AÄrbeiter-Jugend
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ſuchenden Arbziterzahl verſchieben müſſe. Es iſt ebenjowohl mög-
li <h, daß neben einer ſolchen |tarfen Volksvermehrung auch eine ſtart
bejehleunigte Kapitalakfumulation (-anhäufung) einhergegangen 1j1,
und jo eine Ausdehnung dcs HrodukftionSumfanges ſtattgeſundemn
hat, die eine, jenem ſtark erhöhten Arveitzangebot entſprechende
oder e3 überwiegende Arbeit3nachfrage einſchließt. Mit diejer Möge
licßfeit fällt aber au4H, feldſt wenn die Lohnerhöhung eine ent-
ſprechend beſchlounigte Volk5Svermehrung notwendig nach ſic zvge,
wio das Lohngeſz e3 behauptet, die weitere Folgerung in ſich zu-
janmen, daß dicſe Voltsvermehrung die notwendige Tendenz hat,
die Löhne wiederum zu ſeuken. Vielmehr kann troßz jener BoliS-
vermehrung die Lage auf dem Arbeit3markt unverändert günſtig
biciben, und ſomit für die Arbeiter die Möglichkeit gegeben jein,
die in den früheren Perioden erlangten Lteigerungen des Geld-
und des Neallohne3 zu behaupten, ja ſie über das erreicohte Maß bin-
aus fortſchreitend weiter zu erhöyen. Die bloße Tatjache des ver-
ntehrten Ürbeitsangebotes beweiſt alſo an ſich noh gar nichts gegen
cine folc<e Wwvalichfeit.
Entſcheidend ins Gewicht aver fällt folgender Umſtand. Tie
bier gemachte Annahme, dat bei geſtiegenen Sognen und ſteioender
Volkövermehrung die Arbeit3nachfrage auf die Dauz2r jc<hneller
ſicigen fann als das aus der beſchleunigten Volksvermehrung re-
ſultierende ArbeitSangebot, iſt keine th2ooretiich erflügelte Hypothee,
ſondern cine für die fapitaliſtiſche Entwieklung ſeit der Mitte der
ſichziger Jahre typiſche Erſcheinung, an deren Fortbeſtand zu
zweifeln einſtweilen gar kein, Grund vorliegt. Denn nicht nur hat
die Induſtrie in diefom Zeitraum für den Nachwuchs der indu»
ſtrielſen heimatlichen Arbeiterſchaft vei ſteigenden Löhnen Berwen-
dung gehabt, fondern fie mußte darüber hinaus zur Decung izrer
ſtändig ſic ergöhenden Arbeit3Snachfrage aus ander2n Schichten
(man denke zum Beiſpiel an die polniſche Landarboaitereinwande-
rung in der rheintich- weſtfäliſchen Bergwerkinduſtrie) gewaltige
Menſchenmengen immer von neucem heranziehen.
Weiter aber iſt auch die Annahme, daß ein2 Beſſerung der
Lage der Arbeiterklaſſe in einer entjprechend erhohten VolksSvermeh-
rungsztffer zun Ausdruce kommen müſſe, durch neuere Erfahrungen
widerlegt. Jene Tendenz, nicht zur Bejhränkung der Ehen, wohl
aber der Rinderzahl, die jich jo lange fc<on in den klein- und groß-
Lürgerlichen Klaſien wie in der bäuerlichen Bevölkerung Frankreichs
zeigte, hat in den leßten Zeiten mehr und mehr auch auf die anderen
Staaten und nicht zuleßt auf die beſſergeitellten Kreiſe der Ar-
beiterfhaft übergegriffen. Die Malthusiche Furcht vor Uebervoölke-
ebenſowohl von einer verlangjamten al38 von einer beſchleunigten
Volk3vermehrung begleitet ſein kann. Sofern überhaupt die Au3-
weitung des ArbeitSangebot3 Gefahren für die Behauptung und wei-
tere Erhohung der Arbeitslöhne einſchließt, iſt deren Quell nicht,
wie e8 dem Standpunkt de3 Lohngeſetes entſpräche, in der durch
Lohnerhöhung hervorgerufenen beſchleunigten Fortpflanzung der
Arbeiterjhaft, ſondern w2ſentlic in anderen Momenten zu ſuchen;
jo etwa in der Zuwanderung aus -kapitaliſtiſch weniger entwickelten
Bölkern, in der wachſenden Heranziehung der Frauenarbeit und
dergleichen. Ticeſen Gefahren kann aber durch gewerkichaftliche Or-
ganiſierung der neu hinzugezogenen Schichten und durch andere
Meittel wirkjam geſteuert werden.
Mit dem ehernen Lohngeoſctze, das weder mit dem Geiſt mo-
derner gewerfichaftlicher und ſozialpolitiſcher Klaſſenpolitik, noc< mit
den Ergebniſſen ciner eingehenderen theoretiſchen Zergliederung des35
ofonomiichen Prozeſſe3, noch mit den tatſächlichen Erfahrungen zu-
jammenſtinmt, verliert aber auch die einſt jo berühmte Laſſjalleſchs
Forderung von Produktiv-Aſſoziationen (Vzoreinigun-
gen) mit Staat3fredit ihren theoretijcchen Stüßpunkt.
Hätte jenc8 Lohngeſeß reale Geltung, wäre alſo von gewerkichaft-
lichem Kampfe und ſozialpolitiſchen Maßnahmen feine öfonomiſche
Hebung der Arbeiterſchaft ſc<on im Rahmen des Kapitalizinus zu
erhoffen, dann hätte der Plan derartiger Aſſoziationen, in denen die
vereinten Arbeiter ihre eigenen Unternehmer fein und ſo am Untzr-
nehmergewinn teilnehmen würden, in Ermangelung aller andern
Mittol gewiß ein großes Intereſſe, aber eben nur unter diejer Vor-
ausfezung. Fällt dieſe, wird die Möglichfeit einer ökonomiichen
Sebung der Arbeiterklaſie auf dem Wege gewerkfickaftlichen Zuſam-
menichlufſes anerfannt, 1o verſteht c3 jich von ſelbſt, daß auc< die
Unterböhlung de3 kapitaliſtiſchen Syſtems, ſeine allmähliche Durch-
dringung mit Clementon joztaliſtiſcher Organiſierung, ni<t durch
derlei fünftlich erſonnens Experimente, ſjondern nur im Anſchluß an
all die mannigfachen Umänderungen, die auf dom Wege gewerk-
jhaftlich fozialpolitiicen Fortſchritts lieg2n, ſich vollziehen kann. So
mußte mit dem LohngeſeBß auch dieſer Punkt des früheren Laſſalle-
ſchen Rrogramms jeine Worbefraft verlieren.
SI
Das Bewußtſein der eigenen Kraft und der Geijt des Widerſtandes
entwiein ſich in den Schichten der Lohnarbeiterſc<aft erſt dann, wenn
tie zum Bewußtſein der Intereſſengemeinſchaft, der Solidarität,
gefangen, die unter ihren Mitgliedern herrſcht Veit der Erwedung des
Solidaritäts8gefühls beginnt die moraliſche Wiedergeburt des Proles
' rung wandelte fim in aine folc<e vor Untervölkerung. Jedenfalls tariats, die Erhebung des arbeitenden Proletariats aus dem Sumpf
ſteht ſoviel feſt, daß die ökonomiiche Hebung der Arbeiterſ<haft des Lumpenproltetariats. Kautsty.
Auf den Lippen Alfreds zeigte ſic das frithere, bittere Lächeln. Tone: „Der Herr wundert ſich. Nu, UÜUron kauft alles: abgetragene
„I< habe nicht!“ fertigte er den Juden ab.
Aber dieſer ließ ſich nicht ſs leicht abweiſen.
eindrängend, näfelte er:
„Nu, vielleicht wird doch etwas fich finden.
Bücher =- Aron kauft alies, alles, alles!“
„Ueberzeuge Dich alſo ſelbſt," ſagte Alfred bitter.
Kleiwderſchranf, hier die Bücherſtellage, hier -+-"
Sich ins Zimmer her-
Alte Stiefeln, alte
„Hier der
„Gott weiß, nichts, gar nichts!“ wunderte fich der Jude. „Wie
ausgefegt. Schade, junger Mann! Schade. Aron zahlt gut.“ Bei
dieſen Worten zog er aus feinem beſchmußten Kaftan einen ledernen
Beutel und ſchüttelte ihn.
Da ließ ſich. der helle volle Klang, die verführeriſche Stimme ves
Metall3 vernehmen, verführeriſcher als das Lied einex Sirene.
Alfred erbebte bei dieſem Klangez; ſeine Augen Hefteten fich gierig
auf den ſchmußigen Geldſa>.
„Veber da3 Geſicht des Juden flog blitbſchnel der AusSdruc> der Ge-
nugtuung . und Verachtung. Den mit der Hand exhobenen Beittel
ſixeichelnd, j<waßte er weiter : „Aron zahlt gut, junger Herr? Aron
fauft alles, alles, alle3!“
„Aber Du ſiehſt ja, daß ich nicht3 habe!" ſchrie Alfred zornig.
„Ru, der Herr muß nicht gleich in Harniſch geraten! Der Herr
hat doch etwas, wofür Aron viele, viele goldene Füchſe hergäbe -"
„Foppe nicht, Jude! Sonſt fliegſt Du von der Stiege geraden
Weges in Abrahams Schoß!"
„Aron weiß, was er ſpricht," beſchwichtigte ihn der Jude mit wider-
wärtiger Unterwürfigkeit. „Der Herx hat ein felteneS Kleinod bei ſich,
wofür Aron zahlen wird, was der Herr ſelbſt wird wollen.“
« Dabei fuhr er mit den gebogenen Fingern in den Beutel. Alfred
verfolgte funkelnden Auges dieſe Bewegung und ftieß die Worte aus:
„Wohlan ſprich, was hab ich, wovon ich nichts weiß? Was ſoll ich
Dir verkaufen?“
Der Jude trat einen Sqritt näher, neigte jich zu ſeinem Ohre und
flüſterte: „Den Charakter.“
Alfred gloßte ihn mit aufgeriſſenen Augen an:
Bi it D NN 2“ „Den Charakter ?
i u ein Narr?
Der Jude trat zurüd, richtete fic) auf und ſpraß im prahlenden
Kleider, Mädchentugend, alte Regenſchirme, Chre, Zöpfe, Geniefunken,
Hajenvälge -- Aron kauft die ganze Welt. Warum jollte er nicht
Charaftere kaufen? Ein Charakter iſt in unjeren Tagen ein ſeltene38
Ding. Charafterloſe Leute gibt3 überall genug . . .
Mii Schre>en blite Alfred den Sprecher an.
Even drangen durchs Fenijter die lezten Strahlen der untergehen
den Sonne und verliehen dem Juden ein gowiſjes geſpenſtiges Au3Zs
fehen. Der Beutel in jeiner Hand wurde glühend heiß, das zerzauite
Haar und der Bart verwandelten ſich in goldene Fäden, Gold ſhimmerte
aus Den Falten ſeines Kaftans und in den regellojen Zügen ſeines
Geſichtes, ſeine großen Augen ſpielten im Metallglanzg, blißten wie zwei
Dukaten. Es ſchien ihm, al38 ſähe er den Dämon des Goldes vor ſich,
mit gevogenem Raden, mit gierig gekrümmten Fingern, Der jich auf
ſein mattes Opfer ſtürzen will, um das lebendige Blut daraus auS-
zufaugen und in ihm den leßten göttlichen Funken zu erſtiden . , .
Er bede>dte da3 Geſicht mit beiden Händen. Als ex wieder empor»
blidte, jah er den Juden in dew früheren Geſtalt, ohne den geſpenſtigen
Nimbus == die Sonne war ſchon untergegangen.
„Au, verfauft mir das Herrchen den Chaxatter?- Aron bezahlt
gut. ES iſt eine ſtarke Nachfrage nach denſelben, weil die Wahlen vor
der Türe ſind . Nu, verkauft dex Herr? Aron zahlt eine rieſige
Summe.“
Bei dieſen Worten zog der Jude einen Dukaten aus dem Beutel
und hielt ihn zwiſchen den Fingern in die Höhe. Alfred blickte eine
Weile gierig dem goldflimmernden Kreiſe nach, den jener im matten
Dunkel blißend beſchrieb, doc) plötzlich wandte er den Kopf und ver-
ſebte feſt, entſchloſſen: „Nein, ic verkaufe ihn nicht!“
Der Jude ſchüttelte den Kopf: „Gti, ei, niht? Gott weiß, ein
ſchöner Charakter! Ih gebe zweimal ſo viel! NoF nicht? Dreimal
ſa viel -- ein lauterer Charakter! Nu, ni<t5? JI mache den Herrn
zu einem Millionär = ex wird in Paläſten wohnen, den edelſten Wein
trinken, die ſüßeſten Lippen küſſen . . .“
Alfred ſah eine Weile in die Luft, al8 ob ſich dort ein ſc<öne3 Jdeal
vor ſeinen Augen erhebe, dann fuhr er mit der flahen Hand über die
Augen und wiederholte unter einem Seufzer: „JI<H verkaufe ihn nicht.“
“ | . (Schluß folgt.)