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ſtehen. Die alte Bewegung -- alt, ſo wenig Jahre ſie bis zum
Kriog3ausbruch zählte -- gehört endgültig der Geſchichte an. Sie
war weſentlich auf Kritik und Kampf geſtellt. Wider alle Büttel
de3 Gewaltſtaat3 hatten wir uns zu behaupten, gegen eine Welt
von Feinden uns unſerer Haut zu wehren. Die neue -Bewegung
wird im Zeichen der Arbeit ſtehen. E3 gilt, das junge Geſchlecht
auszurüſten, daß e8 der neuen Geſellſchaft die Bürger ſtellt, die
ihrer würdig ſind. Auch in der alten Bewegung hatten wir an
uns gearbeitet, aber e3 geſchah im aller Seimlichkeit, in den Winkeln
und Verſtecken, in die man uns trieb, und ſozuſagen in den Pauſen
nur, wenn wir im Kampf um die nate Exiſtenz Atem ſchöpften.
Und zu Gebot ſtanden uns bloß die ärmlichen Mittel, die das
Aſchenbrödel der Geſeklſchaft, das Proletariat, ſich für die Sache
feines Jungvolk8 am Mund abdarbte. Künftig werden wir im
vollen Tageslicht arbeiten können. Und auch wir, die Jugend
des Proletariat3 =- bald wird e8 heißen des einſtigen Proletartats
--- werden unſer Erſtgeburt3rec<ht in Anſpruch nehmen, der Jugend
ewiges Recht auf Sonne und Glü> und Erkenntnis.
Und wir dürfen e3 nehmen, dürfen in vollen Zügen die
Quft der Freiheit atmen, dürfen an allen Bornen der Kunſt und
- des Wiſſen3 ſchöpfen, denn hinter uns ſteht mit jeinen reichen
Händen das neue Volk, das endlic< für ſein gejamtes heran-
wachſendes Geſchlecht wahrmachen wird, was ehedem bloß für die
Sprößlinge der beſigenden Schichten galt: für unſere Jugend iſt
un3 da3 Beſte gerade gut genug.
Darum die Herzen hoch, Kameraden, e8 weht Morgenluft:
Zu neuen Ufern lo>t der neue Tag!
WB
Demokratie und Sozialismus.
„ie ein ungeheure3 Beben erſchüttert die Weltrevolution die
Menſchheit. Tauſend feurige Zungen kommen über ſie;
orkanartig brauſt es unter ihnen, in ihnen, über ſie hinweg.
Dem ruhigſten, nüchternſten, verſtandesklarſten ſo gut wie dem
fanatiſchſten, bis zum lezten Moment mithandelnden Kämpfer war
'e8 eine kurze Spanne, als ob. alles Bewußtſein ſc<hwände, als ob
man ſich duefen müßte unter der elementaren Wucht einer Ent-
faltung, die aus allertiefſten Tiefen des Leben3 ſelbſt quoll, ſich
duden müßte unter Naturweſen, dem Urinſtinkt eines LebenZ-
gefühl3 und Wollen8, da8 aus jahrhundertelanger dumpfer Ent-
wicklung herau8 auf einmal mit gigantiſch ſpielender Kraft alle
Hüllen zerſprengte und in das Licht ſtieg.
In ſolcher Zeit ſteht wie von ſelbſt, aus NRaturtrieb, jung
und alt noch näher al8 ſonſt zufammen, und ein -erſchütternde3
„Endlich, endlich!“ löſt ſich von den Lippen, von den Lippen aller
Proletarier, aller Entrechteten. Eine Stimmung ergreift ſie, die
ſo unendlich verſchieden iſt von jener rauſcherzeugten und ſchnell
verflogenen etwa des erſten Kriegstaumels =- eine Begeiſterung
- aber Sklaverei und politiſche Ungleichheit der Bevölkerung.
Arbeiter-JIugend
und Opferkraft, die aus dem Innerſten glüht, bei aller Erregtheit
Glü> und Ruhe atmet, deren Kraft nicht raſch zerfällt, ſondern
mit dem Widerſtande ſich verdoppelt.
Aber im Wirbeln und Zerflattern geiprungener Hüllen heißt
e3 mehr als je: klar fehen. Klar ſehen über die Zukunft de3
Soziali3mus3 Wir haben noh keine ſozialiſtiſche 'Republ'ik,
nur eine Republik, an deren Spike Sozialiſten ſtehen. Sie wollen
den foztaliſttichen Staat begründen auf dem Wege über die Demo-
ratie.
: Wa38 heißt Demokratie? Wilſon nennt ſich Demokrat.
Amerika, England, Frankreich wollen demokratiſche Staaten ſein
und verlangen, daß Deutſchland es wird. Wollen wir .nun die
gleichen Verfaſſungen und Einrichtungen haben wie diefe Länder?
Demokratie iſt vieldeutig wie alle Worte, die mit dem Geiſt
von Jahrhunderten belaſtet ſind. E3 bedeutet urſprünglich Volk3-
herrſchaft. Regiert in jenen Großſtaaten das Volk? Wir blicken
zurük. Das alte Griechenland kannte die Demokratte, hatte jo-
genannte demokratiſche Stadtſtaaten. Dieſe Demokratien hatten
att
der römiſchen Republik kam es zu jahrhundertelangen Kämpfen
zwiſchen beſitenden und beſikßloſen Klaſſen, zwiſchen Patriziern und
Plebejern um da3 demokratiſche Prinzip, um die Forderung, daß
alle Klaſſen und Stände de3 Volke38 in gleichberecht:ater Weiſe in
der Volksverſammlung zu entſcheiden hätten. Von. emer vollen
Durchſetzung dieſer Forderung kann keine Rede jein, wenn au
Schritt für Schritt Boden von den Plebejern gewonnen wurde.
Berm Durchfliegen der deutſchen Geſchichte wird man ſehr bald
erkennen, daß bei aller Verſchiedenheit wechſelnder Verfaſſung3-
formen do< in keiner Weiſe von Demokratie, von jozialer
Gleichberechtigung jener Bevölberungsſchichten geſprochen werder.
kann, die doch den weitaus größten Teil des Volkes aus8machten.
Das Blut der Bauernkriege ſtrömte neben dieſem Wege. Erſt in
der Franzöſiſchen Nevolution kam mit dem blutigen, erbarmungs-
loſen Ernſt von Naturgewalten ein Durchbruch der alten Klaſſen-
gliederung .der Maſſen, ein Sturz aller geſellichaftlich-ſtändiſchen
Vorrechte und die Forderung nach wirklicher Demokratie, nac)
Freiheit und Gleichheit.
„Wir wiſſen, daß dieſe Formen kapitaliſtiſcher Freiheit und
Gleichheit dem Proletariat die furchtbaren Ketten geſchmiedet
haben, die e8 heute nach unausdenkbarem Elend in furchtbaren
Zukungen zerbrechen wird. Aber es darf auch nicht verkannt
werden, daß ſeit der Franzöſiſchen Revolution =- beſonders vom
bürgerlichen Standpunkt aus =- eine Reihe demokratiſcher Forde-
rungen durchgeſekt wurden, Forderungen, die die Macht langſam
der Hand einer kleinen Clique entwanden. Solche demokratiſchen
Errungenſ<aften beſtanden 3. B. in der Machteinſchränkung der
Herrfcher. Zur JlUuſtration mag der junge Lejer an die heutigen
Schwurgerichte denken und an jenen Friedrich Wilhelm T., den
Vater des alten Friß, der ohne jedes Gericht ſelbſtändig wegen
Diebſtahl38 eine3 Taler3 eine Dienſtmagd hinrichten ließ. =- Recht-
ſprechung und Verwaltung wurden moderniſiert. Es war wenig-
ſtens die Möglichkeit, daß größere Volk8maſſen ihre Stimme zu
Gehör bringen bonnten. Ein, wenn noc< ſo erbärmliches 'Wahl-
Unſer Lehrgeſelle Ladislaus.
Lon Theodor Thomas3.
enn ich an Labislaus denke, muß ich heut noch lachen. Genau
ſo wie an jenem Tage, an dem ich ihm zum erſtenmal ſah. Es
war morgen2 vor der Werkſtatt. Wir ſtanden am Tor, das
noch geſchloſſen war, als er auf un3 zukam. Gim himmellanger Menſch,
- trug er oben, wie eine Glühbirne, den läcßerlich keinen. Kopf. Wa
. gwiſchen der „Glühbirne“ und den Lattenſtüdern, die ſeine Beine dar-
ſtellten, noch zu fehen war, nahm ſich merkwürdig genug aus. Etwa als
ob eine Straßenwalze über ihn gefommen wäre und ſein Mittelſtük wie
- Nudelteig in die Länge getrieben hätte. Kamm, Seife und Bürſte
ſchienen ihm fremde Begriffe. Wie ich ſpäter erfuhr, war ſem Wahl-
ſpruch: „Waſchen tu ich mich felten, aber kämmen alle acht Tage.“
Dabei hatte er eine Stimme, die klang, al8 wenn jemand mit einer
Raſpel über Schuhnägel fährt. Und um iden lczten Reſt von Schönheit
wegzuwiſchen, den ihm Mutter Natur etwa noch um die Wiege mitge-
geben hatte, trug er Narben im Geſicht, al8 ob er mit den vorderen
Backen auf einem Rohrſtuhl geſefſen hätte.
Wer wird ſich wundern, daß ich lachte, vechtſchaffen lachte, al3 dieſer
Mann auf mich zukam,
Er hieß Ladislaus Waßlek und ſtammte aus dem Böhmiſchen, Dieſe
„Böhmaken“, wie ſie ſich ſelbſt nannten, kamen immer Montags früh
au3 ihrer Heimat angezogen, fümmerten ſich weder um Gott, noch un
die Welb und fragten den Teufel danach, wie ſich die Ginheimiſchen
quälten, um vernünftige Arbeit3verhältniſſe zu ſchaffen. Eſſen und
Trinken brachten ſie mit. Samstags kaſſierten ſie ihre 21 Mark, gaben
davon. 1,50 Mark Schlafgeld an ihre Wirts8frau ab und nahmen den
Hauptteil: dev Summe mit hinüber über die böhmiſche Grenze, Wegen
ibrerx Arb, rücſichtslo8 nur das eigene Seelewheil zu verfolgen, waren
ſie zu jener Zeit ehrlich gebaßt. Ladislaus verdiente dieſen Zorn ganz
beſonder3, weil er ein abſchrefendes Beiſpiel dafür war, wie Arbeiter
nicht ſein ſollen,
Wie e3 kam, weiß ich ſelbſt nicht, aber er hatte noch kein Wort zü
» mir geſagt, da waren wir ſchon Feinde, Ex fühlte e3 im gleichen Maße
wie ich, deſſen bin ich ſicher. - Später wurde er min) noch mehr verleidet,
durch ſeine Ohrfeigen. Das waren Keulenſchläge. Wer von ihm welche
befam, batte noch nach Tagen ein Klingew 1m Gehör, als würden ſämts=-
liche Gloden in .der Umgegend geläutet. J< befam die meiſten und
nicht die zarteſten. Es ärgerte ihn, daß ich nicht ſo dumm war, wie es
in ſeine Pläne paßte. Manchen unverdienten Bacenſtreich habe ich ledig-
lich de2halb von ihm befommen, weil ich nach ſeiner Meinung frech war.
Als Arbeiter genoß er keinen guten Ruf. In ſeinem böhmiſchen
Dorf war er eigentlich Meiſter. Ex kam 1ummer nur zu uns, wenn. er
dort nicht3 zu meiſtrieren hatte. Am liebſten war ihm fertige Arbeit
und Schlafen. Nur wenn er Akkord bekommen konnte, ſchufiete er wie
ein wilde3 Tier, aß nicht, ſah faum 'von ider Arbeit auf. Die Pauſen
waren ihm ein Greuel. Wenn wir Lehrbuben txoßdem unſere halbe
Stunde einhielten, warf er uns Augen zu wie Scheinwerfer; wenn
Blicke töten könnten, wäre er bei ſolchen Gelegenheiten zum Mörder
geworden. War er ſo in Wut, klang jedes Wort wie Ausſpucken. -An=-
der3 war Ladislaus, wenn er im Tagelchn arbeitete; dann konnte er,
während wir Jungen für ihn mitſchuften mußten, liegen und ſchnar»
<hen, al8 ob ein Dampfaufzug m der Nähe fauchte. |
Fam der Meiſter und wir weckten ihn nicht rechtzeitig, gabs Keile.
Für das Wecken hatte er un3 ein ganz beitimmtes Signal beigebracht.
Störte der Meiſter feinen Schlaf, ſo mußten wir ihn derb ſchütteln und
rufen: „Ladislaus, wieviel Zoll ſoll das Breit lang ſeim?“ Kam ein