Full text: Arbeiter-Jugend - 10.1918 (10)

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Arbeiter- Iugend 
 
 
 
Yugend ſoll ja nicht das Schickſal de8 Dichter3 in der Fabel erleiden, 
der bei der Verteilung der Welt auf dem Plan erſchien, als ſhon alle 
Loſe vergeben waren. Wir müſſen ſagen, wa3 wir wol- 
[ en, müſſen unſere Forderungen bei den Teſtamentsvollſtre>ern der 
alten Geſellſchaft einreihen. No< einmal: Nicht als ob das leiſeſte 
Mißtrauen un3 gegen die Männer beſeelte, die jeht am Werke ſind, 
das Alte zu beſeitigen und das Neue aufzubauen! Es ſind ja unſere 
Brüder und Väter, und wir ſind gcwiß, ſie werden ihres Benjamins 
nicht vergeſſen, wenn ſie dem Volke der Zukunft in dem neuen Bau -| 
der Geſellſchaft die Wohnung bereiten. Aber die Zeiten ſind doch 
endgültig vorbei, in denen die Jugend, zumal die ſchaffende Jugend, 
bloß ein Objekt der Geſckgebung war. Dieſe8 junge Goſchlecht will 
bei der Beſtimmung ſeiner Geſchie ſelbſt mitreden, will mitraten 
und mittaten. Nur müſſen wir, ehe wir uns zum Wort melden, 
wiſſen, was wir wollen. Und da bietet un3 gerade dieſe Uebergangs- 
zeit, wo wir uns ſelbſt uberlaſſen ſind und die Alten uns nichts 
dreinroden, die günſtigſte Gelegenheit, uns ganz unter uns über die 
Urſachen unſerer biSherigen Not und über die Mittel zu ihrer end- 
gültigen Beſeitigung zu beraten, vor allem auch ganz allgomein 
darüber, wie wir uns die Stellung denken, die der Jugend in der 
neuen Geſellſchaft einzuräumen iſt. Wirtſchaftliche Fragen ſtehen da 
naturgemäß in erſter Linie: alſo die Regelung des Lehrlingswejens, 
der Arbeit8dauer und Entlohnung, der beſonderen Schutßzmaßregeln, 
die den jugendlichen Arbeitern zuteil werden müſſen, und ähnliche3 
mehr. Nicht minder wichtig ſind die Bildung3- und Erziehung3- 
fragen, bei deren Löſung wir als die Hauptbeteiligten ſo gut mit- 
ſprechen wollen wie bei den Verfügungen, die die Geſellſchaft über 
unſere Aufgaben im Produktionsprozeß trifft. Auch das organiſjato- 
riſche Verhältnis, in dem unjere Jugendbewegung ſelber zu den unt= 
faſſenden Plänen ſteht, in denen die ſozialiſtiſche Geſellichaft ihre er- 
zieheriſ<en Pflichten gegen ihr heranwachſende8 Geſchlecht zu geſtal» 
ten gedenkt, wird un3 beſchäftigen müſſen. Vielleicht wird uns dann 
zu unſerer eigenen Ueberraſchung klar werden, daß wir im Grunde 
darauf hinzuarbeiten haben, unſere Jugendbewegung überflüſſig zu 
machen. Jhre weſentlichſten Aufgaben und Pflichten wird die neue 
Goſellichaft ſelbſt zu übernehmen haben, und ſie wird ſie in ungleich 
höherem Stil auffaſſen und durchführen, als wir Jugendlichen unter 
dem Joch der Klaſſenherrſchaft mit unſeren beſcheidenen Mitteln 
und Kräften es bislang imſtande waren. 
Zukunft5muſik dieſes Lekzte? Mag ſein =-, aber wir ſtehen ja eben 
im Begriff, von der Zufunft Beſiß zu ergreifen. Und dies iſt doch 
nicht Utopie, ſondern logiſch, wie die Wahrheit ſelber: In dem Weaße, 
wie der Soziali8m1.38 ſid, als Geſellſchaft8organiſation durchſetzt, in 
dem Maße wird unſere Arbeiterjugend ein Begriff der Vergangen- 
heit werden. Eine Jugend, deren einzig2 ſoziale Funktion darin be- 
ſteht, zu arbeiten, wird die ſozialiſtiſche Geſellichaft nict mehr ken- 
nen; im frpien fozialiſtiſ<en Zukunftsſtaat wird es bloß eine Jugend 
geben, die zu künftigen Bärgern der Geſellſchaft erzogen wird. 
Daß in dieſem Erziehungs3plan der Arbeit eine wichtige Rolle zufällt, 
iſt ſelbſtverſtändlich, aber der Arbeit nicht al8 Selbſtzwe>, ſondern der 
Arbeit - im Dienſte "diejer Erziehung, der Arbeit als Mittel zur 
Heranbildung körperlich wie geiſtig zur höchſten Leiſtung3fähigkeit 
entwickelter Vollmenſc<en. 
So ſchreitet in gleichem Schritt und Tritt mit dem werdenden 
SozialiSmus endlich auch in der Wirklichkeit unſere Jugenöbewe- 
gung dem Ziel entgegen, das ſie in der Theorie, m ihron Grund- 
jäten: ſchon ſeit langem vor Augen ſah: einzumiünden in die 
„pädagogaſche Provinz“, das erzieheriſche Jugendland des ſozia» 
ſtiſchen Volksſtaats. 
Nod) ſtehen wir erſt im Anfang de8 Wegs8. Ader daß Ihr im 
Goiſt zu dieſer Fahrt rüſtet, das iſt, Jugendgenoſſen, in diejen w0=- 
genden Zeiten Eu er Gebot der Stunde! 
Y. 
Das Staafsrec<ht der Revolution. 
n wenigen Tagen iſt der ſtaat3rechtliche Bau der deutſ<en Cinzel- 
itaaten und des deutſchen Geſamtſtaat8, de3 Reichs, zuſammen 
geſtürzt. Der Kaijer, bisher Oberbefehls8haber von Heer und 
Flotte und Vertreter des Reichs nach außen hin, als König voi 
Preußen der Beherrſcher des deutichen Bundesrats, iſt ſamt jeinent 
Hauſe abgeſetzt. Der Bundeosrat, die Vertretung der deutſchen Fürſten 
und freien Städte, einſt Inhaber der Negierung38gewalt ium Reiche, 
beſteht nicht mehr. Der Neichstag, zuleßt im Jahr 1912 als Beor- 
tretung des deutſ<en Volkes gewählt, iſt auſgelöſt und tritt nicht 
mehr zuſammen. Die Fürſtenhäuſer der deutſchen Staaten, die vor- 
nehmen Sandcls8herren in den Senaten der freien Städte, ſind ihrer 
Macht entkleidet und haben m<t nrehr mitzureden als der Mann und 
die Frau aus dent Volle. Abgeſchafft ſind die Herrenhäuſer der deut- 
ſchen Staaten, in denen der grundbejißende Adel ſeine veralteten Vor- 
rechte verteidigte, und auch die Abgeordnetenkammern in Preußen 
und den andern Staaten haben ihre Tätigkeit eingeſtellt. | 
Wa3 iſt die Urſache, daß ſolhermaßen die ganze Verfaſſung 
Deutſchland3 in die Luft flog? Die militäriſche Viacht iſt den Hän- 
den der bevorrehtigten Schichten entglitten. Das Anjehen der Kreiſe, 
die Deutſchland beherrſchten, iſt in den vier Kriegsjahren ſo ex- 
ſchüttert worden, daß die Revolution die bewaffnete Macht mit einm 
Schlage den Herrſchenden entzog und in die Hände des Volkes gab, 
das von der ſozialiſtiſchen Arbeiterſchaft geführt wird. . 
Die Arbeiter- und Soldatenräte, hervorgegangen aus dem Volk 
und ihm allein verantwortlich, haben die militäriſche Macht in die 
Hand genommen, die einſt der Kaiſer und ſeine Generäle zum BVor- 
teil der herrſchenden Schichten Deutſchlands ausübten. 
Und wa3 für ein Staats8rec<ht gilt nun? Welche Rechtönormen 
regeln das Verhältni8 zwiſchen Volk und Negierung? JIſt das alte 
Staatsre<ht wirklich abgeſ<afft? Oder beſteht der neue Zuſtand nicht 
zu Necht, fondern zu Unrecht? Leben wir im Zuſtand der Necht3- 
loſigkeit, oder hat uns die Revolution ein neues Staat3reht gebracht? 
Auf 2000 Jahre deutſcher Gejt<hichte können wir zurückblicken. 
 
 
Unſer Lehrgeſelle Ladislaus. 
Lon Theodor Thomas, (Scluß.) 
ird gemacht,“ erwiderte dieſer und rieb ſich die Hände, „ver Kerl 
5 ſchläft wie ein toter Bär, der Schaum ſteht ihm ordentlich vor 
5Iem Mund, Hoffentlich kommt keiner mit eincam Streich» 
holz in ſeine Nähe, ſonſt explodiert das böhmiſche Bierfaß.“ 
Wir lachten und ſchmiedeten Pläne: Vor allem mußten wir dafür 
ſorgen, daß am Vormittag der Meiſter wochmal8 auf den Bau kam. 
I< telephoniarte einfach an das Bureau, dex Bauherr wünſche ihn zu 
ſprechen. Wir waren nun ſicher, daß unſey Lehrherr bald auf dex Bybd- 
fläche erſcheinen würde, 
Während aunſerer Vorkehrungen lag LadisSlau3 in ſeinem Winkel 
und ſhnardte und kmrſchte mit den Zähnen, al3 ob er mit dem beſten 
Gewiſſen der Welt ein Sonntagsſchläfhem hielt. Wir gingen nochmals 
zu ihm hin; er lag da wie eim Baum. 
Nun fingen wir an, die gange Abdeckung des Neubaues um ihn 
herum fovrtzuräumen, ſo daß er wie auf einer Inſel einſam und verlaſ- 
ſen ſOInardte. Ghe wi aber das lezte Brett gewiſſermaßen unter ſeinen 
Körper wegz9gen, banden wir ihm Arme und Beine einzeln. an die 
Querbalfen, ſ9 daß er vierfach verſichert an ſeine hölzerne Bettſtelle be- 
feſtigt war, 
er ſchnardte weiter wie beſeſſen und abmete wie ein Murmeltier, 
- Nun nahmen wir auh noch die lezte Berbindung8brüke unter 1hm 
himweg, Auf dem großen Neubau -=- wir arbeiteten auf der Turnhalle 
emer Realſchule, wo nur alle zwei Meter ein Sparren lag .-=- ſchwebte ex 
nun wie ein Schifflein auf hoher See, Der UAnbli> tat unſerm Herzen 
Währemd der ganzen Prozedur hatte er ſich nicht gerührt; 
wohl und wir freuten uns ſchon im voraus auf die Augen, die ex machen 
würde, wenn. er zu ſich käme. 
Voll Spannung von uns erwartet, erſchien endlich unſer Gebieter 
auf dem Schauplaß der Greigniſſe, LadisSlaus war gerade dabei, die 
ſchönſte Kammermuſif zu vollführen. Es fiel uns aber heute nicht ein, 
dem Kapellmeiſter das Warnungsſignal zuu gebem, 
Nach kurzer Muſterung fragte Meiſter Hermann: „Wo ſte>t denn 
Ladai8alaus ?“ Wir zuc>ten bedeutſam die Achſeln und gaben beine Aus= 
kunft. 
7Na, ſeid ihr auf die Guſche gefallen, daß ihr. niſcht veden könnt?" 
„Meeſter,“ flüſterte ich, „er iſt da, aber maw ſieht ihn nicht, man 
hört ihn nur.“ : | 
Nun wußte er halb Beſcheid. Die zweite Hälfte der Gewißheit 
ward ihm au3 iden verſchiedenen Geräuſchen, die zu ſeinen Ohren dran= 
gen. Der Scläfer gab nämlich gerade Laute von ſich, al8 ob er die 
Bäſſe einer Ziehharmonika in der Kehle hätte. Die Töne klangen 
vernehmlich bis zu un38 herüber. Mit grimmigem Geſicht ſchritt Her- 
mann auf die Stelle zu, von wo die Orgel klang, Wir Buben grinſten 
uns derweilen eins. 
Als unſer Lehrherr den einſamen Schläfer gewahr wurde und die 
Veränderung bemerkte, die um ihn herum vergegangen war, 3o9g ſich ſein 
Mund langſam in die Breite, Die Komik des Augenbli>s überwälligte 
ihn; erſt allmählich löſte ſich ſeine Wut au3, 
Dann aber rief er: „LadiSlaus, Ladi3laus, Wazlek, Wazlek!“ Nein, 
er rief nicht, er ſchrie, er brüllte. E38 dauerte aber ziemlich lange, ehe 
ſi der Angerufene aus ſeinen Träumen von Karls3bader Bier und 
Joachimsthaber Kornſhnaps in die deutſche Wirklichkeit zurückverſetzen 
konnt ZLangſam kam er zu ſich, wollte natürlich bai dex bekamnten
	        
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