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Preis der Einzelnummer 40 Pfennig
Nr. 18 |
Äbonnement vierteljährlich 2,-- Mark
Eingetragen in die Poſt-Zeitungslijte
Berlin, 6. September
Expedition: Buchhandlung Vorwärts, Paul
“Singer G. m. b. H, Lindenſtraße 3. Alle Zu-
ſchriften für die Redaktion ſind zu richten
an Karl Korn, Lindenſtraße 3, Berlin SW. 63
1919
=
Schule oder Lernſtreik?
n Berlin ſtreikte kürzlich ein Teil der Jortbildungsſchüler.
: Der Streik wurde von einer geringen Anzahl Zugend-
licher unter Führung einiger Drahtzieher von der „Freien
(kommuniſtiſchen) Jugend“ in einer Verſammlung beſc<lojjen;
eine Abſtimmung in den Schulen fand nicht ſtatt. Die große
Maſſe der Jortbildungsſchüler hatte alfo gar feine Gelegenheit,
zur Streikfrage Stellung zu nehmen und ihre Meinung durch
eine Abſtimmung zum Ausdru>E zu bringen, ſie wurde ganz ein
fach vor vollendete Tatſachen geſtellt. "Das iſt nicht weiter verwun-
derlich, denn wer unjere Jreunde von links kennt, der weiß, daß
ihnen nicht3 gleichgültiger iſt als das Recht und die Meinung der
Jugend, und 'daß es ihnen nur darauf anfommt, ihr Schäfchen
in8 Tro>ne zu bringen. Darum wurde einfa< ins Blaue hinein
geſtreift; von einer genügenden Vorbereitung dieſer Aktion war
überhaupt keine Rede. Dazu kam, daß ihr Zeitpunkt herzlich
ichle<ht: gewählt war: kurz vor Beginn der großen Schulferien gab
man die Streikparole aus. Nach Scluß ider Ferien wurde die
Aktion fortgeſeßt, natürlich mit noh geringerem Erfolge als vor-
her. Selbſtverſtändlich hatten auch die Anhänger unterer Nugend»-
bewegung keine Urſache, ein 19 plan- und hoffnungslojes Unter-
nehmen zu unterſtüßen und ver „Jreien Jugend“ die Kaſtamen
aus dem Jeuer zu holen; ſie beteiligten ſich nicht daran und jo
Em denn, wa38 nach Lage der Dinge kommen mußte: der Streit
pracß kläglich zujammen. un
Ein Sculſtreik iſt überhaupt ein zweifelhaftes Mittel, um
Jorderungen dur<zuſeßen. Man fann ihn nicht mit einem wirt-
ichaftlichen Streik vergleichen, der ſich gegen den Unternehmer
richtet und daher völlig andere Ziele und auch einen ganz anderen
Charakter hat. Bei einem Schulſtreif weiß man nicht, gegen wen
or ſic eigentlich richtet. Gegen den Lehrer ſicher nicht, jondern
yöchſtens gegen vie örtlihe Schulbehörde, die aber auc< wieder
anderen Körperſchaften, lebten Ende3 dem Unterrichtsminiſterium,
unterſtellt iſt. Ganz abgeſehen davon aber ſind -=- ſoweit es fich
nicht um die verwaltungste<hniſche Seite handelt = Sdulfragen
nur durch die Geſetgebung zu löſen; mit einem örtlichen Schul-
'treif läßt ſich nac< dieſer Richtung hin nichts erreichen.
Ym übrigen aber iſt oin Streik dieſer Art ein jehr ZiVel-
jhneidiges Schwert, und die Geſchädigten ſind ausſ<hließlich die -
Streikenden ſelbſt. Die Jortbildungsſchule iſt eine gemeinnüßige
Einrichtung, die in erſter Qinie den Intereſſen der Jugend dient.
Zie hat gewiß ihre Mängel und bedarf noch ſehr des inneren
Aufbaues; aber deſſenungcachtet iſt fie doc< eine wertvolle Ein-
richtung und gibt der berufstätigen Jugend Gelegenheit, ihr
Wiſſen zu vervollſtändigen und ſich in ihrem Berufe fortzubilden.
Gerade die arbeitende Jugend mit ihrer ungulänglichen Volk3ſ<ul-
bildung muß jede Möglichkeit, zu lernen, rſtl9o8 ausnußen. Sie
darf ſich nicht ſelbſt dieſer Möglichkeit, wenn auch nur für kurze
Zeit, berauben. Was bei einem Streit von längerer Dauer in
dieſer Beziehung verſäumt wird, läßt ſich kaum wieder nachholen;
aber ſelbſt, wenn Der Streik nicht lange dauert, iſt der Schaden
groß genug. Außerdem wird dadurch Ser Gedanke des Lernens
ſelbſt diskreditiert und daran hat die arbeitende Yuüugend am aller-
wenigſten ein Intereſſe. Man kann daher eigentlich nur von einem
Lernſtreik reden, der ſich allein gegen die Lernenden richtet
und ſ<ließlich an ſeinem eigenen Widerſinn gugrunde gehen muB.
E35 iſt nicht wie bei einem wirtſchaftlichen Streik, bei dem der
Unternehmer geſchädigt und dadur< ſc<ließlich gezwungen wird,
nachzugeben. Bei einem Lernſtreik iſt allein der Schüber. der Ge-
ſGädigte und darum iſt ein |
Scheitern verurteilt.
Damit foll über den Sculſtreik m<ht unier allen Umſtänden
ver Stab gebrochen werden. CZ wäre dur<aus denkbar, daß in
einer Schule jolh grobe Mikßitände beſtehen, daB den Schülern
die Freude am Lernen vergällt wird und nur ein Streif, der ge-
wiſſermaßen eine Flucht in die Oeffentlichkeit bedeutet, Abhilfe
ſchaffen kann. Aber auch dann ift Vorbedingung, daß alle Schüler
ſich geſ<loffen daran beteiligen und alle anderen Mittel zur Ab-
hilfe vorher ertqöpft iind. Jedenfalls dar] man mit dem G2-
Santen des Lernſtreifs nicht ſpielen, wie dies in Berlin geicheben
iſt, und ihn nur für den alleräußerſten Fall in Erwägung zieden,
von dem man wünſchen muß, daß er beſſer nicht eintritt.
So fehr wir allo dem Cernirreit im allgemeinen als einerm
untauglichen Mittel ablehnend gegenüberſtehen, io entichieden
müſſen wir auf der anderen Seite unſere Forderungen zur
RNeformder Fortbildungs] <hule betonen. Wir fordern
Sie Abſhaffung der Arreit- und Rrügelſtrafe, foweit ſie noch Dbe-
olche3 Unternehmen von jelbſt zum
ſteht, ferner die Verlegung des Unterrichts in die Tages-, am beiten
Vormittagsſtunden. Der teilweiſe no übliche Abendunterricht
muß unter allen Umſtänden fortfallen, denn er bedeutet für die
Jugend eine durch nicht3 gerechtfertigte Verlängerung des AHk-
ftundentages.' Die Zeit für den Be'uch der Squle hat der Meiſter
auf jeine Koſten dem Lehrling freizugeben.
Die Lehrmethode iſt nac) modernen Grundiaben zu ge*
alten, inzbeſondere muB Sr Arbeitzuntöerricmt vorhsrt-
jichend werden. ZU dieſem Zwede ind voin Staate mit allen
Hilfsmitteln der Technif ausgettattete Ceohrwerffiätten zu errichten,
in Verbindung damit Jachbibliothefen. Ter theoretiſche und pral-
tiiche Berufsunterricht iſt au8zubauen; als Qchrer find geſchuite
Jachleute heranzuzlehen.
Spiel und Sport, Turnen und Schwimmen find in weit-
gehendem Maße als beſondere Unterrihtzfächer in den Qehrplan
der Fortbildungsſchule aufzunehmen. “Das gleiche gilt von einer
ſachgemäßen ſtaats3b ürgerlichen Unterweiſung. die ſich von
jeder politiſchen Beeinfluſſung fernzuhalten bat. Die Erteilung
de38 Unterricht3 muß unentgeltlich erfolgen, ebento die Lieferung
der Lehrmittel.
Eine beſonder8 wichtige Forderung iſt die der Bildung eines
Schülerrates an jeder Jortbildung3ſ<hule, der an doren Ver
waltung teilzunehmen und die Wiimſ<e und Intereſſen dor Schüler
zu vertreten hat. Die Shule foll zu einer Gemeindeo ver
Qohrer und Lernenden werden, in der der Gemeinfamkeit3gedanie
durc ein freundſ<aftliches und inniges Zwammenarbeiten beider
Teile gepflegt wird. Die Schüler bilden zu. diejem Zwede einen
Schülerrat, in den jede Klaſſe 1 bis 2 Vertreter wählt. Der
Schülerrat wählt ſich aus feiner Mitte einen Vorſitzenden und
deſſen Stellvertreter. Die Mitglieder des Sduülerrat3 jind nicht
Vorgeſeßte ihrer Kollegen, ſondern nur deren Beauftragte. Sie
hoben in ihren Klaſſen dafür zu forgen, daß der Geiſt der Selbiſt-
verwaltung gewedt wird und das Gefühl der Mitverantwortung
zum Wohle des geiamten Sdullebens lebendig bleibt. Gegen-
ſtände der gemeinjamen Veratung de8 Schülerrates mit dem
Qchrerkollſegium könnten 3. B. ſein: Geſinnung und Ordnung des
Schullebens, Einrichtung von Schüler-, Leſe- und Sprechſälen,
Büchereien, 'Spielpläßen, Veranſtaltung von Fetten, Vorträgen
und Beſichtigungen. NN , m
Unſere -Forderungen mäſten Gemeingut aller Ju-