*-
- dicht an der Front. Die
. Kunſt übt auf ſie, wo
68
Arbeiter» Iugend
Adolf Bruno:
as iſt Kunſt? Die Frage iſt aus ehrlichem, reinem Forſcher-
drang unendlich oft ſchon geſtellt worden =- beantwortet
weit ſeltener. Jetzt aber wird die Frage häufig in einer
Tonart geſtellt, in der eine ganz beſtimmte Antwort ſchon ein-
beſchloſſen liegt, die geringſchäßige Antwort nämlich, daß jekt, in
der Zeit de38 gewaltigen Weltkriegs, die Kunſt ein Überflüſſiges,
der ungeheuren Wucht des Völkerringens nicht gewachſenes,
leichtes Beiwerk einſtiger Friedenszeiten ſei, ein oberflächlicher
Luxus, für den heute kein Platz mehr ſein könne. |
Jeun iſt e8 ja klar, daß für Menſ<en, die im Krieg etwa da3
höchſte Glück der Erdenkinder' ſehen ſollten, die Kunſt nur leicht
viegen kann. Denn daß wenige Dinge ſo gegenſäkßlich ſind wie
Krieg und Kunſt, dieſe
Was iſt Kunſt?
rem Bewußtſein löſ<hen, daß e38 Schönheit, Frieden und Kunſt
gibt? Nein, da38 kann er nicht. ohl aber kann no< jedes er-
kennbare ſchöne Bruchſtü>k der von ihm zerſchlagenen Häuſer und
Kirc<en den Krieg für das Bewußtſein des Betrachters vorüber-
gehend aufheben. Die Kunſt iſt alſo auch jett nicht unwirklich,
ſie wirkt tiefer-al3 je, tiefer als der Krieg, der nur zerſtört.
Wer iſt demnach wohl der Kräftigere? Die Kunſt oder
der Krieg?
Sicherlich die Kunſt! -
Wober aber hat ſie ihre tiefe unzerſtörbare Kraft?
Wäre die Kunſt nur ein gewiſſe3 Können, die Anwendung
beſtimmter Erfahrungö3ſäkße der Farben-, Formen- und Tonlehre,
Empfindung iſt freilich
ſchr berechtigt. Es gibt
nun aber WMenſchen,
die von der Tatſache
des Kriegs weniger be-
zaubert ſind, Menſchen,
denen nad wie vor ein
Gedicht, ein Vild, eine
Statue oder eine Sym.
plonie etwas Koſtbares
bedeutet, die in den
Werken der Kunſt eine
tiefere Kraft erkennen,
al8 ſie in der ver--
nichtenden Geowaltſams-
keit einer Granate ent-
halten iſt. Und das
ſind, glaube ich, nicht
zulezt die Soldaten
Schönheit der Natur
und die Schönheit der
ſie ihr begegnen, eine
tiefe Wirkung aus, und
es wird manchem [oo
gegangen ſein, daß er
über dem zarten, hohen
Wuchs einer Tanne,
über dem Glanz in den
Zweigen einer beſonn-
ten Weidengruppe vor
einer einfachen Mauer
für die Zeit der Be-
trachtung den Krie
vergaß: So einge-
taucht war der Be-
trachter in eine andere,
ſ<önere Welt. Und
dieſelbe Wirkung Üben
dort draußen dic Werke-
der Kunſt. Nicht alle
Kameraden empfinden
ſo, gewiß nicht, aber
viele, ſehr viele, daß
ihr gepeinigter und ae
bekter Sinn ſic) für
einige Zeit ſtärkt und
tröſtet im Anblick eines
ichönen Landhauſe3;
das der Vernichtung
nod entgangen iſt, hier -
und da verſtreuter ſchöner Möbel, oder auc nur an den ke&en
Farben einer ländlichen Küc<he-und der überraſchenden Lebendigkeit
ihres eiſernen Herde3, -- Wenn aber noch ſo beſcheidene, zerſtreute
Aeußerungen der Kunſt eine ſo tiefe, den Krieg zeitweilig ganz aus
dem Bewußtſein treibende Kraft beſiken, wie ſollten wir da die
Kunſt im ganzen gering einſchäßen, ſie, die uns in Städten, Domen
und Tempeln, in großen Wandgemälden und in allen Arten der
Dichtung und Muſik ſo unvergleichlic) Größeres geſchenkt hat?
Die Leute, die jekt mit einem verächtlichen Unterton fragen:
„was iſt Kunſt?“ und dabei die Achſeln zu>ken, können niemalS
Kunſt empfunden haben, reden'alſo.wie der Blinde von der Farbe,
Weit gefehlt, ſo ſagen wir, daß die Kunſt im. Krieg ihre Be-
Deutung verloren habe, zeigt ſie ununterbrochen ihre Stärke, Ge-
- wiß, der Krieg legt mit Granaten und Dynamit unzählige Kunſt-
worke in Schutt und Staub -- das iſt wahr!
ſeine äußere, brutale Gewalt, Kann er denn jemals aus unſe-
Max Klinger: An die Schönheit.
Aber das iſt nur
„niSvolle Kraft kaum
zu verſtehen. Sie wäre
ANNE LE dann wohl imſtande,
uns zu zerſtreuen, zu
ergößen und qaORzuU-
regen, aber unmöglich
könnte ſie aus jenem
Vermögen allein den
Stürmen des Welt-
kriegs troßen. Es muß
alſo wohl etwas Tiefe-
re38 hinzukommen, um
die Werke unſerer gro-
ßen Künſtler ſo außer-
ordentlich einflußreich
zu machen. Dieſes
Tiefere nun iſt: das
Gewiſſen. Aller-
ding8, das Gewiſſen
iſt unſichtbar, und wer
ſeine Macht unter der
ſichtbaren Geſtalt eines
Kunſtwerks aus Farbe,
JForm und Raum nicht.
empfinden will, kann
dazu nicht gezwungen
werden. Und auch das
4ſt richtig, daß nicht
jeder Menſch» der ma-
len oder meißeln ge-
lernt hat und der nun
dieſes Können dazu
verwendet, Bilder 34
Werfertigen oder Sta-
tuen herzuſtellen, bei
ſol<er Arbeit von ſei-
nem Gewiſſen ange-
trieben wird. ES gibt
mehr al3 genug Men-
ſchen, die ſich „Künſt-
ler“ nennen, aber aus
keinem anderen Grunde
Maler oder Bildhauer
- oder Muſiker geworden
ſind, als um mit ihrem
Können ein autes Ge-
ſchäft zu machen. Solche
Menſ<en können ſehr
tüchtige Bürger ſein
und ſollen durchaus mit
keinem Makel behafs-
| tet werden, nur eben
Künſtler ſind ſie nicht 1 Denn der Künſiler arbeitet, weil er
aus innerem Zwange ſchaffen muß, weil ihn ſein Gewiſſen an=-
treibt, ohne daß er Nückſicht nehmen könnte auf jein geſchäftliches
Intereſſe. Leute, die geſchäft8mäßig eine Kandſchaft, "eine
Porträtbüſte nach der anderen herſtellen und verkaufen, können
zwar ganz tüchtige Maler und Bildhauer, brauchen aber no<
feine Künſtler zu ſein. Ob ſie es ſind, erkennen wir daran, ob
un38- aus ihren Schöpfungen die Stimme des Gewiſſens ents=
gegentlingt. Wer ſein Gefühl ſchärft und darauf achtet, lernt
allmählich den Unterſchied erkennen. Es gibt Künſtler, bei -denen
die Macht des Gewiſfns eine gang hinreißende Wucht erhalten
bat, 3. B., um nur einen zu nennen, von dem hier kürzlich die
Nede war: Vincent van Gogh. - :
Welcher Art iſt nun dieſes Gewiſſen, und was iſt mit dieſem
ia.
id
.. 8 om .
ſo wäre ihre geheim-
. -e-'"
- |Y bd
emed
Ausdruck überhaupt gemeint? Sollen wir uns etwa den Künſtler
al3 einen verkappten Schulmeitter und Moralprediger vorſtellen?