Full text: Arbeiter-Jugend - 12.1920 (12)

Arbeiter» Iugend 
 
 
- „Nee, Karl, ic) habe ja kein Fieber mehr, und dann freue 
ich mid), wenn ih in dem ewigen Einerlei etwas Abwechſlung habe.“ 
„Nun gut, ſo will ich yerjuchen, Dir die Sache verſtändlich zu * 
machen. Daß die verſchiedenen Zweige der Arbeiterverſicherung 
nicht einheitlich geſtaltet ſind, hat ſeine Urſache vor allem darin, 
daß das Verſicherungsweſen ſo, wie es heute iſt, nicht auf einmal 
entſtanden iſt. Stelle Dir alſo vor, daß der Bau der deutſchen 
Arbeiterverſichherung zunächſt nur ſtufenweiſe errichtet wurde, von 
der Kranken- über die Unfall- zur Jnvalidenvorſicherung. Weiter- 
hin iſt das Ganze dann unter Wahrung der Grundgedanken und 
der organiſatoriſchen Grundlagen aus8geſtaltet, im einzelnen ge- 
ändert und weſentlich erweitert worden.“ | 
So recht habe iM Deine 
„Da3 war aber gelehrt ausgedrückt! 
Worte no< nicht begriffen.“ 
„Na, dann will ich 93 ander3 au8drü>ken. Wenn ich nicht irre, 
habe ich Dir ſchon einmal geſagt, daß da3 jetzige Gebilde der 
Arbeiterverſicherung, die RNeichsverſicherung8ordnung oder die 
.„V.O., wie mtin kurz ſagt, nicht auf einmal entſtanden iſt, ſomdern 
daß die verſchiedenen Zweige nach und nach angegliedert und - 
im Laufe der Jahre ergänzt und erweitert worden ſind.“ 
„Deſſen kann ich mich noch erinnern. Aber deShalb kann ih 
nicht einſehen, warum .man kei Schaffung 'der R.V.O., da3 ganze 
Veorſicherungsweſen nicht einheit- 
'Fürſcraepflt <t zu übernehmen. 
„Da3 ſehe i%: vollkommen ein. Aber warum haben- es die 
Arbeiter denn nicht verſtanden, ſich in dieſem wichtigen Zweig 
Einfluß zu ſichern2"“ 
„Xa, lieber Peter, vergiß nicht, daß die Arbeiter damals in 
der Regierung gar keinen Einfluß hatten, und im Parlament 
konnten fie ihren Willen auch nicht durc<hjeten. I< gebe mich aber 
der Hoffnung hin, daß dieier unleidliche Zuſtand in Zufunft doh 
im Sinne der Arbeiterſchaft geändert wird. I< nehme an, daß 
Du nun die Sache mit ganz anderen Augen anſiehſt.“ 
„Ja, nun verſtehe ich manche8, was ich mir erſt nicht erflären 
konnte. Nun ſage mr abcr auc<h, warum meine Mutter kein 
Krankengeld bekommt.“ 
„Gern! Bei einem Verſicherung3fall, der durch Betrieb3- 
unfall eintritt, hat die Krankenkaſſe für die erſten 13 Wochen die 
Zſt der Verletzte nam Ablauf 
der 13 Wochen no<h nicht geſund, ſo tritt die Beruf8genoſſenſchaft 
an Stelle der Krankenkaſſe. Sie kann dieſe aber gegen Rüc- 
erſtattung der Koſten mit der weiteren Fürſorgepflicht des Ver- 
letzten betrauen.“ 
„Daraus kann ich aber immer noch nicht entnehmen, warum 
' meine Mutter kein Krankengeld für mich bekommt.“ 
„Das will 19) Dir gleich 
 
lich goſtaltet hat.“ 
„Da gebe ich Dir vollkommen 
recht. Leider waren aber ſoviele 
Hinderniſſe zu überwinden, daß 
eben nicht alle Teile der Atbeiter- 
verſicherung unter einen Hut zu 
bringen waren.“ | 
„Xa warum denn nicht? 
Wenn die Regierung und der 
Roichs8tag erklärt hätten, es muß 
ſein, dann hätte e3 do gehen 
müſſen.“ 
„Voraiß nicht Peter, daß die 
Nogierung, die wir bis zur Ne- 
volntion hatten, die Negierung 
eines kapitaliſtiſchen Klaſſen- 
ſtaates war. Sie hatte vor allen 
Dingen Rückſichtauf das Intereſſe 
. der Kapitaliſten zu nehmen, von 
denen ſie abhängig war.“ 
„3a, die haben aber doch 
mit der Urbeiterverſicherung 
nicht8 zu tun! Die iſt doch nur | 
für die Arbeiterſchaft da!“ 
„Das iſt wohl richtig, aber 
die Arbeitgeber haben dod) durch 
ihre Beitragsleiſtung, in einen 
Zweige mehr und im andern 
weniger, auch ein Intereſſe an 
dieſer Einrichtung, das natürlich 
in erſter Linie nur ein finanzielles 
iſt. Ic< will Dich nur an einen 
zember 1919 mindeſtens 
Auflage von rund 
Unaufhörlich aufwärts! 
Ein Jahr Arbeiterjugendbewegung. 
JIugendgenoſſen! 
H Am 1. Januar 1919 zählten wir ungefähr 250 Arbeiter- 
: jugend-Vereine und Jugendausſ<hüſſe, Ende De- 
483 Arbeiterjugend-Vereine. 
Am 1.Ianuar 1919 betrug die Auflageder „Arbeiter- Jugend“ 
etwa 30 000 Exemplare. Wir ſchloſſen das Jahr 1919 ab mit einer 
60000 Exemplaren. 
Langſam, aber ſicher ſind wir gewachſen und auch innerlich 
erftarkt Unſere Jugendbewegung iſt echt jugendlich, kerngeſund 
und lebensfroh. An der künftigen Entwicklung, Geſunderhaltung 
und weiteren Stärkung unſerer Bewegung wollen 
wir alle 
auch im neuen Jahre arbeiten. -- Die erſten 
100000 Mitglieder 
müſſen recht bald erreicht werden! Frohgemut und kampfesmutig 
begrüßen wir auch das neue Jahr. 
ſagen. Hier ſind die Beſtim- 
mungen der Krankenve: ſicherung 
reip der Kaſſenſaßung maßge- 
bend. Danac< kann Ha.1sgeld, 
mc<ht Kranfengetd, wie Du irr- 
tümlich fagſt, nur gewährt wer- 
den, wenn der Verſicherte ſeine 
Angehörigen ganz oder über- 
wiegend unterhalten hat.“ 
„Das habe ich do, Karl! 
IH muß doc) meinen ganzen 
Lohn zu Hauſe abgeben!“ 
„3a, lieber KReter, Dein 
Lohn iſt im Verhältnis ZÜ dem 
Einfommen Deiner Mutter ſehr 
gering. Außer ihrer fleinen 
Rente, die ſie bezieht, verdient 
ſie ſelbſt, und dann kommt noc 
hinzu, daß ſie von Deiner 
Schweſter, die mehr verdient als 
Du, Koſt- und Logisgeld erhält. 
Im Verhältnis zu dem Geſamt- 
einfommen Deiner Mutter, macht 
Dein Lohn, den Du abgibſt, noch 
nicht einmal den fünften Teil aus, 
ſo daß von einem „vorwiegen- 
den“ Unterhalten Deiner Matter 
Deinerſeits keine Rede jein kann.“ 
„Das ſehe ich ja ein, aber 
was foll denn nun mit meiner 
Mutter werden? Könnte man 
denn nicht durch ein Geſuch an 
die Berufsgenoſſenſchaft eine 
00200 .00 0000202888 
 
Der Hauptvorſtand. 
 
ganz kraſſen Fall erinnern, 
Bei der Beratung der NR. VO, 
beabſichtigte die damalige Regierung, den Arbeitgebern in der 
Krankenverſicherung dieſelben Rechte einzuräumen wie den Ar- 
beitnehmern. Sie ſollten dafür aber auch die Hälfte der Beiträge 
übernehmen. Dagegen wehrten ſie ſich, und es blieb beim alten.“ - 
„Das kann, ich ihnen nachfühlen, wenn ſie nicht mehr zahlen 
Wollen, als ſie unbedingt müſſen und lieker auf größere Rechte. 
verzichten. “ 
„Siehſt Du, wenn man -ekwa3 hinter die Kuliſſen gut, ſicht 
die Sac<he immer ganz anders aus! Bei der Znvalidenverſicherung 
war eine Aenderung nicht nötig, weil dort die Halbierung Der 
Rechte und Pflichten ſ<on beſtand.“ 
„Und bei der Unfallverſiherung? Da hätten die Arbeitgeber 
doch froh ſein müſſen, wenn ſie einen Teil der Beiträge auf die 
Arbeiter abwälzen konnten!“ 
„Oberflächlich betrachtet magſt Du re<t haben. Die. Sache 
hat aber auch no< einen Häken. In den Berufsgenoſſenſchaften, 
die die Träger der Unfallverſicherung ſind, ſiben die Arbeitgeber 
ganz allein, Sie regieren dort unumſ<hränkt und wiſſen auch ganz 
genau, warum ſie die Arbeiter nicht dazwiſchen haben wollen, 
Denn wenn die Arbeiter dort etwas zu ſagen hätten, würde die 
jeßt geübte Rentenquetſcherei ſehr bald ein Ende nehmen. DeZ3- 
halb haben die Unternehmer keine Sehnſucht, das jett beſtehende 
Syſtem zu ändern, denn je mehr und je höhere Unfallrenten zu 
müſſen.“ ſind, um fo höher ſind die Beiträge, die ſie entrichten 
müſſen.“ . 
: könnteſt. 
Unterſtüzung für fie erhalten? 
„Nein, dieſe darf nach den beſtehenden Beſtimmungen keine 
Bittel aus8g-ben, die geſetzlich nicht gerechtfertigt find. Anders 
läge die Sache, wenn Du älter wärſt und ſoviel verdienteſt, daß 
Du von Deincm Lohn Deine Mutter überwiegend unterhalten 
Dann hätte ſie Sausgeld zu beanſpruchen, genau ſo, 
als ob ſie vergeiratet wäre und der Familienvater einen Unfall 
erlitten batte.“ 
Tas ſind ja ſchöne Ausſichten, das Ende vom Liede wird 
ſein, daß meine Mutter benachteiligt wird.“ 
„Ja, mein lieber Junge, das iſt bedauerlich. Die geſeßlichen 
Beſtimmungen lauten. nun einmal ſo, und da läßt ſic an der 
ganzen Sache nichts ändern. Mir fällt aber eben ein, daß nach 
unſerer Kaſſenſaßung ein ſogenanntes Taſchengeld als Mehr- 
leiſtung gewährt wird. E38 iſt nicht viel, aber e8 ſind doch einige 
Groſchen, und ich will bei der Kaſſe vorſprechen und dafür ſorgen, 
daß Deine Mutter das Geld abheben kann.“ 
„I< danke Dir, Karl. Du biſt doch immer der Alte. 
Du jemand helfen kannſt, ſ<heuſt Du keine Mühe.“ 
Laß nur Dein Lob, ich tue nur meine Pflicht. Jett will i9 - 
aber gehen, damit Du Dich nicht überanſtrengſt. Sonntag komme 
ich wieder; ich hole dann Deine Mutter und Deine Schweſter ab 
und komme mit ihnen zuſammen. Für heute leb wohl und halte 
Dich gut, damit Du bald aus dem Krankenhaus herauskommſt.“ 
„Auf Wiederſehen, Karl! Wir wollen da3 Beſte hoffen.“ Tre. 
nE 
Wenn
	        
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