aber gemeſſen an den ſozialiſtiſchen Forderungen, tut ſie das nur
in ſehr beſchränktem Umfang. Und ſie verfolgt nicht etwa die
Abſicht, das arbeitsloſe Einkommen zu beſeitigen, ſondern ſie iſt
im Gegenteil einzig de3halb geſchaffen, um -die beſtehende kapita-
liſtiſ<e: Wirtſhaft8ordnung aufrehtzuerhalten. Während der
Sozialiamus durch Steigerung der Gütererzeugung eine möglichſt
reichliche Befriedigung des Bedarfs aller Geſellichaft8mitglieder
erzielen will, kommt es der Kriegswirtſc<haft8politik vor allem
darauf an, daß der einzelne in der Befriedigung feines Bedarfs
eingeſchränft wird, damit nicht bei der Knappheit der vorhandenen
Vorräte ein Teil de38 Volke8 ganz leer au8geht. Dabei hat die
Kriegswirtſchaft8politik dieſe3 ihr Ziel nur ſehr unvollkommen exr-
reicht; troß der Fülle der Verordnungen können die Landwirte
und auc<ß die Wohlhabenden no immer viel beſſer leben als die
aroße Maſſe der mittelloſen Induſtriebevölkferung.
Aber auch dieſer Mißerfolg der Kriegswirtſc<aft erklärt ſich
leicht durc< ihren fundamentalen Unterſchied vont Soziali8mus,
Die kriegswirtſchaf tlichen Maßnahmen mußten unter dem Druck
der Not in ganz furzer Zeit plößlich vorgenommen werden, während
der SozialiSmus inimer nur mit einem allmählichen und vor»
ſichtigen Umbau der Volkswirtſchaft gerechnet hat. Außerdem iſt
man aus Rückſicht auf die Wünſche der Gütererzeuger nur zögernd
vorgegangen und hat ſich oft mit Halbheiten begnügt. Daher
können die ungenügenden Erfolge der Krieg8wirtſchafts3politik gat
nichts für oder wider die Zwe>mäßigkeit und Durchführbarkeit
de8 Sozialiamus8 beweiſen. Wenn man aber durc<aus irgend
etwas als bewieſen anſehen wollte, ſo könnte man die wirtichaſft-
lichen Erfahrungen der Kriegs8zeit nur zugunſten de8 SozialiSmus
deuten. Nur dadurch, daß man jekt, in der Zeit der ärgſten Not,
in das freie Spiel der Kräfte eingegriffen hat, iſt e3 gelungen,
das Schlinumſte zu vermeiden. Wäre 03 nach den Leuten gegangen,
die überhaupt nichts wiſſen wollen von Eingriffen des Staats
in das Wirtſchaft5leben, fo müßten wahrſc<einlich für alle Waren
ſo hohe Preiſe gezahlt werden, wie ſie heute im ſogenannten
Schleichhandel üblich ſind. Die Neichen könnten ſo weiterleben
wie im Frieden, aber die breiten Maſſen würden nicht nur hum
gern, ſondern ein Teil der Bevölkerung würde bei dem Mangel
an Nahrungs3mitteln, den der Krieg über Deutſchland gebracht hat,
geradezu verhungern, und dann wäre auch die Verteidigung
unſeres Landes nach außen nicht mehr möglich.
Deswegen fann man wohl mit Fug und Recht ſagen, daß
unſere Kriegswirtſchaftspolitif, ſoviel auch mmumer an ihr auszit-
ſeßen bleibt, Deutſchland vor einer fürchterlichen Kataſtrophe be-
wahrt hat. Aber mit SozialiäSmus hat fie nichts zu ſchaffen,
Maz Sads.
Trude, der Lausbub.
- Von Th. Thomas.
ir nanuten fie einfach Trudhen. Auf ihrem Schsnſchreibheft
5 ſtand Gertrud Staußenbac<h. Wäre ſie ein Junge geweſen, die
Abteilung „Lausbuben I mit eincm Strich“, wie unſer Lehrer
fagte, hätte an ihr ein würdiges Mitglied gehabt.
Wenn Trude auftaudte, ſpißten wir die Ohren, weil dann immer
ein „Mords8ſkanda!l“ in Ausſicht ſtand, Ehrlich geſagt, die Jungens in
der Schule konnten ſie nie ſo recgzt leiden. Wir ſtupften uns gegenſeitig
in die Rippen, wenn ſie ſich zeigte. Sie hatte ſo etwas Schnippiſches,
oder auh Ueverlegene3 an ſich.
Manchmal verulkten wir Trude, aber nur, wenn wir außer ihrem
Bereich waren. Ihr macte es nämlich gar nichts au2, ab und zu einen
von uns „Erſtfläſſigen“ gehörig zu verdreſchen. Aver nicht mit. offenem
Hieb in offener Schlacht -- i wo! Ganz ſchmeicieriſch kam ſie auf ihr
Opfer zu, das meiſt keine Ahnung hatte, weil ſich Trude mit ihrer Rache
immex reichlich Zeit ließ, um ſie dann um ſo ergiebiger au8zuüben, Zu
ver Regel ſpielte ſich ihr Angriff etwa ſo ab:
„Du, Heinrich, ich hab' e' ſchönes Buchzeichen für D
haben?“ Heinrich ahnungslo3: „Gi fein, Du. Wo denn, zeig 3
„Komm nur her, hier in der Bibel hab' ich's.“
Hatte ſie ihr Opfer nahe genug herangelodt, ſo blätterte ſie ſchein-
bar noch ein paar Seiten um. Aber au3 ihren Augen ſprühten Bliße,
die Lippen ſchloſſen ſich zu einer ſchmalen, dünnen Linie. Auf eimmal:
Rrrrrrt, fauchte ſie wie eine Schlange lo8. Sie biß und kraßte ſa derb
um ſich, daß der Betroffene allemal abzog, wie ein naſſex Pudel, oder
013 ob ihn zehn Meßgerhunde in der Arbeit gehabt hätten. Dann ſchmiſz
Trude dem Zerſ<hundenen gewöhnlich noh ein ſaftiges Schimpfwort
nach und hing ihre Flagge raus. Jhxre Flagge, das war ihre Zunge,
Veberhaupt ihre Zunge « « „ na ..»
mal!“
Sozialismus und Ethik.*)
ämpfend muß der SozialiSmus jeden Fußbreit Boden der
Zukunft abringen; mit vollen Lungen atmet er Kritik der
Vergangenheit. Er iſt Mutter und Tochter einer Philoſophie
zugleich. Er wurzelt in der Wirtſchaft3- und Geiſte3geſchichte der
Menſchheit und gebiert aus ſich eine neue. Sein Element iſt das
volle lebendige Leben der Menſchen untereinander. Das betrachtet,
ſtudiert er mit den ſcharfen Augen ſeiner jungen Wiſſenſchaft. Er
betrachtet es aber nicht nur, er beurteilt es auch, er vergleicht, er
legt einen Maßſtab an, er wertet e8, Er will, daß da8, wa38 er für
richtig erfannt hat, auch durchgeſeßt wird. Er will die Welt
ändern, beſſern. Iſt jo das erſte Erfordernis für den Sozialiſten
Klarheit des Erkennens, Schulung ſeine3 Denkens, Wiſſenſchaft
in ihrem ſtrengen, kühlen Sinn, ſo iſt nicht minder wichtig für ihn,
ja untrennbar damit verbunden, ſtarkes Wollen, energiſches
Werten, Entſcheidung für das als recht Erkannte.
Damit begibt ſich der SozialiSmus, wie die Bürgerliche
ſagen, auf das philoſophiſche Gebiet der Ethif, der Sittlichkeit.
Nac) ſeiner eigenen Auffaſſung entfaltet er aus ſich, erlebt und
lebt ex eine neue Ethik, eine neue Sittlichkeit. Er begründet eine
neue Theorie von dem, was gut iſt, was gut ſein foll. Und inner-
halb des großen Werdens einer ſozialiſtiſchen Weltanſchauung
wird von allen und, man kann ſagen am leidenſchaftlichſt en gerade
von den Ungeſchulten, von denen, die zunächſt nicht aus voller Er-
kenntnis, aber doch mit dem ganzen Herzen zum Soziali8n1ms
ſtehen, dieſe neue Sittlichkeit diskutiert, dagegen die Sittlichkait
de3 Bürgertums, des Chriſtentums kritiſiert.
Schon dem Unbefangenſten fällt ja auf, daß überall, wo in
der Welt Menſchen zuſammenleben, gewertet wird, von Gut und
Böſe geſprochen wird. Mag er ſich in der Geſchichte umſehen, bei
primitiven Völkern, bei Chineſen und Indern, in der Zeit des
Sklaventums, des JFeudaliveſens, des Kapitali8mus, mag er unter
<riſtlich Gefinnten leben oder unter Verbrechern: inner kann er
beobachten, wie Völker und Staaten werten, anklagen umd ic
verteidigen. Er kennt als Sozialiſt den Gegenſaß der Klaſſen.
ſelbſt lebt unter beſtimmten Geſ ſeen, einer Wertordnung, die iv
mit iunmer drohender Gebärde einzwiagen will, was ihrer An-
jhauung nach recht iſt. Sie umdroht ihn al3. Anyänger der Partei.
und als Mitglied der Gewerkſchaft. Er führt einen ſtetigen Kampf
nit ihr, am deutlichſten ſichtbar im Streik.
Die Sprache ſchon zeigt uns, wie brennend all dieje Fragen
für Menſchen waren und ſind. Sie kennt unzählige Ansdricke, die
fich irgendwie auf Wollen, Sollen und Handeln beziehen: unwahr-
haftig, lieblos, gierig, feige uſw. Dieſe Wertungen ſind etivas
andere38 als bloße Feſtſtellungen, Konſtatierungen eines Tat-
beſtandes, wie etwa: rot, blau, muſikaliſch, ſ<werhörig uſw. Ju
albernſten Klatſch kommt dieſer Hang zum Ausdru>. Abor auch
gerade hierin iſt am klarſten zu erkennen, wie wichtig für jeden
*) Vgl. Artikel „Was iſt Philoſophie?“ in Nr, 3/4,
Wir hatten von unſerem Lehrer Natmann ztvar gelernt, die Zunge
ſes ein fräftiger und beweglicher Muskel, der vermittelſt dex zahlioſen
in ihm endigenden Geſchmad3nerven vox allem zum Schmegcen diene,
Mag ſein! Aber Trudes Zunge war ſichex nicht für dieſen Ziwe> exrx-
Ichaffen: fie wax ihr cine wertvolle, für die übrige Mitwelt jedod) ſehr
gefährliche Waffe. Was dem Wilden ſein Pfeil, dem Jäger ſeine
Büchſe, da3 war Trude ihr Geſchmadzsorgan.
Von der gerade ſichtbaren, roſigen Spile, die ſic necliſch- zierlich
zwiſchen den Zähnen zeigte, wobei ſie ihre etwas ſehieſen Acuglein her-
unterzog, bis zum wütenden Herausreißen des muskulsöfen Organs it
ſeiner ganzen Länge handhabte ſie ihren „Sähmedbecßer“ in allen Lagen-
mit einer Meiſterſchaft, die verblüffend wirkte, Sie beſaß die fkunſt-
volle Begabung, mit Hilfe der Zunge ihre Feinde auf zehn Meter Ents-
fernung und mehr zu „deforieren“. Sie tvaf faſt immer, kam auch nie
in Verlegenheit wegen der flüſſigen Munition, . .. -
Wir Jungens beneideten ſie aufrichtig um dieſe Kuuſt und gaben
ans allge Mühe, ſic auch zu erlernen. Aber unſere Zunge var zu ſchiper-
fällig, dex Mund zu troden -- wir kamen nicht mit.
Eince3 Tages, ais ſie mich beſonders auszgeichnete und ich mit ihr
wielen durfte, verſuchte ich, Einzelunterricht bei ihr zu nehmen:
„Txude, Du kannſt ſo fein ſpuden, wic machſte das eigentlic) ?*
„Hc he, das i3 doch ganz einfach. Du kannſt e3 ſelber, Du Affe . . .“
I< ließ mich aber fo leicht nicht abweiſen, zudem war ihr Künftler-
fiolz ein flein wenig geſchmeichelt.
„Paß mal uf, wie De das machſt," ſagte ſie. Schnell lief ſie mitten
auf die Straße, ſal) mit blißenden Augen auf mich =- und noch ehe ich
recht begriffen hatte, was e3 nun geben ſollte, mußte ich mich auch ſchon
mit deim Taſchentuch abtro>nen.
„So, uu 1wecſt es, Du Duſſeltier, Dat denkſt wohl, Du kannſt mich
veralbern, Du Stachelſchwein!"“ Damit rannte ſie fort. JI aber ſtand
da und ließ mid) auslachen, |