Arbeiter- Jugend
und un3 grimdlich für dieſe gewaltige Aufgabe ſchulen zu können,
- mußten wir uns durc mehr als vier furchtbare Jahre hindurch in
beiſpielloſer Art ſ<wächen und ausbluten, uns wirtſchaftlich um
Jahrzehnte zurückwerfen laſſen. |
- Sugendlichem Begeiſterungsbedürfni38 mag all dies nicht an-
genehm in den Ohren klingen. Der geſchulte Jugendgenoſſe aber
weiß, daß an der Schwelle alles erfolgreichen Beginnens die Erkennt-
ni8 deſſen ſteht, wa 3 iſt. Das Erfurter Programm der deutichen
Sozialdemokratie ſagt: „Die Arbeiterklaſſe kann den Uebergang der
- Produktionsmittel in den Beſitz der Geſamtheit nicht bewirken, ohne
in den Beſitz der politiſchen Macht gekommen zu ſein.“ Im gegen-
wärtiaen Augenblick hat die dontſche Arbeiterklaſſe die politiſche Macht
in Händen. Iſt dieſe Macht aber auch ausreichend befeſtigt? Jſt das
deutſche Voll in ſeiner wahlberechtigten Mehrheit genügend politiſch
vorgebildet, um von dieſer Macht vernunftgemäßen Gebrauch zu
machen? Wird da8 Volk in ſeiner Mehrheit den erprobten Führern
der vergangenen Kampfjahre folgen, oder wird es ſich weiter von
den Lok>tönen derer täuſchen laſſen, die e8 in das Verderben dieſer
Kriegsjahre getrieben haben, nun e8 aber für angebracht halten, ſich
den Anſchein freiheit3- und volk3freundlicher Parteien zu. geben?
Das ſind alles Fragen, die uns deutlich darauf hinweiſen, daß das
Werk der großen Umwälzung zwar verheißung3voll begann, aber
no< lange nicht zum glücklichen Ende geführt iſt.
Auch für. unſere Jugendbewegung darf man, ohne zu über-
treiben, behaupten, daß ihre Arbeit für die Folgezeit unendlich be-
deutung3voller geworden, als ſie jemals vorher geweſen ift. Schon
allein die Tatſache, daß das Alter der Wahlberechtigung um fünf
ahre berabgeſezt worden iſt, daß künftig alle Zwanzigjährigen
wählen können, gibt der Tätigkeit der Jugendorganiſation eine
Bedeutung für da3 politiſche Leben, die gar nicht hoch genug be-
wertet werden kann. Fünf Jahre ſtaatsbürgerlicher Auklärung und
Schulung, die vordem der politiſchen Partei oblagen, fallen nun zu
einem erheblichen Teil uns zu. Dix weibliche Jugendpropaganda
aber iſt angeſicht3 des Frauenwahlrebts auf vine vollig neue
Grundlage geftellt.
Wir alle ſind plößlich um fünf Jahre älter geworden; die
Arbeit dicſes Jahrfünft3 jedoch iſt ungetan, licat noc) unerledigt
vor uns. Aber nicht nur ſie haben wir nachzuholen: viel mehr als
biSher bedarf die Arbeiterbewegung unſerer praktiſchen Mitarbeit.
Die neue Zeit der Selbſtbeſtimmung und Selbſtverwaltung des
deutſchen Volkes ſchreit geradezu nach der Mithilfe ungezählber
Kräfte und Köpfe. Das deutſche Proletariat ſteht vor dem Tor
des ſozialiſtiſchen. Volksſtaat3; ſeiner Kulturarbeit werden ſich
Hunderttauſende paſſiv ſowohl wie tätig hindernd im den Weg
ſtellen, weil ſie an der Erhaltung de8 Beſtehenden und der Wieder-
eroberung des Geweſenen intereſſiert ſind. Und wer mag daran
zweifeln, daß die ehedem „ſtaatSerhaltenden“ Parteigruppen ſich
mit noch weit größerem Eifer auf die Gewinnung der Jugend
werfen werden! Aber auch ohnedies würde die vor uns liegende
neue Arbeit einen unüberſehbaren Berg darſtellen. Das ſoll uns
nicht nur nicht ſchre&en, ſondern e8 muß uns aufs neue anſpornen,
muß die im unſern Herzen lodernde Begeiſterung um ein Viel-
fache3 ſteigern. Nie haben wir das Ziel unſeres Hoffens und
Scehnens8 näher vor Augen geſehen. Darum mit verſtärkter Kraft
und erhöhter Ausdauer, aber auch mit geſteigerter Begeiſterung
weiter geſchafft an dem glüdverheißenden Werk!
no;
Aus Hamburgs Revolukionskagen.
er dritte, der ſechſte und der neunte November, das waren
die drei Tage, an denen die deutſche Nevolution 1918 zum
Siege ſ<ritt. In Kiel fiel am dritten der erſte Schuß; er
brachte die Matrofen- und Soldatenerhebung in Fluß; am ſechſten
triumphierte ſie mit Sturmgewalt in Hamburg-Altona;
am neunten erfocht ſie in Berlin den entſcheidenden Sieg.
E3 ſoll hier nur von: der mittleren der drei Etappen ein
Weoniges erzuhlt werden.
Daß Hamburg am 6. November wieder, wie ſchon einmal vor
zwölf Jahren, einen „roten Mittwoch“ erleben würde, war aus
mancherlei Anzeichen bereits am frühen Morgen zu ahnen, B18
tief an die vorhergehende Nacht hinein hatte ſich eine von der
Unabhängigen Sozialdemokratie einberufene Volk8verjammlung im
Geowerkſchaft8haus hingezogen, in der nach einer zündenden Nede
des Reich3tags8abgeordneten W. Dittmann ein Matroſe aus Kiel
zur Sympathiekundgebung für die dortige Bewegung und zur Ver-
bhrüderung der Arbeiter, Matroſen und Soldaten aufgefordert
hatte. Der Vorſchlag war von der überaus ſtarkbeſuchten Ver-
jammlung mit ſtürmiſchem Jubel aufgenommen worden, Die
„Erregung hatte ſich noh geſteigert, als etwa 150 Soldaten, die
ſich aus der Militärgefangenſchaft ſelbſt befreit hatten, im Saal
erſchienen waren. Damit war da8 Signal für den kommenden
Tag: Befreiung aller Opfer der Kaſernendiſziplin und de8 Be-
lagerung3zuſtande3, gegeben. In den erſten Morgenſtunden
herrichte die „Stille vor dem Sturm“. Von einer allgemeinen
ArbeitScinſtellung, zu der einzelne Redner in der Verjammlung
aufgefordert hatten, war möicht8s zu bemerken, denn die Gewerk-
ſ<aften hatten noc<h keinen Beſchluß gefaßt. So ſtrömte alles den
Arbeitsſtätten zu. Vor den Gericht3- und Gefängni8gebäuden am
Zolſtenplaß ſtarrten den Vorübereilenden aber ſchon die Maſchinen-
gewehre entgegen, die das von Fart befallene Generalkommando
zur Verbeidigung der Gefängmi8mauern hatte auffahren laſſen.
Gewehrpyrantden mit den dazu agchörigen Mannſchaften ftanden
dabei. Troßdem öffneten ſich die Gefängmistore kurze Zeit ſpäter
faſt von fclbſt. Unterdeſſen hatten auch ſchon die im Hafen liegen-
den Kriegsfahrzeuge die roten Wimpel aufgezogen, und Matrojen
mit roten Abzeichen hielten die Zugänge zu den Werften bejckt.
Je weiter der Tag vorſchritt, dvſto mehr breitete ſich die rote
Woge über das ganze Stadtgebiet aus. Im Zeitraum weniger
Stunden waren überall die Kokarden verſ<wunden, Offiziere und
noch im alten Dienſt befindliche Mannſchaften entwaffnet und
alles Militär, ſoweit es ſich auf der Straße, in Bahnwazen und
öffentlichen Gebänden ſehon ließ, der Befehlsgewalt des Arbeiter-
und Soldatenrats unterſtellt, der im Gewerkſchaftshaus fein Haupt-
quartier aufgeſchlagen hatte. Vor dem Kaus hatte man die Wagen
der Straßenbahn angehalten und zu einer Wagenburg vereinigt,
die das Hauptquartier "vor Ueberrumpelung ſchützte. Revolver-
bewaffnete Matrofen hielten die Wagenburg befekt; hinter 1ihr
taten die Maſchinengewehre zur Probe für eventuelle Ueberfälle.
Während hier nor alle8 in Erwartung der Dinge war, die
kommen jollten, ſpielte ſich an der Bundesſtraße boi den Kaſernen
eim blutiger Kampf ab, dem zehn brave Vorkämppfer der Revolution
zum Opfer fielen. Sie wurden durc; Kugeln, die aus den Kafernen-
fenjtern Offiziere und umaufgeklärte Soldaten abfeuerten, nieder-
geſtre>t. Der Mut der angreifenden Kämpfer wurde dadurch nur
noch erhöht. Die Kaſernen wurden geſtürmt, die Dffiziere zur
Uebergabe gezwungen -= ein einziger Matroſe entwaffnete fünf
Offiziere! == und alle Mannſchaften in den Kafernen ſchloſſen ſich
der Bewegung an. -
Von dor Verfammlung am HSeiligengeittfeld au8, wo ſich um
die Wäattag8zeit mehrere Tauſend Menſchen, darunter viele
Soldaten, unter roten Fahnen, eingefunden hatten, bildete ſich ein
Zug, der unter Vorantritt Bewaffneter nach Altona ntarſchterte, um
dem dortigen Generalkommando den Aus8brud) der newen Zoit zu
verfündigen. Unterweg3 wurde der Zug aus Häuſern wiederum
von Offizieren, die ſich verſte>t hielten, beſchoſſen. E3 gab auc)
hier kurzen, beftigen Straßenkampf mit neuen Opfern. Aber der
Siege8marſch war ſchon nicht mehr aufzuhalten.
Das Generalkommando war beim Eintreffen des Zuges von
den früheren Befehl3habern geräumt, der kommandierende General
v. Jalk mit ſeinem ganzen Stabe ſpurlos verſchwunden. Von nun
an hatte das Kommando ein junger 28jähriger Unteroffizier
Zeller, den ein Zufall mitten in die Bewegung geworfen und
zu Ihrem Führer gemacht hatte. Auf der Fahrt von Antwerpen
nach Kiel begriffen, um dort eine Beſchwerde anzubringen, war
er im Hamburger Hauptbahnhof mit gleichgeſinnten Kameraden
zuſammengetroffen, die die Bewegung in Kiel mitgemacht hatten
und nun nach Hamburg verſprengt waren. Im Verein mit ihnen
übernahm er die Leitung des Soldatenrat8 und traf energiſche
Maßnahmen, die den Einwohnern Hamburgs zwar zuerſt etwas
„paniſch“ vorkamen, dann aber toch allgemeine Billigung fanden,
weil ſie die Aufrehterhaltung der Drdönung und Sicherheit ver-
bürgten. So mußten in der Nacht, die dieſem Revolutionstag
folgte, von 9 Uhr ab die Straßen von der Zivilbevölkerung geräumt
und alle Lichter nach den Straßen zu gelöſcht ſein. Das Knallen
der 'Schrecſchüſſe, mitunter auch lebhaftere8s Geknatter, das der
Verſcheinhung von DiebeSgelichter galt, hallte dann durch die Stadt
und gab den im dunklen Zimmer verſchüchtert Beiſammenſißenden
ein kloine38 Beiſpiel davon, wie es den Bewohnern der vom Kriege
beimgeſuchten Gebiete jahrlang zu Mute geweſen.
Einige Tage ſpäter waren die Aufregungen des 6. November
ſchon faſt vergeſſen. Der Arbeiter- und Soldatenrat hatte ſich
neukonſtituiert, bekannte Führer der Hamburger Ardeiterbewegung
waren an ſeine Spitze getreten, den Opfern var blutigen Fampfe
war oin ehrenvolle3 Begräbnis auf dem Obhl3dorfer Friedhof be-
roitet worden, der Ordnungs8- und SicherheitSidenſt funktionierte,
wenn auch nicht mehr in der alten, ſo doch in der neuen Weiſe.
Und al3 am nächſten Mittwoch, dem 18. November, vom Rathaus
herab die rote Flagge wehte, zum Zeichen, daß der Arbeiter- und
Soldatenrat nun auch dieſen Sikß ver hamburgiſchen Staat3- und
Stadtregierung in Beſchlag genommen, da ging dieſer „Staats-
ſtreich“, der gewiſſermaßen den Abſchluß der Hamburger Nevolu-
tion3woche bildete, fo glatt vonſtatten, wie früher ein wohlvor-
bereiteter Stapellauf. Nur einem hohen Senat war gewiß nicht
ſo wohl dabei. R, P,