242 Arbeiter-Jugend
Sthre&Fenstfage in Sandersleben.
'4 Bas freundliche Städtchen Sandersleben im Freiſtaat Anhalt lebte bisher, ab-
H Y jeits vom Getriebe der böſen Welt, in glücklicher Verborgenheit. Nun aber wird es
Mfr berühmt. Das hat es Jeinen kommuniſtiſchen und unabhängigen Stadtvätern zu
danken, Die haben am 3. Juni des Heilsjahres 1921 eine Tat vollbracht, von ver ich
an und Kindeskinder in ſtaunender Bewunderung erzählen werden. Folgendes iſt ge»
ehen; -
In einer Erholungsſtätte des Kreiſes Bernburg, die etwa eine halbe Gtunde vom Städt»
hen Gandersleben entfernt auf waldiger Höhe liegt, hielt in der Woche vom 29. Mai bis
4. Zuni der Bezirk Mittelelbe vom Verband der Arbeiterjugendvereine einen
Iugendleiterkurſus ab. Das waren nicht allein für die Kurſusteilnehmer prächtige
Tage des Lernens und frohen Zuſammenlebens, nein, die ganze Umgebung nahm an deim
friſchen Treiben teil, die Schrebergärtner der Nachbarſchaft, die Kurgäſte, Kinder, die zur
Erholung hergekommen waren, das Hausperſonal und nicht zuleßt die Jugend von San»
versleven ſelbſt. Die jungen Gäſte von unſerm Jugendperband „infizierten“ den ganzen Ort
mit ihrer Lebensfreude. YPeberall freundliche Grüße, wenn ſie dahertfamen.
Es gab aber auc Leute, die im höchſten Grimm und nebenbei auc mit großer Sorge
Dieſe Dinge beobachteten. Das waren die Kommuniſten und Unabhängigen Es
muß bedacht werden, daß es arbeitende, ſozialiſtiſche Jugend war, die hier einen ganz neuen
DVeiſt gebracht hatte. Die Herdlein der kommuniſtiſchen und unabhängigen Parteigänger
uber, die man immer brav mit unverdaulichen Redensarten gefüttert hatte, zeigten ſich ſehr
lültern nach der neuen Speiſe.
Einen offenſichtlichen Konflikt gab es ſhon am Mittwoch abend. Da fand eine kommus»-
Niſtiſche „Volksverſammlung“ mit kläglichem Beſuch und großen Kanonen als Rednern ſtatt
Einige Jugendbündler gingen hin, einer redete und ſollte auch verdroſchen werden. Es
blieb aber nur bei den Anfangsgründen, denn erſtens konnte der betreffenbe Jugendbündler
--“-“- fonſt der fröhlichſte Burſche == ſehr bedeutſam bli>en, zweitens hatie er höchſt ver
dächtig breite Schultern und eine ſehr unangenehm harte Fauſt. Man unterließ deshalb
eine Auseinanderſezung in der angedeuteten Form.
Am Freitag abend nun wollten die Jugendbündler der Stadt no< einen leßten Gruß
in einem Facd>elzug entbieten. Das war ein Leben| Kinder, Frauen und Männer zogen
mit. Durch die nächtlich verträumten Straßen lief das helle Leuchten, Lieder klangen auf zum
Sternenhimmel: „Wir ſind die junge Garde des Proletariats"; „Der Bahn, der kühnen, folgen
wir, die uns geführt Laſſall"; „Mit uns zieht die neue Zeit“. Alles ſang, Fenſter, Türen
wurden geöffnet, Arbeiter, Frauen, Jugend folgten. Auf dem Markte bildeten die Fadel-
träger einen Kreis, ein Lied wurde geſungen, ein Junger hielt eine kurze Anſprache, dann
ſoderte die Flamme aus den zuſammengelegten Fa&eln auf. Mädchen und Burſchen tanzien
feine Tänze nach Volksliedern. Die gebräunten Wangen glänzten, die Blätter und Blumen
im Haar ſelbſt trugen Lichtfunken. Ringsherum im weiten Kreiſe die arbeitende Bevölkerung
von Sandersleben, kiefergriffen zugleich und fröhlich.
An dieſem Abend war aber auch Stadtverordnetenſigung. Vom Rathaus
her kamen einige Stadtväter von ganz links. Ihre Geſichter wurde länger und länger, ihre
Blicke ſtrenger und ſtrenger. Hier gingen alle Früchte der revolutionären Erziehung zum
Teufel, das erkannten ſie ſofort. Der „Unfug“ mußte verhindert werden. Zurüc> zum Rat»
haus, den dort anweſenden Gtadtrat erſuchen, die gefährliche Gommernachtsveranſtaltung un.
verzüglich zu unterſagen! Es traf ſich gut, daß auch bei ganz rechts gerichteter bürgerlicher
Seite die Veranſtaltung der arbeitenden Jugend Arſtoß erregt hatte. Die deutſc-
national-kommuniſtiſch-unabhängigen Geiſtesverwandten hatten ſic
wieder einmal geſunden. Man verlangte, daß Polizei gegen die Jugend geſchi>t werde.
Unabhängige und Kommuniſten bieten Polizei auf, um harmlos ſingende und ſpielende
Arbeiterjugend pon einem öffentlichen Plaz zu verjagen! Das muß in der Sanderslebener
Stadtchronik und im Moskauer Archiv auſbewahrt bleiben.
Die Polizei erſcheint auf dem Markt, die Jugend ſingt weiter, ihr Leiter geht aber mit
ins Rathaus. Dort großes Verhandeln. Dem Stadtrat iſt die alberne Aktion der revolutio»
nären Stodtyäter ſichtlich unangenehm, aber er fann jelbüivperfländlich nicht „umhin“...