Full text: Arbeiter-Jugend - 11.1919 (11)

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Arbeiter- Jugend 31 
 
 
 
weſen wäre. Die zweiundzwanzig ſogenannten „unabhängigen“ 
Sozialiſten lehuten ſchroff ab, ſich an der Regierungsmehrheit im 
Varlament zu beteiligen. Die Rechtsparteien (Deutſchnationale 
und Deutſche Volk8partei) wurden, weil in vielfacher Beziehung 
die Kluft zwiſchen ihnen und dem Soziali8mus zu groß iſt, über- 
haupt nicht zur Regicerungsbildung aufgefordert. Blieben nod) 
Deutſch-Demokraten und Zentrumspartei. Eine von ihnen oder 
beide mußten herangezogen werden, wenn dic Regierungsmehrheit 
erreicht werden ſollte. Tagelang wurde darüber in den Fraktionen 
und zwiſchen den Fraktions8führern verhandelt. Denn natürlich 
ſtellten dieſe bürgerlichen Parteien ebenfalls ihre Anſprüche, bevor 
ſie ſich zum Eintritt in die Regierung3mehrheit bereit erflärten. 
Vor allem wollen ſie gewiſſe leitende Poſten im Staat und im 
Parlament mit zuverläſſigen Geſinnungsfreunden beſezen. Aus 
all dieſen tagelangen Verhandlungen hinter den parlamentariſchen 
Kuliſſen wurde dann das Kompromiß, die Verſtändigung, gLe- 
I<hloſſen: die Sozialdemokraten erhalten den Reichöpräſidenten 
und den Miniſterpräſidenten, die Zentrums8partei aber bekonunt 
den erſten Präſidenten der Nationalverſammlung. Denn, ſo 
ſagten die Bürgerlichen, follen wir in der parlamentariſchen Re- 
gierungsmehrheit mitwirken, ſo darf die Sozialdemokratie allein 
nicht die drei höchſten Roſten in der deutſchen Republik innehaben. 
War über das alles eine Einigung erzielt, alfo der „Negie- 
rungsblod"“ -geſchmiedet, ſo ging es an die Verteilung der WMi1- 
niſterpoſten an Abgeordnete der nunmehrigen drei Regierung3- 
parteien. Es war zu vereinbaren, wie viele Miniſterſtellen und 
welche jeder der drei Parteien zukamen, ferner, welche Perſonen 
zu berufen waren. Noch einmal tagelange Verhandlungen. End- 
Lich iſt das ReichSminiſterium vollſtändig. Die Regierung iſt da, 
und nun erſt kann von ihr und von der Regierungö8mehrheit in der 
Nationalverfammlung die dauernde praktiſche Arbeit begonnen 
werden. 
Jür die Geſetze, die das Parlament beſchäftigen, werden 
Ansſc<hüſſfe gebildet, in denen jede Fraktion nach ihrer Stärke 
vertreten iſt. Jede38 Geſch wird im allgemeinen nach der erſten 
„Leſung“ dem Ausſchuß überwieſen uud dort in allen Cinzelheiten 
durc<beraten. So läßt ſich bei jeder Geſeke5vorlage ein Ausgleich 
und eine allmähliche Einigung zwiſchen den Parteien erzielen. In 
der Vollverſammlung werden dann zwar no<h einmal die Partei- 
arundſäte gegeneinander vorgetragen, manchmal in heftigen 
Formen, aber dieſe Reden gelten doch faſt nur der Aufklärung der 
Wähler. Der Standpunkt jeder Rartei iſt nach den Ausſchufz- 
beratungen im allgemeinen feſtgelegt. -Uebrigens beſtimmt jede 
Iraktion ſchon vorher ihre Redner für die Vollverſammlung, und 
die Fraktionsredner müſſen ſich natürlich auf den Richtlinien der 
Fraktions8beſchlüſſe bewegen. ( 
Die Verbindung zwiſchen der Nationalverfammlung und dein 
Volk wird durch die Preſſe hergeſtellt. Jhre Vertreter ſiken 
in Weimar auf dem erſten Rang des zum Parlamentsgebäude 
umgewandelten Landestheaters. Große Zeitungen haben einen 
ztimmt, daß der alte Hexx nicht eine blaſſe Ahnung hatte von der Geo: 
anetrie, Aber die Belovigung, daß wir recht fleißig geweſen wären heute 
nodunittag, die ſtekien wir mit Rube ein. Nur, daß uns der alte Herr 
 
dabei tätſhelnd mit dex Haumd über die Kopfhaarc fuhr, das wedte vei . 
uns eine unbehagliche Vorſtellung darüber, wie ganz anders dieſer HaaLr- 
griff ſich verwandeln würde, wenn dev Alte wüßte . . . 
Und dann. dachten wir micht mehr daran. Erſt al8 der Walch Joſeph 
einn blanken Vierer im Zeugnis hatte in der Geometrie und ihm jekt am 
: Ferienenfang nach Hauſe trug, kam e3 uns wieder im den Sinm 
„Du,“ fagie ich, „weißt du noh: das „aſiatiſche Problem" ?“ und 
woitie ibar aufbeitern damit, denn ich ſelber hatte: einen Einſer. 
„Zör mir auf,“ entgegnete der Walch mit einer düſtern: Micne, „und 
jag mir lieber, wie man aus einem Vierer einen Ginfer machen 
fann. Laß mich eimital deinen Ginjer ſchen.“ 
Und damn bogen wir ins Poſtamt ein, iw Der Schwanthalerſtraſße, 
legten den Ginſer und den Vierer auf das rote Löſchpapicer, und er- 
wogen alle: Möglichkeiten einer gewaltſamen Zenſurenkorvettur. 
„Nein,“ fagbe ich, „das geht micht. Aus einem Einſex kann man 
einen Vierer machen, ja, das geht; ein Vierer iſt ja weiter nichts als 
ein Einſer mit einem Seſſel, damit ex nicht umfällt vor Schve> -- dein 
alter Herr, weißt d' =-3 aber aus einem Vierer kann man keinen Cinſer 
machen.“ 
„Probieren wix'8 einmal auf dem Papier Da,“ beharrte er ver- 
zweifelt, 
Aber ida kam plößlich der Vorſteher von dem Poſtfilialamt. „Was 
macht ihr denn da, ihr Poldeln,“ jagte er, und 4rieb uns mit unſern 
Schulranzen und unſern Zeugniſſen hinaus, 
„Geb wenigſtens mit, Müller,“ bat mich der Wald, „damit mein 
alten Herr nicht gar fo grob wird, wenn er meinen Viever ſicht.“ 
„Ba3 gibſt d' mir dafür?“ fragte ich entgegen. 
oder gar mehrere Berichterſtatter in Weimar, die mit ihrer Re- 
daktion in ſtändiger drahtlicher Verbindung ſtehen. Die Situngs- 
berichte und politiſchen Aufſäte werden aus dem Parlament den 
hunderte Kilometer entfernten Redaktionen telephoniſc<) zuge- 
ſprochen. Mittlere und kleinere Zeitungen werden durch joge- 
nannte Korreſpondenzbnreaus bedient; das ſind Berichterſtatter 
mit ihren Hilfskräften, die jeden Abend den Sitßungsbericht an 
eine aanze Anzahl von Zeitungen acben und dafür natürlich eine 
beſtimmte Entſchädigung erhalten. 
So iſt im Hauſe der Nationalverſammlung vom Morgen bis 
zum Abend lebhafte Bewegung. Die Abgeordneten, die nicht 
gerade in Sikungen beſchäftigt ſind, gehen plaudernd durc< die 
Flurc, ſtudieren im Leſeſaal Zeitungen, die dort zu vielen 
Dußenden ausliegen, arbeiten in den Schreibzimmern. Nicht 
ſelten ſicht mau den einen oder andern bekannten Abgeordneten 
von Zeitungslenten umlagert, die wichtige Anskünfte von ibm zu 
erlannen hoffen. 
Wiſſen wir nun, wie die Nationalverſammlung arbeitet, ſo 
werden wir binnen kurzem erfahren, was ſic arbeitet und dem 
deutſchen Volke zu beſcheren hat. W. Sollmann, 
WMilglicd der Nationalpveannmung. 
LIF 
Der rofke Bogel. 
Es kam ein roter Vogel 
Geflogen von grauer See, 
Flog über die deutſchen Lande, 
Da wurde der blutigen Schande 
Weiß das Geſicht wie Schnee. 
Da rauſchte der rote Vogel 
Wohl über den höchſten Baum, 
Da ſtürzten mit einem Male 
Die madttiagſten Generale, 
Geſchlagen vom Flügelſaum. 
Da fegte der rote Vogel 
Die Tenne von Lug und Trug, 
Feat Schlöſſer und Reſidenzen, 
Der Kaiſer floh über die Grenze, 
Ihm grauſt vor des Vogels Flug. 
Da ſang der rote Vogol, 
Wa5 Nornen-Rat beſchied 
Wie ſcharf er die Zeichen begriffen, 
Im Zorne den Schnabel geſchliffen -- 
Da ſang der rote Vogel 
Sein deutſches Freiheitslied. 
Karl He kell. 
„Mein „Onkei Toms Hütre“ kriegſt d'," verſprach er hoch und teuer, 
Da ging ib mit. Für Onkel Toms Hütte hätte ich 1xJCHTvas 
getan. 
I< weiß uoch genau Ten Moment, als der Polizeikommiſſar Joſephs 
Zeugni38 auseinanderfaltete und vrummt2: „Dm, einen Auffabzweier, 
einen Schönſchreibenzweicr, einen Geographiezweier, einen Ginſer 4n der 
Religiow -- ja, was iſt denn da? GEinen Vierer haſt d' in dex Geo- 
metrie! Ia, zum Deizel noch einmal, was bedeutet denn das, he?“ 
G35 war eine Frage, auf die ſich die Antwort von ſelbſt verijtand. 
Denn wa3 eim Vierer in der Geometrie bedeutet, das wußte der Alte ganz 
genau, das wußte er beſſer als wir. Denn ebemw hatte ex ſchon ſcharf 
wach der E>e geſehen, wo für gewöhnlich der Kiciderausklopfer oufge- 
hoben wurde. 
„Ih habe auch nur einen Dreier, Herr Polizeikommiſſar," fuhr ich 
mit ciner (beroiſchen Lüge dazwiſchen, um Das drohende Klopfaowiiter 
abzuwenden. 
„Wi2? Laß: einmal ſehen,“ 
„I< hab' mein Zeugnis ſchon zu Hauſe abgegeben,“ log ich weiter. 
„So, und warum habt ihr denn alle zwei Jo ſchlechte Noten, he? Wo 
ihr jeden Mittwoch und jeden Samstag beieinander. wart und nichts als 
Konſtruktionen gemacht habt miteinander. Wie kommt denn das, he 2“ 
Und wieder ſah ex ſcharf nah der: Ee. 
„Weil unſer Lehrer ſo parteiiſch iſt. Ev kann uns nicht leiden,“ fiel 
jeßt der Joſeph einn, 
„Soſo, parteiiſch, Und warum kann ex cuch nicht leiden, He 2" 
„Weil =-- weil --“ weil ſich der Joſeph damals ſo geproßt Hat mit 
feinem „aſiatiſchem Problem“, und weil ex geſagt hat, das iſt etwas, was 
nicht einmal der Lehrer ſelber ſo gut kann, als wie wir's gemacht haben 
damals, damals, al3 der Buffalo Bill, . .“ (Schluß S. 34.)
	        
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