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Eingetragen in die Poſt-Zeitungsliſte
Berlin, 14. Dezember
Expedition:
Singec G. m,
ſchriften für
an Karl Korn,
1918
zichten
Die freie Jugend im freien Volk.
o mancher unſerer jungen Kameraden, der während der Krieg3-
S jahre in unſere Reihen eingetreten iſt, wird heute, im Hochgefühl
.der. angebrochenen neuen Zeit, auf die Erlebniſſe, die hinter uns
„Jtegen, wie auf einen wüſten Spuk zurückſchanen. Den ungeheuerlichen
Unterſchied zwiſchen dem Goweſenen und dem Kommenden wird frei-
lich nur der ermeſſen können, der unſerer Bewegung vor dem Krieg
angehört, und erſt re<t, wer ihre Anfänge, etwa vom Jahr 1909 oder
1910 an, tätig mitgentacht hat. Unſere früheſten Pioniere ſind zum
größten Teil zwär längſt in die Jahrgänge der „alten Herren“
hinübergewecſelt; wenige nur mehr ſtehen als erwachſene Leiter un-
ſerer Jugend noch jezt aktiv im Dienſt unſerer Sache. Nber jenc
Sturm- und Drangzeit unſerer Bewegung hat ſich ſo unverlierbar
dem Bewußtſein der damals Beteiligten eingeprägt, daß ihre Kunde
au< der heutigen Genoration unſerer Arbeiterjugend nicht vorent-
balten bleiben wird. Immer wieder werden in künftigen helleren
Tagen unſere jungen Anhänger von dien tapferen Vorkämpfern un-
ſerer Bewegung, ihren Leiden und Taten erzählen hören wollen, un?
erſt vom dunklen Hintergrund jener Anfänge wird ſich das, was
durch die Revolution und ihre Folgen auch für die Jugend erreicht
iſt, iin ſeinem vollen Glanze abheben.
Aber auch unſere ällerjüngſten Kameraden, die die JFugend-
bewegung bloß aus der Kriegszeit kennen, haben in dieſen Jahren
die politiſche und wirtſchaftliche Klaſſenherrſchaft genügend am eine
nen Leibe kennen gelernt, mn den Gegenſaß 3wiſchen dem Geſtern
und Heute als Erlöſung zu empfinden. Allüberall im Lando hat
dcShalb. gerade die junge Garde des Proletariats dem hinreißenden
Befreiungsakt, der den Militär- und Beamtenſtaat hinweggofegt hat,
begeiſtert zugejubelt. Jung wie ſie waren, fahen ſie geſtern no vor
ſich ein langes Menſchenleben als gehudelte Untertanen vorſintflut-
licher Obrigkeitsregierungen, als Laſttiere in der Fron der kapitali-
ſtiſchen Ausbeutungswirtſchaft. Und nun wachten ſie eines glor-
reichen Morgens auf als die kommenden Bürger der deutſchen Re-
publik. Das alte Wort, in dem ſie in vergangenen Tagen ſo oft
Troſt und Stärkung gefunden, war endlich Wahrheit acworden, =-
mit Händen konnten ſie es greifen, daß der Jugend die Zukunft,
nein, daß ihr die Gegenwart gehört.
Kein Wunder, wonn die jugendlichen Herzen nun in fieberhaftetr
Erwartung der Erfüllung ihrer kühnſten Hoffnungen centgegen-
ichlagen. In ſolcher Sturmeszeit zählen ja Tage für Wochen, für
Monate, und jeder Tag, der keine Ernte bringt, ſcheint verloren.
Vielerorts ſehen wir de3hälb unſere Jugend ungeſtiim auf dem Plan
erſcheinen, hören ihre drängenden Rufe: „Wir ſind aul; da, was habt
Ihr für un82?“ Und ſchon ſteigt auf manchor Stirn der Unmut auf,
daß an dieſen Tagein der Umwälzung gerade die Jugend eine jo
tatonloſe Rollo ſpielon mitß, daß ſie beiſeitegeſch oben ſcheint, wo ein
neues Volk, eine neue Welt aus der Taufe gehoven wird.
Die zitternde Ungduld, das ſtürmiſche Verlangen, dabei zu ſein,
-ehrt Such, Kameraden. Ader daß Ihr tatenlos den großen Ereig-
niſſen zuſchauen ſollt, davon kann ja keine Nedo ſeim. Nur daß die
Partei, die Gewerkſchaften, bei denen wir in normalen Zeiten ge-
wohnt waren, Anreqaung, Förderung, Hilfe zu finden, daß 'alle die
Freunde aus den Organiſationen der Erwachſenen, die uns bis8her
zur Seite ſtanden, jeht womöglich noch in empfindlichereim Maße als
während des Krieges. uns fehlen =- mit dieſer - Tatjache. müßt Ihr
Euch no< einige Zeit abfinden. Es iſt ja nicht böſer Wille odor
mangolnde3 Verſtändnis für unſere-Sache, was die Erwachſenen un-
ſeren Angelegenheiten fernbhält, Aber das Proletariät hät mitder
Liquidierung der Vergangenheitsgeſellichaft eine Aufgabe über-
nommen, gegen die jene jagenhafte Reinigung des Auzgiasſtalls ein
Kinderſpiel war. Nicht in ein Kanaan zieht das Proletariat ein,
um in blühenden Tälern ſofort ſeine Hütten zu bauen, ſondern als
eine ungeheure Trümmerſtätte liegt das Gelände der alten Gejell-
ſchaft vor uns, auf dem wir uns wohnlich einzurichten haden. Die
Millionen, die jeht aus dem Felde zurückfluten, wollen Wohnung,
Nahrung und Arbeitsgelegenheit haben; dem Volk in dor Heinat
droht Hungersnot; ein Gewaltfriede, wie er in der Geſchichte un-
erhört daſteht, ſperrt uns na<H wie vor die Quellen des wirtſchaft-
lichen Lebens. Für dieſc gigantiſchen Aufgaben braucht das Prole-
tariat, das entſchloſſen in die Breſche der zuſammengekrachten Ge-
ſellſchaft geſprungen iſt, alle Hände, braucht es bis zur Erſchöpfung
die lebte Kraft.
- Daß unter dieſen furchtbaren Umſtänden das Proletariat ſeine
eigenen Wünſche zurüdſtellen, daß es zuerſt dem Volk das Leben
ſißern muß, ehe e38 dieſes Leben nach ſeinen ſozialiſtiſchen Jdealen
einzurichten vermag, iſt bittere Notwendigkeit. Und fo kann auch dio
Jugemd des Proletariats nicht erwarten, daß ihr jett, jofort, all die
perſönliche und ſachliche Förderung zuteil wird, die wir zur Turch-
führung unſeres ſozialiſtiſchen Jugendprogramms brauchen.
Kein Zweifel, nic<t der leiſeſto Schatten einer Boſorgni8, daß
unſere Klaſſe, ſowie ſie wieder Luft zum Atmen hat und zum Auſ-
baun ihres nenen GeofellſchaftSgebäudes ſ<reiten kann, den erſten Ge-
danfen ihrem Jungvolf zuwenden wird. Die Jugend iſt ja das
Fundament dieſer neuen Geſellſchaft. In der Zwiſchenzeit aber heißt
e8 für uns wie nur je in der Not der Kriegsjahre: Seldſt ijt der
Mann! Nicht untätig warten, b15 uns geholfen wird, ſondern ait3
eigener Kraft dieſer Hilfe entgegenarbeiten! Jſt aich der Sozial1s8-
mus noch nicht erreicht, ſo liegt doch auch für un3, die junge Garde
des Proletariat3, die Bahn zu unſeren Zielen frei. Wer hindert uns,
fünftig, unſere jugendlichen Klaſſengenoſſen, beſonders auch die
weibliche Jugend. in hellen Scharen um uns zu ſammeln, damit vir
ſie mit dain Geiſt unſerer Kameradſchaft, mit der Begeiſterung un-
ſerer Jdcale erfüllen? Das Iugendproletariat, dariiver dürfen wir
uns doch gar keine Iluſionen machen, ſteht in ſeinen überwältigen-
den Maſſen dem Gedanken des SozialiSmus no<& vollfommen
fremd gegenüber. Was ſoll aber die künftige Geſellſchaft mit einer
Jungmannſchaft, die in ihrem Denken und Fühlen noch in der über-
wundenen Vergangenheit wurzelt? Der SozialiSmus braucht dod)
nicht das ' Kanonenfutter der Leiber, ſondern will als Bürger in
ſeinem Volk vor allem den geiſtigen Menichen. Und auc< dariiber
haben wir uns keinen Täuſchungen hinzugeben, daß das neue, der
ſozialiſtiſchen Geſellſchaft entſprechende Bewußtſein unſerer jungen
Generation nicht wie eine reife Frucht in den - Schoß fällt, ſondern
daß es erarbeitet ſein will. Methode und Ziel dieſer Arbeit ſind im
Bildungsprogramm unſerer Jugendbewegung verkörpert, und darum
iſt unſere freie Jugendbewegung heute, wo wir den Sozialigmus 1 im
Bereich unſerer Hände „haben, notwendig wie nur je in früheren Ta-
gen, wo er in weiter Ferne zu liegen ſchien. Unſere Bewegung iſt
in dieſer ihrer wichtigiten Aufgabe geradozu eine Lebensfrage für die
netto Gejellſchaft.
Sie iſt aber auc<ß == und wieder gerade in dieſer Uebergangs»
zeit = im, materiellen Sntereſſe der Jugend eine gebieteriſche
Notwendigkeit, dergeſtalt, daß ſie geradezu in dieſem geſchichtlichen
Moment“ and für die Zwecle dicſe3 Mament8 in3 Daſein gerufen
werden müßte, wenn ſie nog nicht exiſtierte,
Die proletariſche