Full text: Arbeiter-Jugend - 11.1919 (11)

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Arbeiter-Iugend . 
 
== memmrrrs 
 
ſic) auf dem bedenklich wa>kelnden Geſtell im Gleichgewicht zu 
Ipalten, und dabei fluchte er fo laut und nachdrüc>lich, daß die bei- 
den Hunde unwillfürlic) an die Klopfpeitſche denken mußten, die 
unter ähnlichen Gefühlsergüſſen vom; Nagel heruntergeholt zu 
werden pflegte. In der Erwartung ider unausbleiblichen Prügcl 
kniff Minka den Schwanz zuinſchen die Beine und ſchielte nach dcmnu 
Baum herauf, Strolch aber beeilte ſich, fein ſchätgbares Fell zu ret- 
tcn und führte einen begeiſterten Indtanertanz auf. 
Dem Schüßen war inde38 aller Humor abhanden gekommen. 
Er brüllte und zappelte weiter und gebrauchte R'dewendungen, die 
zweifello3 dem guten Geſchma> zuwiderliefen. Strol< und Minka 
begriffen, daß das Gericht nicht ſo ſchnell über ſie kam, wie ſie ge- 
fürchtet hatten, und zogen e3 vor, eine audere Gegend aufzuuchen, 
denn mit dm Rehbo>d war es doch vorbei, und» wenn der da wirk- 
lich herunterfam, waren peinliche Dinge nicht zu vermeiden. Der 
Nimvred ſchimpfte weiter hinter ihnen her, al3 ſie ſich durc< einen 
Qupinenſchlag tollten und ein ahnungs8loſe3s Karnickel zu verziwei- 
felten Sprüngen nötigten. Dann rutſchte er vorſichtig den Staman 
herab umd ſüchte den Fiſcher auf, Aber was die beiden einander 
zu ſagn hatten, bleibt beſſer unerzählt 
8 
Benedikt Spinoza. 
n alter Zeit bewegte ſic das Denken der Menſchen über die 
Welt nur im gleichen Gedankenkreiſe wie das Denken über 
die Götter; e8 war rein theiſtiſch oder theologiſch. Das3 nicht- 
theologiſche Denken hat ſic) erſtmalig bei dem geiſte8begnadeteit 
Volke der Griechen um die Mitte des erſten vor<riſtlichen Jahr- 
taufend8 entwickelt. Staatsmänner, Politiker waren es, denen 
zuerſt der Zwieſpalt in der auch ſchon bei ihnen gepredigten gött- 
ichen Weltordnung auffiel, und die darum an den Göttern, ihrer 
Macht und ihrem guten Willen, alles zum Beſten der Menſchen 
zu leiten, zu zweifeln begannen. .Sie ſuchten ſich desShalb das 
Weſen der Welt, ſowie Zwc> und Aufgabe dcs Menſchen in der 
Welt nicht mehr nach Anleitung der uralten prieſterlichen, über- 
und widernatürlichen Ueberlieferung, ſondern nac< den Grund- 
ſäßen des natürlichen Denkens8, ihrer Vernunft, die ſie auch ſonſt 
in ihrer ſtaatlichen Tätigkeit anwenden mußten, zu erklären. 
Dieſe Denker nannten fich Philoſophen, Weisheitsfreunde, und 
ihre Denkreſultate nannten ſie Philoſophie. 
Prieſter und Prieſterfreunde haben nac< Zuſtandekommen 
der neuen, der eigentlich erſten „Wiſſenſchaft“, dieſe mit der Theo- 
logie oftmals wieder zuſammengearbeitet zu einer ſog. Religions8- 
philoſophie --- aber dies iſt eben nicht mehr wirkliche Philoſophie, 
die im völligen Gegenſaße zur Theologie entſtanden iſt, kein will- 
fürliches Handeln von Gottheiten zuläßt, ſondern vernunftgemäß 
alle Erſcheinungen in der Welt auf Regelmäßigkeit (Geſet) und 
Einheit zurückzuführen ſucht, 
Jreilich kann die Welt nicht aus der reinen Vernunft ab- 
ſtrahiert (abgeleitet) werden. Denn was der Menſ< mit ſeiner 
Vernunft denken kann, das muß auch erſt die Erfahrung ſeiner 
Sinne in den Kopf, in den Verſtand hineingeleitet haben. So iſt 
vernünftige Philoſophie alſo ſtet3 von der Erfahrung und dem 
ſpeziellen Wiſſen des einzelnen wie der Geſamtheit, der er ange- 
hört, abhängig. Und da beiderlei, weil der Menſ< viel Altes 
zwar überliefert erhält, aber auc; Neue3 dazu lernt, ſich ändert 
und vor allem vermehrt, ſo verändern und verbeſſern ſich auch mit 
der Zeit die Philoſophien, die vernunftgemäßen (rationaliſtiſchen) 
Weltanſchauungen, di2 natürlich nirgends mit Erfahrungstat- 
ſachen in Widerſpruch ſtehen dürfen; ſie kommen der Natur und 
der Wahrheit immer näher. Ihr ſtufenweiſes Auſſteigen, ihr 
zeitweiliges Stehenbleiben, Verſumpfen und Nückwärt3gehen, bis 
heute von den allgemeinen Kulturzuſtänden abhängig, erzählt - 
die bändereiche Geſchichte der Philoſophie, deren vortrefflichſte 
eine, F. A. Langes Geſchichte des Materiali8mus (in der Reclaim- 
Bibliothek erſchi2nen) jeder, der auf Durchſchnitt8bildung Anſpruch 
macht, nicht nur geleſen haben, ſondern beſiken ſollte. 
- Eines der umfaſſendſten und verſtändlichſten, auch mit keinerlei 
Erfahrung in Widerſpruch ſtehenden Syſteme der Philoſophie hat 
Benedikt (Baruch) Spinoza aufgeſtellt. 
Spinoza iſt einer der edelſten Vertreter der Menſ<heit. In 
Amſterdam wurde er 1682 als Abkömmling ſpaniſch-portugieſi- 
ſcher Juden geboren. Dieſe hatten ſchon viele Jahrhunderte 
früher, als Spanien no< unter der Herrſchaft der bildung8freund- 
lichen Mauren ſtand, eine hohe geiſtige Stufe erreicht, hatten 
viele Gelehrte, darunter manchen kühnen Kritiker der eignen wie 
der fremden Religionen hervorgebracht. In Spinoza lief ihr 
Geiſt nochmals in eine hohe Spike aus, Er lernte alles leicht und 
darum viel und war zu einem Licht der Synagoge beſtimmt, Aber 
ſchon mit zwanzig Jahren wandte er ſi von ihr ab, ohne ſich 
jedoc<; zum Chriſtentum zu „bekehren“ =- er iſt der erſte „Kon- 
feſſion8loje“. Weder reiche Geldverſprechungen noch der feierliche, 
mit den ſchlimmſten Verfluhungen verbundene Aus8ſc<luß aus der 
Synagoge, nos auch ein zum Glü> mißratener Mordverjuch eines 
Fanatifcrs konnten ihn von der einmal. eingenommenen Stellung 
abbringen. 
Das erſte größere Werk, da8 Spinoza veröffentlichte, iſt eins 
der kühnſten, revolutionärſten Bücher, die je geſchrieben wurden. 
E3 iſt der „Theologiſch-politiſche Traktat“. Darin zeigt er, daß 
der Bibol, insbeſondere alten Teſtament8, deren Anſehen ſeit der 
Reformation bei den Proteſtanten Nordeuropas ins Ungemeſſene 
geſtiegen war, keinerlei geſchichtliche Glaubwürdigkeit beizumeſſen, 
ihr Zwe>k nur religiöſe Erbauung und moraliſche Beſſerung ſei 
-- Weiter aber, daß die geſamte Neligion der Phantaſtik ent- 
ſpringe und es keinerlei göttliche Offenbarung, Weiſſagungen und 
Wunder gäbe. Er verlangt de8halb vom Staate völlige Ge- 
danken-, Schreib- und Neligionsfreiheit, mit der es auch in dem 
als religiö38-freiſinnig verſchrienen Holland damaliger Zeit noch 
recht windig au8ſah, ferner Trennung des Staate8 von der 
Kirche. Die gewaltſame Unterdrü>ung des freien Denkens, ſo 
führt er da aus, findet weder im Weſen de8 Staates noch der 
Religion ihre Berechtigung; im Staate nicht, weil der es nur mit 
dem handelnden Menſchen zu tun habe und daher nichts in 
ſeine Gericht3barkeit ziehen könne, wa8 nicht die öffentliche Ruhe 
ſtöre = in der Religion nicht, weil dieſe nicht das Wahre, ſondern 
nur das Sittliche und Nükßliche zu ihrem Aus8gang38punkt habe. 
--- Die Aufklärer der folgenden Zeit haben ſich dieſer ſcharfen 
Waffe, inöbeſondere der ſehr ausführlichen Bibelkritik, der erſten 
modernen, reichlich und kräftig bedient. 
- Spinoza war auch ein ehrlicher und eifriger Demokrat; in 
einem freilich nicht fertig gewordenen „Politiſchen Traktat“ hat 
er ein ganze3 ſtaatliches Syſtem der Demokratie entwidkelt. 
- Der ſtaatlichen Verfolgung entging Spinoza durch ſein per- 
ſönlich ruhiges Leben, =- nicht jo, wie bereits erwähnt, der fana- 
tiſc<er Volk38genoſſen; auch den Pöbel ſuchte man wiederholt 
gegen ihn aufzuregen. Er verdiente ſich ſeinen Leben8unterhalt 
durch Schleifen von Gläſern für feine optiſche Inſtrumente und 
ſtarb, erſt 45 Jahre alt, 1677 an der Schwindſucht, die er ſich hier- 
bei zugezogen. Unterſtüßung dur< reiche Freunde ſchlug er 
meiſt aus. 
Sein Hauptwerk, „Ethik“ betitelt, in dem er Welt und Welk- 
arund, vor allem aber de8 Menſchen Leben3zwec> und -aufgabe 
„in geometriſc<er Weiſe“, alſo in ſtreng wiſſenſchaftlicher Form 
nach damaligen Begriffen, behandelt, erſchien erſt nach ſeinem Tode. 
Darin ſekt er Gott, den ſich die Religiöſen als eine Art vollkommenen 
Menſchen vorſtellen, der einzigen, ewigen und unendlichan Subſtanz 
oder der allumfaſſenden Natur gleich, Damit wird jede, auch die 
rein geiſtige Exiſtenz Gotte38 geleugnet, und Spinoza erſcheint ſ0- 
zuſagen al8 der mathematiſche Begründer des Pantheismus -- 
Ea man ſolche Begründung überhaupt für nötig und möglid) 
ält. 
Die allumfaſſende Natur offenbart ſich in zwei Eigenſchaften 
(Attributen): Ausdehnung (Materie) und Denken (Geiſt); alle 
Dinge und alle Jdeen ſind nur Daſeins8weiſen (Modi) der un- 
endlichen Subſtanz, außer der e38 kein Sein gibt und. keinen Gott. 
Die Natur ſelbſt iſt Gott, und je mehr wir die Einzeldinge er- 
Fennen, deſto mehr erkennen wir die einheitliche Gott-Natur. So 
iſt der Svinoziamus naturaliſtiich, wahrhaft natürlich. alles Ueber- 
ſinnliche aus8ſc<hließend und -- da er die Einheit der Welt betont -- 
de8halb naturaliſtiſ<er Moni3mus. Dieſer Einheit der Welt 
nun in ſich felber teilhaftig zu werden durch Selbſterkenntnis. und 
Selbſtbeherrſ<ung, Naturerkenntni8 und Naturbeherrſchung, iſt 
das LebenS3ziel des Menſ<en, macht ihn allein glücklich, erfülit 
das Gemüt mit einer beſtändigen und innigen heiteren Ruhe. 
Dabei iſt die Lehre, „weit entfernt, Entſagung, Bedürfnisloſigleit, 
Abkehr von der Welt und der Geſellſhaft zu predigen, erklärt 
ganz im Gegenteil auch Sinnenluſt und Weltfreuden =- ſoweit 
ſie nicht das Beſſere im Menſc<en beeinträchtigen =- als des 
Weiſen vollkommen würdig“ (Stern). 
- Dieſe3 ſein Syſtem hat Spinoza auch gelebt, ſich nach keiner- 
let äußeren Ehren und hohem Einkommen gedrängt. Der Kur- 
fürſt Karl Ludwig von der Pfalz ließ ihm einſt eine Profeſſur in 
Heidelberg anbieten unter dem Verſprechen völliger =- freilich 
„nicbt zu mißbrauchender“ -=- Lehrfreiheit, aber unſer Philo- 
ſoph ſchlug ſie aus, weil er, wie er ſagte, nicht ſah, wie er ſeine 
Gedanken mit-dem Chriſtentume nur einigermaßen in Einklang 
bringen könne. Für einen öffentlichen Lehrſtuhl eigneten ſie. ſich 
in damaliger Zeit wirklich noch nicht, . 
Troßdem war die Wirkung von Spinozas Philoſophie über- 
wältigend, und ſie wirkt heute noch fort. Bald bekannten ſich die 
erlauchteſtew Geiſter der Welt zu ihm. Leſſing -mochte ſi am
	        
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