Mit letzterer Parole vereinigte ſic erſtere in der Form, daß
Nationalwerkſtätten mit ſtaatlicher Unterſtüßung ge-
fordert wurden; auch für ſozialiſtiicche Genoſſenſchaften im
Sinne Fourier3*) wurde in Rede und Schrift Propaganda gemacht.
Etienne Cabet aber begann nun ernſtlich mit ſeiner kommum-
niſtiſchen Agitation, die für das allgemeine Wahlrecht als Mittel
zur friedlichen Umwälzung der Geſellſchaft eintrat. Dieſe Form
des Kommunis8mu3 fand jetzt auch in den Bund der Gerechten
Eingang, in dem Dr. Hermann Ewerbed> aus Danzig bald der
Hauptwortführer der Cabet'ſchen Jdeen: wurde; er hat Cabet3
Utopie: „Die Reiſe nac< Jkarien“ auch ins Deutſche überſeßzt.
Unter Ewerbe>d8s Einfluß bekam der ikarüche KommuniSmus
in der Pariſer Mitgliedi<aft des Bunde38 der Gerechten die
Oberhand.
Weitling hat diejem Wandel nicht beigewohnt, da er mittler-
weile Pari3 für immer verließ, hat ihn aber auc< innerlich nicht
mitgemacht, obwohl er in der franzöſiſchen Hauptſtadt noch jene An»
ſtöße miterlebt hat, die das Denken anderer über die Verſchwörungs-
und Putſchatmoſphäre hinaustrieken. Den Weg von der kommu-
niſtiſchen Sektenbeweauna zur proletariſchen Maſſenbewegung
hat er auch in ſeinem Schweizer Wirkungskrei8 nicht gefunden, der
freilich auch bei mangelnder Großinduſtrie kaum dazu geeignet war,
Imnverhim hat er auf ſeine Art dort Beträchtliches geleiſtet.
Freilich arbeitete er auf nicht ganz jungfräulichem Boden.
Unter den deutſchen Arbeitern in der Schweiz hatte ſich in den
. dreißiger Jahren eine jungdeutſche Bewegung geltend gemacht, die
an Hambach**) anknüpfte und mit dem Bund der Geächteten in Ver-
bindung ſtand, aber auch gleich dieſem Lamennais' „Worte eines
Gläubigen“ auf ſich wirken ließ. Die Schweizer Tagjaßung war
Schlicßlich dagegen vorgegangen, aber Trümmer von Jungdeutſch-
land beſtanden fort und acewährten Weitling gewiſſe Anfnüpfungs-
punkte. In der franzöſiſchen Schweiz hatten außerdem kommu-
niſtiſcche Idoon einigen Anhang von den Zeiten her, als
Buonarotti***) in Genf weilte und wirkte. In Genf ſchlug nun auch
Weitling ſeinen erſten Wohnſiß auf und half hier und ander3wo
in der Schweiz Mitgliedſchaften des Bunde3 der Gerechten be-
'gründen, al8 geheimen Kern öffentlicher Vereine, wie Bildungs-
*) Charles Fourier (ſprich: furieh, dreiſilbig), 1772-1837, einer
der großen Utopiſten, der ein bis ins Einzelne gehendes Syſtem der
Umgeſtaltung der ſozialen Verhältniſſe aufitellte.
**) Das Konſtitutionsfeſt auf der Hambacher Schloßruine bei Neu-
ſtadt a. d. Haardt in der Rheinpfalz am 27. Mai 1832 war al8 Nachhall
der franzöſiſchen Julirevolution eine mächtige Demonitrat'on füddentich'r
Demokraten und Revolutionäre gegen die troſtloſen politiſchen Zuſtände
jener Zeit.
&x*) Kommuniſtiſcher Agitator, Schüler de3 im Jahre 1797 in Paris
hingerichteten Kommuniſten Babeuf (ſprich: Baböff).
Kreiskonfevenz der Vorſtände unſerer Jünglingsveveine Hielt ich meine
erſte Stegreifrede in der Debatte. Selbſtverſtändlich war es eine bebhaft2
Oppoſitionörede. Ob fromm oder frei =- den Alten ſteht die Jugend
immer in Oppoſition gegenüber. -
J< war nun von meinen redneriſchen Fertigkeiten vollauf über-
zeugt und litt ſchon ſtark am Nednerfimmel, der ſeinen Opfern vortäuſcht,
„man fönne über alles und jedes reden, weil einem die Worte leicht von
den Lippen fließen. Was3 Wunder, daß ich nun „wiſſenſchaftlich“ zu
werden „begann! Ich ſchrieb aus alten Büchern einen Vortrag über
Jeſuitiamus8 zuſammen und ſprach über Orthodoxie, Reformation und
Katholigiömus mit einer Sicherh2it, als hätte ich ein Menſchenalber
Theologic und Philoſophie ſtudiert. Dabei redete ich in dem Sälchen vor
den zwei Dußend Zuhörern mit einer Stimmgewalt, als hätte ich eine
tauſendföpfige Gemeinde durch meine Predigt für den Proteſtanti3mus
zu begeiſtern. Wer weiß, zu welcher redneriſchen Selbſtüberhebung ich
mich noch verſtiegen hätte, wenn nicht ein beruflicher Stellenwechſel mir
begreiflich gemacht hätte, wieviel ich zunächſt an Buchführung, Zins»
rechnung, Baybweſen, Wechſellehre, fremdſprachlichen Korreſpondenzen
noch zu lernen hatte, um in dicſer rüchternen Welt des kaufmänniſchen
Kontor8 meinen Poſten aus3zufüllen, wo redneriſc<e Phraſen nichts,
dagegen Wiſſen und Klarheit recht viel gelten.
So glänzte ich nur ſelten noch als Verein5sredner. Einmal noh als
der nzue Bürgermeiſter unſeren Verein beſuchte und ich die Begrüßung3-
rede hielt. Damals ſtand ich recht beklommen vor dem hohen Herrn.
Jett ſind längſt die Rollen vertauſcht. Jhm bin ich der „gebietende"“
Führer unferer großen Stadtverordnetenfraktion, und er iſt mir ein
Mann, dem Gott ein Amt, aber feinen Verſtand g2geben hat. : Ich habe
ihm nie geſagt, daß ich vor ſechzehn Jahren einmal Lampenfieber vor ihm
hatte und mir wunder was einbildete, weil ein Bürgermeiſter meinen
Phraſen einige Worte der Anerkennung widmete. Denn ich war damal2
in die Zeit des Phraſendreſchens gekommen, und nur mit Gruſeln leſe
ich jeßt da3 Zeug nah, das ich Anno 1902 von mir gegeben habe: lauter
tönende Worte, gekünſtelte Saßbildung -und geiſtreichelnde Spielerei,
| (Schluß S. 6.)
Arbeiter Jugend H | | 3
erwei ame;
und Geſangvereine; Weitling3 Spezialität aker waren die Speiſe-
vereine, die nach ſeiner Jdce einen Keim kommuniſtiſcher Gejell-
ſchaft darſtellen und die Teilnehmer organijatori.c< ſchulen, außer-
dem aber Geldmittel abwerfen ſollten. Die optimiſtiſchen Erwar-
tungen, die er in diejer Hinſicht auf die Speiſeorganiſationen ſetic, .
verwirklichten ſich freilich feineöSwegs3.
Dagegen hatte er den unzweifelhaften Erfolg, nicht nur in der
franzöſiſchen, ſondern auch in der deutſchen Schweiz, an einer
größeren Reihe von Stellen dem Bunde der Gerc<ten Mitglioder
zu werben, freilich weniger unter den Schweizern, als unter den
zugewanderten Deutichen. Merkwürdig iſt die kurze Prinzipien-
erflärung, die neuen Mitgliedern bei ihrer Einführung zur
Kenntnis gebracht wurde. Danach ſind die Arbeiter es endlich
müde, für die Faulenzer zu arbeiten, in Entbehrung zu leben,
während andere im Ucberfluß ſwelgen. Sie wollen ſich von den
Egoiſten feine drückenden Laſten nrehr auferlegen laſſen, keine Ge-
ſee mehr reſpeftieren, welche die zahlreichſten und nüßlichſten
Menſc<henklaſſen in der Erniedrigung, Entbehrung, Verachtung und
Unwiſſenhcit erhalten, um einigen wenigen die Vittel an die Hand
zu geben, ſich zu Herren dieſer arbeitenden Maſſen zu machen. Sie
wollen frei werden und wollen. daß alle Menſchen auf dem Erden-
rund ſo frei leben wie ſie, daß feiner beſſer und keiner ſchlechter ,
bedacht werde al38 der andere, ſondern alle ſicß in die gejaniten
Laſten, Mühen, Freuden und Genüſſe teilen, d. h. in Gemeinſchaft
leben. Ter zu dieſem Zweck geſchloſſene Bund müſſe geheim bleiben,
um ein Wirken auch in den Ländern möglich zu machen, wo durch
öffentliches Auftreten den Feinden die Mittel zur Verfolgung an die
Hand gegeben würden. Daher iſt auc Verſchwiegenheit über alles,
wa3 in den Bunde8verſammlungen verhandelt wird, Verſchwiegen-
heit auch über das Beſtehen des Bundes erſte Pflicht jedes Mit-
gliedes. Zu den anderen Rflichten gehörte außer regelmäßiger
Teilnahme an den Verſammlungen Zahlen des monatlichen Bei-
trags, ſtändige Agitation für das fommuniſtiſiche Prinzip, Abon-
nieren de8 Bunde3organs8, das erſt in Genf, unter dem Titel:
„Hilferuf der deutſchen Jugend“, ſeit Januar 1842 in Vevey unter
dem Namen: „Die junge Generation“ herauskam. Dieſe Monats5-
ſchrift hatte gleich tauſend Abonmenten, 400 davon in PariS, 100 in
London. Die Redaktion lag in den Händen Weitlings. der ſich
in dieſer Schweizer Periode feines Wirken38 erſt recht einen libev
rariſchen Namen machte; denn nun erſchien das Werk, das die
Oeffentlichkeit auf ihn aufmerkſam werden licß.
Die „Garantien der Harmonie und Freiheit“
kamen im Dezember 1842 in Vevey heraus. Im Vorwort des
Buchs ſagt Weitling, ſeine Kameraden hätten ihm Mut dazu ein-
geſprochen. Er teile ihrwx Meinungen, kenne ihr Verlangen und
'hre Wiinſche, ſie gäben ihm die Gelegenheit, alſo wolle er ſich an die
Arbeit machen. Weitling arbeitete alſo für ſie, wie ſie für ihn
arbeiteten, und er ſagt von dem Erzeugni5 ſeiner geiſtigen Tätig-
keit: „Vorlicgende8 Werk iſt nicht mein Werk, ſondern unſer Werk;
denn ohne den Beiſtand der anderen hätte ich nichts zuſtande qe-
bracht. Die geſammelten materiellen und geiſtigen Kräfte unſerer
Brüderſchaft habe ich in dieſem Werke vereinigt. Dieſe Zujammen-
ſtellung wird aber in der Folge noch bedeutend verbeſſert werden;
denn vollkommen iſt nicht8 unter der Sonne.“ Wonn er danach
die proletariſchen Befreiung8gedanken al8 Kollektivarbeit anſicht,
ſo folgt daraus von ſelbſt, daß er ein in einem gegebenen Moment
aus einem eng begrenzten Krei8 hervorgegangene8 Syſtem nicht
al38 der Wei2heit lezten Schluß aus8geben kann. .
Er erklärt denn auch ſchon im Vorwort und wiederholt an
anderen Stellen, wie ſchon in ſeiner Erſtlingsſchrift, daß nicht zu-
viel Wert auf perſönliche Liekling3pläne zum Neubau zu legen fol
und nie eine für alle Zeiten unabänderlich beſte Organiſation der
Geſellſchaft gefunden werden könn». Das Ideal einer Geſellſchafts-
ordnung unterliegt vielmehr auch dem Geſeß de8 Fortſchritts, das
Weitling in den „Garantien“ verihiedentlich al38 maßgebend im
Leben der Menſchheit hinſtellt.
So hindert ihn denn auch ſeine richtige Ahnung, daß die ge-
ſellſchaftliche Entwieklung nicht von einem Individuum! in allen
Einzelheiten vorauserkannt und -beſtimmt werden kann, nicht,
ſich in dieſe Einzelheiten der zukünftigen Geſellſchaft doch mit noch
viel größerer Genauigkeit zu vertiefen, als dies in der Schrift von
1838 der Fall iſt. Die Grundlagen ſind im allgemeinen diejelben.
Ein weſentlicher Unterſchied beſteht nur darin, daß Weitling über
die Beſckzung aller der Aemter in der Zukunfts8geſellichaft, die be-
ſowdere Fähigkeiten und Fachkenntniſſe erfordern, nun ander3
denkt als vor einigen Jahren. Da hielt er no< an dem Grundſaß -
bloßer Wahl in verſchiedenen Graden feſt. Jekt aber iſt er zu der.
Auffaſſung gelangt, daß auf dieſe Art nicht die Gewähr für eine
Herrſchaft der Philoſophie, d. h. der Wiſſenichaft, geboten iſt, wie.
er ſie für notwendig hält. Dieſe erſcheint ihm nur denkbar, wenn
über die Zulaſſung zu allen Stellen, in denen beſondere Fähig-
keiten notwendig ſind, nur Perſonen entſcheiden, die jelbſt ſache
kundig ſind, | (Fortſezung folgt.)