Full text: Arbeiter-Jugend - 12.1920 (12)

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Selden ſchäzte. Al3 er hörte, daß Napoleon ſi zum Kaiſer der 
Franzoſen gemacht hatte, zerriß er zornig das Titelblatt der 
- Partitur, auf dem die Widmung ſtand. Häufig erwähnt und in 
Bildern verewigt worden iſt auch der Vorgang in Teplitz, wo der 
Hofmann Goethe den anweſenden Fürſtlichkeiten ſeine Ergeben- 
heit bezeugte, Beethoven dagegen durch ſein Benehmen bewies, 
daß er die Fürſtlickeiten nicht höher ſchätzte als andere Menſchen. 
Schon vorher hatte er Goethe ſeine Anſicht darüber mit den; Worten 
kundgetan: „Ihr müßt ihnen tüchtig anden Kopf werfen, was ſie 
an Euch haben, ſonſt werden ſie's gar nicht gewahr. I< hab's ihnen 
ander3 gemacht. . . . Einen Hofrat können ſie wohl machen, aber 
keinen Goethe, keinen Beethoven, davor müſſen ſie Reſpekt haben.“ 
Kein Wunder, wenn Goethe Beethoven für -eine „ganz un- 
gebändigte Perſönlichkeit“ hielt. In ſeinen letzten Lebensjahren 
war Beethoven dafür bekannt, daß er über die Regierung, die 
Polizei, die Ariſtokratie ſich ſehr frei ausſiprac<h. Die damals all 
mächtige Bolizei wagte ſich aber nicht an ihn heran, | 
'Dieſe wenigen Mitteilungen genügen, um zu zeigen,' auf 
- welcher Seite Beethoven ſtehen würde, wenn er heute nod) 
lebte. Tatſächlich iſt er denn auch in den beiden lekten Jahrzehnten 
dem deutſchen Proletariat immer mehr bekannt geworden, bekannt 
geworden in einer Weiſe, daß Beethoven, wenn er fic noch hätte 
erleben können, ſeine helle Freude daram gehabt hätte. In den 
erſten Jahren dieſe38 Jahrhundert3 machte ſich in verſchiedenen 
Städten Deutſchland8 da8 Beſtreben bemerkbar, der organiſierten 
Arbeiterſchaft beſſere Muſik zu bieten. Da durften Werke von 
Beethoven nicht fehlen, wenn man zu Anfang auc genötigt war, 
zu ſeinen kleineren Kompoſitionen zu greifen. Im Jahre 1905 
wurde in Berlin zur Feier des 18. März zum -erſtenmal die Neunte 
Sinfonie aufgeführt, neben der Miesa Solemnis das gewaltigſte 
Werk Beethovens. 3000 Berliner Arbeiter ſaßen im heißen Saal 
und nahmen da3 Werk in tiefſter Andacht auf. In feinem Bericht 
darüber jubelte Kurt Eiöner damals8: „War einſt für den Weit- 
bli>enden die Gründung des kleinſten Arbeitervereins wichtiger 
al3 die Schlacht bei Königgräß, ſo darf man heute kühnlich ſagen: 
Was bedeutet die Schlacht bei Mukden neben dieſer Siegesſanfare 
des erwachten Proletariat8!" Später folgten beſonder3 für Ar- 
- Geiter beſtimmte Aufführungen der „Neunten“ in Barinen, 
Dres8den, Hamburg und anderen Städten. Zum Teil wirkten im 
Schluß<hor auch Arbeiterſänger dabei mit. Leider erfordert diefes 
gewaltige Werk aber eine größere Menge von Muſikern und 62» 
ſhulten Sängern, ſo daß es unmöglid) iſt, es ohne ganz beſondere 
Opfer in kleineren Orten aufzuführen. Es gibt aber nod) die 
zelon anderen Werke von Beethoven, die kein ſolc<e3 Maſſen- 
aufgebot von Ausführenden beanſpruchen und bei deren Genuß der 
Empfängliche alles um ſich her vergeſſen kann. Einige gute Muſiker 
genügen, um die wunderbaren Kammermuſikwerke Beethovens auf- 
führen zu können, .- | 
Am 26. Januar 1912 bat die arbeitende Jugend Berlins ſogar 
eine eigene. Beethoven-Feier gehabt! Hoffentlich wird e3 nicht bei 
dieſem einen Beiſpiel bleiben, ſowohl in Berlin wie andersw9,. 
Das Geſagte wird wohl genügen, um zu zeigen, wieviel die 
- arbeitende Jugend gewinnen kann, wenn ſie ſich mit Beethoven 
und ſeiner Muſik beſchäftigt. Möge ſie jede Gelegenheit dazu be- 
nußer, die ſich bietet. Laßt Euch nicht abſchre>en, wenn Zhr beim 
- erſten Anhören eines Beethovenſchen Werkes nicht gleich das findet, 
was Ihr erwartet habt. Als ic zum erſtenmal die „Neunte“ hörte, 
war ich zwar gleich ergriffen davon. Das iſt jekt ſchon einund- 
dreißig Jahre her. Seitdem habe ich ſie oft gehört, und noch jetzt, 
wenn ich ſie mit der Partitur'in der Hand zum ſoundſovielten Male 
wieder höre, iſt e3 mir, al38 ſeien immer noch Schönheiten darin 
verborgen, deren ich bisher noch gar nicht gewahr geworden ſei. 
Ebenſo) iſt es mit den anderen größeren Werken. Beethovens. Nur 
- habe ich keine8 von dieſen ſo oft gehört wie die Neunte Sinfonie. 
QLernt-Beethoven kennen! Das iſt eine würdige Vorſchule aud) 
zum Genuß anderer edler Muſikwerke und zur Läuterung des Ge- 
iqmads. Wem durc den Mangel an Verſtändnis für Muſik all 
dies Schöne, all dies Erhabene verſchloſſen iſt, der iſt zwar als 
Menſc< de8wegen niht geringer zu achten, aber zu bedauern iſt 
er dod), = A. Quiſt., 
Gs möge mir erlaubt fein, bei dieſer 'Gelegenheit noh auf ein 
paar gute und nicht gar zu teuve Bücher über Beethoven hinzuweiſen. 
Da iſt zunächſt Romain Rolland: Ludwig van Beethoponm, (Max 
- Raſcher Verlag, Zürich, 1920.) Da das Buch in der Schiveiz erſcheint, 
iſt es infolge unſerer ſchlechten Währung allerdings ſehr teuer. Es koſtet 
20 MX. --- Für 6-Mk, zu Haben aſt v. d, Pf ordteni Bretbapen: (Wiſſen. 
ſhaft. und Bildung, Band 17. Verlag von Quelle u. Meyer in Leipzig.) 
Dieſes Buch beſchäftigt ſich weniger mit den Einzelheiten in Beoihovens. 
Leben, enthält aber ſehr ſchöne Ginführungen“ in "bie -größerc “Werke 
„Beethovens, --- |; 10 tei 
-.. Tefenöwert. iſt die. BefHhreibung von . Becthovens. Leben. von Kudwisg 
Wenn auch ſchon etwas veraltet; ſ9 doc immer no< 
Mohl, die in Neclkams Univerſalbibliothe? erſchienen iſt, (Nr. 1181.) 
Jeitigen Weiterbildung, feim = 
-Qirbeiter-JIugend 
( 
Winke für Diskuſſionsabende. 
on großer Wichtigkeit für unſere Jugendarbeit ſind unſere Di2- 
fuſſionsveranſtaltungen. Dies iſt in vor „Arbeiter-Jugend“ ſchon 
häufig, und gerade wieder in den lezten Nummern, dargelegt 
worden. Auch prakiiſche Vorſchläge wurden gemacht, um dieſe Veratns- 
ſtaltungen recht intereſſant zu geſtalten und zu erreichen, daß die .DiLk- 
kuſſion möglichſt von den Jugendlichen ſelbſt beſtritten wird. Troßdem 
müſſen wir in kleinen Gruppen oft die Feſtſtellung machen, daß die 
eigentliche Ausſprache mur von älteren Genoſſen geführt wird, wenn 
auch hin und wieder ein jüngerer ſich zum Wort meldet. Zwe dieter 
Zuſammenkünfte ſoll aber doch gerades ſein, den jüngeren Genoſſen 1215 
Genoſſinnen Gelegenheit azur Ausſprache gu geben und ihve Meinung 
au hören. Die älteren ſollen hauptſächlich die Anregung geben und im 
gegebenen Fällen helfend mit beiſtehen. Iſt einmal die erſte Schott 
vorüber, dann geht e8 da3 nächſte Mal ſchon beſſer. Selbſtverſtämdlic 
muß der zu behandelnde Stoff leicht verſtändlich und anregend ſein, 
an die Herzew und Hirne unſerer Jugendlichen appellieren, 
Hierher gehört wohl beiſpiels8weiſe eine Diskuſſion über das Er- 
zichungs8- and Jugendſchubprogramm unſeres Verbandes, Wohl jeder 
Jugemdliche iſt dabei in der Lage, Bemerkungen dazu gu machen, da ihm 
ja dieſe Fragen aus eigner Erfahrung bekannt find und eine Berbeſſc- 
rung des Jugendſchußes allen am Herzen liegt. 
Aber noch von einem anderen Verfahren wollte ic) erzählen, durch 
daa ich gerade meine „Jüngſten“ auf die Beine gebracht habe, Wenn vs 
zunächſt auch etivas komiſch erſcheinen mag, ſo foll e3 hier doF mtii- 
geteilt werden. | 
"Für einen Sonntagnachmittag war vor der Abendveranſtaltung cine 
Sonderidi3kuſſions3ſbuinde feſtgelegt. Meitre Erwartungen nicht täu- 
ſchend, hatten ſich rund 40 Genoſſen umd Genoſſinnen eiwgefunven, Uu 
gemeinſam über die leßte „Arbeiter-Jugend“ zu diskutieren. Schsn 
vorher hatte ich einige Jugendgenoſſen beſtimmt, intereſſante Abſchnitie 
des Jugendorganes dur<hzunehmen und in der Diskuſſion darüber zit 
redem. Das Amt des Verſammlungs8leiter8 wurde einem jungen Ge- 
noſſen übertragen, bem nod) zwei jugendliche Beiſitzer zur Seite ſtau» 
ven, von denen eimer das Protokoll führen follt2. . 
Der Obmann eröffiiete mun == wenn auch zuerſt mit zagbafder 
Stimme --- die Diskuſſion mit Turzer Begrüßung und. erteilte einem 
der jungen Berichteritattier das Wort, Dieſer verſu<te nac<> beſiem 
Können den Artikel der „Arbeiter-Jugend": „Der alte und der neue 
Geſchichtsunterricht“ wiederzugeben. Gelang ihm etwas nicht, ſo Beizen 
wir iyn ruhig die Zeitung zur Hand nehmen und kurze Siellon vor- 
teſen, um den Faden wiederzufinden. Auch ſonſt verſucßbie ich bot 
Worten mit nachzuhelſen und Säße zu ergänzen. VBwiſchen den cin- 
zelnen Berichten fanden Ausſprachen ſtalt, am denen ſich irogs meiner 
lebhaftew Aufforderung nur ein Teil ter Jugendlichen betoiligte. Jut- 
merhin war erreicht, daß jene Genoſſen zu Worte kamen umd in Bec 
Ausführungen bedeutend ſicherer geworden waren. 
' Da kam mir auf. einmal =- die Debatte über die Jugendgeituing 
war beendet =- ein glücklicher, wenw auch etwas draſtiſcher Gedanke, 
Sch erbat mir von einem wiederum neu ernannten Diskuſſioneiter 
da8 Wort und Übernahm die Nolle eines „Jungdeutſhlandbündlers", 
In beftigen Ausführungen verſuchte ich, die Arbeiterjugenöbewegung 
beruntergureißen und für den Jungdeutſ<hlandbund zu werben. Dev 
Revolution ſchob ich die Shubd für unſer heutige3 Elond in die Shude2 
und wünſchte die alte Monarchie zurücd. =- Einige Erwachſene, die 60 
rave anweſend waren, blinzeltem mir lächelnd zu. Sie hatten öffe?- 
var den Zwe meiner Ausführungen verſtanden und feuerten die Zu 
gendlichen fchon im voraus an. =- Doch weiter ging ich und griff die 
Arbeiterjugendbewegung an, immer „unſere“ bürgerliche Jugenöpfieoe 
ihr entgegenſeßend. „Ach was," rief ich aus, „politiſche Bufktlärung, die 
brauchen wir nicht! Wa3 Euch die Volksſchule vermittelt hat, gemigt 
gn Wiſſen für Euer künftiges Leben... HZ " 
Lange konnte ich nicht mehr ſtandhalten, der Verſammlungsleiter 
wollte mir das Wort entziehen, und an allen E>en ſauſten die Hänve 
zu. Wortmeldungen empor. “Sogar die jüngſten griffen mit ſhuürfften 
Worten ein und verſuchten die kühnen Behauptungen des „Segmers“ 
zu widerlegemwn „Wiſſen brauchen wir," erklärte ein Feiner Knirps, 
„ſonſt werden wir wieder über die "Ohren gehauen und verlieren die 
bereit3 erfämpften Rechde der Arbeiterklaſſe, Das Wiſſen gibt uns in 
veſtex Weiſe unſere Jugendbewegung, und deshalb müſien wir ihr alle 
jungen Arbeiter zuführen.“ | 
Es wollte. gar nicht wieder aufhören mit den Gegenreden. So 
geigte mir der Abend doh, daß. unſere Ergiehungsarbeit nicht ohne Gr- 
folg geblieben war und unſere früheren Vorträge und Diskuſſiowen 
'Nuten geträgen häben. Viele Jugenöfragen waren -mit aufgerollt wor- 
den und zur gründlichen Durchſprechung gelangt. Drei Stunden waren 
Dabei verromnen, ehe wir es mertten, - il 
Mag dieſer Vorſchlag, wie ih obew betonte, an und für ſich komiſch 
anmuten, ſeine Ausführung g:bt Rechenſchaft darüber, ob bie. Jugend- 
chen innerlich feſt find und ihre :Jdeen auc< wirkſam vortveten können. 
Die Ausſprache ſoll ja auch uux-Miticl zum Zwe, nämlich zur gegen 
u BB Zocher; Riem:
	        
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