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Arbeiter- Jugend 31
weſen wäre. Die zweiundzwanzig ſogenannten „unabhängigen“
Sozialiſten lehuten ſchroff ab, ſich an der Regierungsmehrheit im
Varlament zu beteiligen. Die Rechtsparteien (Deutſchnationale
und Deutſche Volk8partei) wurden, weil in vielfacher Beziehung
die Kluft zwiſchen ihnen und dem Soziali8mus zu groß iſt, über-
haupt nicht zur Regicerungsbildung aufgefordert. Blieben nod)
Deutſch-Demokraten und Zentrumspartei. Eine von ihnen oder
beide mußten herangezogen werden, wenn dic Regierungsmehrheit
erreicht werden ſollte. Tagelang wurde darüber in den Fraktionen
und zwiſchen den Fraktions8führern verhandelt. Denn natürlich
ſtellten dieſe bürgerlichen Parteien ebenfalls ihre Anſprüche, bevor
ſie ſich zum Eintritt in die Regierung3mehrheit bereit erflärten.
Vor allem wollen ſie gewiſſe leitende Poſten im Staat und im
Parlament mit zuverläſſigen Geſinnungsfreunden beſezen. Aus
all dieſen tagelangen Verhandlungen hinter den parlamentariſchen
Kuliſſen wurde dann das Kompromiß, die Verſtändigung, gLe-
I<hloſſen: die Sozialdemokraten erhalten den Reichöpräſidenten
und den Miniſterpräſidenten, die Zentrums8partei aber bekonunt
den erſten Präſidenten der Nationalverſammlung. Denn, ſo
ſagten die Bürgerlichen, follen wir in der parlamentariſchen Re-
gierungsmehrheit mitwirken, ſo darf die Sozialdemokratie allein
nicht die drei höchſten Roſten in der deutſchen Republik innehaben.
War über das alles eine Einigung erzielt, alfo der „Negie-
rungsblod"“ -geſchmiedet, ſo ging es an die Verteilung der WMi1-
niſterpoſten an Abgeordnete der nunmehrigen drei Regierung3-
parteien. Es war zu vereinbaren, wie viele Miniſterſtellen und
welche jeder der drei Parteien zukamen, ferner, welche Perſonen
zu berufen waren. Noch einmal tagelange Verhandlungen. End-
Lich iſt das ReichSminiſterium vollſtändig. Die Regierung iſt da,
und nun erſt kann von ihr und von der Regierungö8mehrheit in der
Nationalverfammlung die dauernde praktiſche Arbeit begonnen
werden.
Jür die Geſetze, die das Parlament beſchäftigen, werden
Ansſc<hüſſfe gebildet, in denen jede Fraktion nach ihrer Stärke
vertreten iſt. Jede38 Geſch wird im allgemeinen nach der erſten
„Leſung“ dem Ausſchuß überwieſen uud dort in allen Cinzelheiten
durc<beraten. So läßt ſich bei jeder Geſeke5vorlage ein Ausgleich
und eine allmähliche Einigung zwiſchen den Parteien erzielen. In
der Vollverſammlung werden dann zwar no<h einmal die Partei-
arundſäte gegeneinander vorgetragen, manchmal in heftigen
Formen, aber dieſe Reden gelten doch faſt nur der Aufklärung der
Wähler. Der Standpunkt jeder Rartei iſt nach den Ausſchufz-
beratungen im allgemeinen feſtgelegt. -Uebrigens beſtimmt jede
Iraktion ſchon vorher ihre Redner für die Vollverſammlung, und
die Fraktionsredner müſſen ſich natürlich auf den Richtlinien der
Fraktions8beſchlüſſe bewegen. (
Die Verbindung zwiſchen der Nationalverfammlung und dein
Volk wird durch die Preſſe hergeſtellt. Jhre Vertreter ſiken
in Weimar auf dem erſten Rang des zum Parlamentsgebäude
umgewandelten Landestheaters. Große Zeitungen haben einen
ztimmt, daß der alte Hexx nicht eine blaſſe Ahnung hatte von der Geo:
anetrie, Aber die Belovigung, daß wir recht fleißig geweſen wären heute
nodunittag, die ſtekien wir mit Rube ein. Nur, daß uns der alte Herr
dabei tätſhelnd mit dex Haumd über die Kopfhaarc fuhr, das wedte vei .
uns eine unbehagliche Vorſtellung darüber, wie ganz anders dieſer HaaLr-
griff ſich verwandeln würde, wenn dev Alte wüßte . . .
Und dann. dachten wir micht mehr daran. Erſt al8 der Walch Joſeph
einn blanken Vierer im Zeugnis hatte in der Geometrie und ihm jekt am
: Ferienenfang nach Hauſe trug, kam e3 uns wieder im den Sinm
„Du,“ fagie ich, „weißt du noh: das „aſiatiſche Problem" ?“ und
woitie ibar aufbeitern damit, denn ich ſelber hatte: einen Einſer.
„Zör mir auf,“ entgegnete der Walch mit einer düſtern: Micne, „und
jag mir lieber, wie man aus einem Vierer einen Ginfer machen
fann. Laß mich eimital deinen Ginjer ſchen.“
Und damn bogen wir ins Poſtamt ein, iw Der Schwanthalerſtraſße,
legten den Ginſer und den Vierer auf das rote Löſchpapicer, und er-
wogen alle: Möglichkeiten einer gewaltſamen Zenſurenkorvettur.
„Nein,“ fagbe ich, „das geht micht. Aus einem Einſex kann man
einen Vierer machen, ja, das geht; ein Vierer iſt ja weiter nichts als
ein Einſer mit einem Seſſel, damit ex nicht umfällt vor Schve> -- dein
alter Herr, weißt d' =-3 aber aus einem Vierer kann man keinen Cinſer
machen.“
„Probieren wix'8 einmal auf dem Papier Da,“ beharrte er ver-
zweifelt,
Aber ida kam plößlich der Vorſteher von dem Poſtfilialamt. „Was
macht ihr denn da, ihr Poldeln,“ jagte er, und 4rieb uns mit unſern
Schulranzen und unſern Zeugniſſen hinaus,
„Geb wenigſtens mit, Müller,“ bat mich der Wald, „damit mein
alten Herr nicht gar fo grob wird, wenn er meinen Viever ſicht.“
„Ba3 gibſt d' mir dafür?“ fragte ich entgegen.
oder gar mehrere Berichterſtatter in Weimar, die mit ihrer Re-
daktion in ſtändiger drahtlicher Verbindung ſtehen. Die Situngs-
berichte und politiſchen Aufſäte werden aus dem Parlament den
hunderte Kilometer entfernten Redaktionen telephoniſc<) zuge-
ſprochen. Mittlere und kleinere Zeitungen werden durch joge-
nannte Korreſpondenzbnreaus bedient; das ſind Berichterſtatter
mit ihren Hilfskräften, die jeden Abend den Sitßungsbericht an
eine aanze Anzahl von Zeitungen acben und dafür natürlich eine
beſtimmte Entſchädigung erhalten.
So iſt im Hauſe der Nationalverſammlung vom Morgen bis
zum Abend lebhafte Bewegung. Die Abgeordneten, die nicht
gerade in Sikungen beſchäftigt ſind, gehen plaudernd durc< die
Flurc, ſtudieren im Leſeſaal Zeitungen, die dort zu vielen
Dußenden ausliegen, arbeiten in den Schreibzimmern. Nicht
ſelten ſicht mau den einen oder andern bekannten Abgeordneten
von Zeitungslenten umlagert, die wichtige Anskünfte von ibm zu
erlannen hoffen.
Wiſſen wir nun, wie die Nationalverſammlung arbeitet, ſo
werden wir binnen kurzem erfahren, was ſic arbeitet und dem
deutſchen Volke zu beſcheren hat. W. Sollmann,
WMilglicd der Nationalpveannmung.
LIF
Der rofke Bogel.
Es kam ein roter Vogel
Geflogen von grauer See,
Flog über die deutſchen Lande,
Da wurde der blutigen Schande
Weiß das Geſicht wie Schnee.
Da rauſchte der rote Vogel
Wohl über den höchſten Baum,
Da ſtürzten mit einem Male
Die madttiagſten Generale,
Geſchlagen vom Flügelſaum.
Da fegte der rote Vogel
Die Tenne von Lug und Trug,
Feat Schlöſſer und Reſidenzen,
Der Kaiſer floh über die Grenze,
Ihm grauſt vor des Vogels Flug.
Da ſang der rote Vogol,
Wa5 Nornen-Rat beſchied
Wie ſcharf er die Zeichen begriffen,
Im Zorne den Schnabel geſchliffen --
Da ſang der rote Vogel
Sein deutſches Freiheitslied.
Karl He kell.
„Mein „Onkei Toms Hütre“ kriegſt d'," verſprach er hoch und teuer,
Da ging ib mit. Für Onkel Toms Hütte hätte ich 1xJCHTvas
getan.
I< weiß uoch genau Ten Moment, als der Polizeikommiſſar Joſephs
Zeugni38 auseinanderfaltete und vrummt2: „Dm, einen Auffabzweier,
einen Schönſchreibenzweicr, einen Geographiezweier, einen Ginſer 4n der
Religiow -- ja, was iſt denn da? GEinen Vierer haſt d' in dex Geo-
metrie! Ia, zum Deizel noch einmal, was bedeutet denn das, he?“
G35 war eine Frage, auf die ſich die Antwort von ſelbſt verijtand.
Denn wa3 eim Vierer in der Geometrie bedeutet, das wußte der Alte ganz
genau, das wußte er beſſer als wir. Denn ebemw hatte ex ſchon ſcharf
wach der E>e geſehen, wo für gewöhnlich der Kiciderausklopfer oufge-
hoben wurde.
„Ih habe auch nur einen Dreier, Herr Polizeikommiſſar," fuhr ich
mit ciner (beroiſchen Lüge dazwiſchen, um Das drohende Klopfaowiiter
abzuwenden.
„Wi2? Laß: einmal ſehen,“
„I< hab' mein Zeugnis ſchon zu Hauſe abgegeben,“ log ich weiter.
„So, und warum habt ihr denn alle zwei Jo ſchlechte Noten, he? Wo
ihr jeden Mittwoch und jeden Samstag beieinander. wart und nichts als
Konſtruktionen gemacht habt miteinander. Wie kommt denn das, he 2“
Und wieder ſah ex ſcharf nah der: Ee.
„Weil unſer Lehrer ſo parteiiſch iſt. Ev kann uns nicht leiden,“ fiel
jeßt der Joſeph einn,
„Soſo, parteiiſch, Und warum kann ex cuch nicht leiden, He 2"
„Weil =-- weil --“ weil ſich der Joſeph damals ſo geproßt Hat mit
feinem „aſiatiſchem Problem“, und weil ex geſagt hat, das iſt etwas, was
nicht einmal der Lehrer ſelber ſo gut kann, als wie wir's gemacht haben
damals, damals, al3 der Buffalo Bill, . .“ (Schluß S. 34.)