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eben ihre Weltanſ<hauung, entpuppt ſi< als ſoziales Gebilde,
geradezu al38 Kundgebung der Geſamterkenntnis und de8 Geſamt-
willen8 der Gattung, der Geſellſhaft und ihrer Gruppen, ihrer
Klaſſen. |
In einem weiteren Artikel ſollen die wichtigſten der heute
miteinander ringenden Weltanſchauungen, die <riſtliche, die
bürgerliche und die ſozialiſtiſG<e <harakteriſiert und in ihren Weſens-
unterſchieden einander gegenübergeſtelt werden. Aber auch in
dieſen allgemeinen Bemerkungen haben wir bereit3 ein.wefentliches
Merkmal der ſozialiſtiſ<en Weltanſchauung dargelegt, daß ſie näm-
.Ii< nicht als willkürliches, von der Einzelperſönlichkeit im freiem,
“ſchöpferiſ<em Betrieb erzeugtes Geiſte3produkt aufgefaßt werden
will, ſondern ſich bewußt al3 Ausfluß der geſellſchaftlichen, ſozialen
Natur de8 Menſchen fühlt. Unſere Unterſuchung des Welt-
anſchauungs8begriff8 war alſo eine Unterſu<ung vom Standpunkt
der ſozialiſtiſQen Weltanſchauung ſelber.
nN:
Die Enkwiklung der deukſchen Sprache.
(Fortſeßhung ſtatt Schlu.)
. m biberigen haben wir ſtet3 nur die Entwicklung der
Wortformen betrachtet. Damit erſchöpft ſich aber die Ent-
wicklung der Sprache keinesSwegs. Nicht nur die Form der
Worte ändert ſich im Lauf der Jahrhunderte, ſondern vielfoch noh
weſentlich raſcher der Inhalt der Worte, ihr Sinn, ihre
Bedeutung. Auch dieſer ſprachlichen Entwieklung iſt nach-
geſpürt worden. Die Fortentwicklung einzelner Begriffe läßt ſich
genau verfolgen, und ſie wirft dann nicht ſelten Licht auf den
Kulturzuſtand, auf Sitte und Gebrauc<h der Zeit, in welcher der
Wandel ſic<ß vollzog. Dabei gibt e38 aber no< viel weniger feſt-
ſtehende Regeln al3 für den Wandel der Formen. Aedes einzelne
Wort tritt da wie eine einzelne Perſönlichkeit auf, die teil3 ihre
Geſetze in ſich ſelbſt trägt: ihre urſprüngliche Anlage --, teils
von außen her in ihrem Werdegang beeinflußt wird: die Wirkung
der Umwelt. Für dieſe Bedeutung3entwicklung laſſen ſich geſchicht-
liche Abgrenzungen einzelner Perioden kaum oder doch nur mit
großer Willkürlichkeit aufſtellen, während die Weiterentwi>lung
der Formen ſich in wohlabgrenzbaren Einzelſchüben vollzog.
Eigentlich ſelbſtverſtändlich iſt es, daß der Wandel ſich nicht
an einem beſtimmten Tag, nicht einmal innerhalb eines beſtimmten
Jahres vollzog, daß er auch nicht überall gleichzeitig eintrat. Nord
und Sid vor allem, auch Oſt und Weſt gingen oft ihre eigenen
Wege, den übrigen voraus oder hinterdrein. Auch Stadt und
Land, Hoh und Nieder unterſchieden ſich nicht ſelten im Gebrauch
der einzelnen Formen, ſo wie ſich heute no<? ihre Sprechweiſe
vielfach unterſcheidet troß der gleicmachenden Wirkſamkeit der
Mein Phokographiealbum.
Eine Jugenderinnerung von Th. Thomas. (Sthluß.)
F: wurde e38 mix aber doh ungemütlich. In erregtem Ton fragte
im, was eigentlic lo3 ſei. Statt aller Amtwort - holte ſte eine
Beitung hinter dem Schanktiſch vor.
Unter der Peberſchrift: „Grober Unfug“ war folgendes zu leſen:
Spielende Kinder fanden am Montag auf der Wieſe hinter dem
Stadtwald ein anſcheinend verlorengegangene38 Photographiealbum,
da3 eine Neihe Bilder hieſiger bekannter und ac<tbarer Perſönlichkeiten
enthielt, die durch hinzugefügte Bemerkungen ſtark beſchimpft
werden, Die Polizei ſtellte ſofort Nachforſchungen an. Dabei fand ſie
heraus, ' daß ſelbiges dem Lehrling einer bekannten hieſigen Firma
gehört, Wie dasſelbe und die Bilder in den Beſib des Jungen ge-
kommen find, iſt bis jeßt noch nicht feſtgeſtellt, und ſein Meiſter konnte
keine Erklärung dafür abgeben. In "den Kreiſen der Beteiligten
herrſchte anfangs begreiflicherweiſe keine geringe Aufregung über den
Dummenjungenſtreich. Hoffentlich wird demſelben ſein Sitleder
ordentlich vergerbt, damit ihm ſolche krankhaften Gelüſte in Zukunft
vergehen.
Währeniddem war auch der Wirt hinzugetreten. Der Schweiß ſtand
mir auf der Stirn, al3 ich diefen morxaliichen Ste>kbrief geleſen hatte.
„Na, da haſte dir ne ſcheene Sache auf den Hal3 geladen," ſagte der
Wirt. Er machte zwar nur Spaß, wie ich ſpäter erfuhr, aber iG nahm
jedes Wort für bittere Wahrheit,
Zu meiner Rechtfertigung erzählte ic ihm den ganzen Sachverhalt,
Er lachte dabei noc< mehr als ſeine beſſere Hälfte.
„Menſch," meinte er ſchließlich, „das iſt ja en ganzer Rattenkönig
von Paragraphen, wo du da gefreſſen haſt. Da is erſtens Diebſtahl von
Bildern, dann Erregung öffenilichen Aergermiſſes, grober Unfug, Be-
leidigung etcetera --- da macht en findiger Staatsanwalt ene ganz ſc<eene
Soſe draus,“ :
Arbeiter- Jugend
E38 war das „Kveisblatt“.
nee
beſſeren Verbindungen, die raſch von einer Landſchaft in die
andere führen, und tro der weiten Verbreitung des geſchriebenen
Wortes, das heutzutage allen Kreiſen zugänglich und verſtändlich
iſt. Leicht begreiflich iſt es, um das no< zu jagen, daß häufig die
Verſchiebung der Form und der Bedeutung eine8 Wortes zeitlich
Hand in Hand gingen, wenn aud) ihrem Weſen nad) voneinander
gänzlich unabhängig. =
Wann das erſte deutſche Wort erklungen, wie e3 lautete, was
e3 bedeutet hat, wir ahnen e8 nicht. Weit im Dunkel der Ge-
ſ<ichte verliert ſi< jener Augenbli>, gleichwie es unmöglich iſt,
zu ſagen, wann der erſte deutſche Mann durch den Urwald ſchritt,
die erſte deutſche Frau ihre8 Heime3 wartete. Und hätte e3 dieſen
Mann, dieſe Frau gegeben, ſie hätten ſelbſt nichts von ihrer Be-
deutung als Stammvater und -mutter gewußt; ſie waren die
Kinder ihrer Eltern, und ihre Sprache war die Sprache ihrer
Eltern, ihres Stammes -- mit kleinen, gewiß ſehr kleinen Aende-
rungen.
Wenn ſie ihren Stammbaum weiter, zu ihren Ahnen hinauf
verfolgt hätten, ſo wie es in viel, viel ſpäterer Zeit die Gelehrten
getan haben, ſo hätten ſie nur das eine gewußt: ihre Ahnen ſaßen
nicht immer auf deutſchem Boden, ihre Ahnen waren jene Fndo -
germanen, von denen außer ihnen no< viele andere Völker-
ſchaften ihren Urſprung genommen haben, die Inder, die Perſer,
die Griechen, die Römer, die Slawen und einige andere. Mit
ihnen allen hätten ſie ſi< urverwandt fühlen müſſen; mit ihnen
zuſammen waren ſie einſtmals in grauer Urzeit ein Volk geweſen,
mit ihnen zuſammen haben ſie eine Sprache geredet, das Jndo-
germaniſjche. Irgendwo in Aſien hat dieſes Volk geſeſſen, und
von dort aus hat es fich ausgebreitet. Wie e8 geſprochen hat, das
iſt uns nicht überliefert; wir haben nur verſucht, uns ein Bild
davon zu machen, indem wir all das, was den Sprachen jener
Enkelvölker gemeinſam iſt, al8 gemeinfam vom Stammpwpolk über-
kommene3 Erbe anſehen, während die ſprachlichen Verſchieden-
heiten jedes einzelne von ihnen al38 eigene Erwerbung hinzu-
gefügt hat.
Das Germaniſche z. B., wie wir ſtatt des „Deutſchen“
zunächſt einmal ſagen wollen, hat eine Eigentümlichkeit ange-
nommen. E38 hat ein f geſeßt, wo der Indogermane Pp hatte,
ein h, wo er k ſagte, p, t und Kk, wo e3 zuvor db, d und g gelautet
hatte, und einiges mehr. E3 läßt ſic) leicht verſtehen, daß eine
Sprache durd< eine ſolche „Lautverſchiebung“, zu der noh eine
Aenderung der Betonung hinzutrat, ein ganz neue3 Geſicht bekam;
no<h blieben Familienähnlichkeiten in großer Zahl, aber die Ab-
weichungen waren do< ſo bedeutend, daß man ſich, um im Bild
zu bleiben, nicht mehr ohne weiteres erkannte, d. h. nicht mehr
vorſtand, alſo eine andere Sprache gebrauchte.
Solche „Lautverſ<iebungen“ nun waren es, die au
weiterhin vor allem die ſprachlichen Formveränderungen aus-
machten. Es ſind ihrer no< mehrere eingetreten, und ſo blieb
auc<“ das Germaniſche keine einheitliche Sprache. Vom „Deutſchen“
Beide lachten, derweilen i< vor Aufregung ſc<wißte, Sie wußten
vielleicht gar nicht, welche Angſt im ausſtand,
- Dann ſtürzte ich aus dem Lokal. Der Wirt wollte mich halten, wollte
mir zureden, doch ich fegte zur Stadt hinaus. Draußen zwiſchen den
hohen Pappeln aber, wo ih allein war, fing ich an, ganz entſeßlich zu
heulen. Die Pappelbäums&ſchienen mix wie lauter warnende Finger in
den Himmel zu ragen. Immer um die Stadt becum lief ich. Von jedem,
ver: mir entgegenfam, dachte ich: der will dich holen. Ganz allmählich
nur fam ich zu einer ruhigeren Auffaſſung meiner Lage. Gar ſo ſc<limm
könnte es ſchon nicht werden, ſagte ich mir ſchließlich. Aber erſt gegen
Mitternacht wagte ich mich wieder zurü> in meine Dachkammer.
Am anderen Morgen mußte ich zum Polizeikommiſſar kommen.
Mein Lehrherr ging mit. Das war mix ſehr unangenehm. Unterwegs
fagte er wohl noch ein dußendmal: „Lümmel, Lümmel, Lümmel,“ aber
ic< ließ mich auf nichts mehr ein. Gegenüber dem Beamten hatte iM
faſt gar keine Angſt mehr. .'Als wir eintraten, glaubte ich ſogar zu be=
merken, wie ein Lächeln über ſein Geſicht huſchte. Vielleicht habe ich mich
auch geirrt. Wir mußten uns ſeßen. Es dauerte noch eine Weile, bi3
wir an die Reihe kamen. Vorher wurde eine Frau vernommen, die
ihren Hund ohne Maulkorb hatte herumlaufen laſſen. Mein Meiſter war
währenddem aufgeregter als ich,
Endlich wanidte ſich der Grauhaarige zu uns, begrüßte meinen
Führer freundlich und ſagte dann:
. „Alſo das iſt der keine Mann mit ſeiner großen Damenbekanntſchaft
aus den vornehmſten Kreiſen? Das iſt ja eine tolle Sche!“ Seine
Augen lachten, während er ſich Mühe gab, ein eniſeklich ſtrenges Geſicht
zu machen. “
„Nun erzähle mal, wig du zu Den vornehnfen Bekanntſchaften ge-
kommen biſt! Wer iſt denn das?" . Damit nahm er eines der Bilder und
hielt e3 mir vor.
Ich hatte feine Ahnung. Ich wußte nur, in meinem Buch hatte dieſe.
Dame mit den Puffärmeln an fünfter Stelle vangiert, mit der Umſchrift?