Full text: Arbeiter-Jugend - 11.1919 (11)

 
 
 
 
lixben der Krone abhängigen Landtagen, den „Generalſtaaten“, die 
Aſſemblte Conſtituante (konſtituierende Verfammlung). Sie ſtellte 
bi3 zum Jahre 1791 das Verfaſſungswerk fertig, in dem Frank- 
reich aus einer abſoluten zu einer konſtitutionellen Monarchie 
. gmgeſtaltet wurde, und machte alsdann der Aſſembl&e Legislative 
(Geſetzgebenden Verſammlung) Platz, die nun das regelmäßige 
geſebgebende Organ Frankreichs werden ſollte, freilich) in der 
weiteren Entwicklung der Revolution bald ihre Stellung einbüßte. 
Auch in den ſpäteren Revolutionen hat Frankreich noch öfter kon- 
ſtituierende Nationalverſammlungen gejehen, ſo in den Jahren 
1830 und 1848, die lezte im Jahr 1870 nach dem Sturz Napo- 
Leon3 IL Dieſe lette Konſtituante zeichnete ſich durch beſonders 
lange Dauer aus, denn ſie hatte erſt am 24. Jebruar 1875 ihr 
Verfaſſung3werk beendet. | . | 
AuH Deutſ<lan.d hat i<hon eine konſtituierende National- 
verfammlung gehabt, das berühmte Parlament, das in den Jahren 
1848/49 in der Paulskir<e zu Frankfurt a. M. tagte. Nach dem 
Sieg der Revolutionen in Wien und Berlin hatte jich ſchon am 
31. März das ſogenannte „Vorparlament“ gebildet, das die Wahlen 
ur Nationalverjammlung ausſchrieb und die Wahlordnung feſt- 
te. Am 18. Mai trat dann die Nationalverſammlung ſelber zu- 
ammen, aber obwohl ſie die angejehenſten Geiſter jener Beit in 
I< vereinigte, erfüllte ſie die auf ſie geſezten Hoffnungen nicht. 
Statt ſofort mit der praktiſchen Arbeit zu beginnen, verzettelte 
ſte die Zeit bis zum Oktober mit endloſen akademiſchen Erorte- 
rungen über die Grundrechte, die in der Verfaſſung ausgeſprochen 
werden ſollten, und trat erſt dann in die Löſung der eigentlichen 
Varfaſſung3frage ein. Dabei kam es zu heftigen Konflikten zwiſchen 
Monarchiſten und Republikanern einerſeits, den Anhängern der 
preußiſchen und öſterreichiſchen Führung andererſeits. Mit ichwacher 
Mehrheit wurde am 13. Januar 1849 Deutſchland zum Kaiſerreich 
aflärt und am 28. März Friedrich Wilhelm 1V., dem preußiſchen 
Qönig, die Kaiſerkrone angeboten. Inzwiſchen aber hatte die 
Gagenrevolution ſchowm auf der ganzen Linie geſiegt. Friedrich 
Wilhelm IV. lehnte die mit dem „Ludergeruch der Revolution“ 
behaftete Krone ab, Deſterreich proteſtierte. Preußen berief am 
14. Mai ſeine Abgeordneten aus der Nationalverfammlung ab, die 
Gemäßigten traten wegen des wachſenden Einfluſſes der Demo- 
kraten aus, und es blieb ſchließlich nur ein Rumpfparlament übrig, 
9a3 nach Stuttgart überſiedelte und dort nac< wenigen Sißungen 
zu Zuni mit Waffengewalt auseimander gejagt wurde. "Das Werk 
Kefer Ronſtityante blieb auf dem Papier, es wurde keine Wirk- 
Gkeit. . 
E3 iſt zu hoffen, daß die 
 
kommende deutſche Nattonalver- 
fammlung nicht eine ähnlich tragiſche Rolle im der Geſchichte ſpielen 
wird. Seit den Tagen von 1848 hat das deutſche Volk eine lange 
Schulung auf politiſchem und parlamentariſchem Gebiete hinter 
ſch, die den Männern von 1848 troß ihrer geiſtigen Befähigung 
fehlte. Wir wiſſen heute, daß ſehr wenig damit getan iſt, wenn 
ſjegenannte Grundrechte oder Menſchenrechte in der Verfaſſung an- 
haben, nämlich den Frieden mit der 
Arbeiter“ Jugend | . 3 
erßannt werden, ſondern daß e3 auf die praktiſchen: Beſtimmungen, 
auf die ausführenden Gejeke anfommmt. Des8wegen wird die 
Nationalverſjammlung ſofort an die praktiiche Geſtaltung der neuen 
Verfaſſung herangehen. E3 kann kein Zweifel darüber ſein, daß 
die neue Vorfaſſung Deutſchland3 eine rein demokratiſche 
ſein muß, denn das iſt der Sinn und Inhalt der Revolution, daß 
mit den alten Privilegien und Vorrechten aufgeräumt werden ſoll. 
Troßdem iſt mit der Aufſtellung dieſes Grundjake3 der Plan 
- der neuen Verfaſſung noch nicht fix und fertig aufgezeichnet. Eine 
ganze Reihe Streitfragen bleiben offen, die ſich namentlich daraus 
ergeben, wie weit der fs derative (bundesſtaatliche) Charakter 
des Reiches aufrechterhalten und durd) die Verfaſſung betont 
werden ſoll. Hier ſind eine ganze Anzahl von Löojungen vorge- 
ſ<lagen. Die radikalſte will die Bundeöſtaaten überhaupt be- 
feitigen. Dagegen wird eingewendet, daß die bundesſtaatliche Ver- 
faſſung als jolhe durchaus mit der Demokratie zu vereinbaren 
iſt; ſind doch auch die Vereinigten Staaten von Amerika und die 
Schweiz bundesſtaatlich organiſiert. Andere Vorſchläge wollen da3 
Uebergewicht Preußens brechen, indem ſie Preußen in mehrere | 
kleinere Bundesſtaaten zerlegen. Man ſicht, daß hier Probleme 
zu löſen ſind, für die da3 demokratiſche Programm durchaus noh 
keine fertigen Rezepte mitbringt. 
Schwierig iſt auch die Präfidentenfrage. In Frank- 
reiß wird der Präſident durch die vereinigten Kammern acewäbhblt, 
in Nordamerika dur< VolksSabſtimmung, aber nicht direckt, ſondern 
indirekt. Soweit wir unterrichtet ſind, iſt für Deutſchland die 
direkte Volk8wahl des Präſidenten geplant. Weitere verfaſſungs- 
rechtliche Fragen von großer Bedeutung betreffen die Macht- 
ſtellung des Präſidenten gegenüber dem Parlament und den Vei- 
niſtern, die Frage des Ein- oder Zweikammerſyſitems und ahn- 
liche2 mehr. | 
- Neben dieſen vielfachen verfaſſungörechtlichen Aufgaber, 
wird die Nationalverſammlung no<&4 eine zweite Veſtimmuamng 
en, Entente zu 
ratifizieren (beſtätigen). Es iſt zu erwarten. daß die 
Entente den Friedensſ<luß mit Deutſchland davon abhängig 
machen wird, daß er von einer auf allgemeinen Wahlen beruhenden 
Volksvertretung anerkannt wird. So erwächſt der Nationalver- 
ſammlung au3 den beſonderen Umſtänden der Zeit no< eine zweite 
Beſtimmung. 
Freilich, hinter all dieſen Aufgaben ſteht unendlich viel mehr, 
al3 ihre bloße Aufzählung befagt. Die Herſtellung der deutichen 
Verfaſſung- iſt nicht nur em totes theoretiſches, ſondern ein fehr 
lebendig politiſches Werk. Von ihm wird es abhängen, ob das 
deutſche Volk zum Sozialimus aufſteigt, ob e3 ſeine Einheit wahrt, 
vielleicht dur< den Hinzutritt DeutſchöſterreiHhs no) ſtärkt, oder 
ob e3 in gänzlichen Zerfall gerät. DeShalb iſt der Schrei nach der 
Nationalverſammlung mit Redt die oberſte politiſc<e Parole unſerer 
Tage geworden. Ihr Werk ſoll das Fundament ſein, auſ dem wir 
die Zukunft de3 Volkes aufbauen. 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
und ſchimpften ſpäter weidlich über die frommen Tiroler Bauern, mit 
venen ſie kaum in Berührung gekommen waren. - 
Zu dieſen Handwerk3geſellen gehörte ich keine3weg3. Mein Wahl- 
ſpruch war der italieniſche: Chi va piano, va Sano! -- Wer langſam 
geßt, bleibt geſund. Dabei ſtand: mein Sinn nicht nach Tiroler Bauern- 
brot, da3 gewöhnlich ziemlich alt und hart war, fondern ich wußte, daß 
e3 bei den Großbauern Samz3tag8 Shmalgnudeln gab, und die aß ich 
- fehr gern, beſonder3 wenn e3 redt viel gab. Dazu einen Topf voll 
Mil<h, dann konnte man 238 wieder einige Stunden au3halten. 
Gerade hatte ic meine Wahl unter den Häuſern auf den Bergen 
getroffen und ein ſtattliches Gehöft au8geſucht, zu dem ein in den Sdhnee 
gegrabener Fußweg bergauf führde und das ich mit meinem Beſuch 
beehren wollte, als ih ſchnelle Schritte hinter mir vernahm. Auf den 
erſten Bli> ſah ich, daß der- Herbeieilende auch ein Handwerksburſche 
wax, und auf alle Fälle ein Deutſcher. Denn nur ein ſolcher bringt 
es fertig, in dem unpraktiſchſten Kleidungsſtüd, einem Gehro>, ſich auf 
Wanderſchaft zu begeben. Auf mein „Servu3“ (öſterreichiſcher Gruß) 
ertkang das norddeutſche „Kenn Kunde“, und! bald) hatte ich heraus, daß 
iG einen echten Spreeathener, ſeines Zeichens Buchbinder, vor mir 
hatte, Der. arme Teufel hatte in einem Gaſthaus an der Straße auf 
Stroh geſchlafen und war nicht nur halb erfroren, ſondern auch hungrig 
wie eine Kirhenmaus. Seine erſte Frage war, wie weit e3 noc< raß 
Toblach ſei; bis dahin wollte er nämlich noch bis Mittag kommen. Auf 
meine Antwort, daß e3 noch gut 20 Kilometer ſeien und ich nir itreng 
"vorgenommen Hätte, erſt andern Tags dort anzukommen, ſah mich mein 
Reiſebegleiter verdußt an. Er wollte, ſo erflärte er, ſo ſ<mell wie mög- 
lich aus Tirol heraus, über Toblach nach Cortina (italieniſche Grenze), um 
im ſonnigen Süden ſich die Herrlichkeiten Venedig3, Padua3 uſw. anzuſehen. 
Ich riet ihm, jezt im Winter lieber; in Oeſterreich, wenn möglich 
in Tirol zu bleiben, da hier Buchbinder, beſonders vor Weihnach*en, 
Lohnende Arbeit fänden, ſchilderte ihm auc< aus eigener Anſ<auung 
Has „ſonnige“ Oberitalien im Winter, wo ihn ſiher mehr. frieren würde 
' wird er wohl ſpäter ſich geſagt haben. 
al3 an den warmen Oefen Tirols. Doch er war unbelehrbar, glaubte 
ſich mir gegenüber auch im Rechte zu befinden, denn er hatte ficher ſhon 
feine 24 Lenze erlebt, während im erſt dercn neunzehn zählte. Doch 
Alter ſc<hüßt bekanntlich vor Torheit nicht. Al3 ich ihm den Vorſchlag 
machte, ſich al3. mein Begleiter mit mir bei dem Bauern auf dem Berge 
zum Schmalznudelfrühſtücd einzuladen, wollte er anfangs nicht darauf 
eingeben, konnte jedoch den lodenden Anpreiſungen der ſüßen Milch 
und der heißen fetten Nudeln auf die Dauer nict widerſtehen und 
folgte mix ſchließlich, als ich mit einem „Servus!“ den Weg nad) oben 
einſchlug, denn ſein Hunger ſtand dem meinigen ſicher nicht nac. Nur 
die Kilometer reuten ihn, die er durd) das Auf- und Abjteigen verlor 
und nicht auf der Landſtraße abrennen konnte. 
Hätte er. lieber der Lochung des „böſen Buben“ widerſtanden, ſo 
Erſt ging ja allez programm- 
mäßig ab. Wir erreichten den Bauernhof, hoH oben am Berg gelegen. 
Ich brachte die Bitte nac „etwas Warmem“ vor. und ſc<hmeichelte der 
Bäuerin, daß es ſo gut nac) Nudeln röche. Erfolg: ein Topf Milch, dazu 
für jeden ein paar Nudeln. Beim Weggehen brachte unſer „Vergelts 
Gott!“ und der beſondere Dank für die „gute ſchöne Bäuerin“ jedem 
noh eine Nudel ein, in die wir beim Hinaus8gehen kräftig hineinbiſſen. 
Al3 erſter verließ der Buchbinder da3 Haus, da i< die Dankſagungen 
abzumachen hatta. I< folgte ihm und fand ihn bald wie Lot3 Weib 
zur Salzſäule erſtarrt, aus dem aufgeſperrten Mund den Reſt ſeiner 
Sc<malznudel hevausftredend.. Die Urſache ſeines Schredens begriff 
ich ſofort, als ich den Weg, den wir gekommen, zwei Gendarmen herauf 
ſteigen fah. Denen mußten wir unbedingt in die Hände laufen, denn 
dieſen Pfad mußten wir; zurüd, da vom Bauernhof keiner weiter hinab 
führte. Meinem armen Reiſegenoſſen . ſtandew die Tränen in den 
Augen. „Num werden wir wegen Bettelns verhaftet und kommen auf 
den Schub nah Deutſchland", ſo wehklagte er. J<4 verſuchte ihn zu 
'tröften mit dem Spruch, daß die Nürnberger keinen hängen, ehe ſie 
ihn haben. Doch die Gendarmen rüdten immer nähern. (Sc<luß auf S. 6.)
	        
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