Full text: Arbeiter-Jugend - 10.1918 (10)

Arbeiter- Jugend 
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Nacht. * 
Schon de>kt beſchattend Dein Gefieder 
Des Tages Licht, Du nahſt mit Mach« 
Auf ſtarken Schwingen ſteigſt Du nieder, 
Du meine Mutter, ſtolze Nacht! 
Nun öfnen ſich der Seele Pforten, 
: So ſtreng geſchloſſen kaum zuvor, 
Und meinem Weh und ſeinen Worten 
Leihſt Du Dein mir geneigies Ohr. 
Nun ſteh'n die Gaſſen öd' und düſter 
Und, wie in ewig regem Leid, 
Haucht ſein verhallendes Geflüſter 
Dein Wind durch Deine Einſamkeit; 
Nun birgt das Kleine ernſt Dein Schleier 
Den Blik beirrt es kaum zuvor = 
Do rieſenhaft und ungeheuer 
Wächſt wahrhaft Großes nun empor. 
Ich liebe Dich, bin Dir entſprungen, 
Und feind dem Tag, ſo laut und dreiſt; 
Das Wenige, das mir gelungen, 
Du gabſt es dem verwandten Geiſt; 
Dein Anhauch iſt es, der zur Lohe 
Der Seele trübes Licht entfacht =- 
Sei mir willkommen, ernſte, hohe, 
Sei mir gegrüßt, erſehnte Nacht! 
KI 
Zweiſel. 
ND“: Weltkrieg äſt nicht nur ein äußeres Geſcheben, er will att<< 
Jakob Julius David. 
innerlich erlebt und durchfämpft ſein. Auch uns, die wir den 
Aufſtieg der Menſchheit erhoffen, die wir auf dieſe Hoffnung, nein 
Gewißheit unſere Arbeit und unſer Leben aufgebaut haben, drohte er, 
in unſeren Anſchauungen zu erſchüttern. Und vielleicht war es die größte 
Gefahr des Krieges, daß wir an unſerer Hoffnung irre wurden. Daß 
wir irre wurden an dem Weg, den wir gegangen. 
Das war die Frage, der große Zweifel, den der Krieg vor un> auſ: 
rollte. Jt dieſer Weg friedlicher Zuſammenarbeit mit den anderen 
Völkern ein Irrweg? Sind e8 Träumer und Phantaſten. die ihn geben 
wollen ? Sind Narren ſie alle: von Jeſus von Nazarets b13 zum jüngiten 
Sozialiſten unſerer Zeit? ' . 
Bang und ſchwer ſtiegen die Zweifer vor uns auf! Stebt die 
Menſch heitgentwidlung hier an nhrer endilmgen Schranfe? Groot es 
fein Aufwärts über das Volk. über den Einzelſtaat hinaus zur alles 
umfaſſenden Menſchheit? Jit der Krieg nur innerhals eines Volkes 
zu überwinden? Jſt der Kampf ums Daſein in dieſer, femer rozeſten, 
brutalſten Form nicht auch zwiſchen den Völfern zu beſeitigen ? 
Ja, darin lag die große Gefahr, daß un3 der Krieg zu einer Um:- 
wertung aller Friedensarbeiten zu führen dro8te. Daß wir zögerten, 
 
 
hätte, dann ſolle er mir ſchleunigſt mein ArbeitSbuch geven, ich fände 
dann ſicher einen anderen Meiſter und er einen anderen, vielleicht auch 
fleißigeren Geſellen. Da kam ich aber ſchön an! Jn helle3 Gelächter 
brach der Meiſter aus, der mich erſt bei meinem Zornausbruch erſtaunt 
angeſehen hatte, „O, der dalkete (verrückte) G'ſell," rief er, „glaubt, 
er hätt' nicht genug tan! Zuviel haſt gearbeitet, zu früh biſt fertig. 
worn, ztvei Wochen zu früh, Wann Du überall ſo arbeiten willſt, haſt 
in einem Vierteljahr die ganze Jahresarbeit g'ſchafft, und die g'ſcherten 
Bauern ham den Profit davon.“ 
Nun kam des Rätſel8 Löſung .*» Die Bauern geben den auf Stör 
befindlichen Geſellen Koſt und Logis, der Meiſter erhält für den Atr- 
beitstag für Abnußung des Werkzeugs und Entlohnung des Geſellen 
einen beſtimmten Geldbetrag. Je langſamer. der Geſelle arbeitet, deſto 
nger dauert die Arbeit am, deſto mehr verdient der Meiſter an dev 
Arbeit. . 
Ich mußte nun: vem Meiſter verſprechen, mich in Zukunft nicht mehr 
ſo zu tummeln, und habe auch ehrlich Wort gehalten, Doh muß ich 
das auf Stör gehn nie richtig begriffen haben, denn die Bauern waren 
immer mit mir noch ſebr zufrieden, jedenfall3 zum „Schaden“ des 
Meiſters, der ſich aber nicht3 mehr merken ließ. 
Auch mit der Meiſterin hatte ich noch einen Üeinen DisSpub und 
mußte mir auch hier eine Belehrung gefallen laſſen. Es iſt nämlich 
Gebrauch, daß die Bäuerin nach beendigter Stör für die Meiſterin 
etwas mitgibt, und das war die Butter geweſen, die ich für mein Ge- 
ſchenf gehalten und ſiz verkauft hatte. DoH auch darüber vertrugen 
wir uns, „da es der dalfete fremde G'ſell nit anders gewußt hat,“ 
So blieb ich ziemlich lange auf dieſer Stelle, wo ich dem Meiſter 
immer zuviel gearbeitet habe. Heute wird man wohl vergebens ſolche 
Meiſter ſuchen, wie auch ſolche Koſtpläte mit Shmatznudeln und 
BVlatteln heute nicht mehr zu finden ſind, 
- Heit“ſeit den Auguſttagen des Jahre3 1914 ſo verändert? 
- vollauf berechtigt. 
da fortzufahren und weiterzubawen, wo wir beim Krieg3au3bruch auf- 
gehört hatten. . - 
Und warum das albe3? Warum ſollen wir umlernen und vergeſſen, 
wa3 man uns gelehrt? Warum ſollen wir haſſen, wo wir geliebt -- 
verachten, wa3 wir biSher verehrt haben? Hat ſich die Welt, die Menſ<- 
Sind die 
Menſchen fT<lehter geworden? Oder ſind ſie überhaupt ſchlecht? 
Man will e3 uns wenigſten3 einreden. Beſonders über die Schlech- - 
tigkeit der un3 jeBßt feindlichen Völker können viele nicht genug Worte 
machen. Ader wir brauchen nur im Buc<h der Geſchihte nachzuſchlagen 
(und dieſe23 Buch lügt nie). Da können wir lejen, Seite für Seite, 
daß die Menſchheit weder „gut“ iſt, nog „ſchlecht“. Daß vielmehr die 
Guten wie die Schlechten in gleiher Weiſe über den Durchſchnitt hin- 
au3ragen: Die Namen vines Jeſus und Winkelried find ebenſo un- 
iterblich wie die eine3 Nero und Judas. Und die leßteren hätten ſich 
ſicher nicht durch die Jahrtauſende erhalten, wenn ſie nicht zu den 
AusSnahmen zählten, d. h., wenn die Menſchen wirklich fo ſchlecht wären, 
wie man un3 glauben machen will. 
Und wie mit den einzelnen Menſc<hen iſt e3 mit den Völkern. Auch 
jie find weder gut noh jſ<hle<t. Und wo ein Volk im Guten oder Schlech- 
ten über den Durchſchnitt Hhinausragt, wie in den Taten der alten 
Griechen oder der. Hunnen, da hält ſie die Geichichte als AuSnahmen 
feſt und preiſt oder richtet ſie mit unſterb:ißem Ruhm oder ewiger 
Schande. 
Wenn die 'Menſchen und die Völker aber nicht ſo ſchlecht jind, dann 
war unfer Streben na< einer friedlichen Verſtändigung zwiqj<en ihnen 
Dann war dieſe3 Ziel, dem wir zuſtrebten, weder 
ein Traum, no4g ein ätnerreichbares Tdeal, ſondern entjprach der 
Vernunft, 
Dann waren wir auf dem rec<hien Wege. Kurt Heilbut. 
 
 
 
 
Die „Duzfrage“. 
Wa3 da3 iſt? Da3 Ft die gro). Frag?, 08 Burſchen und Mädel3 
im ehrwürdigen Aiter von vierzehn bis achtzehn Jahren jich duzen jollen 
und dürfen, oder ob ſie ſim feicrlich mit „Herr“ und „Fräubein“ anreden 
müſſen. Allen Grnſte3: mit dieſem Problem hat ſiH jüngſt cine bürger- 
liche Jugendorganiſation auf ihrer ReichStagung in Rede und Gegen- 
rede fo eifrig beſchäft:gt, daß die verwikelte Frage noch nicht cinmal 
gelöſt werden konnte. Ja, e3 g'bt eben Leute, die großen Jodeen 
nachjagen! 
Andern iſt dieſs Frage überhaupt feine Frage. So licſt man alle 
paar Tage in großitadtiſchen Zeitungen, daß für dieſen oder jenen 
Wardertiud Damen und Herren über 16 TJadr2 geſucht werden. 
Manchmal jollen cs ſogar „beſjere“ Damen und Herren ſein, oder ſie 
ſollen aus „guten“ Kreiſen kommen. TDa3 ſind dann die männlichen 
'und weibl'chen Wandergigerl, die mtt ihrem' Aufpuß in eine Au2- 
ſtattungz5opor, nt<t aber auf die Landſtraße und in den Wald gehörer. 
Duzfrage? Für uns gibt e3 die nicht! Feieriiche Vorſtellung: 
„Herr Soandſ9 und Fräulein Ding55a“, womösgiich mit Verbeugung Und 
Hoffnix : „Sedr erfreut“ und „Ich have d:e Ehre", 3a8 ſind Tanzitunden- 
faxen, die in eine Jugendbewegunz von Fröhlichkeit umd Ernſt nicht 
hineingeßören. Bei uns geb? e3 überall auf Du und Du, Dann fühlt 
jich auch jeder Neuling gle:ch zu Hauſe. 
* X* 
Jugendbunh von Hamburg-Altona und Umgegend. 
AuL2 Hamsourg wird uns geichr:eben: Der Jugendbund von Hant- 
hurg-Alitona umd Umgegend hat im lezten Halbjahr eine lebhafte und 
fruchtbar? Tät:gkert entfaltet, ſowosl auf dem Gebicte des äußeren 
Ausbaues und der Werbung neuer Mitglieder, wie auh in bezug auf 
die innere Ausgeſtaltung des Vereins und die Vortiefung de3 geiſtigen 
Lebens im Kreiſe ſemer Mitglieder. Erngeleitet wurde die Frühjahrs- 
lättgieit dur<; eine Hausagitat:ion zur Gewinnung von Schulentlajſenen, 
ſowie durc&* eine wohlgelungene und erhebend verlaufene Frühlings- 
feier, an der neben Tauſenden von Jugendl:hen auc<F zahlreiche Er- 
wachiene teilgenommen haben. Ucborhaupt kann den Eltern und er= 
wachſenen Angehörigen der jugendlichen Mitglieder nicht dringend genug 
geraten werden, ſich von dem Wert oder Unwert der Veranitaltungen 
durch Augenſchein zu überzeugen; viele könnten dabei ſicherlich auch 
perfönlich noF manches profitieren. Außerdem wurden Delegierten- 
ſikungen abgehalten, die ſich mit allgemein 'nicrejſterenden Fragen be- 
ſchäftigten. Hierbe1 wurde aub von verſchiedenen Jugendlichen der 
Lerfuch unternommen, dem Jugendbund e:ne andere Richtung zu 
geben. Dieſe Verſuche ſind aber dur< ſachliche Aus8einanderſeßungen 
al3 nicht im JIntereſſy der jugendlichen Mitglieder erkannt und ents 
jprechend beurteilt worden. Das, was unſeren Jugendlichen nottut und 
im Intereſſe der allgemeinen Arbeiterbewegung zu wünſchen iſt, daß 
ſie ſich nämlich eine freie Weltanſchauung erarbeitem, dazu iſt ihnen 
in unferem Jugendbund im - vollſten Umfange Gelegenheit geboten. 
Neben der Einführung m die Wirtſchaftslehre, die Geſchichte, die Natur» 
nſſenſchaften, die Geichicßte der Partei, dar Gewerkſchaften und Ge» 
noſſenſchaften uſw.,. lexnen ſie die Programme der verſchiedenſten geg- 
neriſhen Parteien kennen und gegeneinander abwägen. Kurzum: im 
proletariſchen Jugendbund iſt jedem jugendlichen Mitglied die Möglich
	        
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