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Arbeiter-JIugend
Franken ſind und nun vom neuen Großrumänien allſeitig .ein-
geſchloſſen werden, an die Deutſchen des Banat3 und der Gottſchce,
in der Zips und an der Wolga iſt zu denken, kleine deutſ<e In-
ſeln, die inmitten neuer ſtark nationaliſtiſch geſtimmter Staaten,
troßz aller ſchönen Worte der herrſchenden Mehrheit, über lang
oder kurz doch überflutet werden und verſinken müſſen wie die
frieſiſ<en Halligen der Nordſee. .
Wie ſtirbt ein Volk? --
. „Raſch tritt der Tod den Menſchen an,
7 E83 iſt ihm keine Friſt gegeben“,
heißt e8 in einem alten Lied vom Sterben des einzelnen; der
Völkertod aber ſchreitet gar langſam daher. Jahrhunderte mag
e3 dauern, bi3 ein ſterbendes Volk ausgetilgt iſt aus der Menſchen-
ſaat und meiſt =- wird ſich keine Generation de8 dahinſiechenden
Volkes ſeiner Lage ſo rec<t bewußt. Selten nur vernichtet der
Krieg an ſic< oder gar eine einzige unglückliche Schlacht die
Exiſtenz eines ganzen Volke8, wie etwa die Niederlage bei Sextiae
und Vercellae (102 und 101 v. - Chr.) die Teutonen und Zimbern,
oder 'die Hunnenſchlacht vom Jahre 4837 n. Chr. die Burgunder
austilgte. Meiſt mahlen die Mühlen der Weltgeſchihte ſehr lang-
ſam und zerreiben mählich Korn für Korn. Verſchlechterte wirt-
ſchaftliche Verhältniſſe drücken die Zahl der Geburten herab, Blut-
miſchungen verwiſchen den Art<harakter des untergehenden Volkes
mehr und mehr und endlich ſtirbt unter dem Drucke fremdſprach-
licher Uebermacht die Volksſprache. Mit dem Augenblick des
Sprachentodes8 erſt kann der Tod de3 Volke3 konſtatiert werden,
da die körperlichen Raſſeeigentümlichkeiten bei allen Völkern der
Geſchichte deutliche Merkinale der Blutmiſchung aufweiſen. Auch
da38 deutſche Volk der Gegenwart mit ſeinen 50 Proz. Brünetten iſt
längſt nicht mehr das flach8haarige und blauäugige des Cornelius
Tacitus, und der große Anthropologe Virchow, der wohl wußte,
daß die Geſeße der Veränderlichkeit des körperlichen Typus immer
nod) unbekannt ſind, erklärte daher in e<ht wiſſenſchaftlichem Be-
ſcheiden: „Es liegt auf der Hand, daß bei dem Mangel einer
erkennbaren Uebereinſtimmung in den phyſiſchen Merkmalen die
Entſcheidung über die ethnologiſche Stellung eines Volkes wider-
ſtand3lo8 den Sprachforſhern in die Hand gegeben iſt.“
So iſt der Völkertod, wenn er nicht, wie die Zimbern- und
Teutonenkataſtrophe zugleich der perſönliche Tod. der Mehrheit
der Volk8genoſſenſchaft iſt, ein Wechſel, ein Uebergang zu neuem
Leben in anderer Form, wie der Tod des Einzelweſens. Das auf-
gehende Volk überträgt ja mit ſeinem Blute ſeine Eigenſchaften
an überlebende Völker und beeinflußt und verändert fo in ge-
wiſſem Grade auch dieſe: Völkertod =- Völkergeburt!
Ein biologiſches Witzwort, ein geiſtreicher Widerſpruch fagt,
daß für jede8 Lebeweſen das Sterben eigentlich mit der Geburt
beginne. Das Wißwort trifft auch auf das Leben und Sterben
der Völker zu. So kann man errechnen, daß von der Geſamt-
maſſe der jungen germaniſchen Völker ſchon bis zum ſechſten nach-
<riſtlichen Zahrhundert nicht weniger als ſieben Zehntel zugrunde
gegangen oder in fremdem Blute aufgegangen waren. Die großen
Maſſen der jeßigen germaniſchen Völker in Nordamerika, Skan-
dinavpien, England und auf dem europäiſchen Feſtlande ſind alſo
Nachkommen eine3 einzigen Drittels des Germanentums vor der
Bölferwanderung, wobei aber wohl zu berückſichtigen iſt, daß die
Deutſchen lange nicht mehr die ec<hten und unverfälſchten Spröß-
linge der alten Franken, Sachſen, Bajuvaren und Alemanen ſind,
und die Briten und germaniſchen Amerikaner, die ſo viel Blut
des toten Keltenvolkes in ihren Adern haben, lange nicht mehr
als reinraſſige Nachfahren der Angeln und Sachſen angeſehen
werden können. .
Von den drei aroßen germaniſchen Völkergruppen, den Nord-,
Oſt- und Weſtgermanen, iſt die ganze zweite Gruppe, die der
Oſtgermanen, reſtlos ausgeſtorben, von den Germanen überhaupt
außer. den oſtgermaniſchen Baſtarnen, Goten, Vandalen und Bur-
gundern noch die Gepiden, Rugier, SHerikler und Langobarden, an
welc<e heute. nur mehr Ortsnamen, wie Gotland, Burgund, Roga-
Jand und Lombardei, erinnern.
Unter dieſen germaniſchen Völkern nun iſt eins, „deſſen
abenteuerliches Schickſal und ſein langſamer Niedergang ſhon im
hellen Lichte der Geſchichte ſteht, deſſen lezte38 Ende, wenn nicht“
alle Anzeichen trügen, bis in Einzelheiten und faſt bis zum letzten
Wann verfolgt werden kann. E83 iſt dies das vielleicht mit Un-
recht ſo übelberüchtigte Volk der Vändilen, Vändelen, die der ge-
lehrte Sprachgebrauch ſeit zwei Jahrhunderten hartnäckig, aber -/
ohne zureichenden Grund Vandalen nennt. Der Aus8gang dieſes .
Volkes iſt aber de3halb mit ſo großer Deutlichkeit bis zum aller-
lebten, bitteren Schluß nachweisbar, weil“ e3, als einziges unter
allen germaniſchen in. eine ſo eigentümliche IJſoliertheit geriet,
daß es nicht ummnerklich und. ſtill in andere Völker aufgehen
konnte, ſondern nach allen Regeln imperialiſtiſ<ger Kriegs8kunſt
totgeſc<lagen werden mußte.
Der Vandalen erſtes und zweites Leben,
Unter dem Namen der Lugier traten die Vandalen zum erſten
Male in die Geſchihte. Sie ſaßen im erſten nach<hriſtlichen
Jahrhundert im heutigen Schleſien. Im zweiten Jahrhundert
finden wir die3 Volk ſchon unter dem neuen Namen am Rieſen-
gebirge ſeßhaft, das bei dem römiſchen Schriftſteller Dion Caſſius
da8 wandiliſche heißt. Später fämpften ſie an der Seite der
Markomannen und Quaker an der Donau gegen die Römer,
zogen im dritten Fahrhundert mit den Gepiden und Goten nach
Dazien (Südoſtungarn und Siebenbürgen) und zu Anfang des
fünften Jahrhunderts mit den Sueben (Schwaben) nach Frank-
reich, endlich nach Spanien, von wo ſie nach Novdafrika über-
jeßten und unter ihrem Heerkönig Geiſerich aus dem Geſchlechte
der Aſelinge im Jahre 429 ein großes und mächtiges Reich
in Nordafrikfa gründeten, das ſeinen Machtbereich aud nach
Italien auszudehnen beſtrebt war. Durch die Eroberung und
Plünderung Roms im Jahre 455, bei der ſie unzweifelhaft weit
weniger zerſtörten und raubten, als im Weltkrieg der modernen
Kulturvölker allgemein üblich geworden iſt, bekam ihr Name
durch die Geſchichtſchreibung des feindlichen römiſchen Reiches
die übliche Bedeutung, die ihm heute noh eignet. Die Zeit de3
Nordafrikaniſchen Reiches, in deſſen Schuß die von den un-
fultivierten Mauren und Berbern arg gefährdete hohe Kultur
der ehemals rönniſchen Gebiete erhalten blieb, bedeutete die Blüte-
zeit der Vandalen. Der griechiſche Geſchichtſc<hreiber Prokopios8
aus Caeſarea in Paläſtina berichtet in feiner Beſchreibung der
Vandalenkriege, die er al8 Kriegsberichterſtatter de38 oſtrömiſchen
Feldherrn Beliſar mitmachte, über die Leben3weiſe und Sitten
des germaniſchen HSeere3volkes während ſeimer nordafrikaniſchen
Seßhaftigkeit folgende beztihnende Einzelheiten: „Seitdem jeue
(die Vandalen) Libyen (Afrika) beſaßen, lagen ſie alle Tage in
den Bächen und an den Tafeln, die üppig mit den feinſten ud
föſtlichſten Speiſen, was nur Land und See liefern konnten, be-
ſeßt waren. Die meiſten trugen au< goldene Zier und ſteckten
ſich in Mederkleidung, die man jeßt ſeidene nennt, und machten
ſich Zeitvertreib im Theater, auf der Rennbahn jmd in anderen
luſtigen Ergößlichkeiten, beſonders aber in Tierheßen. Sie hatten
Tänzer, Schauſpieler, eine Menge Ergößlichkeiten für das Ohr
und das Auge und muſifaliſche Beluſtigungen und was ſonſt
Menſc<en mit Vergnügen. zu treiben pflegen. Viele von - ihnen
wohnten in prächtigen Gärten, in denen es.reichlich Quellen und
Bäume gab, hielten die meiſte Zeit Trinkgelage und gaben ſi)
leidenſchaftlich allem hin, was zur Wolluſt gehört.“
Dieſe allerdings von Feindesſeite ſtammende Charakteriſtik
läßt immerhin begreifen, daß das ehemals ſo ſtarke, jezt aber ver-
weichlichte Volk, al38: Oſtrom gegen die germaniſchen Eindring-
linge im Handel8gebiet des Mittelmeeres ernſtlich vorzugehen
begann, dem oſtrömiſchen Heerführer Beliſar wicht Widerſtand zu
leiſten vermochte und im Jahre 584 ſein Reich und ſeinen Reich-
tum verlor. Der leßte König Gelimer, der vom“ ſiegreichen
Feinde eine Harfe, ein Brot und einen Schwamm erbeten haben
ſoll, um ſein Geſchi> zu beſingen, ſeinen. Hunger zu ſtillen und
jeine Tränen zu tronen, wurde mit einigen hundert ſeiner Be-
gleitung auf der Flucht gefangen. Die Maſſe des Volkes der
Vandalen aber jammelte ſich -weſtlich der von Dſtrom beſeklzten
Gebiete ihres Reiches in Marokko, wo der deutſche Forſchungs-
reiſende Rolfs ſüdlich von Centa, 'bei Filfil, Waſſau und Haha
Gräber und Burgen frühgermaniſcher Bauart feſtſtellte.
Hundert Aahre nach dem Sturze des Vandalenreiches be-
richtet ein namenloſer Geograph aus Navenna von dieſer Gegend:
„Sn dieſem Lande floh das Vandalenvolk, von Beliſar beſiegt,
nach Afrika hinein und kam niemal3 wieder zum Vorſchein.“
Das war der germaniſchen Vandalen erſt28 Leben und erſter
Untergang. Tot war die8 Volk, obwohl e8 mit dem Verluſt
ſeines Reiches aus den Quellen und Lehrbüchern der Geſchichte
verichwindet, noch nicht, denn es kam wieder zum Vorſchein,
trat in ein zweites Leben auf den Marokko im Weſten vorge-
lagerten Kanariſchen Fnſeln.
Schon den Phönikern, jenen kühnen Seefahrern, die an der
Schwelle zinſerer geſchic<tlichen Erinnerung ſtehend, ſ<on Afrika
umſchifft hatten um die Wende des ſiebenten und ſechſten vor-
Hriſtlichen Jahrhunderts, mögen dieſe Inſeln jenſeits der Säulen
des Herakles (die Meerenge von Gibraltar) bekannt geweſen ſein.
zie „glücklichen Inſeln“ finden ſich ſc<on angedeutet auf der um
n. Chr. entworfenen Weltkarte des Pomponius Mela; ſie ſind
nod ein Jahrhundert ſpäter eingezeichnet in der-Karte des Ptoles-
mäu38 und dann =- verſchwinden ſie 'aus dem“ Bewußtſein der