90 | Arbeiter» Jugend
vaten Bücherankauf erſchwinglich ſind. JIns5beſondore in der Sammlung
„Wiſſenſchaft und Bildung“, Verlag von Quelle u. Meyer, Leipzig, ſind
über alte Kulturgeſchihte eine ganze Anzahl vortrefflicher Büchel<hen
erſchienen, die neben belehrendem Text meiſt eine erſtaunliche Fülle
guter Abbildungen auf Kunſtdru>papier bieten. Ihr Belehrungswert iſt
außerordentlich und wir können unſern jugendlichen Freunden nur
empfehlen, ſtatt einer Schachtel ſchnell verpaffter Zigaretten ſich auch
dann und wann ein ſolches Buch zu kaufen. Für uns kommt heute in
Betracht Band 103: „Altorientaliſche Kultur im Bilde“, 64 Seiten Text
und 193 Abbildungen au3 der altägyptiſchen, babyloniſchen, perſiſchen
und voraſiatiſchen Kultur, unter denen ſich auch <efiziſche Kunſtwerke
und deren eigentümliche Bilderſhrift finden.
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Die neue Schule und der Sozialismus.
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T der vorangegangenen Betrachtung machten wir uns klar, in
welchem Verhältnis Schulreform und SozialiSmus zueinander-
ſtehen; wir fanden, daß beides untrennbar zuſammengehört.
Aber noch mehr: der Sozialismus iſt auch der lebendige Odem, der
die neue Schule beleben und durchdringen wird, jo daß man von
dieſer Schule mit einem abgeänderten Bibelwort jagen kann: Und
wenn ſie mit Menſchen- und Engolzungon predigte und hätte keinen
SozialiSmnus8, ſo wäre ſie ein tönendes Erz und eine klingende
Schelle.
Wie war3 denn mit der alten Schule? Was war ihr Zentrum,
die ſie beherrſchende „Jdee“? .
In der Volksſchule war e8 die Neligion, genauer das Chriſten-
tum. Wenigſtens der Abſicht nach ſollte der geſamte Unterricht und
das ganze Schulleben von <riſtlichem Geiſte durchdrungen ſein.
Wel eine grote8ke Unnatur, dieſe <riſtliche Volksſchule in einer
dur< und durch unreligiö8 und unkirchlic denkenden Zeit! Der
fete Zwe auf der Seite des Staates war dabei, gehorſame, de-
mütige, arbeitſame Untertanen zu erziehen.
Für die <hriſtliche Sittenlehre bedentet der Klaſſenkampf immer
etwas Unſittliches. Durch Wohltun der Oberen, treues Dienen der
Niederen ſollen die ſozialen Gegenſäße möglichſt verſöhnt werden;
der wirkliche AusSgleich bleibt (ſiche das Gleichnis vom reichen Mann
und armen Lazarus!) dem Jenſeits überlaſſen. |
Viele demokratiſchen Shulreformer, auch die Geſamtorgani-
ſation der BVolksſchullehrerſchaft wil mit dieſer beherrſchenden
Stellung der Religion aufräumen. Was aber haben ſie an deren
Stolle zu ſeen, wenn ſie nicht Sozialiſten ſind? Man ſchlägt einen
„Moralunterricht“ vor; da ſollen die Kinder mit den für das Leben
notwendigen und ſchäßen3werten Grundſäten und Eigenſchaften an
Hand von lebensvollen Beiſpielen vertraut gemacht werden. Da3
wäre aber immer nur ein einzelne8 Fach, keine alles beherrſchende
„Grundidee“. Vor allem hat noc< niemand geſagt, wel<e Art von
„Moral“ gelehrt werden ſoll! Die bürgerlichen Herren denken meiſt,
die bürgerliche Moral ſei d;ic einzig mögliche, die „Moral an ſich“.
So dachte au< der mittelalterliche Adlige, der Ritter, ſeine Stande3-
moral ſei die allgemein menſchliche. Die proletariſche Ethik aber
iſt in wichtigen Punkten von der bürgerlichen grundverſchieden. Sie
legt allen Nachdru> auf die ſoziale Natur und die ſozialen Pflichten
de3 Menſ<en, während das Bürgertum als böchſte „Idee“ die
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„Perſönlichkeit“ aufjiellt. Unjere, in ihrer ganzen WeſenSart
auf den SozialiSmus eingeſtellte Schule kann aber nur auf der prole-
tariſch-ſozialiſtiſchen Ethik begründet worden. Von dieſer braucht
dann nicht in bejonderen Stunden viel geredet zu werden, fon-
dern im ganzen Schulloben iſt danach zu handeln.
Von den höheren Schulen hatte das alte „humaniſtiſche“ Gym-
naſium in den alten Sprachen, dem Griechiſchen und Lateiniſchen,
einen feſten Weittelpunkt. An dem freien. und ſchönen Geiſt des
klaſſiſchen Altertums, der griechiſchen und römiſchen Dichter und
Schriftſteller, jollte jich die Jugend der herrſchenden Klaſſen bilden.
Aber erſtens wird infolge der großen ſprachlichen Schwierigkeiten
dieſes Ziel nur zum geringſten Teil erreicht, und dann kann für
die große Maſſe unſere3 Volkes der Geiſt der „Antike“, alſo einer vor
mehr als zwei Jahrtauſenden verſunkenen Kultur, nicht als Er-
aiehungs1ideal in Betracht kommen, zumal dieſe Kultur eine ariſto-
fratiſche und bürgerliche war. Heute iſt die Beſchäftigung mit den
alten Sprachen in der Hauptſache nur no< etwas für äſthetiſche
Junſchmedker.
Aljo damit iſt es auch nichts. Und die Realgymnaſien und
Oberrealſchulon entbehren überhaupt jede8, die verſchiedenen Unter-
richtsgegenſtände zuſammenſchließenden Bandes. In dicſen An-
ſtalten werden nur entſprechend den Anforderungen, die unſere Zeit
an höhere Beamte und leitende Männer des Wirtſchaftslebens ſtellt,
die neueren Sprachen und die mathematiſch-naturwiſſenſchaftlichen
Fächer mehr betont.
„Im letßten Jahrzehnt aber gab e8 doch einen Gedanken, eine
„dee“, die, ohne in den Lehrplänen ausdrüclich ausgeſprochen zu
jein, dieſe Anſtalten und ſchließlich ſo ziemlich das ganze Schulweſen
beherrſchte: der deutſche JImperialiSömus8. Als, etwa ſeit 1900,
Deutſchland aus einer europäiſchen Feſtland8macht zu einer Welt-
macht wurde, Kolonien erwarb, mit ſeinem Kapital und ſeiner Wehr-
macht überall in der Welt bei allen Geſchäften und Händeln dabei
ſein mußte und der Weltkrieg ſeine Schatten vorau8warf, da begann
allmählich der „deutſche Gedanke“, die Loſung „Deutſchland in der
Welt voran!“ auch die Schule, zunächſt die höhere, zu beherrſchen.
Chriſtus und Homer wurden von dem Nationalhero8 Biömar> ver-
drängt. Die „Erzichung zum Staatsbürger“ war einige Jahre tat-
ſächlich die leitende Jdee der Schule, d. h. die Erziehung zu nationa-
liſtiſc<her Ueberhebung umd zum WölitariSmus. Dieſer Geiſt ſtieg
dann in den erſten ſiegreichen Jahren des Weltkriegs zu ſchwind-
ligem Rauſche an und zog auch die Volksſchule in ſeinen Strudel,
um ſein furchtbares Fiasko in dem Zufammenbruch des Kaiſertums
und des MilitariSmus zu erleben. Jn den Jugendwehren hatte
dieſer überhißte militariſtiſche Taumel ſeinen zugleich lächerlichſten
und abſtoßendſten Ans8druck gefunden. --
Wa3 nun? Die „nationale“ Jdee der dentſchen Weltherrſchaft
iſt, für immer mit Blut und Schande beſudelt, verſunken. Eine
tiefe ſittliche Verwilderung aber, das weiß und erlebt auch die Jit-
gend, hat alle Schichten unſeres Volkes erfaßt. Ungedhenre Schrec>-
miiſſe ſind aus der Verwirrung unſerer Zeit emporgeſtiegen. Nach-
dem der „nationale“ Krieg, der im Grunde ein kapitaliſtiſcher Nawb-
Frieg war, alle zehn Gebote aufgehoben hatte, hebt neuer Bruder-
krieg des Proletariat38 im Innern ſein ſcheußliches Hanpt. Der
internationale Soziali8mu8, der ſchon im Jahre 1914 vor der Frage
(Sc<luß von S. 86.)
Jett erſt begreife ich! Heute iſt ja allgemeine Landes8trauer mit
Nücſicht auf den furchtbaren FriedenSvertrag. Ihr Aermſten im Geiſte!
Da ſeid Jhr alſo um Euer gewohntes Vergnügen, den Tanz, gekommen!
Und nun taumelt Ihr hier gelangweilt und hilflos unrher und wißt mit
dieſer berauſchenden Schönheit der Landſchaft nichts anzufangen!
Da ſeht einmal im Kahn drüben die drei Burſchen, barfuß, Knies
hoſen ohne Jae, der eine mit der Gitarre, der andere mit der Mandoline
und der dritte mit einer Geige! Und wie ſie ſpielen! Das3 iſt Muſik!
Langjährige3, ernſtes Studium in häuslicher, ſtiller Kammer löſt ſich hier
in ſtimmungsvollen Weiſen und ſchwingt ſich bald ſc<luchzend, bald
jubelnd über den ſpiegelnden See. Wenn ſich Kunſt und Natur ſo har-
moniſc<h ineinander vereinen, dann entſchädigt da3 Glü> weniger Stuns-
den für das ausgeſtandene Elend monatelanger Arbeit und Mühſeligkeit.
Adolf Domnide
ps '
Heimkehr.
er Frühling hatte zu lang gezögert. Nun kam er mit Macht. War
doch heute, wie Richard Dehmel ſang: .
Ein Tag von jenen, glanzgeküßt,
An denen jeder Halm un3 grüßt
Und jeder Sonnenſtrahl das Herz
Zum Lachen zwingt, troß Not und Schmerz.
- E38 war zwar noch frühzeitig zur Heimfahrt, und doch, ich fürchtete
- nicht ohne Grund, der Eiſenbahnzug würde überfüllt werden. Wer
wollte mit einem Krieg3beſchädigten darüber rechten, wenn ex darum
zwei Nickel (Verzeihung, zwei Eiſenſtücke) mehr auftwendete, um in
aiveiter Klaſſe etwas weniger leben38gefährlich ſein Ziel zu erreichen.
Unſer Kupee wurde noch vor der Abfahrt voll. Eine ältere Dame,
ſauber gekleidet, ſtieg mit zwei jüngeren Fräulein ein, die wahrſcheinlich
ihre Töchter waren. Alle drei hatten Schleier vorgebunden. Sie hatten
auch ſicher keinen anſtrengenden Marſc< hinter ſich, denn troß der
warmen, ſommerlichen Witterung trugen ſie noch ihre Wintermäntel.
Selten ſprachen ſie, und auch dann nur in leiſem Tone, Steife „vor-
nehme“ Zurückhaltung im gangen Weſen...
Da kam ein Trupp jugendlicher Wanderer den Zug entlang. Lachend
und ſingend zogen ſie an unſerem Kupce vorüber. Auf ihren glückſjeligen
Geſichterm ſpiegelte ſich noch der leuchtende Sonnenſchein, den ſie den Tag
Über eingeſogen hatten. Frei trugen ſie Bruſt und Hal38z; mit kurzen
Hoſen und freien Knien gingen die Burſchen, in leichten Hängern die
Mädchen. Jhr ganzes Aeußere erinnerte an den Sehnſuchtsruf: „Laßt
Sonne herein!“
Da hatten auch unſere würdigen Damen den Trupp entde>t. „Sich
mal, Klärchen,“ meinte die ältere, „wie die Mädchen ausſehen. Das iſt
doch ſheußlich! Wie die Eltern da3 nur dulden können! So darf man
jich doch nicht vor allen Leuten zeigen.“ =- Und die lange, hagere Tochter
neben ihr rümpfte die Naſe und zog ſich tiefer in ihren Wintermantel
zurü>. Die andere, etwas jüngere, offenbar ebenſo würdig erzogene
Tochter, der aber doch noch ein klein wenig Sehnſucht nach Lebens8freude
in den Augen zu leſen ſtand, ſtimmte pflichtſchuldigſt der Mutter bei:
„3a, das ſicht doch direkt häßlich aus!“ -- Und alle drei hüllten ſich
wieder in ihr eiskaltes, erhabene8 Schweigen. Adolf Domnic.