Full text: Arbeiter-Jugend - 10.1918 (10)

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- dicht an der Front. Die 
. Kunſt übt auf ſie, wo 
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Arbeiter» Iugend 
 
Adolf Bruno: 
as iſt Kunſt? Die Frage iſt aus ehrlichem, reinem Forſcher- 
drang unendlich oft ſchon geſtellt worden =- beantwortet 
weit ſeltener. Jetzt aber wird die Frage häufig in einer 
Tonart geſtellt, in der eine ganz beſtimmte Antwort ſchon ein- 
beſchloſſen liegt, die geringſchäßige Antwort nämlich, daß jekt, in 
der Zeit de38 gewaltigen Weltkriegs, die Kunſt ein Überflüſſiges, 
der ungeheuren Wucht des Völkerringens nicht gewachſenes, 
leichtes Beiwerk einſtiger Friedenszeiten ſei, ein oberflächlicher 
Luxus, für den heute kein Platz mehr ſein könne. | 
Jeun iſt e8 ja klar, daß für Menſ<en, die im Krieg etwa da3 
höchſte Glück der Erdenkinder' ſehen ſollten, die Kunſt nur leicht 
viegen kann. Denn daß wenige Dinge ſo gegenſäkßlich ſind wie 
Krieg und Kunſt, dieſe 
Was iſt Kunſt? 
rem Bewußtſein löſ<hen, daß e38 Schönheit, Frieden und Kunſt 
gibt? Nein, da38 kann er nicht. ohl aber kann no< jedes er- 
kennbare ſchöne Bruchſtü>k der von ihm zerſchlagenen Häuſer und 
Kirc<en den Krieg für das Bewußtſein des Betrachters vorüber- 
gehend aufheben. Die Kunſt iſt alſo auch jett nicht unwirklich, 
ſie wirkt tiefer-al3 je, tiefer als der Krieg, der nur zerſtört. 
Wer iſt demnach wohl der Kräftigere? Die Kunſt oder 
der Krieg? 
Sicherlich die Kunſt! - 
Wober aber hat ſie ihre tiefe unzerſtörbare Kraft? 
Wäre die Kunſt nur ein gewiſſe3 Können, die Anwendung 
beſtimmter Erfahrungö3ſäkße der Farben-, Formen- und Tonlehre, 
 
Empfindung iſt freilich 
ſchr berechtigt. Es gibt 
nun aber WMenſchen, 
die von der Tatſache 
des Kriegs weniger be- 
zaubert ſind, Menſchen, 
denen nad wie vor ein 
Gedicht, ein Vild, eine 
Statue oder eine Sym. 
plonie etwas Koſtbares 
bedeutet, die in den 
Werken der Kunſt eine 
tiefere Kraft erkennen, 
al8 ſie in der ver-- 
nichtenden Geowaltſams- 
keit einer Granate ent- 
halten iſt. Und das 
ſind, glaube ich, nicht 
zulezt die Soldaten 
Schönheit der Natur 
und die Schönheit der 
ſie ihr begegnen, eine 
tiefe Wirkung aus, und 
es wird manchem [oo 
gegangen ſein, daß er 
über dem zarten, hohen 
Wuchs einer Tanne, 
über dem Glanz in den 
Zweigen einer beſonn- 
ten Weidengruppe vor 
einer einfachen Mauer 
für die Zeit der Be- 
trachtung den Krie 
vergaß: So einge- 
taucht war der Be- 
trachter in eine andere, 
ſ<önere Welt. Und 
dieſelbe Wirkung Üben 
dort draußen dic Werke- 
der Kunſt. Nicht alle 
Kameraden empfinden 
ſo, gewiß nicht, aber 
viele, ſehr viele, daß 
ihr gepeinigter und ae 
bekter Sinn ſic) für 
einige Zeit ſtärkt und 
tröſtet im Anblick eines 
ichönen Landhauſe3; 
das der Vernichtung 
nod entgangen iſt, hier - 
und da verſtreuter ſchöner Möbel, oder auc nur an den ke&en 
Farben einer ländlichen Küc<he-und der überraſchenden Lebendigkeit 
ihres eiſernen Herde3, -- Wenn aber noch ſo beſcheidene, zerſtreute 
Aeußerungen der Kunſt eine ſo tiefe, den Krieg zeitweilig ganz aus 
dem Bewußtſein treibende Kraft beſiken, wie ſollten wir da die 
Kunſt im ganzen gering einſchäßen, ſie, die uns in Städten, Domen 
und Tempeln, in großen Wandgemälden und in allen Arten der 
Dichtung und Muſik ſo unvergleichlic) Größeres geſchenkt hat? 
Die Leute, die jekt mit einem verächtlichen Unterton fragen: 
„was iſt Kunſt?“ und dabei die Achſeln zu>ken, können niemalS 
Kunſt empfunden haben, reden'alſo.wie der Blinde von der Farbe, 
Weit gefehlt, ſo ſagen wir, daß die Kunſt im. Krieg ihre Be- 
Deutung verloren habe, zeigt ſie ununterbrochen ihre Stärke, Ge- 
- wiß, der Krieg legt mit Granaten und Dynamit unzählige Kunſt- 
worke in Schutt und Staub -- das iſt wahr! 
ſeine äußere, brutale Gewalt, Kann er denn jemals aus unſe- 
 
Max Klinger: An die Schönheit. 
Aber das iſt nur 
„niSvolle Kraft kaum 
zu verſtehen. Sie wäre 
ANNE LE dann wohl imſtande, 
uns zu zerſtreuen, zu 
ergößen und qaORzuU- 
regen, aber unmöglich 
könnte ſie aus jenem 
Vermögen allein den 
Stürmen des Welt- 
kriegs troßen. Es muß 
alſo wohl etwas Tiefe- 
re38 hinzukommen, um 
die Werke unſerer gro- 
ßen Künſtler ſo außer- 
ordentlich einflußreich 
zu machen. Dieſes 
Tiefere nun iſt: das 
Gewiſſen. Aller- 
ding8, das Gewiſſen 
iſt unſichtbar, und wer 
ſeine Macht unter der 
ſichtbaren Geſtalt eines 
Kunſtwerks aus Farbe, 
JForm und Raum nicht. 
empfinden will, kann 
dazu nicht gezwungen 
werden. Und auch das 
4ſt richtig, daß nicht 
jeder Menſch» der ma- 
len oder meißeln ge- 
lernt hat und der nun 
dieſes Können dazu 
verwendet, Bilder 34 
Werfertigen oder Sta- 
tuen herzuſtellen, bei 
ſol<er Arbeit von ſei- 
nem Gewiſſen ange- 
trieben wird. ES gibt 
mehr al3 genug Men- 
ſchen, die ſich „Künſt- 
ler“ nennen, aber aus 
keinem anderen Grunde 
Maler oder Bildhauer 
- oder Muſiker geworden 
ſind, als um mit ihrem 
Können ein autes Ge- 
ſchäft zu machen. Solche 
Menſ<en können ſehr 
tüchtige Bürger ſein 
und ſollen durchaus mit 
keinem Makel behafs- 
| tet werden, nur eben 
Künſtler ſind ſie nicht 1 Denn der Künſiler arbeitet, weil er 
aus innerem Zwange ſchaffen muß, weil ihn ſein Gewiſſen an=- 
treibt, ohne daß er Nückſicht nehmen könnte auf jein geſchäftliches 
Intereſſe. Leute, die geſchäft8mäßig eine Kandſchaft, "eine 
Porträtbüſte nach der anderen herſtellen und verkaufen, können 
zwar ganz tüchtige Maler und Bildhauer, brauchen aber no< 
feine Künſtler zu ſein. Ob ſie es ſind, erkennen wir daran, ob 
un38- aus ihren Schöpfungen die Stimme des Gewiſſens ents= 
gegentlingt. Wer ſein Gefühl ſchärft und darauf achtet, lernt 
allmählich den Unterſchied erkennen. Es gibt Künſtler, bei -denen 
die Macht des Gewiſfns eine gang hinreißende Wucht erhalten 
bat, 3. B., um nur einen zu nennen, von dem hier kürzlich die 
Nede war: Vincent van Gogh. - : 
Welcher Art iſt nun dieſes Gewiſſen, und was iſt mit dieſem 
ia. 
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ſo wäre ihre geheim- 
. -e-'" 
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emed 
 
Ausdruck überhaupt gemeint? Sollen wir uns etwa den Künſtler 
al3 einen verkappten Schulmeitter und Moralprediger vorſtellen?
	        
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