Full text: Arbeiter-Jugend - 10.1918 (10)

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Schidſal über ſie hereinbricht, oder wie eine Gnade ihnen zuteil 
wird. Ehe da3 Ziel erreicht wird, muß es erkannt, ehs der SiezJ 
errungen, muß um ihn gekämpft werden. Klaſſenbewußtſein 
und Klaſſen ka mp f ſind darum für das Proletariat die unerläß- 
lien Vorbedingungen ſeine3 Aufſtieg8, die einzigen Wege zum 
Triumph über die Welt von Feinden, die ihm in den herrſchenden 
Klaſſen der gegenwärtigen Geoſelli<haft3ordnung gegenüberſteht. 
Wiederum auf beiden Wegen, auf dem Wege der Erkenntnis 
wie de3 Kampfes8, iſt Karl Marx dem Proletariat als Führer vor- 
angeſchritten. Der Erwekung und Ausbildung des proletariſchen 
Klaſſenbewußtfeins hat er die Geiſte3arbeit ſeines Leben3 go- 
widmet, vom Kommuniſtiſchen Manifeſt bis zum „Kapital“ all 
die unſterblihen Werke, in denen er den Sinn der geſchichtlichen 
Entwicklung aufde>t, das Weſen und die Urſache der Lohnſklaverei 
darlegt und dem Proletariat die Aufgabe verkündigt, die ihm im 
Gang der menſchlichen Kulturentwi>klung zugefallen iſt. Für den 
Klaſſenkampf aber hat er das Proletariat eincexerziert im der Welkt- 
organiſation der Internationale, deren Gründer und leitender 
Kopf er geweſen, 
Neben dem. Klaſſenbewußtſein und dem Klaſſenkampf if 
nämlich die Internationalität dieſes Bewußtſeins und dieſe3 
Kampfes der dritte Leitgedanke des Marxſchen SoztialiSmus. 
Mögen auc nach Grad und Reife der wirtſchaftlichen, politiſchen 
und geiſtigen Entwieklung die einzelnen Kulturnationen ſich 
unterſcheiden: ſoweit das Kapital herrſcht -- und ce8 beherrſcht die 
ganze Erde --, beruht feine Herrſchaft auf der im Weſen überall 
gleichen AuSbeutung und Unterdrückung der arbeitenden dur die 
beſikende Klaſſe. So iſt das Schiſal und das Ziel der arbeitenden 
Flaſſe auf der ganzen Erde dasſelbe, und nur dann kann der 
. SozialiSmu38 endgültia ſiegen, wenn ſich die Arbeiter aller 
Nationen in ihrem LebenSintereſfe verbunden fühlen und brüder- 
lich Hand in Hand gehen. „Proletarier aller Länder, vereinigt 
Euch!“ iſt darum der mächtige Ruf zur Tat, zum Handeln in 
jolidariſ<hem ZBuſammenſchluß, zur BWeltinternationale Des 
Klaſſenkampfs, worin. Karl Marxen8, dem Proletariat gewidmetes 
Leben :anusklingt. 
Daß die Arbeiter den Gedenktag des Manne8, der ſie zur 
internationalen Brüderlichkeit aufruft, im Völkermorden dieſes 
Weltkrieg8 begehen müſſen, 
Tragik nicht in Worte gefaßt werden kann. Nur ein8 vermag uns 
über dieſe furc<tbare Situation hinwegzuhelfen. Wenn e38 nocd 
eines Beweiſe38 bedurft hätte, daß die kapitaliſtiſche Geſellſchaft 
dem Untergang geweiht ift, dann iſt eben durch dieſen Krieg dieſer - 
Beweis im wahrhaft zer'malmender Wucht geliefert. Eine Geſell- 
ichaft3ordnung, die die Menſc<heit naturnotwendig in dieſen Ab- 
grund voll unfäglicher 'Gveriüel führen mußte, hat ſich ſelbſt die 
iſt ein Gedanke, deſſen erſchütternde 
Arbeiter« Jügend . | ' 
Totenglo>e geläutet und iſt zur Götterdämmerung tauſendfach reif. 
Die Menſc<hheit wird ſozialiſtiſch ſein oder ſie wird nicht ſein, das 
iſt ſeit jenen. blutrot aufſteigenden Auguſttagen de8 Jahres 1914 
für Jeden, der ein Hirn zu denken und ein Herz zu fühlen hat, un- 
erſihuütterliche Ueberzeugung. Mögen ſich darum die Bankrottierer 
der kapitaliſtiſchen Geſellſchaft über den Zuſammenbruc) ihrer 
Herrlichkeit mit dem Armjünderſpruch hinwegtröſten: „Nac< un3 
die Sintflut!“: die Füße derer, die den Sdutt ihrer Welt beiſeite 
ſchaffen und auf den Trümmern den Bau einer neuen Geſellſchaft 
errichten, ſtehen vor der Tür; ihre Legitimation aber lautet: 
„Rahder Sintflut + wir!“ 
“ Soäiſt e38 in dieſen nachtdunklen Tagen einzig da8 Zeichen von 
Karl Marx, das die Zukunft erhellt: in ihm werden wir ſiegen, 
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Karl Marx' Leben. 
arl Seinrich V (ary erblickte das Licht der Welt zu Trier, am 
5. Mai 1818. Scin Vater, Heinrich Marx, ein aufgeklärter 
und menſchenfreundlicher Jude, war Rec<t3anwalt. Seine 
Mutter war eine Holländerin und entſtammte einer Rabbiner- 
familie, die im 16. oder 17. Jahrhundert aus Ungarn in Holland 
eingewandert war. Dem Ehepaar Marx wurden mehrere Kinder . 
geboren, von denen nur Karl beſondere Fähigkeiten zeigte und 
de8Shalb für eine gelehrte Laufbahn beſtimmt wurde. Im Jabr 
1824 trat die Familic Marx zum Chriſtentum über. In der 
Schule genoß Karl evangeliſchen Roligion3unterricht und be- 
kundete auf dem Gymnaſium lebhaftes Intereſſe für Kircheu- 
geſchichte. Später wurde er Freidenker und Atbeiſt. Im Jahr 
1835 -- im Alter von 17. Jahren -- abfolvierte er das Gyn1- 
„naſium ſeiner Vaterſtadt, wo er ſich durch Fleiß, gutes Betragen und 
Liebe zu den klaſſiſchen Sprachen (Latein und Griechiſch) auszeichnete. 
Das Gymnaſium war jedoch nicht die einzige Stätte, wo er 
jeinen Geiſt bildete. Sein Vater führte ihn in das Haus de3 
Geheimen Negierungsrats Ludwig v. Weſtphalen ein, eines hoch 
gebildeten und aufgelärten preußiſchen Beamten, der: es liebte, 
ſich mit dem gewecdten ingling zu unterhalten und feinen 
Bildung8gang zu beeinfluſſen. Marx verehrte ihn al3 väterlichen 
Freund, „der jeden Fortſchritt der Zeit mit der Begeiſterung und 
Boſonnenheit der Wahrheit begrüßt“; er widmete ihm ſeine 
Doktordiſſertation (1841). 
Nach Abſolvierung des „Gymnäſiums bezog Marx die Bonner 
Univerſität. Nach einem Jahr flotten Studentenlebens ſiedelte 
er im Herbſt 1836 nach der Berliner Univerſität über. Vor ſeiner 
Abreife nach | Berlin verlobte er ſich heimlich mit. Jenny v. Weſt- 
phalen, der Tochter ſeines väterlichen Freunde3, die durch Schön- 
beit, Bildung und Chbarakterſtärke gleichermaßen ausgezeichnet 
war. In Berlin ſtürzte ſich Marx auf das Studium der Philo- 
ſophie, NRechtäWviſſenſchaft, Geſchichte, Geographie, Literatur uſw. 
 
 
Bor 25 Jahren. . 
Eine Maifeier-Erinnerung von P. G., Kiel, 3. Zt. im Heeresdienſt. 
rinnerungen aus dem Leben, löſen mehr oder weniger einen ſtillen- 
Zauber aus, je nah der Art des Geſchehniſſe3.- An mancher Er- 
innerung zehrt man zeitlebens, In meinen jungen Jahren -- ich 
rechne mich allerdings noh nicht zu den Alten --- ſchaute ich mit höchſter 
Bewunderung auf jene Genoſſen, die über früher in der Arbeiter- 
bewegung Erlebtes berichteten, und gelobte mir im ſtillen, an ihren Taten 
ein Vorbild zu nehmen. Heute ift nun dec Zeitpunft für mich ge- 
fommen, wo auch ich auf eine Epiſode aus der Arbeiterbewegung zurüe- 
bligen kann, 
Nach dem großen Buchdruderſtreik am Ende de3 Jahres 1891, dem 
troB hoher Begeiſterung und reicher Mittel der Erfolg nicht beſchieden 
war, mußte mancher Jünger Gutenbergs, der dem Verband angehörte, 
fein Ränzel ſ<nüren und auf die Walze gehen. Im Sommer 1892 
wimmelten die Landftraßen nur fo pon Buchdruckern, die ja von jeher 
ein reiſeluftiges Völkchen warcn. Gar viele nahmen ihre Zuflucht in3 
Ausland. 
Auch ich verließ in: dem genannten Sommer das badiſche Muſter- 
ſändle, wo ich an der Bewegung teilgenommen hatte, und landete am 
Schluß des Jahres nach langer Walze im ſchönen Kärntnerlan9 
(Deſterreich). 
In dem reizend gelegenen Städtchen Villach, unweit des Wörther 
Sees. und der ſogen, Kärntner Front, an der ſich im jeßigen Weltkrieg 
die blutigſten Kämpfe abſpielten, fanid ich Kondition, wie ſich. der Buch- 
druder fachmänniſch ausdrüct.. Das Städtchen kiegt an der Bahn 
“ Wien--Venedig. Leizteres war mein Ziel, da3 ich aber nicht erreichte; 
- auß war ich froh, in. dem ſtrengen Wintex von der Landſtraße zu 
Fommen, In dem Städtchen befanden ſich zwei Buchdru>ereien, In der 
. einen davon erſchien eine Zeitung; ich arbeitete iz dem. anderen Kunſt- 
tempel. Die öſterreichiſchen Prinzipale ſtellten damals mit Vorliebe 
deutſche Gehilfen ein, weil dieſe nach ihrer Anſicht leijtungsfähiger waren 
als die öſterreichiſchen. 
Der erſte Mai 1893 rückte heran. Die Maifeier in Oeſterreich war 
damals ſchon weiter vorgeſchritten al38 in Deutſchland. In Wien z,. B. 
erſchien am 1. Mai keine Zeitung, und ſpäter ſetzten die öſterreichiſchen 
Buchdruckergehilfen es durch, den 1. Mai als einen tariflichen Feiertag 
feſtzulegen. Auch wir BuchdruFer des Städtchens, die wir ſämtlich im 
Verband waren, nahmen zur WMaifeier Stellung. 'Die Arbeiterſchaft ver- 
auſtaltete morgens eine Verſammlung und nachmittags einen Auzflug 
mit Muſik. Der Prinzipal der anderen Druderei gab ſeinem Pexſonal 
obne Abzug den ganzen Tag frei und ließ die Zeifung ausfallen. Mein 
Prinzipal konnte ſich nur dazu aufſchwingen, den Nachmittag freizu- 
geben, obwohl er feine Zeitung herausgab und vermögend war. Er 
hatte auch die amtkichen Arbeiten, die zum Teil in drei Sprachen, deutſch, 
italieniſch und ſloweniſch, gefeßt wurden. I< hielt jedoH an meiner 
Auffaſſung feſt: wir mußten auch vormitiags8 feiern, um an der De- 
monſtration3verfammlung teilnehmen zu önnen, die doch die Haupt- 
jache ſei. . Da3 tat ich denn. auch al3 einziger aer Drucderei, während 
- meine Druckereifollegen ſic) dem Willen des Pringipals fügten und nur 
nachmittag3 feierten, 
Die Verſammlung am Vormittag des 1, Mai war gut beſucht uns 
verlief recht lebhaft. Nedner der verſchiedenſten Nationalitäten, wie das 
nun einmal in Oeſterreich nicht anders ſein fann, amen zum Wort 
und traten mit flammender Begeiſterung für die Sache des Proletariats 
'ein. E3 durften jedoch nur Angehörige der öſterxreichiſch-ungariſchen 
Monarchie in der polizeilich überwachten Verſammlung reden, und AUR 
in deutſcher Sprache, Troßdem redete auch ein deutſcher Klempuer- 
gefelle aus Schleſien, .der ſich als Oeſterveichiſf ſ<-Schleſiex aus8gab. Von 
uns“ Buchdrudern nahm eiu junger ungariſcher Kollege das Wart, der 
beſonders temperamentvoll ſprach. Die Verſammlung war weſentlich 
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