſo würden wir vielleicht auch nach Abzug der ſo 
foloſſal gewachſenen Schulden de8 Reichs und der Einzelſtaaten eine 
Zunahme des Geldwert8 unſere8 Volks8vermögen3 herausrechnen 
aufſteigende rote Flut einzudämmen. Jn Weſtdeutſchland entſtanden 
damals zahlreiche konfeſſionelle Arbeitervereime, aus denen dann Lim 
knappe38 Jahrzehnt ſpäter die <riſtlichem Gewerkſchaften herauswuchſen. 
Auch in meiner rheiniſchen Heimat hatte ſich um die Mitte der 
neunziger Rahre ein ſolcher konfeſſioneller Arbeiterverein gebildet, der 
den etwas dangen Namen: „Unitas, Verein zur Förderung der Jnter- 
eſſen der unteren Stände“ führte. Die Leitung des Vereins lag in den 
Händen von Nichtarbeitern; auch din Mitglieder dieſes „Arbeitervereins“ 
waren meiſt Leute, die von Arbeiterfragen recht wenig verſtanden. Jn 
den erſten Jahren feine3 Beſtehens fand der Vereim bei der Arbeiter- 
ſchaft wenig Beachtung; außer einem Dußend eingefleiſchter Zentrums2- 
parteigänger kümmerte ſich auch dev katholiſche Teil dex Arbeiterſchaft 
herzlich wenig um dieſe eigenartige Zentrumsgründung. 
« Lebhafberes Intereſſe in Arbeiterkreiſen fand der Verein erſt, als 
er begänn, ſich prakbiſch mit der Wohnung3frage zu beſchäftigen. Die 
WohnungsSnot in unſerm JInduſtrieorb war äußerſt groß; namentlich 
an billigen Kleinwohnungen herrſchte empfindlicher Mangel. Geriſſene 
Unternehmer, die ihre Gelder vorteilhaft und ſichex anlegen wollten, und 
dewen gleichgeitig die Freizügigkeit ihrer Arbeiter recht unbequem war, 
veranlaßten die Leitung der „Unitas“ zur Gründung einer katholiſchen 
Baugenoſſenſchaft, die draußen vor der Stadt Kleinwohnungen, möglichſt 
Ginfamilienhäufer mit Hof und Garten, errichten ſollte. Bei den zahl- 
reichen Geldquellen, die dem führenden Zentrumspolitikern zur Ver- 
fügung ſtanden, wurde der Vorſchlag der örtlichen Textilbarone | nell 
Wirklichkeit. Die Genoſſenſchaft war bald gegründet; laut den Saßungen 
konnten jedoch nur Mitglieder der „Unitas“ der Baugenoſſenſchafb bei- 
treten und Anſpruch auf Erwerbung eines Einfamilienhauſes machen. 
Katholigiamus und Baugenoſſenſc<haft ſind mun zwar vecht verſchiedene 
Begriffe, die auch der ſchlaueſte Zentrum3advoka. ſc<le<ht miteinander 
wird in Einklag zu bringen verſtehen =- es fehlte denn auch damals? 
nicht an Spöttern, die ſih über eine derartige Begriffsvereinigung 
weidlie luſtig machten =, aber die Gründung fand deſſenungeachteti 
in Arbeiterkreiſen Beifal,
	        
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