Full text: Arbeiter-Jugend - 10.1918 (10)

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Arbeiter- Iugend 
 
 
leider eine Tatſache, die auch auf der bereit3s erwähnten Jugendpflege- 
konferenz der Zentralſtelle für Volk3wohlfahrt zur Sprache gebracht 
wurde. WMſonder3 ein Nedner aus Frankfurt a. M. teilte mit, daß 
in dortigen Innungs3kreiſen da8 Beſtreben, die „Kriegslehre“ auf 
dreieinhalb, ja vier Jahre zu verlängern, offen zutags trete. Sojcben 
Treibereien müßte von der Arbeiterſchaft der in Betracht kommenden 
Berufe und Betriebe mit größtem Nachdru> entgegengetreten werdon. 
Die Lehrlingsfrage iſt eben in jeder Hinſic<ßt nicht allein Er- 
ziehungsfrage, jondern auc eine Frage der Organiſation. Die 
jeßige Lehrlingsflu<ht ſchädigt nicht nur unſer Wirtſchaftsleben, ſie 
bildet auch für die «meiſten Gewerkſchaften geradezu eine Gefahr. 
Darum heißt e3 für die' organiſierte Arbeiterſchaft, alles daran zu 
Iczen, um eine gründliche Reform dcs geſamten Lehrling8w2joias 
herbeizuführen, 27 A. Friedel- Chemnitz. 
Geruch und Geſchmat&. 
23 wir von der Außenwelt wiſſen, das gründet ſich auf die 
Erfahrungen, die wir mit Hilfe unſerer SinneSorgane ge 
macht haben. Die Sinnesorgane lieſern der „Seele“ das 
Material, mit dem ſie arbeitet. Weitaus die meiſten und wichtigſten 
Eindrücke werden ihr vermittelt durch Auge, Ohr und Taſtſinn. 
Ihnen gegenüber ſpielen Geruch und Geſchma> eine untergeordnete 
Nollo; dieſe worden de8halb auch al8 „niedere“ Sinne bezeichnet, 
im Gogenſaß zu den „höheren“, werden al3 die Proletarier angeſehen 
im Vergleich zu den ariſtokratiſchen Brüdern. In der Tat dienen iie 
viel weniger als Geſicht und Gehör dem menſc<hlichen Geiſtesleben, 
und doch haben auch ſie für die Exiſtenz des Menſchen ihre große 
Bedeutung, hinſichtlich des rein körperlichen Wohlbefindens vielleicht 
eine viel größere als ihre vornehmen Geſchwiſter. Und gehen wir 
zu der Tierroihe rückwärts, ſo finden wir da einzelne Tierklaſjen, 
bei denen die Bedeutung von Geruch und Geſc<mac noc< weſentlich 
höher iſt als beim Menſchen. Wie fein muß zum Beiſpiel der Ge- 
viuch beim Hunde entwickelt fein, der die Fährte ſeines Herrn oder 
eines Verbrecher38 oder eines verwundeten Wildes unter tauſend an- 
deren Spuren heraus erkennt und feſthält! Freilich gibt e8 dancden 
unter den Tieren aud) fol<he, deren Geruch3- und wahrſcheinlich auch 
Geſhmads8organ ſehr viel ſchlechter arbeitet als das de3 Menſchen. 
a, es iſt nicht einmal mit voller Sicherheit bekannt, ob bei den 
niederen Tieren, die in der Entwicklungsreihe vor den Wirbeltieren 
kommen, Organe für Geſchmack und Geruch überhaupt durc<weg voc- 
handen find, wenn wir cs auch für viele von ihnen mit Wahrſchein- 
lichfeit annehmen dürfen, da ſie eben Organe beſißen, die in ihrer 
Anordnung und in ihrem Bau an die betreffenden Simn-s8workzeuge 
des Menſchen un9 der übrigen Wirbeltiere erinnern, freilich viel ein- 
facher geſtaltet ſind, entſprechend dem ganzen Bauplan der betreffen- 
den Tierklaſſen. 
Der GeruchsSwahrnehmung dient die Naſe; ſie iſt bei den 
meiſien Tieren als Wächter an den Eingang der Atem- und Ernäh- 
rung3organe geſtellt, dient ober nicht nur dem Auſfinden der Nay- 
rung und der Anregung de3 Appatits, ſondern vielfach auch) dem 
Suchen nad) Angehörigen des andern Geſchle<ht8, den Männchen 
zuin Auffinden: der Weibchen, dein Weibchen zur Auffindiing des 
Männchens. Nicht immer ſind die geruchwahrnehmenden Sinne3- 
gellen in einer „Naſe“ lokaliſiert; bei den Gliedertieren dienen zun 
Riechen jene Organe, die wir gemeinhin als „Fühler“ bezeichnen; 
ja bei einzelnen Tauſendfüßlern dient das lette Beinpaar als Riech- 
orqan limd bei einzelnen niederen Inſekten ein Anhang am Hinter- 
leib. Wahrſcheinlich ohne jede Geruchs8wahrnehmung ſind die Spin- 
nen. Aber auch Iei den vielen Wirbeltieren, die mit Naſen aus8- 
geſtattet ſind, ſcheint das Geruch8vermögen ſchwach zu ſein, [9 3. B. 
bei den Vögeln, die ſich ja, ebenſo wie manche andere Wirbeltiere, 
vorwicgend durch das Auge leiten laſſen. Umgekehrt ſind die Nieh- 
organe am beſten ausgeſtattet und ihre Leiſtungen am vollkommen- 
ſten bei Tieren, die ſich von Aas nähren, wie Aa3- und Miſtkäfer 
und, ſeiner urſprünglichen Veranlagung nach, eben der Hund. 
Die Fähigkeit zu riechen kommt beim Menj<hen nicht der gan- 
3en Naſe gleichmäßig zu, ſie iſt vielmehr beſchränkt auf die oberen 
Toile der Naſenhöhle, wo ſich die Endapparate de38 GeruchsSnerven, 
härchenartige Gebilde, ausbreiten; die unteren Teile der Naſenhöhle 
dagegen dienen der Anfeuchtung und Anwärmung der Ateinluft und 
ſorgen für das Auffangen des Staubes. Wahrnehmbar für den 
Geruch ſind nur ga8förmige Stoffe; nur ſie vermögen die 
Enden de8 Geruchönerven zu erregen* und damit eine Geruch8- 
empfindung zu erzeugen. 
Die Empfindlichkeit iſt für einzelne Stoffe ganz fabelhaft. Da- 
bei iſt aber zu betonen, daß ſicher einzelne Stoffe, die für den Men- 
ſchen als ſtark riechend bekannt ſind, für Tiere unwirkſam ſind und, 
umgekehrt. Für un38 Menſchen ſteht in ſeiner Wirkſamkeit obenan 
der Moſc<u3, jener von dem Moſc<hustier, einem Verwandten des 
Hirſches, erzeugte Stoff, der in geringſten Mengen ein ganzes Haus 
mit feinem Geruch erfüllen kann; teilt man ein Gramm dieſes 
Stoffes in 1000 gleiche Teile, Milligramme, und nimmt von einer 
jolchen, gewiß kleinen Menge ein Milliontel, ſo vermag ſelbſt dieſe3 
kaum mehr vorſtellbare Teilchen das Geruch3organ eine8 Menſc<en 
no<ß zu reizen. Vom Roſenöldampf genügt der zweihunderttau- 
jendſte Teil eine3 Milligramms8, um eine Geruchöwahrnehmung hex- 
vorzurufen; vom Schwefelwaſſerſtoff, der bei Fäulni8vorgängen und 
' fo auch im menſchlichen Darn bei der Verdauung entſteht, iſt etwa 
ein dreitauſendſtel Milligramm erforderlich uſw. 
Bekannt iſt, daß Gericke ſich gegenſeitig verde>ken können; man, 
macht davon ja im täglichen Leben vielfaHh Gebrauch, indem man 
einem unliebſamen Geruch einfach einen andern, ſtärkeren, aufdring- 
licheren hinzufügt, wodurch jener unter die Schwelle der Wahrnehnt!- 
barfeit hinabgedrüct wird. ES iſt dies einer der Hauptgründe für 
die Anwendung der ſogenannten Wohlgerüche, der Parfüms, für die 
Verwendung von allerlei hemiſchen, in8b2ſondere Teerpräparaten in 
den öffentlichen Bedürfnisanſtalten, für die Verbrennung der 
Räucherkerzen in Kranfenzimmern uſw, 
 
Das erſtemal auf der Stör oder: Du ſollſt 
nicht zuviel arbeiten. 
Von G. Wißmann-Bochum. 
ie oft hört man heute die Arbeiter klagen, daß ſie die Unter=- 
y nehmer nie zufriedenſtellen könnten und überall ein Un- 
erſrägliches Antreibeſyſtem herrſche. Wenn ich ſolche nur zu 
berechtigten Beſchwerden höre, muß ich immer cn eine Epiſode aus 
meiner Jugendzeit denken, wo ic Vorwürfe darüber bekam, daß ich zu 
ſchnell und zu viel gearbeitet hätte. Zu Nuß und Frommen der lieben 
Arbeiterjugend ſei dies luſtige Stückchen hier mitgeteilt. Es ſiad ſchon 
einige Jahrzehnte her. Jh kam von Südungarn, wo ich zuleßt gearbeitet 
hatte, Das „zulekbt“ wav ſchon eine beträchtliche Zeit her, denn ich hatt? 
in Orſova im Auguſt die Arbeit niedergelegt, und das Laub: war ſchon 
abgefallen und der Herbſtwind weht2 über die Felder, al3 ich mich dem 
ſchönen Städtchen Zell am See im Salzburger Land näherte, 
Seit meinem Abgang von der lekzten Arbeitsſtelle haits "< meine 
Land- und Volkskenntniſſe vebrächtlich erweitert; war ich doh zu Fuß 
durc< Slawonien, Kroatien, die Küſtenlande, Krain und Kärnthen ge- 
wandert. Was ich aber dabei an Wiſſen und Erfahrung gewann, hatte 
ic< an Kleidung und Schuhen zugeſebt. Sonſt ſtand es mit aneinem 
Befinden nicht ſchlecht, denn für des Leibes Nahrung ſorgten in reichem 
- Maße die Bäuerinnen, denen ich meinen Beſuch abſtattete, wund di2 
-meinev Bitte um etvas Eſſen, da ich ſchon ſeit Tagen „keinen warmen 
Löffelſtiel im Magen“ göshabt hätte, micht widerſtehen konnten. 
Mit meinem Geſundheitszuſtande war es aſo gut beſtellt, doh der 
No>, der war zerriſſen, und durch die Hoſe pfiff der Wind. Zeit war 
e3 daher, wieder den äußeren Menſc<en inſtand zu ſeßen, und zu dieſem 
Zwe. Hieß es, ſich ernſthaft nach Arbeit umſchauen, 
Da3 Salzburger Ländchen gefiel mix nicht übel. Das Wanderlied: 
„Hier möcht3 ihm gefallen, hiex möcht er wohl ſein“ vor mich hinfums- 
mend, 309g i<ß von Zell am See über St, Johann ins geſegnete Pinzgau, 
Dioſe8 Tal war in jener Zeit hoc<hberühmt bei den Hamndwerksburſchen. 
Jeder Pinzgauer Bauev hatte auf dem Dach ſeines Anweſens einen 
öfleinen Glo>denturm. Die in dieſem Turm angebrachte Glo>e wurde 
zu jeder Mahlzeit in Bewegung geſeßt, um die Dienſtboten Davon ZU 
benachrichtigen, daß Eſſen2zeit fei. Dem Rufe des trauben Glödteins 
folgten aber ni<b nur der Pinzgauer Bauer. und dos Hausgeſinde, 
ſondern auc< die vorüberwandernden Handwerks3burſchen, Dabei exr- 
lönte die Glode micht zu ſelten, venn die Pinzgauer aßew mindeſtens 
fünfmal de8 Tags, und dabei wicht ſchlecht und meiſt reichlich. 
In dieſem Mageneldorado befand ich mich nun und hatte mir vorge 
nommen, allen Ernſtes nach Arbeit .umzuſ<hauen und ſolange auszu“- 
- halten, bi3 mein Körpergewicht wieder merkbar an Kilos zugenommen 
hätte und neue Gewandung die Leibesfülle bede>t2?. Was der Menſch 
aber will, muß ihm endlih auch gelingen. In einem direkt vor den 
Bergen liegenden Dörfchen ſtellte mich ein Schreinermeiſter ein, der, 
wie er mir ſagte, ſehv viel Arbeit habe und dabei einen Zimmergeſellen 
notvendig brauchen könne, Alſo halt gemacht und friſch an die Urbeitl 
- Am nächſten Tage, als ich neu geſtärkt dem di>en Federbett ent=- 
ſtiegen war und in der Werkſtelle landete, erklärte mir der Meiſter, 
ein durch vieles Sc<hmalzeſſen „kropfet“" gewordener Gingeborener des 
ſchönen Pinggau8, daß ich auf die Stör gehen müſſe. Das Wovt Stöv 
und ſeine Definition kannte ich ſchon und wußte, daß 23 bedeutete, bei 
eimem Bergbauer die Handwerks8arbeit verrichten, Solange man dort 
arbeitet, war ?man auch bei dem Bauer in Koſt und Logis. Es war 
einmal eine Abwechſlung fürn mich, guch dieſe Seite des Handwerks2- 
leben3 kennen zu lernen, und ſo war ich gern bereit, dem Wunſc< des 
Meiſter8 nachzukommen. Der beſpannte. Wagen des Bauern ſtand be 
reit3 vor der Tür, Hobelbank und Handwerk5zeug wurden aufgeladen,
	        
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