Full text: Arbeiter-Jugend - 11.1919 (11)

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Arbeiter- Iugend 
 
gendlichen werden. Zu dieſem Zwee iſt eine großzügige 
Aufklärungs8arbeit zu eiſten. Durch Flugblätter, in Schüler- und 
öffentlichen Verſammlungen ſind. die Jugendlichen über unjere 
Forderungen aufzuklären. In den Verſammlungen der erwach- 
ſenen Arbeiterſchaft, ganz bejonder3 aber unter den Gemeinde- 
vertretern muß dafür Stimmung gem<<t werden. Die Zentral- 
ſtelle der arbeitenden Jugend Deutſ<land38 hat in ihrer kürzlich 
hier veröffentlichten Denkſchrift dieſe Forderungen bereit3 aufg.“ 
ſtellſt und der Regierung und der Nationalverſammlung unter- 
breitet. E3 gilt jetzt, fortgeſekt unſere Stimmen zu erheben und 
darauf zu dringen, daß unſere Forderungen bald verwirklicht 
werden! 
IZ 
Ueber das eherne Lohngeſeß. 
Von Konrad S<midt., 
IT, 
ir hatten in unſerem erſton Artikel die Bedeutung gewürdigt, 
die das von Laſſalle der klaſſiſch2n bürgerlichen NRational- 
vdfonomie entnommene und von ihm gegen den KaptitaliSmus 
ausgeſpielte Lohngeſes fur die Herausbildung eine8 proletariſch- 
ſozialiſtiſchen, über die Schranken des kapitaliſtijichen Syſtems hilt» 
ausſtrobenden Geiſtes beſaß. Zugleich hatten wir auf die Wider- 
ſprüche dieſer Lehre hingewieſen, die, folgerichtig zu Ende gedacht 
jede Möglichkeit einer dauernden ökonomiſchen Hebung der Arbeiter- 
Haſſe durc) gewertihaftliche Organijation und ſozialpolitiſche Re- 
formen auf Grund 19r28 Prinzip3 beſtreiten wird. Schon allein 
dieſer Umſtand erklärt hinreichend, warum da3 Lohngeſeß aus dem 
Umfkreiſe8 der ſozialiſtiſchen Literatur und Propaganda mit der Zeit 
verſ<winden mußte. Aber auch die bloße Erfahrung, die in der 
jüngſten Epoche des KapitaliSmus ohne dauernd ſteigende Tendenz 
der Löhne zeigt, ſpricht gegen die Annahme, daß jene Lohntheorie 
eine in dem Weſen de3 KapitaliSmus notwendig dedründete Geſeß- 
mäßigteit zum Ausdruc> bringt. 
Gewiß, jo lange die Nrbeiter kzine Organiſation dex Abwehr 
geſchaffen haden, werden die Arbeitg29er ihre Uebermacht dazu au3- 
nußen, die Löhne unter möglichſter Ausdehnung der Grenzan des 
Arfeit8tages dis zum Exiſtenzminimum oder nom unter dieſe Grenze 
berabzudriücden. Aber dieſer T2ndenz kann der gewerkſchaftliche Zu- 
jammaonſc<luß, der den Arbeitern allererſt jelber auf dem Arbeit3»- 
markte eine Macht verleiht, entgegenwirken. Je feſter und weit- 
Einfluß der Arbeiter bei Feſtſetzung der Arbeit8löhne und ſonſtigen 
Arbeitsbedingungen Geltung verſchaffen. Und e35 iſt ſc<hlechterdings 
nicht einzuſehen, warum das ſo ctwa Errungene, wie jene38 Lohn- 
a2jeß behauptet, durch feine Einwirkung auf die Volk3vermehrun;g 
über kurz oder lang wieder verloren gehen ſollte. 
Mit vollem Recht hat Marx bereits in ſeinem „Kapital“ darauf 
bingewiefen, Iaß die wirklich beobachteten Schwankungen der Löhne 
aine3woa8 mit dem r?ſcheren oder langſameren. Tempo der VolkZ» 
vermehrung und den dadur< veranlaßten Aenderungen des Arboit2- 
angebot38, fondern daß Jie offenbar mit dem jeweiligen Wechſel der 
von den Unternehmern „hrerſeits erhobenen Arbeit5nachfrage urfäch- 
lich zuſammenhängen. In Zeiten guter Geſchäftslage, wenn ſich die 
Aufträge in den Fabriken häufen, die Nachfrage nach Waren in den 
führenden Branchen der Volk3wirtichaft raſch wächſt, die Unternehmer 
aljo dur< Ausdehnung ihrer Produktion zugleich auf eine ſichere 
Steigerung der Gewinne rechnen können, wird natürlich auc ihre 
Nachfrage nad) Arbeitern dementſprechend in ſtarkem Umfang ſteigen. 
Die ſo vermehrte Arbeitsnachfrage muß vor allem, wenn genügend 
fräftige gewerkſchaftlicheOrganiſationen die Geſchäftslage auszunüßen 
wiſſzn, Lohnerhöhungen nach ſich ziehen. Wogegen andererſeit3 in 
Perioden ſic verſchlehternden Goichäft3gange8 und ſto>enden Ab=- 
ſjaßes au< die Arbeit3na<frage gegen früher abflaut, die Lage des 
Arbeiters auf dem Arbeit3markt ſich verſchlechtert, und ſo dem Unter- 
nehmer Anreize und Möglichkeiten zur Herabſetzung der Löhne an 
die Hand gegeben ſind. Aber das ſo bedingte, wirkliche Auf und 
Ab der Durchſchnittslöhne läßt die Frage völlig unentſchieden, ob 
im kapitaliſtiſchen Syſtem, im Durdſſ<hnitt längerer Perioden, die 
Möglichkeit zu einer dauernd ſteigenden Tendenz 
der dur<ſchnittlichen Geld- und Neallöhn2 von vornweg au38ge- 
<4loſſfen fei. Vor allem iſt ja die Nachfrage nach) Arbeitzin 
im Fortgange der kapitaliſtiſGen Entwieklung keine beharrend 
feſte Große, ſondern befindet ſim bei dem ſtändigen Hinzu- 
 
ſtrömen immer neuer Kapitale zu induſtrieller Verwendung 
auß bei mittlerem Geſchäftsgang in ſtändiger, in BVeiten 
guter Konjunktur in raſch beihleuniatem Fortgang. Wenn 
atio auc<h eine Periode, in der der Stand ver Durchſchnitts- 
löhne und der Arbeitorleden3haltung ji<ß erhöht, wie jene Theori2 
des chernen Lohngejekes annimmt, notwendig dazu führen müßltle, 
daß in der nächſten Generation das Arbeitöangebot infolge ver- 
mehrter Kinderaufzucht m ungewöhnlich ſtarker Weiſe zunimmt, ſo 
würde daraus no<h keine3wegs zugleich folgen, daß ſich auf Grund 
dieſes ſtark erhshten Angebot8 nun auc) iworauf es ankommt) 
das Verhältni8 von Arbeitz3angedbot und Nad<h- 
frage auf dem Arbeitsmarkt zuungunſten der. jekt Beſchäftigung 
 
 
reichender der Zuſammenichluß, um ſo nachdrüflicher wird ſich der 
* Der verſeßte Charakter. 
Von Spatopluk Cech. Aus dem Tſc<e<Hiſchen überſekt, 
HD N nſere Schriftſteller Leiden alle an einem Fehler =- ſie laſſen zu 
M viel Geld aufgeben, wie ich gleich hinzufüge -- auf dem Papiere. 
Folgen wir irgendeinem Helden auf ſeiner 500 Seiten langen 
Laufbahn: wa3 finden wir? Gewöhnlich iſt ex ohne Amt, hat keine ein- 
trägliche Lebenz3ſtellung und doch wohnt er in den beſten Hotel3, ſpeiſt 
die koſtbarſten Le>erbiſſen, raucht ausſchließlich duftende Hapannas3, Hat 
für bettelnde Greiſe ftet3 einen Dukaten bei der Hand, verabreicht als 
Trinkgeld ebenfalls jede3zmal nur Dukaten, zum Ritt in die finſtere Nacht 
ſteht ihm . immer ein mutiges geſatteltes Roß zur Verfügung, er g2- 
braucht Seebäder, bereiſt Italien, und wenn er [9 400 Seiten lang wie 
ein echter Verſchwender gelebt, verfügt er im lebten Hundert immer 
noc< über hinreichende Summen, um aus Verzweiflung über die Treu- 
lofigfeit ſeiner Geliebten ſich in den ſchäumenden Strudel der Luſt zu 
ſtürzen, in Strömen Champagner? ſeine traurigen Eringerungen zu 
ertränken und zu ſchwelgen, zu raſen im Taumel lärmender Orgien , 
- a3e nun, wie eben erwähnt, unſere Sdhriftſteller fennen halt nicht 
den Wert de3 Gelde3. 
Geringere Beträge verſchmähen ſie grundſäßlich. Findet man bei 
ihnen Summen angegeben, ſv ſind e3 immer Millionen, W bis 30 Taus- . 
“'Tend jährliche ' Ginfünfte -- fleinere Zahlen hHalien fie für gar nicht der 
Rede wert. Hat wohl jemand von Ihnen je geleſeri, daß Arthur 3. BV. 
45 Mk. monatliche Einkünfte beſaß? 
"Damit hängt noch ein anderer Fehler zufammen. Bei Rerſonen- 
beſchreibungen laſſen ſie ſtets ein weſentliches. Merkmal aus. 
Sie erzählen ein Langes und Breites vom der Geſtalt, dem Haare, 
der Naſe, dem Anzug und Charakter -- nur einer einzigen, ſehr wich 
tigen Sache geben ſie abſichtlich aus dem Wege. Sie gönnen uns einen 
GinbliF in die Garderobegeheimniſſe ihres Helden, in die geheime 'Werk- 
ſtätte ſeiner Gedanken, in die dunkelſten Tiefen ſeiner Seele, kurzum ix 
alles, nur nicht in ſein Portemonnaie, Und gerade dieſe3 ſollten ſie 
zuerſt tun, So wüvde der Leſer auf den erſten Blik erkennen, mit wem 
er die Ehre hat, ' und die Charakterzeichnung iväre mit einem 'Shloge 
ins hellſte Richt geſeßt. 
Ic<h mache den erſten, ſchüchternen Schritt in dieſer Richtung. Hier 
das Portemonnaie meines Helden, des Herrn Alfred N. 
Bitte hineinguſehen -- Sie erbliden einige Abteilungen und in den- 
jelben -- nicht3; hier ein beſondere? FaH = darin wieder nicht3; wir 
kehren das Portemonnaie mit dem Rücken nach oven, ſchütteln es =- was 
fallt heraus? Nichts . . . 
Die anderen Perſonalien Tann 1ißG jekt kurz abtun. Teilweiſe er- 
geben ſie ſich ſ<on aus der inhalt5leeren Ginleitang, Ein ſc<lanker, 
regelrecht geformter Körper -- ein bleiches, träumeriſches Geſicht -- auf 
den Lippen ein bitteres Lächeln und welterſchütternde Jdeen im Kopfe. 
An den Füßen. ein Paar abgenußte Pantoffeln, auf dem Leibe fragliche 
Beinkleider und drei Vierteile eines RotkeS2, in der Haad eine zwei Ellen 
lange Pfeife, der ein lehter Seufzer in Geſtalt eines blauen Rauchwölk- 
Jens entſ<hwebt. Das Wölkc<ea ſteigt in die Höhe, rundet fich ab, die 
Rhbantaſie webt ihr lebte3s ſchönes Bildchen Hinein, dieſes verblaßt, er- 
liſcht, zerfließt mit dem Wöllcher , Und die Pfeife und die Phan- 
taſie erkalten. 
Und welches Bild zerging da mit dem Rauh2? Das eine3 ſchönen, 
aber gefühlloſen Mädchens . . . 
Jeßt iſt es im Kopfe wüſt wie im Zimmer. Die Dämmerung niſtet 
ſich ein in den leeren Winkeln; aus dem Kleiderſchrante gähnt eine 
troſtloſe Leere entgegen; da3 Bett träumt einen ſchönen Traum von 
Rolſtern ; auf dem Bücergeſtell fehlen die Bücher -- und Not grinſt 
geſpenſtig aus allen E>en: „Hi, yi! Die Welt hat dich verlaſſen, die Ge- 
liebte dim verſc<mäßht, aber ich werde dich nicht verlaſſen, mein lieber Knabe?“ 
- Die kalte Pfeife entfällt der Hand, da3 bittere Lächeln verſchwindet 
von den Lippen, die Augenlider fallen zu -- die goldenen Träume ſind 
verblichen. 
Da ließ ſich ein ſanftes Klopfen an der Türe vernehmen. Alfred 
ſprang auf. SoU er öffnen? Ohne Zweifel irrte ſich jemand in der 
Türz von ſeinen Bekanntea iſt dies ſicherlich niemand, dena die wiſſen, 
man könne bei ihm nicht3 borgen. 'Aber in Gottes Namen! Vorſichtig 
öffnete er die Tür, unter gehöriger Rütſichtnahme auf ſeine fraglichen 
Beinkleider und die drei Vierteile ſeines Ro>es. - 
- Sn die Stube ſchlüpfte ein Männdhen, deſſen verwahrloſtes Äeußere 
ganz vortrefflich zu den Worten paßbe, mit denen 28 ſich einführte: „Alte 
Kleider, alte Wäſche -- Herr<hen! Aron zahlt gut, brillant.“
	        
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