Full text: Arbeiter-Jugend - 13.1921 (13)

Arbeiter-Jugend. 133 
Der Regen hatte ſich indeſſen in Schnee gewandelt, der: in großen, naſſen Flot>ken - hero 
niederſchwebte. Auf halsbrecheriſchen Wegen jagten wir den Berg hinab und ſtanden bald 
wieder auf der Straße, der wir bis Niedergrund folgten. Dann ſchwenkten wir rechts ab, und 
nun. ging es durc) endloſe Dörfer, immer an der Mandau entlang. Unaufhörlich floß der 
Regen herab; über uns, auf den Vergen, heulte und donnerte wr Sturm mit beängſiigender- 
Wut. Wir aber ſchritten, die Hände tief in die Hoſentaſchen vergraben, gelaſſen, ab und zu auch 
ſingend, durch alle Widerwärtigkeiten .des Tages. 
Nach anderthalbſtündigem Marſch langten wir in Warnsdorf an. Es war kurz nach 4 Uhr 
und ſchon bedenklich dunkel. Der Regen hatte aufgehört. Jetzt kam das ſchwierigſte der gan- 
zen Fahrt: Werden wir Fahrkarten bekommen? Wir bekamen welche. Aber auf unſere 
Frage, ob wir unbehindert durch die Sperre kommen würden, ſchüttelte der Beamte den Kopf. 
Wir ſollten aber einmal mit dem Gendarm reden, vielleicht laſſe der uns durch. Leider kamen 
wir an die falſche Adreſſe. Der heilige Bureaukratismus dekretierte: „Geht rüber nach Groß- 
ſchönau und fahrt von dort. Hier gibt's nichts!“ Gegen dieſen Entſcheid waren wir moctlos. 
Es war klar, der gute Mann wollte uns einen Denkzettel geben für unſere Nachläſſigkeit, 
deinen Tagesausweis gelöſt zu haben. Nun, nach zwanzig Minuten Schnellſchritt erwiſchten 
wir doch noch im lehten Augenblik den Zug und langten nac<h mancherlei Umſteigen und 
Aufenthalten endlich um %11 Uhr abends wieder in Baußen an. 
.Nun noch ein Stü> gemeinſamen, flotten Marſches, damit das Blut wieder in Bewegung 
kam, ſchließlich ein kerniges, frohes „Frei Heil!" und wir trennten uns. Aud) dieſem Tage 
wird ein frohes Gedenken bewahrt bleiben, denn 
Regen, Wind: wir lachen drüber! 
Wir ſind jung, und das iſt ſchön! 
Als „Tanzmeiſter“ nac<h Lüdenſcheid. 
Von einer Hamburger Jugendgenoſſin. 
4 vy Dy orgen ollte es nun losgehen. Nach Lüdenſcheid in Weſtfalen, um der Jugend» 
8 8 & bewegung dort das Tanzen zu lehren. -- Endlich kam der Tag. Es war dies meine 
“>> 1 VG» erſte große Reiſe, die ich machen ſollte. Vier waren wir, zwei Jungen und zwei 
Mädel. Wir ſaßen im Zug, unſere Gedanken waren ſchon in Lüdenſcheid. Wie werden wir 
dort aufgenommen, wie iſt die Jugendbewegung dort? Dieſe Fragen legten wir uns immer 
wieder vor. Nachdem gefrühſtü>t worden war, wurden die Bücher herausgeholt und ange- 
fangen zu leſen. Aber lange hielt das Leſen nicht an; bald fielen uns die Augen zu, denn 
gar zu früh hatte es heute morgen geheißen, aus den Federn ſteigen; aber gern haben wir 
es getan, denn vierzehn lange Tage ſollten wir in dem ſchönen Sauerlandgebirge verleben, 
in dem Lüdenſcheid liegt. 
Wir hatten gut die Hälfte der Fahrt zurückgelegt, der Mittag war längſt vorüber, als 
draußen. die Natur unſere Bli>e auf ſich zog. Die Ebene verſchwand, das Land wurde 
hügelig, und bald waren es keine Hügel mehr, nein Berge, richtige Berge! Wir Mädel 
ſtanden am geöffneten Fenſter, die Jungen hinter uns, und wir erfreuten uns an der ſchönen 
Landſchaft. Bald ragten zu beiden Seiten des Zuges Felſen empor und dann wieder zogen 
liebliche Täler an uns vorüber. Wie muß es doh intereſſant ſein, ſo hoch oben zu ſtehen 
und weit, weit hinausſehen zu können, wie dann der Zug wurmartig angekrochen kommt, 
um bald darauf wieder zwiſchen den Felſen zu verſchwinden! -=- 
Wir vier hingen alle unſeren Gedanken nach, als es mit einem Male ſtofinſter wurde 
und das Schnauben und Puſten der Lokomotive einen, ſolchen Lärm machte, daß man ſein 
eigenes Wort nicht verſtehen konnte. Dazu dieſe erſti>kende Luſt! Im erſten Augenblick 
waren wir alle ſehr erſchredt, aber bald wurde es wieder hell, denn wir waren durch einen 
Tunnel gefahren, wie wir ſie hier oben in Norddeutſchland gar nicht kennen. Wir ſchauten 
uns alle erjtaunt an und lachten dann. Ja, ihr hättet uns nur ſehen ſollen; ſchwarz wie die 
Raben waren wir geworden dur< den Rauch, der in das Abteil hineinſchlug, als wir durch 
ven Tunnel ſuhren. Bei der Durchſahrt der folgenden Tunnels ſchloſſen wir die Fenſter. 
Auf der nächſten Station hatten wir Aufenthalt. Dort wurde eine gründliche Reinigung 
vorgenommen, denn ſo fonnien wir unmöglich in Lüdenſcheid unſeren Einzug halten, 
 
[R
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.