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Eingetragen in die Poſt- Zeitungslifte.
Nr. 10| *
Bom neuen Geiſte.
ir erinnern uns wohl alle noch des dicken Bibelbuchs, der
ſagendur<wobenen Geſchichtschronik eines Volkes, das ſich
| troß Not und Elend und Knechtung den Glauben nicht
nehmen ließ, zu großen Dingen auserwählt zu fein. Von Geſchlecht
zu Geſchlecht vererbte ſich die Verheißung vom Meſſias, der kommen
Würde, ſein Volk zu erlöſen. - Als er aber wirklich kam, da wurde
er verlacht und verhöhnt, denn niemand wollte glauben, daß der
Sohn eine38 Zimmermanns dazu berufen ſein ſollte, die Welt zu
erobern. Noch dazu ohne Waffen und Wehr,
Armee = juſt mit einem Trüpplein Tagelöhner, Fiſcher und
Zöllner, mit denen er durchs Land 390g und von Liebe, Brüder-
lichkeit und Gerechtigkeit predigte! Eine Weile ließ man ihn ge-
- währen, bis er als Aufrührer gefährlich erſchien. Da ſchlug man
des Menſchen Sohn ans Kreuz, und ſein Stern erloſc< in der
Nacht auf Golgatha. Nach drei Tagen aber ſtand er wieder auf,
wandelte unter den Menſchen, und es wurden immer mehr, die
Ihm nachfolgten. |
„Und als der Tag des Pfingſten erfüllet war," kam über ſeine
Anhänger ein neuer Geiſt; ſie redeten „mit anderen Zungen“,
und die Männer der verſchiedenſten Länder und Sprachen ver-
ſtanden einander. Die neue Lehre breitete ſic) aus, bot dem
Anſturm aller Gewalten Troß und trat ihren Siegeszug über die
ganze Erde an.
- *
Wir wollen hier nicht nachprüfen, warum das Chriſtentum der
Menſchheit kein25wegs die Erlöſung vom Uebel gebracht hat, laſſen
auch dahingeſtellt, inwieweit das, was die Legende erzählt, auf ge-
ſc<ic<htlicher Begebenheit beruht. Fühlen wir doch den ſtarken Hauch
eines uralten Menſ<heitstraums durch unſere Scelen wehen, die
Sehnſucht nach Friede und Zuſammenarbeit, nach Würde uad
Freiheit in einer Welt des Saſſes, der Vernichtung, des Krieges -
und der Aus3beutung des einen durch den anderen. Nach neuem
Geiſte, einem neuen Meſſias ſchreit die Welt, nac< Erlöſuna aus
der Enge, aus kiefſter Bedrängnis. .
. * |
Er weilt längſt unter uns, dieſer nene Geiſt. Koiner von
Schwerts5gewalt, auch er ein im Stalle Geborener, ein von der
Not Geſäugter, der nicht die Reichen und Mächtigen der Erde,
jondern Tagelöhner und „geringes Volk“ zu Freund und Geſellen
. Dat und nur die Macht der Liebe und der Vernunft predigt: der
Sozialismus!
= Auch dieſer Meſſias hat ſeine Bekufung. Nicht in getader
Linic vollzieht ſich der Aufſtieg der Geſellſchaft, ſondern in Ent-
wicklungsabſchnitten, deren jeder Aufkommen, Blüte und Nieder-
gang in ſich ſc<licßt. Im Sc<hoße des Alten aber keimt das unerhört .
Neue auf, erſt als Traum, dann als Wille und zulekßt als befreiende
: Zat.
Dieſem Werden wohnt eine unumſtößliche Geſezmäßigkeit
„anne, die gleiche, die der Verjüngung der Natur und der Menſch-
werdung zugrunde liegt.
Mag darum auh der Krieg den Zuſammenbruch einer Kultur
bedeuten, ſo doch nicht der Kultur überhaupt, die mit deni Namen
Menſ< unlöslich vertniipft iſt. Die überlebte Form ſtirbt, um
- die Notwendigkeit einer neuen zu beweiſen. Auch der Menſchheit
.. Weg geht über Golgatha,
„werben, mächtig und verklärt, und die Nägelmale werden ſeine
Unſterblichkeit kundtun.
Dis daß wiederum der Täg des Bina erfüllet: wird, der:
Berlin, 18. Mai
ohne eine ſtarke .
“harren der Hilfe, die ihnen nur aus der Kraft
Sdeale, ruhen in fremder Erde.
Aber ihr guter Geiſt, der heute am“
Kreuz zu verenden ſcheint, wird auferſtehen, wird um die Zukunft
„. Qefaßt:
„Barbaren“ beendet, ſo wird er in unerhörter Wucht auf der inneren
Expedition: Buchbandlung Vorwärts, Paul
Singer G. m. b. H, Lindenſtraße 3. Alle Zu-
ſchriften für die Redaktion ſind zu richten
an Karl Korn, Lindenſtraße 3, Berlin SW, 63
Tag des neuen Geiſtes, des SozialiSmus38 -- der jungen Menſc<h-
beit3zufkunft.
. *
Unſerer Zukunft! Denn auch wir ſind jung. Mancher vor
denen die alt wurden in einer alten Zeit, mag den Glauben an
beſſere Tage vergraben. Wir dürfen es nicht, wir können es
nicht.
Dreifach iſt in un38 die Qual. mit der wir jungen ſozialiſtiſchen
Arbeiter im Weltwirbel ſtehen.
Weil wir jung ſind, iſt uns der Tod etwas, gegen das wir
un3 mit aller unſerer Kraft aufbäumen, wir, die wir unſer Leben
und unſere Ziele erfüllt ſehen wollen. Eine Lüge iſt e8, der Tod
ſei ſchön in der Jugend; es gibt nichts, was bitterer iſt.
Weil wir Sozialiſten ſind, ſehen wir im Krieg ein Unaluück.
Für unjer Volk wie für die Menſ<heit. Wir haben ſeine Urſachen,
die im tiefſten Grund unſerer Geſellſichaft8ordnung wurzeln, ex-
kannt und befämpft. Nun er über uns hereingebrochen wie ein
Hagelwetter in den Frühlingstag, bleibt uns nichts übrig, als die
Stunde herbeizuführen, die wieder Möglichkeiten der Gemeint»
ſamkeit gibt. .
Weil wir Arbeiter ſind, ſind wir Feinde der Zerſtörung. Un3
iſt die Arbeit nie das bloße Mittel zur Lebensfriſtung geweſen,
uns war ſie heiliger Kulturdienſt. Wir ſehen in allen Werktaten
auf Erden Denkmäler der Kraft und des Geiſtes, die Schweiß
und Blut und Glü> gekoſtet haben. Wir brauchen au, foll uns
unſere Arbeit mit Genugtuung erfüllen, das Bewußtſein, Auf-
bauende zu ſein. Aufbau aber bedingt Zuſammenwirken, die Unter-
ſtellung des Perſönlichen unter das gemeinjame Ziel, und für die
gejunde Perſönlichkeit grbt es nichts Höheres, als ſich im ganzen
auszuwirken. Das iſt die Harmonie, die nach unjferem Willen
das Weltgetriebe leiten ſol und muß, ſoll das Chaos der Gegenwart
überwunden und für alle Zukunft beſeitigt werden. Das gilt für
die Arbeit in unſeren Organiſationen, das gilt für das Leben
unſeres Volkes wie für den Verkehr der Volker zueinander.
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Die Zukunft verlangt nach uns, nach unſcren jungen Armen,
die unverzagt das Werk aufnehmen wollen, nach unſerem Pfingſt-
geiſt, der inbrünſtig und voll ſtarker Gläubigkeit mit neuen Zungen
redet, Unüberwindlich ſcheinende Schwierigkeiten ſtehen uns ent-
gegen. Trümmerfelder liegen vor uns.
Unſere Loſung beißt: Arbeit und Kampf.
Arbeit! Witwen und Waiſen, Kranke und Verkriüppelte
der gejunden
Volksgenoſſen werden kann. HSunderttaufende verlangen nach
Seimſtätten. Pflüge warten auf den Feldern, Maſchinen in den
Fabriken, das zu ſchaffen, was not tut: Brot und friedliche Arbeit.
Das iſt nicht alles. Unſere Organiſationen haben nicht wenig
durch den Krieg gelitten. Viele der Beſten, der Träger unſerer
Mancher iſt in der Kriegs8not
milde geworden und: hat der Bewegung den Rücken gekehrt. Das
jihlimmſte aber iſt, daß Meinungsverſchiedenheiten, deren Aus-
trag in friedlicher Weiſe ſonſt immer möglich war und wieder mög-
lich werden muß, den Geiſt der Gemeinſamkeit zerſetzt, die Organi-
fätionen vielfach zerſtört haben. Dieſer Geiſt der Einheit, der in
der Gleichheit unſerer Lebenslage und unſerer Lebensziele wurzelt,
muß uns neu erfüllen, wollen wir unſerer Aufgabe gerecht werden.
. Unſere Aufgabe aber iſt der Kampf, der Kampf, der ſ<hon
heute in den De>kungsgräben: des' Burgfriedens tobt, Macht euch
iſt erſt einmal der Außenkampf „mit dem Rüſtzeug der