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- Arbeiter- Ingend 63
Damal38 war es ein wirtſchaftlich aufblühende8 Volk, das um
die Früchte ſeiner Anſtrengungen in den ſogenannten Befreiungs-
kriegen, die lediglich den abſolutiſtiſchen Gelüſten der deutſchen
Jürſten neue Freiheit verſchafft batten, geprellt und der unleid-
lichen Knebelung ſeiner beſten Kräfte überdrüſſig, ſeiner wirtſchaft-
lichen, politiſchen und geiſtigen Entfaltung mit den erſten Loko-
motiven der neuen Eiſenſtraßen freie Bahn ſchaffen wollte.
Unter dem Eindru> der franzöſiſchen Februarrevolution ging
die Bewegung flott vonſtatten. Noch war nicht ein Monat ver-
gangen ſeit der denkwürdigen Nacht, da König Louis Philipp im
Fra> und ZBZylinderhut aus den Tuilerien*) flüchtete, an deren
Faſſade die Worte „grande boutique a louer pour casgation de
commerce“ (Großer Kramladen zu vermieten wegen Geſchäftsauf-
gabe) geſchrieben wurden, da ſtopfte ſchon Theodor Fontane in
Berlin den Lauf einer alten JFeuerſteinflinte bis an den Nand mit
Pulver voll, da ſtanden und fielen ſchon auf der Barrikade der
Jägerſtraße die jungen Freiheitshelden des Schloſſerhandwerts
Glaſewald und Zinna, da leiſtete der eingeſchüchterte FricD-
ri; Wilhelm TV., wahrlih nicht aus freiem Willen, ſchon die
Ehrenbezeugung vor den Märzgefallenen, die er in feinem Herzen
und in Briefen an den Geſandten Joſias von Bunjen „Berbrecher“
nannte, da ſaß ſchon im „Geiſterturm“ des harmlojen Geiſterjehers
Juſtinus Kerner zu Weinsberg der ehemals hochgefährliche Crz-
reaktionär und Staatskanzler Metternich, licß eine rote Fahne zu
ſeinem Fenſter herau8banuneln und ſpielte auf Nikolaus Lenaus
alter Geige =- die Marſeillaiſe,/**) während die durc< die CEmpörung
des bayeriſchen Volkes von der Seite ihre3 königlichen Freundes ver-
jagte Tänzerin Lola Montez im ſelben Kernerhaus „erſtaunlich ab-
gezehrt“" vom Dichter-Arzt mit täglich 13 Tropfen Himbeerwaſſer
und dem Viertel einer Oblate ge--aßt wurde.
Noc< war der März nicht zu Ende, da forderten ſhon Flug-
blätter ein freigewähltes Volk3parlament, ein Volksheer,
aktives und- paſſives Wahlrecht für alle, unbedingte Preßfrei-
heit, Religion3- und Leohrfreiheit, Scwurgerichte, Arbeitsſchuß
und Arbeitsrecht, AusSgleichung des Mißverhältniſſes3
von Kapital und Arbeit, volkstümliche und billige Staat3-
verwaltung, Abſchaffung aller Vorrechte und Verant-
worklichkeit aller Miniſter und Staatsbeamten, und am 95. Marz
Schweizer Dichter Gottfried Keller an einen Freund:
„E3 gehen jeßt in der Welt Dinge vor, wel<e man gehörig und
Fküuhwarm ſtudieren muß, auf daß man dereinſt, wenn män ein alter
Mann wird und Kinder hat, denſelbigen etwas erzählen kann. Selbſt
der Unbedeutendſte muß jet feſt auf Wache ſtehen und die Jaſe
hoch in die wohende Frühlingswitterung hinaus recen und nicht
allein ein Wintercſel bleiben im allgemeinen Noſenjturm .
Ungeheuer iſt, was vorgeht!“ .
Am 18. Mai trat das erſehnte und mit froheſter Zuverſicht De-
*) ſprich: tüjerien, ehemaliges Schloß in Paris.
3*) ſprich: marßäjähs, die franzöſiſche Krieg8- und Nationalhymne.
Nun aber fam das wichtige Thema der Empfangsſchüſſe. Hoch
oben am Berg, unweit eine3 Bauerngehöfts, follien ſcc<h3 Böller Aufs-
ſtellung finden. Von dort aus 'konnte man die Straße nach Zell am
See gut überſehen. E3 wurde nun jemand geſucht, der dort Ausguc
haltew und ſofort, wenn er die Kavalkade bemerkte, zur Ehre des
Biſchof8 die Böller abbrennen ſollte. |
Doch niemand meldete ſich. Jeder wollte dabei ſein, wenn der
Biſchof ins Dorf zog, um ihn von Angeſicht zu ſehen, ſeinen Segen zu
erhalten und dann mit iw der Kirche der Feierlichkeit beizuwohnen. Das
war natürlich ausgeſchloſſen. für den, der auf dem Berg die Böller ab-
- brannte... . Jc< ließ erſt die frommen Leute in ihver Verlegenheit, dann,
aus lauter „hriftlicher Nächſtenliebe“, machte ich der Not ein Ende, in-
dem ich erklärte, daß ic< wohl auch „ums Leben gern“ den Biſchof ſehen,
vor allem mit in der Kirche fein möchte, da ich aber begriffe, wie ſie
ſic alle nac dem Anbli> des hohen Herrn ſehnten, ſei ich bereit, die
Beſorgung der Böller auf dem Berge zu übernehmen. Da ich aber dieſe
Arbeit im Werktag38gewand verrichten müſſe, auch diie Böller nach ihrem
Abſchießen wieder wegguräumen ſcien und vom Berg dann noch eine
hübſche Stre>e ins Tal ſei, würde ich, da doh der Feſttag dur< Arbeits-
ruhe gefeiert würde, Bekannte än einem benachbarten. Dorf aufſuchen
und jedenfalls erſt ſpät abends zurüdkehren.
Die Bauern waren erfreut über mein Entgegenkommen und manches
Schöpplein „Tiroler“, das ſchon bezahlt war, wanderte zu mix. Be-
ſonders mein Meiſter war des Lobc3 voll über ſeinen Jürgei, ſeinen
bayriſchen Geſellen, der ſo eim braver Burſch ſei und auf ſeine Freude
verzichten wolle, um andern eine ſolche zu machen. Hätten ſie in mein
Jnneres ſchauen können und die Genugtuung bemerkt, 'die ich darüber
eimpfand, daß es mir gelungen war, mich. vom- Biſchof8empfang, vom
Knien beim Gmpfang des Segen38 und vom Kir<gang zu- drücken, ſie.
hätten ſicher nicht ſchle<ht über den keßeriſchem' Haderlumpen geſchimpft. .
Drei Tage darauf war die Feier; alle3 war voller Erwartung und -
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grüßte NeichSparlament in der Paul3kirc<he zu Frankfurt a. M. zur
erſten Sikung zujammen, um das „ungeheure Vorgehen“ zum er-
wünſchten Ziele zu führen, um das Gebäude des neuen, freien u1ud
einigen Deutſchlands aufzurichten. "
E3 ſollte den 400 Abgeordneten, unter denen die Gelehrten und
Necht3anwälte mit 195 Mann etwa3 reichlich vertreten waren, troß
zäher Ausdauer und unverdroſſener Arbeit8freude nicht geling2n,
ihre große Aufgabe zu erfüllen, denn e3 fehlte dieſer Nationalver-
ſammlung vom erſten Tage ihre38 Beſtehen38 bi8 zu jenem Junttag
des Jahres 1819, da württembergiſche Reiterei ihre lezten Mitaliceder
in Stuttgart auscinandertrieb, jegliche exekutive (vollziehende) Ge-
walt. So blieben ihre Beſchlüſſe =- Wünſche, während „die zwei
großen H Mitteleuropas“, die Hohenzollern und die Habsburzer,
geſtüßt auf ihre Wehrmacht, mit ihrem Neideifer gegeneinander
die notwendige Einigung der Deutſchen hintertricben und die Durch-
führung demokratiſcher Neucrungen vernachläſſigten, verdrehten oder
verhinderten.
Aber auch in der Zuſammenſetzung de8 Parlamentes ſelbſt lag
die Urſache zu ſchweren Heimmungen. Waren doch neben einer ſtar-
ken Linken, die in ihren Zielen von der einfachen Bejc<ränkung der
Herrſchaft8gewalt der Landesregierungen bis zum Programm der
franzöſiſchen Nevolution von 1789 ſich vorwagte, auch Patteien groß-
deutſcher, öſterreichij<-hab3burgiſcher, reaktionärer, ja ultramontaner
Nichtung ſo kräftig vertreten, daß faſt alle Beſchlüſſe mit ganz
ſ<wächlichen, wenig impoſanten Majoritäten gefaßt wurden.
Erzherzog Jo hann von Ocſterreich wurde am 29. Juni zum
Reichsverweſer gewählt, aber feine Negierung wurde als Zentral-
gewalt vorab von Preußen und Oeſterreich nicht anerkannt. Preußen
überlieferte im Waffenſtillſtand zu Malmö vom 7. und 8. Juli
Sc<le3wig-Holſtein gegen den ausdrücklicen Willen der National-
verſammlung halb und halb den Dänen und dem verhaßten Regt-
ment des Grafen Moltke, und ſchon im Auguſt durfte es ſich
JTriedrih Wilhelm IV., der ſein aus Furcht übergeworfene3 demo-
Fratiſches Mäntelchen längſt wieder abgeworfen hatte, leiſten, einer
Deputation der NReich3verſammlung beim Dombaufeſt zu Köln mit
„artikuliertem Tone“ zu erklären: „Vergeſſen Sie nicht, daß es no
Fürſten in Deutſchland gibt, und daß ich einer von ihnen bin.“
Dadurch, daß das machtloſe Parlament ſich, wenn auch nach
harten Kämpfen, dazu verſtand, mit 285 Stimmen die Malmöoer
Abmachungen nachträglich za billigen, entfeſſelte es den Unwillen
9e3 Volkes. E38 kam unter der Führung der äußerſten Linfen zu
Barrikadengefehten und einem Volfsſturm auf die Paulsfirc<he; die
Abgeordneten Auer8wald und Lichnows fk y wurden vor den
Toren der Stadt ermordet und Gujtav Struve erregie in Baden
einen Aufſtand, der vom Militär ebenſo ſchnell niedergeſchlagen
wurde wie der Putſchverſuch Fricdrich He>or38, dos Schspfers3
9es Wortes „Sozialdomokrat“, der ichon im April ungeſtüm, nit un-
zulänglihen und von Robert Blum als verräteriſch bezeichneten
Mitteln -- er führte Franzoſen gegen Deutſche = die Revolutionte-
rung Deutſchland3 verſucht hatte. (Schl. ß fol t.)
Freude. Das Dorf glich einem Gewäch3haus, und die Straße war Der-
art mit Blumen, Gras und Kräutern überſchüttet, daß heute, in der
kargen Zeit, ganze Herden Viech ein Feſtmahl damit halten könnten.
Jch hatte mich auf dem Berg an meinen Artillexicpoſten gemacht,
Die Böller waren geladen. Zur Hilfeleiſtung war mir eine alte Wabn,
wie ſich der Bauer aus8drücte, beigegeben, die halb blind war und aus
dieſem Grunde jedenfalls darauf verzichtete, den Biſchof zu ſehen,
Dieſer alte Dienſtbote hatte den Auftrag, die Zündeiſen, die an der
Spiße von langen Stangen angebracht waven, auf dem offenen Herd»-
feuer heiß zu halten und, wenn der Biſchof in Sicht kam, ſie mir
herauszubringen, damit ich die Böllerſchüſfſe loslaſſen konnte. Die
Bauern waren auf ihren Pferden dem Biſchof entgegengeritten. Sie
erſchienen uas auf dem Berge wie ein Heer von Zwergen, die auf
Ziegen ritten, und ihre flatternden farbigen Bänder wie Zwirnsfäden,
die ſic von dem einen zum andern ſc<langen. I< hielt nun ſcharf
Aus8gud. Wenn der erſte Neiter auf dem Rückwege zu erbliden war,
ſollte ich mit dem Schießen beginnen, venn gleic< hinter ihm folgten die
andern und der Wagen des Biſchofs. Die Dörfler konnten dem Zug
dann entgegengehen und die dazu beſtimmtew Jungfrauen dann ihre
Feſtgedichte und Blumenſträufze: lo2werden. Dann konnte der Feitzug
auf ver einer blumenbede>ten Wieſe ähnelnden Straße dem Pfarrhof
und der Kirche zuſtreben, "
Angeſtrengt ſpähte im ins Tal binab gen Zell am See zu, wo der
Biſchof herkommen mußte. Die Landſtraße nahm ſic wie ein breites,
ſilberne8 Band aus, Da ſah ich ſc<hon einen „Zwerg“ daherfliten; hinter
ihm pendelte der „Zwirnsfaden". Gim Wagen folgte in einiger. Ent-
fernung, Der Biſchof war alſo im Anzug. Jeßt konnten meine artille-
riſtiſchen Uebungen beginnen und 5a8 Bombardement einſeßen. Hoffent-
lich plagte keiner der Böller und nahm Roche für die Bedienung durch
einen Ketzern, / “ (Schluß S. 66.)