Arbeiter-Iugend 27
Lotte: Da bin ich do wirklich geſpannt! Junwiefern war
die Frau denn rechtlos, rehtloſer als der Mann?
Lieſe: Faſt möchte ic) Dir antworten: In allen Dingen.
Schon bei dem Kind fing es an: Ein Mädchen hatte es keine3weg3
jo leicht wie ein Knabe, etwas Nechtes zu lernen und Ci tüchtiger
Menſd) zu werden. Wie lange iſt es denn her, da konnte ein Mäd-
hen weder das Gymnaſium no<& die Univerſität beſuchen. Noc!)
unſer früherer Reichskanzler Hertling erklärte auf Anfragen
wiederholt (er war Profeſſor in München), er wünſche nicht, „daß
Damen in ſeine Vorleſung: kommen“! Auch waren die meiſten
Berufe den Frauen verſchloſſen. Ja, die Mädchen und Frauen
mußten ſich den Eintritt in jeden neuen Beruf erſt mühjam exr-
kämpfen. Noch im Jahr 1912 fragt das „Berliner Tageblatt“,
alſo eins der fortgeſchrittenſten bürgerlichen Blätter, ganz ent-
ſeßt: „Sollen die Frauen deun ebenſogut Richter und Staats-
anwalt werden können, wie Bürgermeiſter, Lokomotivführer und
Polizeipräſidenten ?“
Lotte (lac><end):
Poliziſtinnen werden?
Lieſe: Und warum nicht? Ju England ſind bereits während
de8 Krieges Frauen als Poliziſtinnen angeſtellt worden. Und
ſie haben ſich ſo gut bewährt, daß man ſie auch nach dem Krie
beibehalten will. Die Frauen wiſſen even jelbit noch niht, was
ſie alles leiſten können. == Dod) höre weiter, welce Nechte die
Trau bisher hatte oder vielmehr 1 icht hatte. Die Chefrau durfte
nicht einmal cin Bank- oder Poſtiche>konto haben ohne Erlaubnis
des Mannes. Ia, ſie durfte nicht einmal arbeiten, wenn er es
nicht wollte.
Cotte: Ach, das mag früher geweſen ſein! Abcr heute doch
ſicher nicht mehr.
STieſe: Nun, dann will ich Dir einen ſolchen Fall erzählen,
der wöhrend des Krieges vorgekommen iſt. Eine junge Kricger-
frau bringt ſich und ihr Kind durch. Waſchen dur<. Es gelmat
ihr, eine Burcauſtelle zit erhalten. Der Ehemann kommt auf
Urlaub und verbietet unter den nichtigſten Gründen, daß ſeine
Frau die Stelle antritt.
Cotte: Und die Geoſeze haben ihm dazu das Recht ge-
geben? |
Lieſe: Die Geſeke gaben iimmer dem Yann recht, denn ſit
ſind ja von Männern gemacht. |
Cotte: Dann wird es allerdings die höchſie Zeit, daß aud)
die Frauen dabei ein Wörtchen mitreden.
Lieſe: Siehſt Du, Lotte, uun kommit Du ſelbit zu dieſer
Erkenntnis! Denn um in dieſen Dingen nitzureden, qibt cs
eben feinen anderen Weg als über das Wahlrecht. Dod es fomummt
nod) viel ärger. So war die Frau 3. B, aitch verpflichtet, dem
Mann bei ſeiner Berufsarbeit zu helfen, wen das möglich) uind
üblich war (wenn er etwa ein Qadengeſchäft hatte). Aber von
dem Ertrag der gemeinſamen Arbeit gehörte ihr nichts! Darat
hatte ſie keinen Anſpruch. |
Auch über die Kinder hatie der Vater allein zu beſtimmen.
Xa, er konnte ſeiner Frau die Kinder fortnehmen = denk" Dir
nur, Lotte, der Mutter ihre Kinder nehmen! =- ohne beweiſen
zu müſſen, daß die Mutter unfähig oder unwürdig war, ihre
inder ſelbſt zu: erziehen.
Lotte: Pfui, das finde ich einfac gemein!
Lieſe: O, die Geſeze waren nod) viel gemeiner. So er-
laubte eine Verfügung des preußiſchen Miniſters8 des Innern noch
in Jahr 1912, daß die Mädchen, die infolge ſchlechter oder gar
keiner Erziehung den Fürſorgeanſtalten überwieſen wurden, daß
dieſe ſhulentlaſſenen, erwachſenen Mädchen von den Hansvatern
der Zürſorgeanſtalten körperlich gezüchtigt werden durften. Aud)
die Dienſtboten und Landarbeiterinnen durften von ihrer „Hertr=
ſc<aft"“ geſ<lagen werden, ohne daß fie das Recht hatten, ſich da-
gegen zu wehren oder gerichtliche Genugtuung dafür zu fordern,
%qa, ſelbſt in der Ehe durfte der Mann die Frau ſchlagen.
Qotte: Gab es denn gar feine Männer, die gegen die Go-
jeze proteſtierten und für uns Mädchen und Frauen eintraten?
Gieſe: Doch! Die Sozialdemokraten ſind iumer, bei jeder
Gelegenheit für die Mädchen und Frauen eingetreten. Aber jic
allein waren zu ſchwach; fie wurden ſtets von den bürgerlichen
Parteien überſtimmt. Und dieſe Bürgerlichen taten nie etwas
Ernſtliche8, um den Frauen zu ihrem Recht zu verhelfen, um die
Frauen aus ihrer Rechtloſigkeit zu befreien. Jm Gegenteil, viel-
fach verteidigten ſie no<4 dieſe Männexrehte gegenüber den
Frauen. So ſchrieb der kürzlich verſtorbene Prälat Göpfert, aljo
ein hoher katholiſcher Geiſtlicher, eine „Leuchie der Würzburger
Univerſität“: daß dem Mann „bis zu einem gewiſſen Grad eint
„Strafrecht ſeiner Frau. gegenüber zuſtehe . . . (der Frau ſteht aber
dem Mann gegenüber kein Recht der Züchtigung, ſondern nur
ein ſolc<he38 der Notwehr zu). Wie weit es dem Mann aber über-
haupt geſtattet iſt, ſeine Frau zu ſc<lagen, hängt nicht nur von
Schlicßtic) wollen die Frauen au) noch
2.
der Shuld der Frau, ſondern auch „von der ſozialen Stellung der
Ehegatten ab“. Da3 heißt mit anderen Worten: die Frau aus
dem Arbeiterſtand darf viel mehr und ſtärker geſchlagen werden
als die Frau aus den ſogenannten beſſeren Ständen. Und die ſo
denken und ſchreiben, das ſind dieſelben Leute, die immer be-
baupten, daß ſie allein für die Erhaltung der Ehe eintreten; daß
ſie allein die Ehe und Familie vor der Zerſtörung bewahren.
Cotte: Na, für eine fol<e Ehe danke ich, in der ich von
meinen Mann geſchlagen werden darf! Dann heirate ich lieber
gar nicht. =- Jedenfalls danke ich Dir, Lieſe, für Deine Auf-
tlärungen. Nun weiß ich doch, was ih von jenen Leuten zu halten
habe. Und wenn ich zwanzig Jahre alt bin, dann wähle ich keine
von jenen Parteien, die dem Mann erlauben, daß er ſeine Frau
ichlägt. Dann wähle ich keine von den Parteien, die die Frauen
rechtlo8 gemacht und unterdrückt haben. Dann wähle ich jozial-
demokratiſch.
Lice: Recht ſo, Lotte, jo jollie jedes Mädchen und jede
Frau denfen. So follie jedes Mäd<en und jede Frau denen ant-
worten, die bisher den Frauen Freiheit und Gleichbercechtigung
verwehrt haben.
Cieſe: Das werden wir. Aber das genügt nod) nicht. Wir
müſſen mehr tun. Wir müſſen mithelfen, mitarbeiten. Dannt nicht
nur das neue Frauenrecht, fondern auch das neue Frauengeſchlecht
beſſer wird. Wir müſſen lernen und arbeiten. Denn die Zukunft
brandi kluge, fampfesfrohe Menſchen. Dazu können wir uns
aber nirgends beſſer heranbilden al3 in der Arbeiterjugend-
beiwwegutig.
Cotte: O, daruni iſt mir nic? bange! Wir Mädchen haben
ja während de8 Krieges ſür manc<cen Jungen einſpringen müſſen.
Sn ſo manchem Bezirk hatten faſt nur Mädchen die Leitung in
den Händen. Und ſie haben gezeigt, daß ſie „ihren Mann“ ſtellen
können. Da iſt c8 doch eigentlich ſelbſtverſtändlich, daß wir auc
jeßt weiter in unſerer Jugendbewegung mitarbeiten.
Lieſe: Net ſo, Lotte. Und wenn alle Mädchen jo denten,
dann ſoll es ein ſtolze3, frohes Wetteifern werden zwiſchen Jun-
gen und Mädels --- zum Wobl und zum Heil unſerer Arbeiter-
jugend.
AI O [EEN
FTZ] Aus der Jugendbewegung 565
Ein neue3 Rundſchreiben
kat ſoeben untere Zahlſtelle verſandt, das wiätige Anregungen für deit
Wiederaufbau unſerer Jugenobewegung enthäit. Das Rundſchreiben
it allet Begzirfsleitungen übermittelt wordeitn. Dieſe haben die Auſ-
qabe, e32 ain die Jugendausſchüffe weiterzutebcit. Da wir nicht wiſſen,
ob alle Beziwäsleitungen uoch exijiieren und ihre Aufgaben crfüllen, 15
cfuchen wir allo örtlichen Ausſchüſſ2, die das Rundſchreiben noc< nicht
erhalten haben, dies umgehend der Zentralſtelle für die arveitend2
Jugend, Beriwmv SW. 68, Liadenſtr. 3, autzuteile:. Aud)
ein neue3 Tlugblatt
(Nx. 17: „Die Arbeiterjugend und die neue Zeit", hat die Zentralſtell2
kerausgegeben. Das Flugblatt ſtellt die berechtigien wirtſchaftlichen u:n9
geiſtig-futtüurelſen Forderungen auf, deren Verwirklichung die arvoitende
Jugend von der neuen Zeit erwariet und iſt darum beſonders aituell,
Beſtellungen ſind a! die Vorivärtzdruderci, Berlin SW, G8, Lindenjirx. 3,
zu richten; 1000 Exemplare koſten 9,75 Mk. Finanzſ<wache Orte cxr-
halten das Flugblatt auf Antrag unentgeltlich. Jn dieſem Falle iſt ein
entſprechender Antrag an die Zentratnteile für die arfoitendo Juaound
Deutſchlard3 zu ſtellen. *
Eine neue Jugendorganiſatiott
wurde ir ECberx3walde bei Berlin, wie un3 von dori berichtet wir,
untex dent Namen „Freic ſozialiſtiſche Jugendorganijation CEberävalde
und Umgebung“ gegründet. Der Verein iſt durd) etwa 20 Lehrlinge,
die in den verſhicdenſten Betrieben in Eberswalde beſchäftigt ſind, in2*
Leben gerufen worden. Durch eine öffentliche Verſammlung trat matt
Ende Tezember au die Oeffentlichkeit. . Die gut beſuchte Beranjtaltung
zeigte, daß ein lebhaftes B-dürfnis nach Zuſammenſchluß unter de
arbeitenden Jugend vorhanden war. Das Thema Der Verſammlung
lautete: Jugendſhuß und Jugendreht. Der Referent, Genoſſe
Rüdiger- Berlin, ſchilderte in ſeinem Vortrag zunächſt die biSherig«e
Geſchi<t2 der proletariſchen Jugendbewegung. Er rehnete mit dein
gegneriſchen Vereinen, die durch Unterſtüßung der geſtürzten Regierung
entſtanden waren, gründlich ab und zeigte, daß ſie nach ihrer ganzen
Gntwielung nicht al3 Intereſſenvertretung der arbeitenden Jugend in
Frage kommen. Hierauf? erläuterte ex das Programm der Zentralſtelle
für die arbeitende Jugend Deutſchlands und fordorio für die Uebor-
gangs8zeitt .
1, Sofortige Einführung der dreijährigen Lehrzeit.
9, Gefeßliche Feſtlegung des zu zahlenden Koſtgelde2.
3, Aufhebung der Paragraphen "des Lehrling3vertrags, die. das
förperliche Züchtigungsrecht, ſowie Beſchränfungen des Beoroins-
veht3 vorfehen. |
Nachſt-hende Reſolution würde einſtimmig angenommen, eit
Beweis dafür, daß ſie dex Jugend aus dem Derzen geſprochen war;