Full text: Arbeiter-Jugend - 11.1919 (11)

Arbeiter» Iugend 
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zeigt auc< ſchon, daß ein gewiſſer Drang in ſozialiſtiſcher Richtung 
ji) geltend zu machen begann. Wirth ſelbſt hatte in ſeinem Blatt 
jozialiſtiſ<e Anwandlungen, verlangte eine große Aſſoziation, um 
begabte Kinder dzr Armen für höhere Berufe zu erziehen, und eine 
Nationalkaſſe, um dem- kleinen Mann durch Kredit wirtſchaftlich 
hochzuhelfen. Noch ſtärker ſollte der Einfluß der ſozialen Fragen, 
die Rückſichtnahme auf die Arbeiterintereſſen zutage treten unter 
den deutſchen Frz2iheit3männern, die ſic bei zunehmender Reaktion 
im Auzland zufammenfanden. Zumal Paris wurde zum Haupr- 
quartier der republikaniſchen Emigration, die ſich hauptſächlich aus 
Univerſitäts8kreiſen rekrutizrte, aber mit einer ſtarken deutſchen Ko- 
lonie überwiegend anderen Zuſhnitt3 bei ihrer revolutionären Ag1- 
tation zu rechnen hatte. 
Der namhafteſte Vorkämpfer der Demokratie unter den Pa- 
riſer Deutſchen in den erſtan Jahren nach der Julirevolution war 
der berühmte Publiziſt Ludwig Börne aus Frankfurt a. M. Hein- 
rich Heine bezeichnet ihn al8 die Sezle der Pariſer Propaganda. 
Aus Heines vielfach nicht gerade beſonders erquiclicher Schrift über 
Qudwig Börne ergeben ſich interzſſante Aufſchlüſſe über die deutſche 
Agitation in Pari8 und den ſozialen Charakter, den ſie unter den 
Verhältniſſen der dortigen Emigration annehmen mußte. Aud) 
Börne ſelbſt gibt in ſeinen Briefen au8 Paris manchen Anhalt3punkt 
dafür, warum diz dentokratiſche Bewegung nnter den Pariſer Deut- 
ſchen: einz beſondere Richtung einſchlagen mußte. E3 lag an der 
Einwirkung der franzöſiſchen Staat3- und Gofellſhaftsverhältniſſe 
der Zeit des Bürgerkönigtums8 auf ein überwiegend proletariſches 
deutſc<e8 Publikum. Börne hat in ſeinen Briefan beredt dargelegt, 
wie ihn die Geldſa>3herrſchaft der Julimonarchie abſticß, und hai 
die Ausſ<ließung der Maſſe vom Wahlrecht dafür verantwortlich g2- 
macht, wenn e8 zum Kriege der Armen gegen die Neichen komme, 
den er al8 unvermeidliß und in folc<en Vorgängen wiz dem Lyoner 
Seidenweberaufſtand vom November 1831 jchon eingeleitet anficht. 
In ſolchen Verhältniſſen lebten nun an 'Deutſ<en, wie Börne am 
17. September 1880 ſchreibt, „viele Tauſend in Pari8, teils mit 
tüchtigen Fäuſten, teils mit tüchtigen Köpfen“. Mit jenen meint 
er die deutſchen Handwerkergefellen, die bejonder8 ſtark in der 
Schneiderei, nächſtdem in der Holzbearbzitung, aber auch in an- 
deren Gewerben vertreten waren. Er verſprach ſich damal3 noch 
nicht viel von den Handwerks8burſchen für- den Kampf um die Frei- 
heit, indem er die Meinung hegte, daß ſie es im deutſchen Vater- 
lande nicht ſ<limm hätten: „In ihrer Jugend dürfen ſie auf der 
Qandſtraße betteln, und im. Alter machen ſie die Zunfttyrannen. 
Sie haben nichts zu gewinnen bei Freiheit und Gleichheit.“ Un- 
begreiflic) dagegen findet er die Gleichgültigkeit der vielen armäen 
Teufel von Gelehrtan. Sein Urteil über die Sandwerksburſchen, 
das keine8wegs8 völlig grundlo8 war, hat er ſpäterhin jehr eryeolich 
korrigiert. Ende Februar 1832 berichtet er von der Begründ.u13 
der deutſchen Aſſoziation für die Preßfreiheit, die nach Heines Au5- 
dru> im Anfang nicht3 andere3 war al38 zine Filialgeſellſchaft des 
Preßvereins von Zweibrücken. Vörne, der für die Sache ſehr tätig 
war, hatte an einem patriotiſchen Eſſen von einigen ſec<3zig deutſchen 
Handlung8kommi8 teilgenommezan, deren politiſche Temperatur ihn 
nicht beſonders begeiſterte. Dagegen hebt er das vortreffliche Be- 
nehmen der deutſchen Handwerker hervor, die ſich ſogleich zahlceich 
in die Beitragsliſte eingetragen, und zwar keine3wegs mit dem 
Minimmatbetrag von 1 Sou. In einem deutſchen Speiſehaus der 
Rue Tirecbappe mit proletariſ<er Kundſchaft hatten ſich ſc<on 
69 Mann, meiſt mit einem Franken, eingezeichnet. 
Was zuſtande kam, war eine überwiegend proletariſche Vereini- 
qung, und ſo ſpricht denn auch Hermann EwerbeF in ſein2m Buch 
über Deutſchland und die Deutſchen davon, wo Börne nach gelunge- 
ner Gründung de8 „erſten politiſchen Vereins der deutſchen Ar- 
beiter“ der freudige Ausruf zugeſprochen wird: „Freunde, jekt kann 
ich ruhig ſterben, Deutſchland iſt g2rettet.“ Heine dagegen redet 
von den demokratiſchen Zuſjammenkünften mit der Geringj<hugung 
eines GeiſteSariſtokraten. Er iſt bloß ein einziges Mal in einer 
der Verſammlungen von Handwerkern deutſcher Zunge geweien, die 
in einem großen Saal der Innenſtadt oder in dan äußeren Arbeiter- 
vierteln ſtattfanden. Die Pariſer Propaganda beſteht ihm zufolge 
viel mehr aus rohen Händen als aus feinen Köpfen. Taujende von 
doutichen Handwerk8geſellen ſind hier zu Republikanern geworden, 
die die neue Ueberzeugung predigen. Dieſe Propaganda erſcheint ihm 
als fehr gsfährlich. Mächtiger als Börne3 geſchriebene Rede nennt er 
Börne8 mündliches Wort, das von dieſen Leuten mit apoſtoiiichem 
Eifer in der Heimat verbreitet worden ſei, wobei er die ungeheure 
Maſſenhaftigkeit der doutichen Handwerker hervorhebt, die ab und 
zu nach Frankreich auf Wanderſchaft gingen. Die Wißchen nord? 
deutſ<her Blätter über die Tatſache, daß Börne mit ſechshundert 
Schneidergeſellen auf den Montmartre geſtiegen, um ihnen eine 
Bergpredigt zu halten, entlo>en Heine ein mitleidiges Achſelzu>en, 
denn er ſieht voraus, daß die von Börne geſtreute Saat früh oder 
ſpät die fur<tbarſten Früchte hervorbringen werde. Er hat Börnes 
Rede das eine Mal, wo er ihn hat ſprechen hören, höchſt wirkſam 
gefunden und ſchließt das kurze Stimmungsbild auf ſeine Art mit 
der Jarkaſtiſhen Bemerkung, ein verwachſener, frummbeiniger 
Schuſtergeſelle wäre mit der Behauptung aufgetreten, all2 Menſchen 
ſeien gleich, eine Impertinenz, über die er ſich nicht wenig geärgert 
und wonit er genug bekommen habe; weiterhin läßt er fich dann 
noch über den unerträglichen Knaſterqualm aus, womit die Verſam- 
melten, „ſämtliche Vaterlandsretter mit Tabakpfeifen im Maul“, 
den Saal angefüllt. Der verwöhnte Liebling der Grazien hatte alſo 
ſ<were Not, zu begreifen, wie Börne es hat über ſich gewinnen 
können, an dieſer Atmoſphäre Geſchmack zu finden. Börne war 
eben aus anderem Holze geſchnißt und iſt mit den proletariſchen 
Bunde8genoſſen ſoweit wie nur möglich zufammengegangen, als 
dieje von ihrem Klaſſeninftinkt immer mohr für kommuniſtiſche Be- 
ſtrebungen empfindlich gemacht wurden, denen Börne, als er feine 
Pariſer Briefe ſchrieb, keine Sympathie bekunden fonnte, wie ſ2ine 
ablehuenden Bemerkungen über die Gütergemeinſchaft3lehren der 
Saint-Simoniſten beweiſen. - (Schluß folgt.) 
 
 
Elternhaufe, das auf dem einen Dorfende als leztes nach dem Felde 
zu lag, „eingegangen“, wie der landläufige Ausdru> für Beſuche lautete. 
Bei dieſex Gelegenheit wurde, wie ſo oft ſchon, darüber hin- und her- 
geraten, wie der Schaß gehoben werden könne und wer wohl den Mut 
dazu finde. Ein jeder hätte ſich gern in den Beſiß des Geldes geſckt. 
Aber da auch ein jeder das Fünk<en Leben lieb hatte, das ihn -- wenn 
auch noch ſo ärmlic< -- beſeelte, ſo war die Furcht. vor den .Gefahren, 
. die die Schaßgräberei in ſich barg, doch zu groß, al3 daß man unbeſehen 
an die Ausführung gehem wollte. Bei der Erörterung über das) wahrſchein= 
liche Erſcheinen der Geiſter und Geſpenſter während de8 Grabens malte 
ſich deutlich die ſchlotternde Angſt auf den Geſichtern. Der Spuk, 
der au8 dem einen und andern Munde aufgetiſcht wurde, war auch 
zu grauenhaft, al8 daß er ſeinen Eindru> nicht verfehlte. Uns Kindern 
ſtanden wörtlich die Haare zu Berge. Andererſeits war die Gier nach 
Geld bei den armen Landproleten groß, und es wurde immer wieder 
erwogen, was zu tun ſei, um die Sache in Angriff zu nehmen und 
glücklich zu Ende zu führen, Schließlich ſiegte die materielle Begierde 
über die Schrec>en der Hölle. Drei handfeſte Männer gelobten ſich in 
die Hand, am folgenden Abend den Schaß zu heben. Punkt 11 Uhr 
wollten fie ſich in der Wohnung meiner Eltern, mit Ha>e und Spaten 
ausgerüſtet, zuſammenfinden, um von hier aus gemeinſam nach den 
15 Minuten entfernten Apfelbäumen aufzubrechen. Der Dorfſc<hneider, 
der bei der Unterredung zugegen war, hatte durch ſeine Ermunterung 
vas meiſte zu dem Entſchluſſe beigetragen, Beim Auseinandergehen 
wünſchte er lachend ein gutes Gelingen. 
Der andere Tag nahm wie immer ſeinen monotonen Verlauf. Uns 
Fändern jedoch, die die bevorſtehende Schaßgräberei eifrig beſprachen, 
wollte e8 ſcheinen, daß er der wichtigſte in unſerm Leben ſei, Wie der 
Johannistag fo lang wurden die Abendſtunden. Endlich war es 11 Uhr 
-- die Geiſterſtunde begann. Die Luft war pechſ<warz, ſo daß ſelbſt 
ein fpukfreies Gemüt eins gewiſſe Schwäche anwandeln konnte 
 
Nichtsdeſtoweniger waven die Schaßgräber pimktlic zur Stelle. Laut- 
lo3 ſchlugen ſie ihren Weg zum Felde ein. Wir horchten zum Fenſter 
hinaus, bis das Geräuſch ihrer Schritte verhallt war. Dann bemäc- 
tigte ſich unſerer Sinne eine gewiſie Bekiemmung; das Herz klopfte 
börbar. Was würde in den nächten Minuten paſſieren? Sollte cs ge» 
lingen, den Schaß zu heben, oder würden die Schabgräber vom Teufel 
und ſeinen Grſpenſtern maſſakriert werden? Das waren die Fragen, 
die Alte wie Kinder angſtvoll beſchäftigten. 
Da! Mit einem Male werden wir in unſerm Brüten von 
gellenden Schreilauten aufgeſtört. Alles -ſtürzt an vie Fenſter. Die 
Augen ſpähen angeſtrengt nach der Richtung der Apfelbäume. Jn der 
Finſternis iſt aber nichts zu erkennen. Meine Großmutter, die ein 
äußerſt ſ<harfes Auge hatte, ſagt, ſie glaube, einen unbeſtimmten weißen 
Runkt zu ſehen. Wir befinden un3 alle in der höchſten Spannung. 
Nicht. lange, da hören wir laufen und ſhnaufen. Nur noch eine kurze 
Weile, und unſere Schaßgräber kommen einer nach dem andern zur Tür 
hereingeſtürzt, außer Atem und in Schweiß gebadet. TodeSangſt zittert 
auf ihren blaſſen Geſichtern. Wir betrachten ſie beſtürzt und voller 
Erwartung, wa38 ſie au erzählen haben. Meine Großmutter verſchließt 
in der Sorge um unliebſame Zwiſchenfälle die Tür. Als die Halbtoten 
einigermaßen zu ſich gekommen ſind, berichten ſie ſtü>- und ftoßweiſe ihr 
Erlebnis. Sie hätten bereits cine geraume Weile gegraben gehabt, als 
au3 dem einen Baum ein weißes Geſpenſt unter ſie geſprungen ſei. 
Faſt hätten ſie den Tod davon gehabt. Ohne ſich weiter umzuſehen, 
hätten ſie alles liegen und ſtehen laſſen und ſeien ſpornſtreichs davon- 
gelaufen. „Das Sc<aßgraben iſt doch eine fündhafte Sache,“ meint 
ver eine, „eine Verſuchung de3 Höchſten," der andere. Alle drei ſchwös- 
ren, in ihrem Leben nie mehr Shäße graben zu wollen. Sie hofften, 
daß ihnen auf Grund eines demütigen Leben3wandcl3 der Herrgott das 
eine Mal no<h vergeben werde. Wir hörten, in uns gefehrt, zu. 
(Schluß S. 190.) -
	        
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