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Wanderkluft in hellen Scharen, die Jungen faſt alle kniefrei und viele mit bloßen
Beinen, die Mädchen in leichten, bunten Gewändern, das grüne Kränzlein im
Haar. Wie voriges Johr das kleine, feine Weimar, ſtand dieſes Jahr die um ſo
viel größere Induſtrie- und Arbeiterſtadt unter ver Diktatur des Jungproletariats.
Aber es war eine Diktatur, die jeder Menſch, der guten Willens und freien Sinnes
war, der vor allem im Denken und Fühlen jung geblieben, ſich gern gefallen laſſen
konnte. Bedarf es doch an dieſer Stelle keiner Verſicherung, vaß unſer Jungvolk
in all ſeinem Jubel und Trubel und ſchäumenden Jugendübermut nie vergaß,
was es dem hohen Kulturgedanken, den es verkündet, ſchuldig war. Natürlich gab
es unter den gaſſenden Bürgersleuten auch Sauertöpfe, die mit mehr oder minder
verhaltenem Aerger dem ungewohnten Treiben zuſahen und die Scharen, die durch
die Gtraßen tanzten und ſangen, als ob es ihre wören, offenſichtlich ins Pfeffer-
land wünſchten. Aber daß dieſe Spießer die Fäuſte bloß in der Taſche zu ballen
waglen, dafür war durch die Macht der Bieleſelder Arbeiterſchaft geſorgt, die hinter
ihren jungen Gäſten ſtand. Und ſchließlich mußte Menſchen, denen nur durch Zahlen
und Maſſen beizukommen iſt, auch das Aufgebot der Jugend ſelber imponieren,
wenn die Tauſende und Abertauſende am Sonnabend oder Sonntag über den
Reſſelbrink wogten oder in endloſen Windungen ſich am Sonnabend abend der
Sadelzug der Jungen und Mädchen von der Burg nach der Stadt wälzte. Auf die
Jugend und ihre Hochſtimmung wirkten wieder die Maſſen der Zuſchauer zurüt,
durch vie ſich ihr Zug bewegte, und die in all den Straßen fünf und ſechs Köpfe
hoy dicht gedrängt zu beiden Seiten wie Mauern ſtanden.
So war in Bielefeld alles auf Maſſenwirkung und Maſſenbewußtſein eingeſtellt:
der Jugendtag trug in ſeinen weſentlichen Momenten ausgeſprochen proletariſches
Gepräge. Und wenn je unſerer Bewegung, wie beſorgte VTreunde hie und da fürch»
teten, vom Geiſt von Weimar Gefahr drohte =“ in Bielefeld wurde dieſer Geiſt
gebannt, erhielt unſer Bund ſeine proletariſche Feuertaufe. Aber auch deſſen ſind
wir uns, jeßt, da Bielefeld hinter uns liegt und ſeine überwältigenden Eindrüce,
ſeine „Erlebniſſe“ ſic) in Erkenntniſſen zu ordnen beginnen, bewußt, vaß Weimar
nicht durch Bieleſeld „erledigt“, jondern daß es durch Bielefeld ergänzt wurde, und
daß die Syntheſe von Weimar und Bieleſeld, das innige Durchdrungenſein von
Kulturſehnſucht und ſozialiſtiſch-proletariſchem Kampfgeiſt das Weſen unſerer Ar-
beiterjugendbewegung auszumachen hat. In dieſem Sinne:
FreiHeil, Bielefeld!
Unjer Jugendtag.
DP -Oy ur in großen Zügen kann heute das Geſamtbild der Bieleſelder Tagung ſkizziert
BH & werden, damit die Leſer, die nicht dabei waren, wenigſtens den allgemeinen
vy Ww Zuſammenhang haben, in den ſie die Einzelſchilderungen ordnen können, die
ihnen die Bielefeldfahrer aus der Fülle ihrer Erlebniſſe übermitteln und die ſicher
auch in unſerem Organ noch manchen Niederſchlag ſinden werden. Zunächſt: die
Beteiligung unſerer Verbanvsmitglieder war in der Tat, wie ſchon die Anzeichen
verkündet hatten, außerordentlich zahlreich: 8000 bis 10 000 Jugendgenoſſen und
-genoſſinnen, dazu über 100 holländiſche Jungen und Mädchen unter Führung des
Vorſitzenden der Internationale, Genoſſen Voogd und des Genoſſen Vorrink,
der gleichfalls an der Gründung der Arbeiieriugend-Internationale beteiligt war.
Außerdem waren ungeſähr zwölf Vertreter der belgiſchen Jungen Garden exr-
ſchienen, darunter das Mitglied des internationalen Bureaus, Gaſton Hoyaux