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I%m vergangenen Geſchäft3jahr machten ſich an verſchiedenen
Orten Beſtrebungen geltend, unſere Drganiſation auf eine feſtere
Grundlage zu ſtellen. Mit großem Eifer trat die Jugend für die
Dieſe Be-
Gründung geſchloſſener Jugendvereine ein.
ſtrebungen ſind begreiflich und durchaus zu begrüßen. Die bi3-
herige loſe Form unſerer Bewegung hat für die Vergangenheit
ihre Berechtigung gehabt, für die Zufunft genügt ſie niht. Neue
Kräfte ſind unter der Jugend lebendig und verlangen nach neuen
AuSdruck8formen, nach einer feſteren Geſtaltung unſeres Organi-
ſationöSrahmen8. Die Zentralſtelle hat ſich daher dieſen Beſtre-
bungen gegenüber zuſtimmend geäußert und in einem Zirkular
an die Bezirfs8leitungen die Richtlinien aufgeſtellt, nach denen die
Neugründung von Jugendvercvimen erfolgen joll.
Dieſe von innen heraus kommende neue Entwieklung unſerer
Jugendbewegung iſt ein Zeichen der friſchen, vorwärt3drängenden
Kraft der Jugend, die mit Begeiſterung und zäher Entſchloſſenheit
für die Verbreitung unſerer Jdeen wirkt. Die Berichte des ver-
gangenen, für unſere Bewegung außerordentl'< kritiſchen Geſchäft3-
jahre3 ſpiegeln die ungeheuren Schwierigkeiten wider, die ſich
unſerer Arbeit auf Scritt und Tritt entgegenſtellen. Sie geben
uns aber auch die Gewißheit, daß der Tiefſtand unſerer Jugend»
bewegung überwunden iſt, daß friſche Kräfte ſich regen, neue Triebe
ſich entfalten und unſer alte8 Loſung8wort wieder Geltung erhält:
Vorwärts und aufwarts8!
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Das Volksvermögen im Kriege.
on einem reichen Mann hört man ſehr oft ſagen, daß er ſehr
viel Geld hat. Würde man aber die Kaſten und Geldbeutel
dieſes glücklichen Zeitgenoſſen durchſuchen, ſo fände man oft
nicht viel mehr Geld darin, als bei irgendeinem armen Angeſtellten,
dem ſoeben ſein Gehalt aus8gezahlt wurde. Ein reicher Mann, der
ſein Vermögen ganz oder zum großen Teil in blanken Goldſtü>en
anlegen wollte, würde als reif für3 Irrenhaus betrachtet werden.
Auf niedriger Wirtſchaftsſtufe kommt es allerding3 vor, daß reiche
Leute große Schäe von Gold und Silber aufhäufen, heute aber
wird ein reißer Mann nur einen kleinen Teil ſeines Vermögens in
barem Geld verfügbar halten, nur ſoviel, al38 er eben braucht, um
ſeine nächſten AuS8gaben zu beſtreiten. Sein Vermögen wird ſich
vielmehr aus Gütern zuſammenſetßen, die ihm entweder einen Er-
trag einbringen oder die dazu beſtimmt ſind, ſeine und ſeiner Ange-
hörigen perſönliche Bedürfniſſe zu befriedigen, alſo etwa einer Fabrik
mit Maſchinen, Werkzeugen und Warenvorräten, .oder Ae>ern und
Wieſen, einein Park, einer Villa, einem Kraftwagen uſw.; ferner
aus Forderungen an Private oder öffentliche Körperſchaften, für die
Wie ich zur Sozialdemokratie kam.
Von P. Trimborn.
er. Altmeiſter der deutſchen Sozialdemokrabie, Auguſt Bebel, hat
einmal irgendwo den bezeichnenden Ausſpruch getan: „Gegen
den Sozialiamus iſt kein Kraut gewachſen; langſam aber ſicher
zwingt er un5 alle in ſeiwen Bann.“ An dieſes Bebelwort muß ich
immer wieder denken, wenn vor meinem geiſtigen Auge meine eigene
Jugend emporſteigt, In kleinſtädtiſchen, engen Verhältniſſen aufge=-
wachſen, erzogen! in den Ueberlieferungen und Anſ<auungen ſtreng
katholiſcher Kreiſe, habe ich mir in meinxr Kindheit nicht3 von meiner
ſpäteren ſozialiſtiſchen Betätigung träumen Taſſepn. Die mächtigen Eimn-
flüſſe der Erfahrung uind des Leben3, denen wir alle ausnahms8lo3
unterliegen, die auch den Soldatenſohn und ſpäteran Geſellenvereinber
Bebel zu einem glühenden Vorkämpfer für die ſozialiſtiſche Neuordaung
der menſchlihen Geſellſchaft ſchufen, ſie trieben auc<ß mich aus der
Moderluft extrem=klerikaler Kreiſe zur Sozialdemokratie, Wie ich als
junger Tuchweber und Mitglied eine3 katholiſchen Arbeitervereims den
Weg zum Soziali3mus fand, ſei nachſtehend unferen jungen Freunden
erzählt, |
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Als nach dem Fall de3 Ausnahmegeſeßes zur Bekämpfung der So-
„Fialdemokratie die politiſche und gewerkſchaftliche Arbeiterbewegung zu
Beginn der mweunziger Jahve innerlich und äußerlich erſtarkte und Macht
und Anſehen gewann, hielt e8 auch der KlerikaliSmus an der Zeit,
organiſatoriſche Maßnahmew zu treffen, um die katholiſche Arbeiter-
ft an die Zentrumsfahne zu ketten. Die Reichstagswahlen von 1890
und: 1893, die ein gewaltige? Anwachſen der ſogialdemokratiſchen Wahl-
giffern brachten, hatten den Ultramontanen gezeigt, wie ernſt für ſie
bei längerem Zögern die Situation werden mußte. „Hannibal ſteht vor
den Toren", lautete ein damals in katholiſchen Kreiſen viel zitierter
Ausſpruch des Zentrumsführers Reichenſperger. Politiſche Berechnung
erforderte alſo die Gründung katholiſcher Gegenorganiſationen, um die
. Arbekker-Jugend m | -
Fiene
ihm in der Regel Zinſen gezahlt werden, oder aus Anteilen an
Unternehmungen, Aktien uſw., die ihm ein Recht auf einen Teil des
Ertrag3 der betreffenden Betriebe ſichern.
No<h viel weniger al8 das Vermögen eines einzelnen kann man
das Vermögen eine3 Volke3 na< der Menge Geld bemeſſen, die in
Lande vorhanden iſt, wenn auch lange Zeit im ſiebzehnten und acht-
zehnten Jahrhundert al8 Theorie des ſogenannten MerkantiliSmus
die Auffaſſung herrſchte, e8 käme darauf an, daß ein Land möglichſt
reich an Gold und Silber ſei.
Nur ein verhältniSmäßig kleiner Teil des Vermögen3 eines
' Volke3 wird alſo in Geld beſtehen. Dabei darf ſfelbſtverſtändlich nur
das aus Metall beſtehende Geld mit ſeinem Metallwert in NechnunJ
gezogen werden, nicht etwa ſogenanntes Papiergeld, das wohl einen
Teil de38 Vermögens der einzelnen Bürger au38machen kann, aber
mcht3 mit dem Vermögen de3 Volke38 zu ſchaffen hat, von deſſen
Staatsgewalt es aus8gegeben wurde. Gäbe es do< ſonſt ein ſehr
einfaches Mittel, um das Vermögen eines Volkes zu vermehren:
man brauchte nur die Druckerpreſſe in Bewegung zu ſeßen und
Papiergeld anfertigen zu kaſſen.
Da3 Volk38vermögen beſteht vielmehr aus der Geſamtheit der
in einem Land vorhandenen Güter, die der Produktion, der De>ung
de38 Bedarf8 der Bewohner oder den Zwecken des Staats und der
anderen öffentüichen Körperſchaften dienen, alſo aus dem Grund und
Boden, den Fabriken, Warenvorräten, öffentlichen und privaten Ge-
bäuden uſw. Dazu kommen nod die Beſiktümer, die die im Inland
wohnenden Volk3angehörigen im Ausland haben, ferner ihre Forde-
rungen an ausländiſche Staaten oder Private. Ob ſich das Geſamt»
vermögen eine38 Volkes vermehrt oder vermindert hat, iſt auch bei
viner Zählung der Vermögen der einzelnen nicht ohne weiteres feſt-
zuſtellen. Ergibt ſich, daß im Durchſchnitt das Vermögen der Volk3-
angehörigen größer iſt al38 früher, ſo braucht damit in Wirklichkeit
keine Vermehrung des Volk3vermögens8 verbunden zu ſein: Wenn
zum Beiſpiel in einem Land die Grundſtücs8preiſe ſteigen, weil die
Nachfrage nach Grund und Boden ſehr groß iſt, jo werden dadurd)
zwar eine Reihe Leute reicher geworden ſein, aber die Menge der in
dem Land vorhandenen Güter iſt dadur< nicht größer geworden, das
VLolks8vermögen hat ſich nicht vermehrt. .
Bei- einer oberflächlichen Betrachtung könnte es ſo ſcheinen, als
. ob jeht während des Krieges unſer deutſches Volk reicher geworden
jei. Sehr viele Leute haben ihr Vermögen bedeutend vermehrt.
Bei den Sparkaſſen und Banken ſammeln ſi< große Summen an,
jo daß dieſe Inſtitute nicht wüßten, wo ſie mit dem Segen hin-
ſollten, wenn nicht von Zeit zu Zeit die Krieg3anleihen des Reichs
die flüſſigen Geldmittel immer wieder aufzehrten. Wenn wir darum
die Vermögen aller Einwohner Deutſchlands nach ihrem Geldwert
zuſammenzählten, ſo würden wir vielleicht auch nach Abzug der ſo
foloſſal gewachſenen Schulden de8 Reichs und der Einzelſtaaten eine
Zunahme des Geldwert8 unſere8 Volks8vermögen3 herausrechnen
aufſteigende rote Flut einzudämmen. Jn Weſtdeutſchland entſtanden
damals zahlreiche konfeſſionelle Arbeitervereime, aus denen dann Lim
knappe38 Jahrzehnt ſpäter die <riſtlichem Gewerkſchaften herauswuchſen.
Auch in meiner rheiniſchen Heimat hatte ſich um die Mitte der
neunziger Rahre ein ſolcher konfeſſioneller Arbeiterverein gebildet, der
den etwas dangen Namen: „Unitas, Verein zur Förderung der Jnter-
eſſen der unteren Stände“ führte. Die Leitung des Vereins lag in den
Händen von Nichtarbeitern; auch din Mitglieder dieſes „Arbeitervereins“
waren meiſt Leute, die von Arbeiterfragen recht wenig verſtanden. Jn
den erſten Jahren feine3 Beſtehens fand der Vereim bei der Arbeiter-
ſchaft wenig Beachtung; außer einem Dußend eingefleiſchter Zentrums2-
parteigänger kümmerte ſich auch dev katholiſche Teil dex Arbeiterſchaft
herzlich wenig um dieſe eigenartige Zentrumsgründung.
« Lebhafberes Intereſſe in Arbeiterkreiſen fand der Verein erſt, als
er begänn, ſich prakbiſch mit der Wohnung3frage zu beſchäftigen. Die
WohnungsSnot in unſerm JInduſtrieorb war äußerſt groß; namentlich
an billigen Kleinwohnungen herrſchte empfindlicher Mangel. Geriſſene
Unternehmer, die ihre Gelder vorteilhaft und ſichex anlegen wollten, und
dewen gleichgeitig die Freizügigkeit ihrer Arbeiter recht unbequem war,
veranlaßten die Leitung der „Unitas“ zur Gründung einer katholiſchen
Baugenoſſenſchaft, die draußen vor der Stadt Kleinwohnungen, möglichſt
Ginfamilienhäufer mit Hof und Garten, errichten ſollte. Bei den zahl-
reichen Geldquellen, die dem führenden Zentrumspolitikern zur Ver-
fügung ſtanden, wurde der Vorſchlag der örtlichen Textilbarone | nell
Wirklichkeit. Die Genoſſenſchaft war bald gegründet; laut den Saßungen
konnten jedoch nur Mitglieder der „Unitas“ der Baugenoſſenſchafb bei-
treten und Anſpruch auf Erwerbung eines Einfamilienhauſes machen.
Katholigiamus und Baugenoſſenſc<haft ſind mun zwar vecht verſchiedene
Begriffe, die auch der ſchlaueſte Zentrum3advoka. ſc<le<ht miteinander
wird in Einklag zu bringen verſtehen =- es fehlte denn auch damals?
nicht an Spöttern, die ſih über eine derartige Begriffsvereinigung
weidlie luſtig machten =, aber die Gründung fand deſſenungeachteti
in Arbeiterkreiſen Beifal,