Full text: Arbeiter-Jugend - 10.1918 (10)

Ingen für fünſtliche Bewäſſerung heute no< trocdener 
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“ 
Arbeiter- Jugend 
 
 
. des Hafens wird gebaggert. Sand hat ſich dort angeichwemmt. Mit 
dem Senkblei wird der Grund abgelotet, um Untiefen feſtzuſtellen. 
So hat ein großer Teil aller technijden Errungenſchaften jein 
- Vorbild in der Welt de3 „klaſſiſchen“ Altertums, das heißt, des 
Altertums zu ſeiner Blütezeit. Es iſt wirklich ichwer, etwas 
„Neues unter der Sonne“ zu erfimden! 
Nd 
Turkeſtan. 
Von E Lorſcher, (Schluß.) 
a3 zentralaſiatiſche Eiſenbahnneß litt aber bi3 vor kurzem an 
dem Fehler, daß ihm der unmittelbare Anſchluß an die euro- 
päiſchen Eiſenbahnen fehlte, und daß immer erſt das Kaſpiſiche 
Meer im Verkehr mit Europa gequert werden mußte, wodurd) zeit- 
raubende Umladeſchwierigkeiten entſtanden. Die Sdpwierigleiten 
ſind neuerdings, zum Teil wenigſtens, behoben dur<h den Anjchluß 
der zentralaſiatiſchen an die ſibiriſchen Eiſenbahnen nuttels einer 
Linie von Orenburg nac< Taſchkent. War die Stre>e Kra3novodsk-- 
Taſchkent rein nach ſtrategiſchen und politiſchen GeſichtSpunkten ge- 
baut worden, ſo ſpielten bei der Linie Orenburg--Taſchkent nur 
wirtſchaftliche Intereſſen eine Rolle: es iſt die ſogenannte Baumwoll- 
bahn; und troßdem ſie größtenteils durch reines Wüſtengebiet führt, 
hat ſie ſich glänzend entwiekelt. Sie wurde ſeinerzeit ſehr j<nell 
vollendet: im Jahr 1900 beſchloſſen, war die ganze, 2230 Kilometer 
lange Strecke bereit8 im Jahr 1904 im Betrieb. Der Anſchluß 
Turkeſtans an das ſibiriſ<e Bahnnetz über das Gebiet am Balkaſch- 
ice ſteht noc< bevor. | 
Die Urſachen für die wirtſ<aftliche Entwieklung und den wirt- 
IHaftlichen Aufſ<wung Turkeſtans liegen eigentlich in räumlich recht 
weiter Ferne. Im neunzehnten Jahrhundert hatte ſich in Woſtruß- 
land -- mit dem Zentrum in Lodz -- eine blühende Textilinduſtrie 
entwickelt, die, ſoweit ſie Baumwolle verarbeitete, dieſe Baumwolle 
zum größten Teil aus den Vereinigten Staaten bezog. Damit war 
Rußland in der Textilinduſtrie von dem amerikaniſchon Robhſtoff- 
markt abhängig. Das legte den Gedanken nahe, in den zum Baum“ 
wollanbau geeigneten Kolonialgebieten die eigene Nobhſtoffgewinnung 
zu betreiben. Tatſächlich wurde auch bereit38 ſeit dem Ende des 
vorigen Jahrhunderts Baumwolle in Turkeſtan, beſonder8 in 
Ferghana, angebaut, und der Anbau nahm ſchließlich unter dent 
Einfluß Moskauer Kapitaliſten einen' ſolhen Umfang an, daß die 
eigene Baumwollproduktion vor Ausbruch des Krieges bereits faſt 
die Hälfte des ruſſiſc<en Bedarfs dete, 
t 
etwa 175 Vällionen Kilogramm. 
Dabei iſt es durchaus möglich, die Baumwollerzeugung nod) 
ganz außerordentlich zu ſteigern, vorausgeſckt, daß die nötigen An- 
geſchaffen werden. Mindeſtens noch eine, möglicherweiſe ſogar noch 
drei Millionen Deßjatinen Land könnten auf ſolche Weiſe für den 
Baumwollbau gewonnen werden. Und da man auf 100 000 Deßja- 
' Rußland verbraucht jährlich - 
' rund 360 Millionen Kilogramm Nohbaumwolle und erzeugte 19114 
Gebiete - 
tinen*) mit einem durchſchnittlichen Ertrag von 35 Millionen Kilo- 
gramm Kohbaumwolle rechnet, ſtänden zum Export in die Nachbar- 
länder mindeſtens jährlich etwa 160 Millionen, möglicherweiſe ſogar 
bis 500 Millionen Kilogramm Rohbaumwolle zur Verfügung. 
Man muß ſic das vor Augen halten, um die Beziehungen 
Nußlands8 zu Amerika, im boſonderen zu den Vereinigten Staaten, 
zu verſtehen. Was die Vereinigten Staaten bi3 Au8bruch des Krieg3 
an Rußland verkauften, war zu 90 Proz. Baumwolle. Und da 
Rußland in Turkeſtan = in geringerem Maß auch in Tran8- 
kaufaſien =- eine eigene Baumwollproduktion ins Leben gerufen . 
hatte und dieſs Produftion nod) gewaltig zu ſteigern imſtande war, 
konnie es dur< Sperrung der amerifoniſchen Einfuhr den Finanzen 
der Vereinigten Staaten einen gäwaltigen Scjaden zufügen, unter 
Umſtänden ſogar aus einem Abnehmer zu einem Konkurrenten wer- 
den. E3 hat dieſe Maßrezel au< vor Kriegsausbruch gelegentlich 
eines Konflift3 zur Ausführung gebracht und durch beſonders hohe 
Zolle die Einfuhr von Nohbaumwolle erſchwert. Damit ging Hand 
in Hand ein innerer Prozeß, der ſic) ſic<hon in den Jahren vor Kricgs- 
aus9ru verfolgen ließ: die Baumwollinduſtrie baut2 im Weſtrußland 
allmählich ab und ſiedelte ſich den Nobhſtoffgebicten näher, zunächſt 
in der Gegend von Mo3kau an, eine Entwicklung, die durch den Krieg 
und durch die Abtrennung Polen38 nod) beichleunigt worden iſt und 
den Unternang der Lodzer Textilinduſtrie zur Folge haben wird. 
Andererſeits erklärt ſiß auf dieſe Weiſe auc) das Beſtreben der 
Vereinigten Staaten, in Nußland und beſonders im aſiatiſchen Ruß- 
land Einfluß zu gewinnen. Vor allem haben amerikaniſche Kapita- 
liſten wiederholt verſucht, ſich in Turkeſtan Eingang zu verſchaffen. 
Allerdings biSher ohne ſichtbaren Erfolg. . 
Viel ſchwieriger zu löſen iſt aber ein anderes, innere8 Problem 
in Turkeſtan. Turkeſtan iſt kein Siedlungsland wie Sibirien. Das 
tropiſche Klima iſt nichts für den ruſſiſchen Bauer; und das vorhan- 
dene Land, d. hb). das für den Anbau geeignete, bewäſſerdare Land 
befindet ſich in feſten Händen, in Händen der eingeborenen Bevöl- 
ferung, die Fulturell auf einer ziemlich hohen Stufe ſteht und eino 
beſondere Form de38 Anbaus entwiekelt hat. Will man Baumwoll- 
kultur treiben und die Baumwollkultur noch weiter au38dehnen, ſo 
muß man den Betricb den Eingeborenen überlaſſen. Aber der kapi- 
taliſtiſche Betrieb des Baumwollanbaus hat die Kleinbeſißer immer 
mehr verſchuldet, ſie in immer größere Abhängigkeit gebracht von 
dem Kapitaliſten und ſie dadurch allmählich in Proletarier ver- 
wandelt. Damit tritt auch Turkeſtan in die Reibe derjenigen Länder 
ein, in denen der Samen des SozialiSmus auf fruchtbaren Boden 
Wir wollen kein feiges, kein halbes Geſchlecht, *- 
Kein tröſtendes Wort uns zum Hohne, =- 
Wir wollen für jeden ſein heiliges Recht, 
Tür jeglichen Arbeit, die lohne, 
Und Freude, wo brennend die Träne jetzt fällt, 
Und Frieden der ganzen, der ſeufzenden Welt, 
Und dem Volke der Zukunft Krone! 
*) 1 Deßjatine =- 109,85 Ar. 1 Ar = 100 Quadratmeter. 
 
 
(Schluß von S. 179) 
Doch nur zu oft für meinen Arbeditseifer wurde ich geſtört, Bald war 
e3 die Bauers8fraa, dann der Bauer ſelbſt, hin und wieder eine Dienſt- 
magd, die da kamen und mir zuſchauten und dabei ſo viel zu fragen 
hatten, wo .i<ß ber ſei, was i< alles ſchon erlebt hätte, daß mir. die 
Arbeit nur langſam vorwärt3ſchritt, Doh konnte ich mich dem Diskur3 
micht entziehen und fand auch ſelbſt langfam Geſc<hmad> daran, beſonders 
mit den jungen Dirndeln, den Madis und Kathis, zu ſchäkern. Deſto 
eifriger gings dann wieder an die Arbeit, wollte ich doch meinem Meiſter 
unten im Tal geigen, daß ev keinen Mißgriff begangen, ſondern in dem 
Fremden einen tüchtigen Geſellen eingeſtellt Hatte, 
In der beſtew Arbeit ſchre>te mich: wieder vom nahen Glo>enturm 
das Glöklein auf, Jh fragte nicht nach dieſem Zeichen; zum Eſſen 
konnte es nicht ſchon wieder rufen, denn der Völle meines Magen3 nach 
hatte e8 damit noch lange Zeit. Doch ich hatte mich getäuſcht, ich kannte 
die gute Verdauung dieſer Bergbewohner nod nlicht, Der Loderex oder 
der Jörgei, mie ſie mich jeßt ſchon freundſchaftlich nach meinem Vor- 
namen Georg riefen, wurde durch Abgeſandte daran erinwert, daß es 
Zeit zum Eſſen ſei, ſie ſeien ſchon beim Beten. 
Daß der Appetit beim Cſſen kommt, dies Sprichwort bewährte ſich 
aber alsSbald bei. mix, denn als lich erſt vor der Schüſſel mit Shmarrn. 
(einer Shmalzmehlſpeiſe) ſaß. hieb ich auch tüchtig drein. | 
Um die Geſhichte nun kurz zu machen, will ich nur noch bemerken, 
daß dreimal de3 Tag38 warm. gegeſſen wurde. und zwar, was Qualität 
und Quantität anbelangt, in reichſtem Maße. Von dem Schmalz, das. 
bei dieſer Bauernfamilie ein Mittageſſen verſchlang, können heute zwei - 
Familien einen Monat lang rationiert werden. 
ZSwiſchen dem warmen Eſſen gab e8 noch, auf idaß mich ja nicht der 
Hunger anfiel, zweimal Brot mit gebratenem Spe> oder mit Käſe; als 
Verdauungstrunk diente ein nicht zu kleines Gla8 Wachholder. O alte 
+ 
 
Burſchenherrlichfeit, wo biſt du hingeſ<hwunden! Abends erzählte ich 
im Familienkreiſe wahre und auch erfundene Geſchichthen und fühlte 
mich bald als Familienmitglied. 
So verging zwiſchen reichlichem Eſſen und mäßiger Arbeit d8e Zeit 
meiner Anſicht nah nur zu raſch. Immer glaubte ich, nicht genügend 
zu leiſten. Wohlgemerkt: bei dem Täfeln; beim Tafeln war: ich vom 
(Gegenteil Überzeugt. - 
Wie alle3 ein Ende nimmt, ſo entſc<hwanden aber ſchließlich auch 
dieſe ſchönen Tage. Die Stube war getäfelt, und zu meiner Ueber= 
raſchung erklärte der Bauer, daß ich ſehr fleißig geweſen ſei, gab mir 
auch noch. einen Gulden Trinkgeld. Neugierig war ihm nur, ob der 
Meiſter ſiß der Meinung des Bauers anſchließen würde; ich fürchtete, 
daß dies nicht der Fall ſeim würde. Bei der Abfahrt ins Tal zum 
Meiſter ſte>ts mir dive Bäuerin noch einen Ballen Butter zu, bei: Deſſen 
Empfang ich wohl ein einfältiges Geſicht gemacht haben muß. Da es 
auf den Bergen zu ſchön war, erſuchte ich, noch eine Stunde vom Tal 
entfernt, den Geſpannführer, allein zu fahren, da ic<h gern die kurze 
Stre>e zu Fuß gehem möchte. Den Butterballen, der in ein Teinene3 
Tuch gebunden war, in die Hand nehmend, zog ich fürbaß. Beim Eimn- 
tritt in das Tal mußte ich ein Bahnwärterhaus paſſieren. Der Bahn 
wärter ſtand davor, wir begrüßten un32 und waren bald, da auch er 
ein Lande3fremdling, ein Südtiroler, war, in gin Geſprä<ß Über Land 
und Leute verwidelt, Dabei kamen wir. auch auf mein Butterpaket 
zu ſprechen, und- beim Abſchied war im um einen Gulden reicher und 
die Laſt des Butterſchleppens los, 
Im Heim des Meiſters angelangt, wurde lich ſehr ungnädig emp- 
fangen, und zwar mit dem Gruß: „Na, da haſt Du wa3 Nette38 gemacht! 
Iſt die Arbeit beim Guldenbauev ſc<on fertig?“ I<h nahm dieſe Frage 
als Fronie auf und antwortete, daß ich mich ſoviel wie nur irgend mög- 
lich geſputet hätte, Wenn iH aber dem Meiſter nicht genügend geleiſteb
	        
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