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Arbeiter- Iugend
- Die erſte Periode |
der deutſchen Arbeiterbewegung.
Von A. Conrady. “ (Fortkſezung.)
Jnmmerhin nahmen erleuchtete Geiſter ſchon zu Ende der
zwanziger Jahre wahr, daß eine große wirtſchaftliche Umwälzung
im Anzug ſei. Deutſchland8 genialſter Sohn wenigſten3 hatte
davon eine recht deutliche Vorſtellung. Im lekten Teile von
„Wilhelm Meiſter38 Wanderjahren“, der 1829 erſchien, hat Goethe
das alte hausinduſtrielle Syſtem in Spinnerei und Weberei an-
ſhaulich geſchildert, gleichzeitig aber auc< da38 Heraufziehen eincr
neuen Zeit erkannt, das Hereinbrechken einer großen wirtſc»ft-
lihen Umwälzung feſtgeſtzllt, die den von ihm rec<t idylliſch ge-
zeichneten hergebrachten Verhältniſſen den Untergang drohte.
Noch war in dem alpin:n Textilrevier, an dem Geethe exempli-
fiziert, nicht nur der Webſtuhl cin Beſtandteil der Einrichtung
einer Weberwohnung, ſowdern auch das Spinnen wurde vom weib-
lichen Teile der Bevölkerung zu Hauſe am Rade betrieben. Die
Fabrikanten waren, wie Goethe ſie auc nennt, „Verlagsherren“,
die da3 Nohmaterial ausgaben, und die fertigen Geſpinſte und
Gewebe gegen Lohn abnahmen, um ſie in ihrem Kaufmannsberuf
weiterzuvertreiben. Aber es herrſ<te ſc<on Sorge wegen einer
drohenden Gefahr. „Denn es war nicht zu leugnen, das Ma-
ſ<hinenweſen vermehre ſich immer mehr im Lande und bedrohe
die arbeitenden Hände nach und nach mit Untätigkeit." Weiterhin
ſpricht eine Verlegerfrau, die am Alten hängt, ihre Angſt vor dem
überhandnehmenden Maſchinenweien aus, das ſich heranwälzt wie
ein Gewitter, langſam, langſam; aber es hat ſeine Nichtung ge-
nommen, wird kommen und treffen. Sie befürchtet, daß das
deutſche, frohe Leben im Gebirge nac< und nad abſterben und die
Oede wieder in ihre uralte Einſamkeit zurückfallen werde. Sie
weiß nämlich recht gut, daß man in der Nähe ichen mit dem Ge-
danken umgeht, felbſt Maſchinen zu errichten und die Nahrung
der Menge an ſich zu reißen. Sie ſelbſt will davon nichts hören;
denn ſie käme ſich verächtlich vor, ſollte ſie dieſe guten Menſchen
plündern, jo daß ſie zulekt auswandern müſſen, was ſie als das
unvermeidliche Ende vom Liede anſieht. Andere ſind nicht ſo be-
denklich,* darauf Rückſicht zu nehmen; wir vernehmen von einem
künſtlichen, werktätigen Schelm, der im oberen Tale Maſchinen
anlegt, mit denen er alle Nahrung an ſich ziehen wird. Als die
gegebene Folge wird die Aus8wanderung angeſehen. Daß die Ar-
beiterſchaft auch in anderer Weiſe reagieren könne, wird nicht in
Betracht gezogen. Abr dig Zeiten der Julirevolution ſollten es
erweiſen, al38 die Pariſer Volkserhebung auch in Deutſchlano die
Geomüter bewegte. Die Stärke der Wirkung bezeugt Heine nnt
Abenkteuer in Ungarn.
Von G. Wißmann. /]
JT m Kraſſo Sörenyer Komitat in Südungarn, wohin mich meine Wan»
verluſt getrieben, hatte ich zu'cßt gearbeitet. Noch heute erinnere
im mich gern des luſtigen Völk<hens der Razen und Chokazen, mit
denen ich dort zuſammengelebt und wenig Leid, aber viel Freud geteilt,
Gino herrliche Gegend, das Grenzland von Ungarn. Höhenzüge, bewachſen
mit Zwetſchgenbäumen, die ihre reichliche Laſt an Früchten trugen,
troßdem ſich die Beſitzer dieſer Pfantagen blutwenig um die Obſtbuume
kümmerten und e3 dem Regen überließen, die Raupenbrut abzuſpülen,
aber deſto eifriger bei der Ernte waren und noh fleißiger beim Ver-
tuibgen derfelven, wenn die Zwetſchgen in feurigen Shibowiß umgewandelt
waren. Das war ein Leben an Sonn- und Feiertagen, deren nicht zu
wenig waren, denn die römiſch-katholiſchen Chokazen feierten ebenſogern
die grichiſch-katholiſchen Feiertage der Ragen wie dieſe, ſo auch um-
gefehrt. Beſonders der Tanz ging dieſem Naturvölkchen über alles,
doch nicht der Tanz wie bei uns, das Mädchen im Arm, ſondern Burſchen
wie Mädchen tanzten getrennt für ſich ihre Reigen, dabei ihre Weiſen
ſingend. Wäre ich noh lanze dort ge lieben, hätte ich mir ein Sybariten»
Icben angewöhnt, und wenn ich heute an der Kriegsbrotrinde kaue,
denke ich gar oft an die Gulatſchen (gefülltes Gabäk), die m ungeheuren
Bergen beim Pomanafeſt (Totenfeſt) der griechiſch-katholiſchen Razen
auf den Grabhügeln des Friedhofs lagerten. An dieſem Tage gedachten
dieſe mit Speiſe und Trank ihrer Toten, Flaſchen mit Slibowiß und
Berge mit gefülltem Gebä>> wurden in damaliger Zeit von den recht-
gläubigen Razen (eingetvanderte Serben) ihren verſtorbenen Angehö-
rigen zum Opfer gebracht, Auf den Gräbern ſißend, wurden an die
Zigeuner und Bettler, die ſich zahlreich einfanden, die Opfergaben ver-
teilt. Ein Feſttag für die Armen und ein Erntetag füx den griechiſchen
Pfarrer und Popen, der, reichlich mit Slibowiß gefüllt, von Grab zu
Grab zog mit dem Spruche „Daimni et ſehſerl, Gib mir ein Sechſerl“
und überall die kleine Silbermünze, zehn Kreuzer, einſammelte, Zus-
kunftsſorgen kannte das ſlawiſche Völkchen dort nicht, ſie ließen nicht
nur ihre Toten 1Tcben, ſondern lebten ſelbſt auch nicht ſchlecht, ſolange
ſie und ihre Nachbarn etwas hatten. Wurde in einer Familie ge-
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den Worten, daß feit dem Auftreten Luther8 auf dert Wo" mſer
Reich8tage keine Begebenhcit das deutſche Vaterland 15 tief auf-
geregt habe, wie die Julirevolution. Es langte freilic) nid zu
eincr deutichen Revolution, die der Nation zu ihren n- <ſten Bo-
dürfmiſſen, bürgerlicher Freiheit und Reichs8einheit, verbalfeit
hätte; aber, wenn e8 auch noch nicht bro, ſo krachte es doch ju;
ganz erheblich, und nicht am wenigſten Tegte es ſich im gewerb-
lichen Proletariat =- am Nh2in und in Sachſen, in Berlin und in
Hamburg, an einigen Stellen übrigens nicht 6hne Vorboten.
In den Rheinlanden hatte e3 ſchon im lebten Jahrzehnt vor
der Julirevolution nicht an gelegentlichen Ausbrüchen proleta-
riſcher Not gefehlt. So gab e3 in der Solinger Gegend ſ<hon
1826 eine ſtürmiſche Aufb*hnung der Schleifer gegen das drüdende
Trucſyſtem, und: 1828 erfolgte in Crefeld eine verzweifelte Em-
pörung der Seidenweber gegen ſkrupelloſe Lohndrückerei. Bald
nach der Pariſcx Juli- und unmittelbar nach der belgiſchen
Auguſtrevolution äber erlcbte div Aachener Gegend erſchre>ende
Ausbrüche leidenſchaftlichen Unwillens über die Begleit- umd Folge-
erſcheinungen der Umwälzung zur maſchinellen Großimduſtrie.
Die Vorgänge im benachbartem Belgien und in38bejondere die
ſtarke Bewegung unter der Arbeiterſchaft in Vervier8 waren
dabei erwieſenermaßen nicht ohne Einfluß, und im Mittelpunkt
der Geſchehniſſe erſcheint ein Fabrikantenname, der auch in Bel-
gien gewichtigen Klang hatte. Gegen die Maſchinenfirma Co>erill
in Aachen richtete ſich am 30. Auguſt 1830 der erſte Anlauf einer
wütenden Volksmenge, die Gebäude, beſonders aber Maſchinen
zerſtörte, Auch die Häuſer einiger anderer verhaßter Fabri-
kanten wurden angegriffen. Zweifellos hatte fich Qumpenprole-
tariat der Bewegung beigemiſcht und ließ es nicht an Bekun-
dungen ſriner DiebS8gelüſte fehlen. Binnen wenigen Stunden
traten bewaffnete Bürger dem tumultuicxenden Volk3haufen ent-
gegen, die dem Gewehrfeuncr unter Zurücklaſſung von acht Toten
wichen. Einige achtzig Mann wanderten ins Gefängnis. Dod)
waren ſich einſichtige Elemente des Aachener Bürgertums darüber
klar, daß man vernünftigerweiſe auch etwas gegen die Not des
Prob:tariat8 tun müſſc al8 den Grund, aus dem die Unruhen her-
vorgegangen. So regten Handelskammer umd Gewerbeogericht bei
der preußiſchem Regierung Verbot des Trucſyſtems und der will-
fürlichen Lohnabzüge an. Dafür hatte man aber in Berlin kein
Intoreſſe. Dagegen wurde gleich einem Verlangen der Aachener
Bürgerſchaft entſprochen, zur Verhütung ähnlicher Vorkommmiſſe
eino Garniſon nach Aachen zu legen. Daß dem Frieden nicht zu
trauen, bewieſen ähnliche Vorgänge, d'e ſich im nahen Eupen zu-
trugen, wo dann 1836 cerncut Maſchinenzerſtörungen erfolgten.
Sonſt war im Jahre 1830 :auf preußiſchem Boden nur eine
ſchlachtet, nahmen an dem Feſtmahl die Nachbarn teil und ſo ging es
rundum, Dabei wurde dem SlibowiB nur zu ſehr zugeſprochen, und
"manches Urteil, das ſpäter in Lugol oder Orſiwa gefällt wurde, war
Folge des Gelage8s, War nicht3 mehr vorhanden, pumpte der Dorfjude
dem Goſpod (Bauer), war das Slibowibfaß Teer, gab er der Goſpodina
friſchen, für die Gier, die ſie ihm täglich brachte. Der Schwabe und
mit ihm der Jude, der zugleich Kneipenwirt war, ſtreädte auch Geld vor
auf die zukünftige Kukuruzernte. Sie wurden immer reicher, der
l[ebensluſtige Rag oder Chokaz aber immer ärmer dabei, vis ſein leßtes
Stüc<hen Land dahin, der Schwab oder Jude Eigentümer desſelben und
der frühere Bauer Tagelöhner oder Bergmann in den dortigen Kohlen-
gruben wurde. So manche böſe Wuchergeſhichte kam mir dort zu
Ohven, und ſo mancher Racheſchwur, den ic< vernommen, ließ mich
bangen um die Zukunft habgieriger Schwaben und Hebräer, die den
Leichtſinn und die Trunkſucht des an ſich ſo gutmütigen Völkchen
aus8beuteten. Doch wo komme ich hin mit meiner Geſchichte, das wollte
ich gar nicht ergählen, es floß mir in die Feder beim Nachdenken an
jene Zeit. Nichts iſt ſchwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten
Tagen. So ging e8 auch mir, und ich forderte eines Tages, als die
Sonne draußen mit Gewalt lo>te und mir jeder vorüberflicegende Vogel
ein „Komm mit“ zurief, mein Arbeitäbuch, und mit ſlawiſchon Segens8-
ſprüchen reichlich verſehen, zog ich fürbaß. Ins Banat, ins geſegnete
Weigenland, von deutſchen Koloniſten, Heſſen, Pfälzern und Schwaben
zur Blüte gebracht, zog mich mein Siun. Eine Neuheit für den Hand-
werksburſchen lernte ich dort kennen. Al3 ich eines ſchönen Tages
Mittagbrot bei einem ſchwäbiſchen Bauern gegeſſen, wurde ich auf der
Straße von einer alten Frau angehalten, die mich nach meiner Grlaub-
nismarke fragte. Jhr Begehren unterſtüßte ſie dadurc<, daß ſie mir
einen mächtigen Knüppel unter die Naſe hielk und ihr Begleiter, ein
ſtruppiger Köter, ſich in meine neuen ungariſchen Stiefel, auf die ich
ziemlich ſtolz war, verbeißen wollte, J< wurde nicht klug aus der
Alten, bi3 fie mir in ihrem anheimelnden Schwäbiſch erklärte, daß in
den Schwabendörfern eine Stunde freie Fechtzeit mittags ſei. Da habe
jeder, der um Gotte8willen, d. h, ohne Geld zu Mittag eſſen begehre,
eine Blechmarke beim Schulzen zu löſen. “Dieſe habe er dann, wenn die
Stunde verfloſſen, wieder abzugeben. Wer dies nicht befolge, werde