282 Arbeiter-IJugend
„Auadratlatſchen“ angeſehen würden. Was ich natürlich verneinte, Vorſichtshalber zog ich aber
doch die lehmigen Stiefel aus. Nun hatte ich aber immer <crſt Rlaß für den Allerwerteſten
und die Füße, noch wußte ich nicht, wohin mein müdes Haupt betten. Jedoch mit einiger
Frechheit und einigen liebevollen Knüffen in die empfindlichen Stellen meiner Nachbarn ex-
langte ich endlich doh ſoviel Plaß, um mich wie ein Fragezeichen hinlegen zu können.
Von Zeit zu Zeit ſcheuerte ſich jemand an meinem Kopf die Füße ab. ID nahm Die
Beine und verſuchte, ſie ein Stü> weiterzuſchieben. Sie kamen aber immer wieder. Wenn
mein Nachbar ſich umdrehte, war ich immer in Gefahr, unter ihn zu liegen zu kommen. Aber
jedenſalls hatte ich es beſſer als mein Freund Otto, der daſaß wie ein Chineſe und tat, als ob
er ſcharf über die Unſterblichkeit der Maikäfer nachdächte, denn er konnte ſein Haupt nirgends
Hinlegen. . -
Troß der naſſen Kleidung und der unbequemen Lage verfiel ich in einen kleinen
Schlummer. Nach kurzer Zeit jedoch) wurde ich von einem barbariſchen Gebrüll gewe>t. Was
war denn nun los? Da kletterte durc< das Dachfenſter unſer „Langer“ herein, mit ſeinem
iegenmantel und Schlapphut angetan wie ein Profeſſor oder der fliegende Holländer,
ſchaurig anzuſehen, Kreidebleich flüſterte er: „Laßt mich um Himmels willen herein, der
Wiri will ſchießen!“ Und hinter ihm kletterte noch einer, aber der rutſchte aus und hielt ſich
nun krampfhaft mit beiven Händen an der Dachrinne feſt. =- „Was wollt ihr denn?“ --
„Menſchenskinders, wir wollen doch auch ſchlafen!" == „Hier iſt kein Plaz mehr =- aus»
geſchloſſen!" -- Pnd unten polterte der Wirt an der Tür und ſchrie: „Die beiden Halunken,
die durch das Fenſter geſtiegen ſind, herunterkommen!“ Aber ſie pfiffen ihm eins. -=-
Wir waren froh, als der Tag anbrach. Wie wir auf dem Hof waren, kam uns unſer
armes Hänschen entgegen: „Das war 'ne Nacht -- ich habe auf der Gartenbank gepennt.
Jedesmal, wenn ein Windſtoß kam, ging es mir durch Mark und Bein; es war zum Heulen!“
Müde, durchnäßt zogen wir morgens nach Hauſe, von wo uns die Städter entgegenkamen,
um den zweiten Pfingſttag zu feiern, Sie ſangen aus Leibeskräſten: „Das Wandern iſt des
Müllers Luſt!“ =- OD, grauſame Ironie! Und dabei guten ſie uns ſo intereſſiert an, als
ob ſie ſagen wollten: das nennen dieſe Menſchen nun Erholung! =“- Als wir uns trennten,
hieß es: „Blödſinn wars ja, aber ſchön wars deswegen doch!“
Und wenn mal wieder ſo ein Blödſinn gemacht werden ſoll, ich weiß, ich bin wieder dabei!
faden.
Der Krieg hatte, wie auf ſoviele andere
Organiſationen, auch auf unſere Arbeiter-
jugendbewegung in Oſtſachſen zerſtörend ge-
wirkt, zumal die Arbeiterjugendvereine, die
in den einzelnen Städten und Drten be-
ſtanden, vor dem Krieg infolge des Vereins»
geſeßes und der uns bereiteten behördlichen
Schwierigkeiten nur loſe zuſammengefaßt
waren. Was von unſeren Organiſationen
troß des KÄrieges ſich now erhalten hatte,
wurde dann zum größten Teil dur die un-
heilvolle Zerſpliiterung innerhalb der Ar-
beiterbewegung aufgerieden. So ſtanden die
früheren Mitglieder der Arbeiterjugend-
Bildungsvereine nach ihrer Rü&äkehr aus dem
Fold vor Trümmern; nur einige Vereine in
Oſtſachſen waren uns erhalten geblieben.
Still, aber mit der Zähigkeit und Entſchloſſen-
heit, vie ver Jugend eigen iſt, wurde die
Arbeit auſgenommen, die Arbeit, unſere Ar-
beiterjugendbewegung in Dſtſachſen wieder
Die Arbeiterjugendbewegung im Bezirk
Sri u ZELL
aufzubauen. Viele ältere Parteigenoſſen und
Parteigenoſſinnen haben mit begeiſterter,
jugendlich Tatkraſt mitgeholfen. Und vas
erk iſt gelungen. Nicht nur äußerlich, der
Zahl der wiederaufgerichteten und neu er-
ſtandenen Vereine nach, ſondern auch in
bezug auf die innerhalb der einzelnen Ver?
eine geleiſtete Arbeit. Folgender Bericht,
der ſic) auf die Zeit vom 1. Januar 1920
bis 31. März 1921 erſtre&t, gibt ein Bild von
dem, was da geleiſtet worden,
Beſtanden im Jahr 1919 nur recht wes
nige Arbeiterjugendvereine im Bezirk, ſo
konnten wir am 1. Januar 1920 bereits 43
muſtern, davon allein 23 Gruppen im Ums
kreis von Dresden. Am 31. März 1921 war
die Zahl auf 60 angewachſen, und heute,
Anfang Iuni, ſind es ſchon 70, Die Mit-
gliederzahl betrug am 31. März 1921 3700,
und zwar 2459 Burſchen und 1241 Mädel.
Wenn auch angeſichts der großen Maſſe der
jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen im
induſtriereichen Bezirk Dſiſachſen geſagt wer-