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Berlin, 4. Ditober
Expedition: Bucbbandlung Vorwärts, Paul
Singer G. m. b. H, Lindenſtraße 3. Alle Zu-
ſchriften für die Nedaktion ſind zu richten
an Karl Korn, Lindenſtraße 3, Berlin SW. 68
1919
Hie Bildung - hie Kampf?!
ie Ueberſchrift wird euch zunächſt aufs äußerſte befremdlich er-
ſcheinen, und ſie iſt es auch. Aber wundert euch nicht: Sie
ſtammt aus euren eigenen Reihen. So oſt ih in den leßten
ahren an verſchiedenen Orten zu euch über Weſen und Ziel unſerer
Jugendbewegung geſprochen habe, jo oft ſHallte es nir in der an-
geſchloſſenen Ausſprache entgegen: „Wir wollen keine Bildung; wir
wollen den Fampf!“ Nicht immer wurde die Forderung j9 ſchroff
au8geſprochen; aber der Sinn war immer derſelbe. In der Rezel,
das muß ich allerdings hinzufügen, waren es nur vereinzelte Stim-
men, die ſich gegen unſere Bildungsbeſtrebungen erhoben. Natur-
lich bin ich in keinem Falle die Antwort ſchuldig geblieben. Aber
c3 iſt doch richtiger, daß wir dieſen vermeintlichen Gegenſaß in aller
Oeffentlichkeit austragen; denn =- dieſes Zugeſtändnis will ich den
fampfluſtigen Genoſſen machen =- jo ganz ohne iſt er nicht.
Zunächſt iſt e8 eine Wahrheit, der wir alle zuſtimmen: Die
Campfluſt iſt der Jugend natürlich. Wir wollen auß
dur<aus kein Hehl daraus machen, daß wir uns manches liebe Mal
über das friſche Draufgängertum, wie es bei gewiſſen Gelegenheiten
in unſerer Bewegung bervortrat, von Herzen gefreut haben. Wo
bliebe denn auß ſonſt die „Bewegung“? Und wer meüchte einer
Yugend angehören, der dieſer Schwung fehlte?
%ber weiter: Der Kampf iſt auc< notwendig. Wir können
keinen Tag ohne ihn bleiben was wir ſind; und was wir ſind, da3
ſind wir durch ihn geworden. Wo wären wir geblieben, wenn wir
gegen die taufendfachen Semmniſſe und Feindſeligkeiten, die 1m3
von Anbeginn entgegenſtanden, nicht gekämpft hätten? Wo blieben
wir noc<, wenn wir jezt den Kampf aufgeben würden? Davon kann
keine Nede ſein. Wenn auch gewiſſe politiſche Hinderniſſe (Verein3-
recht!) durc< den Sturmwind der Revolution hinweggefegt wurden,
ſo bleiben ihrer noch genug übrig, gegen die es ſich lohnt, zu kämpfen.
Auf wirtſchaftlichem Gebiete gibt es noh ſehr bedeutſame Forde-
rungen durchzufegen. Alſo c3 bleib: dabei: Der Kampf iſt der Vater
aller Dinge.
Aber doH muß ich Einſpruch erheben gegen die Gegenüber-
ſtellung: „Hie Bildung -- hie Kampf!“ Denn ſie iſt unfinnig, weil
fie von der Vorausſeßung ausgeht, als ob das eine das andere aus-
ſ<löſſe. Das iſt aber keine3wegs der Jall. Im Gegenteil: das eine
bedingt das andere! Kannſt du kämpfen ohne Waffen? Kann es
dir gleichgültig ſein, ob deine Waffen ſtumpf oder ſcharf ſind? Was
ander8 bezweden aber unſere Bildungsbeſtrebungen, al3 uns die
Waffen zu liefern für unſeren Kampf? Zwar keine Waffen aus
Eiſen und Stahl, mit denen man Wunden ſchlägt und tötet, ſondern
geiſtige Waffen. Je mehr Bildung, deſto beſſer das geiſtige Rüſt-
z0e19g, deſto günſtiger die Ausſicht auf einen erfolgreichen Kampf.
Alfo nicht: „Bildung oder 'Kampf“, ſondern „Bildung und
Hampf". Das eine iſt gar nicht möglich ohne das andere.
Nun gibt es allerding38 verworrene Köpfe, die meinen: „Ach
wa38; wozu Bildung? Die Waffen für unſeren Kampf liefern uns
ſhon die Verhältniſſe, in denen wir zu leben gezwungen ſind.“
Meint ihr das au<? Dann laßt cuch dieſes ſagen: C3 iſt nicht
genug, das Elend dieſer Verhältniſſe zu erleben =- wir wollen auch
die Geſeße ihrer Entwickelung begreifen lernen. Wir wollen wiſſen,
wie dieſe Verhältniſſe entſtanden ſind; damit wir lernen, ſie zu
ändern. Denn darauf läuft doc<, nac< einem bekannten Wort von
Karl Marx, unſer ganzes Kämpfen hinaus. Seht euch doh die
großen Vorkämpfer de8 SozialiSmus an: Karl Marx, Friedrich
Engel8, Ferdinand Laſſalle, Wilhelm Liebknecht, Auguſt Bebel!
-.
Waren ſie nicht zeitleben8 mit erſtaunlicher Energie bemüht, alle
Wiſſen8gebiete zu bearbeiten, um daraus ihr geiſtiges Rüſtzeug zu
gewinnen? Ahr könnt nicht3 Beſſeres tun, als ihnen auf dieſem
Wege folgen. Mit Phraſen, und ſeien fie noh ſo alänzend, iſt der
ſchwere Kampf um Freiheit und. Menſ<enreht nicht zu führen.
Wiſſen iſt Macht. Tatſachen überzeugen.
Der Weg zu ernſthafter Bildung iſt freilich bDeihwerlich. Aber
waret ihr etwa biSher der Meinung, unſer Kampf je! ein Kinder-
ſpiel?
Er war es biäher nicht, und wird es in Zukunft erſt recht
fein. Die Neuordnung der Dinge durch die Revolution iel
Arbeiterſchaft vor einen gewaltigen Berg neuer Aufgaden. x
tiſ<en Jorderungen der Sozialdemokratie jind 321 einem aroß8t
Teil erfüllt; aber unſere Arbeit iſt dadur< feine5wegs geringer ge-
worden, denn jeder fommende Tag gebiert neus Aufgaben auf wirt-
fGaftlichem Gebiet, deren Löjung ein hohes Maß von Zactenntnis
vorau3ſeßt. Die Grundlage unſerer Mitarbeit auf wirtſGaftlichem
Gebiet iſt eine völlig andere geworden. Die Soztaldemofratie vat
vie politiſc</e Macht im Staat erlangt, iſt regioronde Kartei g8-
worden. Damit iſt eine ungebeure Vorantwortung auf ihre Scdcul-
torn gebürdet; denn nun muß es fic) zeigen, 09 fs initande it,
Rolitik und Wirtichaftsleben in ihrem Sinne umzugeſtalten. A15
Oppoſition3partei hatten wir weſenilich leichteres Spiel. Jetzt bilk
kein Maulſpiten, jekt muß gepfiffen fein. Jet müſſen wir I12
Kraft beweiſen, die imſtande iſt, das „alte moriche Ding. den <iaal“,
in neuer Geſtalt auf die Beine zu ſielen. Ün viels Iautfonde in»
ſerer Genoſſen ergedt jekt der Ruf, Sand ans Work zu Legen un
in Regierung und Verwaltung praktiſch mitzuarbeiten. Werden wir
7o viele und ſo gründli< dur<gebildete Kräfte aufbringan fönnen,
die imſtande ſind, die Riefenaufgabe zu hewältigen? Sadt ihr icon
einmal über die Folgen nachgedacht, die entſtehen wiirden, wenn wir
jeht verſagen würden? ES darf gar feine Frag2 ain, wir müſien
e3 ſchaffen!
Au3 dieſer Notwendigkeit ergibt ſich für uns, für die Llrdeoiter-
jugend, die unabwei3bare Pflicht, nun erit recht mit allen Vetttein,
mit aller Kraft die gründliche Ausbildung und Durchöildung unjerer
Mitglicder für die nenen Aufgaben zu betreiben. Für die Brauh-
barkeit jedes einzelnen von uns wird nahezu ausäf<lanagebend jein
das Maß von Konntniſſen in wirtichaftlichen Fragen, das or mit-
bringt. Und wenn ſchon das Phraſendreſc<en an fich eine üble Sache
iſt: auf wirtſchaftlichem Gebiet iſt es doppelt verworflich, übrigens
auch doppelt ſ<wierig; denn hier regizren die Tatſachen, und die
haben die verfluchte Eigentümlichfeit, daß man jie nicht aus den
Jingern ſaugen kann. Man muß jie einfa< wiſſen. Wer in
wirtſchaftlichen Dingen mitreden will, der muß ſeins Sache gründ-
lic< verſtehen. Alſo wiederum: Studium, Wiſſen, Bildung. Wir
kommen nicht darum berum. Wollen wir mitarbaiten am Work der
Zukunft, dann iſt eine gründliche Vildung das unzrläßliche Rüſtzeug.
Und mitarbeiten am Aufbau der neuen Zeit wollen wir dom
alle? Das iſt doh für uns alle eine Ehrenſache und LevenSsfrage.
Unſere ſ<wer kämpfenden älteren Genoijjen und Genoſſinnen ſollen
fich in un3 nicht getäuſ<t haben. Alle Mann an De> und in die
Riemen! Ein Jammerkerl, wer hier zuridbleibt!
- Alſo laßt euch nicht irre machen! Eure erſte, ſhHwierigſte und
herrlichſte Aufgabe iſt und bleibt, euch eine gründliche Bildung an-
zueignen und dann mit dieſer geiſtigen Rüſtung auf den Plan zu
treten. Nur ſo habt ihr Ausſicht, den Kampf erfolgreich zu beſtehen.
Jürgen Brand,
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