Arbeiter-Jugend 237
wurde, „In Groß-Bielefeld hatte die Jugendgruppe 1914 etwa 500 Abonnenten auf
die „Arbeiter-Jugend“. Durch die Einwirkungen des Kriegs ging die Zahl auf.
200 zurü&. Nach der Revolution und mit der Schaffung feſter Vereine wuch5 der
Mitgliederbeſtand auf 700! Da Spaltungsverſuche einzelner „radikaler“ Elemente
völlig ſcheiterten und überall reges Leben herrſcht, dürfte eine weitere ſtarke Auſ-
wärtsentwie>lung zu erwarten ſein.
Die Zungſozialiſten haben ſeit Oktober 1920 ihre beſondere Abteilung
im Sozialdemokratiſchen Verein. Die kieine Schar, die ſich zunächſt vereinigte, hat
eiſrig gewirkt, und es tritt jezt eine größere Gruppe zuſammen, um neben der Pflege
anregender Unterhaltung in gemeinſamer Arbeit die geiſtige Fortentwicklung zu be-
treiben. Dem jungſozialiſtiſchen Tatendrang ſteht ein weites Feld zur Förderung
ver Menſchheitskultur offen.
Der Sache des ganzen proletariſchen Jungvolks kommt zugute, daß hier zwiſchen
allen Zweigen der Arbeiterbewegung ein echtes kameradſchaftliches Verhältnis bes
ſteht. Dieſem Umſtand iſt es mit zu danken, daß troß kleiner Abſplitterungen die
Einheit der ſozialiſtiſchen Front erhalien wurde. Wenn die Ertkennt-
nis dieſer Tatſache im Jungvolk eine ſtarke Nachwirkung erzeugt, dann werden die
Tage von Bielefeld einen großen Erfolg bedeuten. Durch Gaſtfreundſchaft
werden die Angehörigen der Arbeiterklaſſe die Ehrung zu würdigen wiſſen, die in
ver Abhaltung des Jugendtages in Bielefeld liegt. |
- Rachtgeſichke.
(Ein erlebter Prolog zum Bielefelder Tag.)
= Von Franz Oſterroih. |
PY 8 Vein Freund, der Redakteur, ſagte: „Komm!“ Ih zögerte unmerklich, ſah noch ein-
9 8 E mal auf die blinkenden Pfützen der Vorortgaſſe, auf die unheimlich düſteren und
Z- 8 V-hohläugigen Häuſerſtälle, über denen niedrig ein trüber Nachthimmel wie eine
jO<mußige Käſeglo>e hing, und betrat die Schwelle des Kaſchemmenvarietees.
Quallige Tabakſchwaden, verſchwommene Geſichterreihen im Hintergrund; vor uns eine
Gettkugel von Empfangsdame. Wir ſißen. Eine grellfarbene Kleinbühne zieht meinen Blik
zu ſich. Leis hör ich das Knarren der Bohlen, wenn das Weib dort oben aus trippeln-
dem Tanzſchritt plößlich in. die weitausbuchtenden Bewegungen einer Trunkenen fällt. Sis
ſingt dabei. Ein blechernes Krähen. Beinahe ſo, wie der Ton einer zerſcherbenden Taſſe,
Ein Klavier hämmert dumpf Begleitung.
Hundert Paar Augen bohren ſich hinauf. Zu dem knapp bekleideten Weib mit dem uns-
beſchreiblichen Zug um den faltig-großen Mund. Hundert Paar Augen von Fabrikarbeitern,
Bergleuten, Gemüſehändlern, kleinen und großen Vorbeſtraften, alten und jungen Straßen»
mädchen. Warum ſie alle einander ſo ähnlich ſein mögen? Die ſchleimigen Lichtpunkte
ver Augäpfel, die Linien von Naſe zur Lippe --- alle gleich.
„Hundert Paar Ohren ſind ganz zuſammengewachſen in ein Ohr. In eines, das nach
Zoten dürſtet oder nach -- Liebe. Unzählige Blike ſind zuſammengefloſſen in einen Geh»
ſtrahl, der gierig ſchlu>t: ſumpfdunkle Trikotſtü>e, na>tes Fleiſch, wüſtes Gdlingern von
berechnenden Gliedern. Hundert Menſchen ſind ein Menſch geworden. Nein, ein großes,
zotteliges, lüſternes, freches Tier, -- ach, ein armes , im Grunde hilflos ſentimentales Tier.
Könnt ich dich ſtreicheln . . -
Vor dem armen Tier lo>t ein Grünfarbenes. Wie das widerlich grinſende Auge eines
ſ<wammigen Meerungeheuers lo>t das Grüne im Glas. Bis die zitternde oder brutale
Hand es wild greiſt. Gluck, glu> . ...
Mich würgt etwas in der Kehle. Weiß nicht, was. Aufſtehe ich, raje vom Tiſch hin-
weg.. Güß lächelt der Fettkloß am Cingang. Nachtluft umfängt mich kühl. Ich ſchreite,
ſchreite . . -
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