Full text: Arbeiter-Jugend - 11.1919 (11)

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Arbeiker« Jugend 
 
Zum Bezirk8vorort wurde wiederum Caſſel beſtimmt. “Die Be- 
zirköeitung wurde dem Genoſſen Deerberg übertragen. Ihm ſteht ein 
Bezitk3vorjtand von acht Perſomen zur Seite. Nach Erledigung einiger 
geſchäftlicher Angelegenheiten wurde die Konfereng vom Vorſikßenden 
mit dem Wunſche auf eine geſunde und ſtetige Fortentwilung der Ar- 
beiterjugendbewegung geſchloſſen. - u. 
" Bei unſeren Genoſſen im Bezirk liegt e8 nun, nah den Richtlinien 
und Anregungen für ein friſches und frohes Leben -in den Vereinen zu 
ſorgen -und überall die Gründung von. Jugendvereinen zu veranlaſſen 
und zu fördern. Alle Ausfünfte erteilt der Bezgirköleiter Genoſſe Deer- 
berg, Caſſel, Bahnhofſtr. 10. 
B Zur wirtschaftlichen Lage A 
Reaktionäre Handwerksmeiſter. 
Vor kurzem faßte der Innung3ausſchuß der Stadt Cottbus einen 
Beſchluß, die geſezlichen Stellen zu erjuchen, die Lehrlingsarbeitszeit 
zu verlängern und die Fortbildungsſchulzeit außerhalb der Arbeitszeit 
 
zu legen: Zu dieſem Beſchluß erhobew die Lehrlinge der Stadt Cottbus . 
in einer öffentlichen Verſammlung Proteſt, den Genoſſe Lehrer Fiſchbach 
(Senftenberg) in einem Vortrag eingehend begründete. Innungs35meiſter 
und Fortbildungsſchullehrer hatten ſich ebenfalls eingefunden. Galt es 
doch die bedrohten "Geldbeutel durch die verkürzte ArbeitSzeit zu retten 
und den „Ruin des mdwerks“, der angeblich durch das Mitbeſtim- 
mungsrecht der Jugendlichen in Sachen der Fortbildungsſchulſrage ein=-. 
treten joll, zu verhüten. 'Als die Handwerksmeiſter jedoch den wohl- 
begründeten Vortrag de8 Lehrers Fiſchbach gehört, war ihnen wohl jeder 
Gedanfe eines Widerſpruchs genommen, da die grundſüßlichen Fragen 
im Intereſſe der Menſchlichkeit auch von ihnewr anerkannt werden müſſen 
und ſie verſchloſſen den vorgenommenen Proteſt unter behaarter Männer- 
bruſt. Der Referent führte u. a. folgendes aus: Bis zur N«evolution 
war die Arbeiterjugend von den Jugendheimen, ſtädnſchen Anſtaltem uw, 
aus8geſchloſſen. Der Staat hat ſich wenig uw die Kinder des Volkes 
gefümmert. Die Volksſchube wurde exiſt in den letztem Jahren etwas 
ausgebaut. BiSher war von leitenden EStellewm der Grunidjſatß aufgeſtellt: 
Ie weniger Bildung, deſto mehr grobe Arbeit. Aber ganze Menſchen 
follen geſchaffen werden. Dazu ſtellen wir drei Forderungen: 1. Gebt 
den Jugendlichen die notwendige Erholung, 2. gebt der Jugend da3 
fehlende Wiſſen, 3. gebt ihr den Jugerdſchuß. Meiſter, die ſelbſt das 
ſchwere Joch des Lehrling3 getragen. haben, ſie werden am eigenen Leibe 
geſpürt haben, wie notwendig dieſe Reformen im JIntoreſſe der Menſch- 
Tichfeit find. Die Erholung kann ihr mur geboten werden durch GEGin- 
Haltung des Achtſtundentages, dur< Feriem' und Freigabe des Mittwoch 
nachmittags. Die Jugend muß auch in ider freiem Zeit hingewieſen 
werden auf den Weg der Bildung. Da3 bezwect der Arbeiter-Jugend»- 
verein: HLoeſeabenide, DiSkutierabende, Vorträge, Bibliothefen, Spiele, 
Geſang und Turnen dienen dort körperlicher und geiſtiger 'AuSbildung, 
Das logiſche vernunftmäßige Denken muß gefördert werden. Gs wird 
nicht locker gelaſſen werden, bis ein Reichsjugendgeſeß geſchaffen iſt. Wir 
fordern b6ſtündige Arbeitszeit für Jugendliche, (GEimzelne Handwerks- 
meiſter verfallen in wüſtes Lärmen und Proteſtſchreiem, die Herren: haben 
wahrſcheinlich noch nicht e*nmal den 8ſtündigen Arbeit8tag eingeführt, 
nun gar noc dem 6ſtündigen. Der Redner iſt ſtellenweiſe gezwungen, 
ſeinen Vortrag auszuſeßen, da das Schreien der „Angeklagten“ zu- 
nimmt -- die Jugend ſtellte dieſem Gebaren ein Hohn= und Spottlachen 
entgegen, was bei vem Temperament aller Jugend ſelbſt dex gewiegteſte 
Pädagoge micht hätte vermeiden können) Woltew wir alle Meiſter an- 
zeigeru die den Achtſtundentag Übertreten, ſo wäre extra für dieſe albein 
ein Staal8anwalt nötig. Zur Abſtellung der Mängel im dem Fort- 
bildungsſ<ulen und zur engeren! Verkettung zwiſchem Lehrerſchaft und 
Schülern ſollen Schülerräte eingerichtet werden, die im Kuratorium der 
Schule vertreten ſein müſſen, Um 6 Uhr gehört Schluß dex Schule, der 
Unterricht ſoll in die Vormittagsſtunden gelegt werden, wo Geiſt und 
Körper friſch und aufnahmefähig ſind. Wir verlangen gange Arbeit von 
Staats wegen. - Wenn die Meiſter in ihrem Proteſt gegen' dem Schuß 
der Jugend ſo fortfahren, werden ſie überhaupt Feine Lehrlinge mehr 
erhalten. Der Lehrplan muß unter Mitarbeit der Schülerräte und 
Lehrerſchaft neu gefaßt iwwerden, Die Rechtſprechung Über die Jugend 
bedarf der Reformierung, Erſt mit bem 24. Lebensjalhr iſb der Jugend 
Tiche reif für das Gericht = aber nicht für Kerkexmauen, ſondern: für 
eine humane Eziehungs3form und Sühne für ſeime Vergehem. Kein Be- 
Lagerungs8zuſtand, Ffeim Gefängnis mehr für Jugendliche, ſondern Berufs- 
Beratungsſtellen für Meiſber und Jugenbliche ſchaffen. Der frühere 
' Staat und der Widerſtand der Handwerksmeiſter waren mit die Hinder- 
niſſe, daß die Jugend nicht ſeeliſch den Weg zur Vervollkommmung bes 
ſchritt... Raſtlo3 durch Fleiß und' Hingabe an ihr Gewerbe müſſen die 
Lehrlinge an ſich ſelbſt arbeiten, dazu gehört ihnen 'die Mithilfe Er= 
wachſemrer, =- In der nun folgenden DisSkuſſion weiſt Herr Rektor Richter 
die Vorwürfe Des Hexrn Matbermeihſters8 Dome, die ſich im ſeinen 
Zwiſchenrufen gegen die Lehrerſchaft richteten, zurü>, Die Lehrer der 
Stadt ſcheuen keine Mühe und feine Mittel, ſich ſelbſt zu ergänzen und 
- der Jugend ſtändige Berater und Führer zu ſein, Er erklärt ſich mit 
den Ausführungen ſeines Kollegen' Fiſchbach einverſtanden. -- Von 
fſeitenderU. SP, D, führten Trederund Pröllop künſt- 
liche politiſ<e Selbſtſuggeſtionern aus, um die Jugend- 
lichen mit ihrer unflaren und uferloſen 'Spandalpolitik zu verwirren, 
Ihre Ausführungen gingen. in einem wüſten Chaos von Unruhe und 
 
Proteſt verloren, =- Aus. dem Vorſtand der Arbeiterjugend weiſb Helbig - 
entſchieden jedes Zuſammenarbeiten mit den Unabhängigem und Komse- 
auniſten zurücd für jeht und die fernſte Zukunft. Wir wollen nicht die 
ToUhausſzenen Dieſer Sprecher mitmachen, ſondern aus dem Material 
des Vortrages Nükbliches ſchaffen und aufbauen.. Wir bedanken uns für 
die Ergiehung durch ſolche „Pädagogen“, -- Ganſc<how gibt Beiſpiele aus 
dem Zuſammenarbeiten von Arbeiterjugendſ<ußkommiſſionen und Polizei- 
verwaltung, wie die Meiſter ſyſtematiſch troß wiederholter Verwarmung 
von den Behörden den Achtſtundentag übertreten und ſogar „Schwaxrxze 
Ziſten“ im Umlauf ſeien. Zwei Reſolutionen werden ein- 
ſtimmig angenommen, die eime beantragt die baldige 
Cinführung der Schülerräte und deren Vertretung 
in den Kurätorien; die zweite die Ausarbeitung 
eines Jugendſ<hubgeſetßes von Reichs wegen, ſie legt 
gleichzeitig Proteſt ein gegen den Beſchluß der Cott- 
buſer Innung35meiſter betr. Verlängerung der Ar- 
beit8zeit der Jugendlichen und Lehrlinge. 
. R : 
Lehrlinge aufs Land -- in Oeſterreich! 
Wie aus Wien gemebdet wird, findet die im Vorjahr von ds&n 
Krankenkaſſenverbänden und den Gehilfenausſchüſſen begonnene Aktion, 
wodurc< mehr als tauſend Lehrlinge im vorjährigen Sommer im Ba- 
ra<enlager in Mähriſch-Trübau angenehme Erholung fanden, ihre Fort«- 
jebung und Erweiterung. Vorläufig wird zu dieſem Zwec> ein Teil des 
großen ehemaligen Flüchtlingslagers in Gmünd benußt werden. Schon 
durch die Einrichtungen des Lager3 ſelbſt wird der Aufenthalt der Lehr- 
linge noch viel angenehmer als in Mähriſch-Trübau geſtaltet werden 
können. Am füdlichen Rand des Lager3, in den ſogenannten Wald»- 
barad>en, können 500 bi3 600 Perſonen Unterkunft erhalten. Jede Ba- 
raXe beſteht aus einem Vorraum, der als Tagraum für die Pfleglinge 
benußt werden foll, und aus zwei geräumigen Schlafſälen, die den ge» 
ſundheitlichen Bedürfniſſen vollkommen enbſprechen. Im Lager ſelbſt 
befinden ſich eine eigene Bäckerei, Fleiſcherei und Dampfwäſcherei, die 
natürlich auch den Lehrlingen zur Verfügung ſtehen Erwähnens5wert 
iſt auch noch das tadello3 eingerichtete Spital, welches ebenfalls zur Be- 
nußung geſtellt werden wird. Der KüchenLletrieb wird gemeinſam mit 
- den Kiniderfreunden, die ebenfalls einige hundert Kinder zur Grholung 
hinausſenden, gefährt werden. An das Lager grenzt ein herrlicher Nadel- 
wald mit einem großen Teiche, der dem früheren Erzherzog Hubert . 
Salvator gehörte und ſelbſtverſtändlich von der erholungſuchenden Ju- 
gend benubt werden wird. Auch vine große Spielwieſe iſt vorhanden. 
53 iſt zu erwarten, daß viele Tauſende Lehrlinge und jugendliche Ar- 
beiter des Genuſſes ciner wahren Erholung teilhaftig werden, -- Soweit 
die vſterreichyc<e Meldung, viuch in Deutſchland müßten ähnliche Gin- 
richtungen geſchaffen werden, denn e3 genügt vatürlich nicht, daß die 
Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter ausreichenden Exrholungsurlaub ex- 
halten, jondern es muß ihnen auch die Gelegenheit gegeben. werden, auf 
dem Land, im Gebirge, an der See dieſen Urlaub möglichſt zwedent- 
ſprechend, d. H. zur ausgziebigſten körperlichen und geiſtigen Kräftigung 
auszunußen, 127 
Frage. 
Schier jede Höhe ward erſtiegen, 
Erforſcht bald jeder Tiefe Grund, 
Doch wo des Unglücks Grenzen liegen, 
Das ward noch keinem Menſchen kund. 
Auf jedes Leid in deinen Tagen 
Folgt noch ein größres, nie zu dir 
Und deinem Herzen kannſt du ſagen: 
Ich ſeh ein Ziel der Sorgen hier. 
Ein Führer kennt des Waldes Stege, 
Der Fährmann ſeines Stromes Lauf, 
Doch wer kennt, Schickſal, deine Wege, 
. Wer hellt -des Lebens Irrſal auf? Hermann von Lingg. 
  
 
 
 
  
 
 
 
 
  
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Diktionär (frvanz.), Wörterbuch. 
Grempifiäieren (vom lat. exemplum, das Beiſpiel), durch Beiſpiele bes 
weiſen. “ 
Inſtinkt (lat, „Anreizg“), Naturtrieb. 
Kategorie (griedh.), Begriff, Gattung, 
Reagieren (lat.), rüdwirken. 
Skrupellos, ohne Bedenken, rüdſichts8lo3, 
Symptom (griech), Anzeichen, Kennzeichen. 
Trucſyſtem (ſprich: trö>k-, vom engl. Tru, „Tauſch“"), das Verfahren, 
Arbeiter nicht mit barem Gelde, ſondern durch Waren (namentlich 
aus einem vom Arbeitgeber unterhaltenen Laden) zu entlohnen. 
 
„TE EESTI aA STETS OUTS OE OATIEUS SAUEN SYED SITÜTOS OTITIS OTTER SSETTDN TEG ANDE DT OD OD oE a 
Redchtzeifig erneuern PETuenr das die z = „Albeiter-Jugend" 
alle unſere jungen Freunde und Freundinnen, die nicht wollen, daß in 
' der Weiterlieferung eine unliebſame Unterbrechung eintritt. 
EE AE dE EE dE a a ab ede deb ie gw vv a dB ae be edi 
 
 
- Berantwortlich für die Redaktion: I. V.: R, Lohman 
we 
nn, => Verlag: Heinr. Schulz (Hauptvorſtand de8 Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutſchlands), =“ Dru: Vorwärts 
Buchdruckerei und Verlagsanſtalt Paul: Singer & Ca, Sämtlich in Berlin, . SIE
	        
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