298 Arbeiter-Jugend
au maden, neues Kapital aufzuſpeichern. Während der Proletarier im allgemeinen
zufrieden iſt, wenn ſein Einkommen zum Auskommen reicht, entwickelt der Kapitaliſt
einen unſtillbaren Heißhunger nach Mehrwert. Hat er das erſte Hunderttauſend Mark
voll, jo will er das zweite Hunderttauſend erringen, hat er die erſte Million erreicht,
ſo geht er ohne eine Ruhepauſe auf die zweite Million los.
Hier wirſt ſich nun die wichtige Frage auf, wie es möglich iſt, das Kapital zu
vermehren, aus Geld mehr Geld zu machen. Daß dies auf natürlichem Weg nicht
möglich iſt, leuchtet ohne weiteres ein, Man kann eine Szmme Geldes noch ſo lange
Zeit hindurch im Geldſchrank oder im Strumpf verwahren, es wird niemals auch
nur ein Pfennig hinzukommen. Daraus ergibt ſich, daß die Vermehrung des Kapitals
nicht auf natürlichem Weg vor ſich gehen kann, daß ſie kein natürlicher Vorgang iſt.
Sie kann ſich nur vollziehen innerhalb einer Geſellſchaft von Menſchen, in der das
Geld und die Waren zirkulieren; ſie iſt alſo eine ſoziale Erſcheinung. Der
Kapilalismus iſt aber eine ganz beſtimmte Wirtſchafts- und Geſellſchaftsform, deren
Weſen darin beſteht, daß die Waren» und Geldbeſiker ununterbrochen ihre Waren
und ihr Geld in die Zirkulation werfen, um Mehrwert zu erzielen. Dieſe Abſicht
treibt ſie an, ihr Geld nicht in eigenem Verwahrſam zu halten, was allerdings ſicherer
wäre, aber nichts einbringt, ſondern es guſs Spiel zu ſeen, um dadurc) zu gewinnen.
Der Erwerbstrieb iſt der Stachel kapitaliſtiſcher Tätigkeit, die kapitaliſtiſche
Wirtſchaft iſt eine Erwerbswirtſchaft zum Zwet des Geld»
verdienens „Vom Verdienſt muß der Schornſtein rauchen! Geldverdienen
wird groß geſchrieben!“ ſo lautet der Wahlſpruch, und wo ſich die Möglichkeit bietet,
Geld zu verdienen, da iſt der Kapitaliſt bei der Hand. Ob er ſein Geld verdient an
Stiefelwichje oder Diamanten, an Gebetbüchern oder Gößenbildern, an Hundefleiſch
oder Menſchenfleiſch, ihm iſt es einerlei; die Hauptſache iſt, daß bei dem Geſchäſt
prdentlich Geld herausſpringt. |
Pm der Frage, wie der Mehrwert eniſteht, nähcr auf den Leib zu rücken,
müjjen wir die Möglichkeiten des Geldverdienens, die einem Kapitaliſten geboten
werden, unterſuchen und unterſcheiden. Die erſte und einfachſte Möglichkeit beſteht
Darin, daß ein Gelbbeſißer ſein Geld gegen Zins verleiht und es mit einem Auf»
j<lag, einem gewiſſen Prozentſaß, wieder bekommt. Hier ſprechen wir von einem
Leih-, Zins- pder Wuycherkapital, es iſt die Methode, die von Pfand»
leihern, Sparkaſſen, Banken und andern Geldinſtituten betrieben wird. Zweifellvs
wird auf dieſe Weiſe viel Geld verdient, aber wenn man genauer zuſieht, erkennt
man, vaß das Leihkapital kein neues Geld, keinen Mehrwert, erzeugen kann. Das
Geld, das der Verleiher verdient, verliert der Leiher, das, was der erſtere mehr
hat, hat der leßtere weniger. Es findet eine gegenſeitige Uebervorteilung ſtatt,
und aus dieſer Beobachtung heraus war das Zimnsnehmen, der Wucher, früher
verachtet und verboten, Durch das Verleihen von Geld kann keine Vermehrung
des Gejamivermögens ſtattſinden, es findet nur eine Verſchiebung in den Ver-
mögensverhäliniſſen der einzelnen ſiatt, ,
Die zweite Möglichkeit des Beldverdienens beſteht darin, daß ein Kapitaliſt
für ſein Seld Waren kauft und ſie mit einem Gewinnzuſchlag wieder verkauft. Er
handelt mit Waren und verdient daran. Dieſe Form nennen wir Handels
tapital. Aber auch im Handel, ſoſern er reiner Warenaustauſch iſt, kann kein
Mehrwert erzeugt werden, denn was der eine Menſch an der Ware, mit der er
handelt, verdient, Das verliert Der andere, und letzten Endes iſi es der Verbraucher
der Baro, der die Zeche bezahlen muß. Der eine Händler ſucht den andern zu
überporteileii; mandymal halten ſie auch zuſammen und machen ihre Gewinne