Full text: Arbeiter-Jugend - 10.1918 (10)

Arbeiter- Jugend 
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Beoſonder3 geſteigert werden kann die Leiſtungsfähigkeit der 
Naſe dadurch, daß die Luft ſtärker als dur<ſchnittlich nach der Ge- 
ruc<sregion hin eingeſogen wird, indem durc< beſondere MuStkeln die 
Naſenlöcher rec<t weit geöffnet werden, eine Bewegung, die man als 
Schnüffeln, Wittern oder Spüren bezeichnet. Stets kommt cine 
Geruch8empfindung nur beim Einatmen zuſtande; beim AuSsatmen . 
wird nichts gerochen, ſelbſt, wenn die Ausatmungsluft riechbare 
Stoffe in Mengen enthält, ems Tatſache, die noch nicht ganz ein- 
wandfrei erklärt werden kann. Auch riechen wir nicht8 mehr oder 
doch nur ſehr wenig, wenn dic Luft, die den riechbaren Stoff trägt, 
uns einige Zeit armgeben hat; unſer Geruchsorgan wird raſch 
ſtumpf; während das Auge den Gegenſtand, der vor ihm liegt, un- 
ainterbrochen ſicht, wird die Naſe an Düfte, die ihr zuſtrömen, an- 
genehme oder unangenehme, raſc< gewöhnt und vermittelt ſie nicht 
mehr oder do<; nur erheblich abgeſchwächt. - 
Den ſtärkſten Einfluß auf die Entwicklung unſeres Ge- 
ruch3oraans haben ſicher diejenigen Gaſe ausgeübt, die mit der nvr- 
malen Verdauung und der Verweſung zu tun haben, die Fäulnis- 
gaſe. Sie wirken abſtoßend auf uns, und daß dies der Fall iſt, das 
fommt wohl daher, daß im Laufe von vielen, vielo:t 
Geſchlechterfolgen der Menſ< gelernt hat, daß überall da, wo 
jenz Gaſe entſtehen, Stoffe vorhanden ſein müſſen, die ſeinem Or- 
ganiSmus nadteilig ſind, die er beſeitigen muß, um ſich geſund zit 
erhalten. Wa3 für den Menſc<en ſchädlich iſt, iſt cs aber noch lango 
nicht für alle übrigen Lebeweſen, und dementſprechend können Tiere 
ſich unter Umſtänden in einem Ga3gemenge wohl fühlen, das auf 
den Menſchen ekelerregend wirkt. Man muß dabei nicht nur an ſo 
niedere Lebeweſen denken wie etwa die Bakterien, die ſich ja im Darn! 
de8 Menſchen, auch in ſeinen unterſten Abſchnitten, durchaus bedag- 
lich fühlen, ſondern auch an höher ſtehende, an Würmer, die ja viol- 
faß im Darm höherer Tiere leben, oder an den Miſtkäfer, den Aas5- 
käfer. Einzelne <emiſc<he Stoffe kommen ſonderbarerweiſe unter 
ganz verſchiedenen Umſtänden vor, ſo ein Stoff, den der Chemiker 
Trimethylamin nennt, und der ſich ſowohl in der Heringslako, als ir 
Zerſeßungsſtoffen des menſchlichen Körpers, als endkich auch in den 
Blüten de38 Weißdorn8, de8 Birnbaums5 und anderer Pflanzen findet; 
da iſt es kein Wunder, daß wir die Aa3- und Schmeißſliegen, die 
ſi an jenen widerlichen Stoffen gütlich tun, zugleich al8 Befruchter 
jener Blüten kennen. . Und ebenſo finden wir unſeren Roſenkäfer in 
den afrikaniſchen Steppen al8 Dungkäfer wieder, wie er ſich an Miſt 
von Widerkäuern ergößt. Das könnte man ſich nur ſc<wer vorſtellen. 
wenn ſich nicht hier und dort der gleiche <emiſche Stoff ſände, der 
durch feinen Duft beide Wale das betreffende Tier lockte. 
An Bezeichnungen für die einzelnen Gerüche iſt unſere Sprach» 
ſehr arm. Wir müſſen uns faſt immer darauf beſchränken, zu 
jagen: „ES riecht wie . . . .“ Man benennt eben die Gerud)S- 
qualität nach beſtimmten Gegenſtänden, die die betreffende Emp- 
findung erfahrung38gemäß hervorrufen, oder auch nach Vorgängen, 
bei denen ſich der betreffende Goruch zu entwickeln pſlogt (faulig, 
brenzlig uſw.). DaS iſt kein Zufall. Es iſt bis heute der Wiſſen- 
 
 
und dem ermunternden „Aufiſteigen, Lodever!" des Geſpannführerv3 
folgend, nahm ich neben ihm Rlaß. 
So fuhren wir bergauf und kamen nach reichlich zwei Stunden vor 
einem großen Bauernhof an. Alsbald wurden die Gerätſchaften ab- 
geladen und dann Bauer und Bäuerin mit einem herzlichen „Grüß 
Gott“ und einem kräftigem Händedru> begrüßt. 
J< wollte nun gleich mit dem Arbeiten anfangen, doch erklärte mir 
dev Bauer, daß es Zeit zur Jauſe (zum Veſpern =- Nac<hmittagsimbiß) 
ſei. Vom Eſſen war ich von jeher ein großer Freund und folgte bereit- 
willigſt der Einladung in die Stube. Herrgott von. Bentheim! Eine 
halbe ausgehungerte Kompagnie hättz mit den dort aufgeſtapelten 
Blatten (ſtarf geſchmälzte Art von Mehlpfannkuchen) genug gehabt, 
und ein Walfiſch hätte mit der in großen Schüſſeln aufgetragenen Milch 
ſeinen Durſt löſchen können! Mein Herz ſ<hlug vor Freude, meine 
Augen weideten ſih an den Schäßen Kanaans, und mein Magen ließ 
ein freudiges Knurren hören, . 
. Doch ſo ſc<nell ſollte ſein Gelüſte denn doch nicht befriedigt werden, 
I< ſah, wie ſich die Bauersleute wohl zu Tiſche begaben, auch das Ge- 
ſinde, dem "ch folgte, ſich ſchleunigſt dahin verfügte, doch nahmen ſie 
nicht Plaß, ſondern knieten vor den Bänken, die Ellenbogen aufgeſtüßt, 
nieder, IH war ſchon zu lange gewandert, hatte zu oft auH bei Bauern 
übernachtet, um nicht zu wiſſen, was nun falgte. 
eine ganze Reihe Gebete, die ein Knecht vorſagte, und wobe; alles in 
den Endrefrain „Bitt für uns“ einſtimmte, nahm ſeinen Anfang. Kräftig 
beteiligte auch ich mic an der „Vitte“, mit dem Erfolg. daß dadurch 
mein Appetit bedeutend verſchärft wurde. Dafür muß ich freilich ge- 
ſtehen, daß meine Undacht vornehmlich der Milch und Blattelſchüſſe! 
galt, ſowie den bildſaubern jung2n Mägden, Da ich ſelbſt erſt achtzehn 
Jahre zählte, war meine Sündhaftigkei: wohl verzeihlich, Dann ging 
es über das Eiſen ver, 
Ginen Löffel hatte im mir vorſichtshalber mitgebracht, denn ich 
Gin Gebet, vielmehr 
* Qiebe daran. Ich babelve und ſägte drauf 198, daß 
ſhaft no< nicht einmal gelungen, die verſchiedenen Geruch3quali-. 
täten voneinander abzugrenzen. Wir wiſſen, warum ein Ton ho 
oder tief, laut oder leiſe iſt, und wir wiſſen, welche Teile de3 Gehör- 
organs für die Aufnahme hoher, welche für tiefe Tone beſtimmt ſind; 
wir wiſſen, welche Scwingungs3zahlen bei den Asetherweollen 
rote, blaue, grüne Farbeindrücke hervorrufen: aber wir wiſſen noch 
nicht einmal, wieviel verſchiedene Geruh38qualitäten es gibt, wieviel 
verſchiedene Gattungen von Geruchsfaſern in den Geruchönerven ver- 
laufen und in den Niechhärchen endigen. Auf alle Fälle iſt die Zahl 
der überhaupt möglichen Gerüche ſehr groß, und jeder Wienſch kann 
täglich in die Lage kommen, Gerüche kennen zu lernen, die er bis- 
her noch nicht empfunden hat. Daß die Niechſchärfe bei den ein- 
zelnen Menſchen verſchieden iſt, das iſt bekannt und iſt nicht ver- 
wunderlich. Im allgemeinen jfollen Kinder eine höhere Niechſchärfe 
beſißken al8 Erwachjene, Frauen eine höhere ais Männer; doch ſind 
die Schwankungen fehr groß. Sicher ſcheint zu ſzin, daß ſich vet 
Ratchern dia Empfindlichkeit für Gerüche allmählich etwas adb- 
jtumpft. Durch Uebung kann umqg2kehrt die Leiſtungsfähigkeit des 
Geruch3 ganz außerordentlich verfeinert werden. H. H. 
+» 
LZ 
Die Zwingburg. 
Gebrochen iſt der alte Twing, 
Rings5um ergrünt ſein Mauerring, 
Der Eppich ſchwankt im Ferſter; 
Verſunken in der Erde Schoß 
Tief unter das beſonnte Moos 
Sind Ritter und Geſpenſter. 
i Wo durch das tiefgewölbte Tor 
* Die zorn'ge Fehde ſchritt hervor 
Und ließ die Hörner ſchmettern, 
Da hat ſich, duftig eingeengt, 
Ein Zicklein ans Geſträuch gehängt 
Und naſcht von jungen Blättern. 
(Zint folgt.) 
Wo wildverträumt Frau Minne ſtund, 
„Zerrann auf blauem Wieſengrund 
Der ke>e Bau des Erkers; 
Wo im Berkieß der Haß gegrollt, 
Iſt in das beiche Gras geroilt 
Ein Quaderſtein des Kerkers. 
Und wo den Teich am Hügelhang 
Herab die troß'ge Feſte zwang, 
Ein finſter Bild zu ſpiegeln, 
Da rudert, von der Flut beneßt, 
' Der Burg zerſtörtes Wappen jeß 
Ein Schwan mit Silberflügeln. 
Konrad Ferdinand Meyer. 
 
 
 
kannte dern lande3üblichen Brauch, daß jeder ſeinen eigenen Löffel be- 
ſikt und der Bauer feinen ſtet. „Haſt du keinen Löffel, brauchſt auch 
nix zu eſſen“, öſt hier eim beliebter Spruch. Jeder Löffeleigentüms2x 
Langte nun zu. Teller für die Blatteln befanden ſich direkt im Tiſch, 
d. bh. es waren in dem hardzn Ahornholz Vertiefungen in Tellerfoxm 
angebra<ht, Die Milc< wurde gemeinſam aus der großen Schüſſel ge- 
löffelt, die, wenn ſie leer war, durch eine andere erſcht wurdo. Streit 
gab e3 dabei nicht, denn es war genug vorhanden, und alle3 aß ſich 
fatt, ja, es iſt woßl nicht zuviel geſagt, überſatt. Ueber ausgezeichnetenr 
Appetit verfügten ſämtliche Beteiligte, ob ihnen aber «das Mahl auch 
ſo gut gemundet hätte, wenn ſie gewußt hätten, daß der „Loderer“, 
der da mitaß, ein Lutheraner, d. h. in ihren Augen ein Kober war, 
bezweifle ich ſtark. Doch warum ſich und anderen das Leben ſchwer 
machen? Jc< war, was Religionsſachen angeht, nie cin Fanatiker ge- 
weſen und ließ auch hier jeden nach ſemer Fatior: ſelig werden. Dabei 
muß ich geſtehen, daß mich wegen des Betens keinerlei lutheriſche Gewiſſens- 
. biſſe peinigten, ſondern mir Milch und Blatteln aus8gezeichnet ſ<hmedten. 
Nachdem da3 männliche Geſchlecht ſich noch eine Pfeife Tabak ge- 
leiſtet, ging 1c) mit dem Bauze zu einem Schuppen, wo das Holz lag 
und auch meine Werkſtatt ſem follte. Hier ſuchten wir die ſchönſten 
Zirpenbretiter aus (die Zirpe iſt ein Nadelbaum, deſſen Zapfen ölige 
Früchte b:rgt), Dieſes Holz ſt ausnehmend ſchön gemaſert. Der Bauer 
erflärte mir nun, worin die von mir zu leiſtende Arbeit beitehen ſollte. 
Das Wohnzimmer de3 Hautes, 5. Hh. die Stus9e, in der fich abends dex 
Bauer mit Frau aind Geſinde zufammenfindet, jollte neu getäfelt 
werden. In Pinzgau, auch ſonſt im Tirol und in Steiermark laſſen 
die Bauern ihre Stuben mit ſchön gemaſertem Holz bekle:den und die 
Täfelung mit Roſetten und anderm Schmuce verzteren. 
Ich hatte alfo eme retzvolle Arbeit vor mir u ng mit Luſt und 
Ww Späne flogen, 
(Schluß S. 182.) 
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