Lehrlingsſc<inder!
Immer und immer wieder werden Lehr-
tinge und junge Arbeiter direkt oder durch
allerlei Hinterliſt gezwungen, mehr als acht
Siunden zu arbeiten. In welcher Weiſe Lehr»-
linge noch nad der geſetzlichen Arbeitszeit
ausgebeutet werden, lehrt der ſolgende Bes
richt eines Arbeiterjungen, den das „Gothaer
Bolksblatt“ veröffentlicht:
„Geſtern gegen Abend befand ich mich
vei den Kindern im „Mohren“, als
zwei Jugendgenoſſen zu mir kamen und
mir erzählten, daß hinter dem Wagen-
play von Bez in der Langenſalzaer
Straße der G<mledemeiſter Auguſt Kunze
mit zwei Lehrlingen auf dem Felde
arbeitete. Die Lehrlinge müßten einen Ha>»-
pflug ziehen, während der Herr Schmiede-
meiſter den Kutſcher markierte. Das ſchien
mir unglaublich, zumal mir bekannt iſt, daß
der werte Herr einer ſtreng <riſtlichen Sekte
angehört und ſeine Töchter in der Sonns-
tagsjcule die Kinder mit Bibelverſen be-
kanntmachen. Ich ging ſofort nach der be»
zeicneten Stelle und fand die Angaben der
zwei Genoſſen beſtätigt. Bisher glaubte ich,
vaß das Pflügen mit Menſchen nur im Mit-
telalter möglich geweſen iſt und hatte das
bisher nur auf Bildern geſehen. Jeßt war
es Wirklichkeit geworden. Den Stri> über
die Schulter zogen zwei Lehrlinge einen Hac>-
pflug, während der Herr Kunze ſtolz am
Hinterteil hielt. Es fehlte nur noch die
Beitjche und ein wirkliches Bild aus vergan»
genen Zeiten hätte vor meinen Augen geſtan-
den. Man überlege, 8 Stunden --- wahr»
ſcheinlich doch auch länger -- am Amboß mit
dem jſ<G;weren Hammer und dann am Abend,
wo der Körper abgeſpannt und der Ruhe be-
dürftig iſt, als Zugpferde vor dem Vflug.
Das iſt <riſiliche Nächſtenliebe! Die Lehr»
linge ſind von auswäörts, eſſen und ſchlafen
beim Meiſter und wagen deshalb nicht, ſich
gegen vieſe Behandlungsweiſe aufzulehnen.“
Wie es im allgemeinen die häßlichſten
„ABT heamuDE
Arbeiter-Jugend dd
3189
„Damen“ der „vornehmen“ Geſellſchaft ſind,
die ihr geſchminktes Geſicht noch obendrein
mit einem Gchleier verde>en, ſo glauben ge»
wiſſe Lehrlingsſchinder ihre „Nächſtenliebe“
unter dem Schleier ſalbungsvoller „Frömmige-
keit“ verhüllen zu können. Die Arbeiter-
jugend wird gut tun, gegen jeden Arbeits»
geber, deſſen Worte von honigſüßem Chriſten«-
tum triefen, mißtrauiſch zu ſein, denn es gibt
mehr als einen „Herrn Kunze“. sCH---,
Handwerkerjugendvereine?
Das Monatsblatt des Verbandes deutſcher
Gewerbevereine und Handwerkervereinigungen
fordert das Handwerk auf, die Jugend, die
man bisher vernachläſſigt habe, in Hand»
werkerjugendvereinen zu ſammeln. Eine
weitere „Vernachläſſigung der Jugend wird
ſich bald am ganzen Stand rächen, da die
Gefahr beſteht, daß die Jugend andernfalls
in einenicht erwünſchte Einfluß»
ſphäre geraten und dadurch dem Hand»-
werk und Gewerbe geiſtig für immer ent-
fremdet würde“. Das Blatt gibt alſo ſelbſt
zu, daß das Handwerk* ſeinen Nachwuchs
vernachläſſigt hat. Traurige „Er-
zieher" müſſen es ſein, die erſt Vereine
ſchaffen müſſen, damit die „Zöglinge“ ihrer
menſchenfreundlichen Erziehung „nicht geiſtig
entfremdet“ werden!
Die Gründung dieſer ſonderbaren „Jugend«-
vereine“ ſoll „durch die Handwerkervereine
im Einvernehmen mit den gewerblichen
Lehrkräften in die Hand genommen
werden“. Wir bezweifeln ſehr, daß ſich
Lehrervereine finden werden, die ſich ent-
gegen ihrem Grundſaß der politiſchen Neu»
iralität und ihren verfaſſjungsmäßigen Pflichten
zuwider zu Helfershelfern und Dienern einer
reaktionären, ſozialiſtenfreſſe-
riſchen Standesgruppe machen laſſen.
Immerhin gilt es, wachſam und bereit zu
ſein, um Cinzelvorſtößen, die nicht aus»
Meiven werden, gleich die Spitze bieten zu
önnen, '
“2% u
WW Bücher für die Tugend im )
„er GÖREN,
Tonzheffte. „Bunte Tänze aus
aß? Jahrhunderten“ nennt ſich die
neuejie Ausgabe von Anna. Helms und
Jul. Blaſe. Rlle bisher herausgege-
benen Tanzheſte werden durch dieſes Heft
übertrumpft. Es iſt ein Kunſtwerk. Schon
der Umſchlagdedel zeugt von der Eigenart
dieſer Veröffentlichung. Im Vorwort ſprechen
beide Herausgeber das aus, was das Büch»
lein unter uns ſchaffen und bezweden foll.
Wir können daraus auch erſehen, mit wieviel
Mühe die Tänze in den verſchiedenen Orten
gejammelt worden ſind. =+ Alle Tänze ſind
ae
€ zal
für den Sommer beſtimmt. Nach den" bei
gefügten Beſchreibungen laſſen ſie ſich leicht
einſtudieren. Auf den Fahrten bei der Raſt
vreht man ſich im Kreiſe, im leichten, wohl»
gefälligen Kleide, die Klampfe und die Vio-
line machen die Muſik. Der Tanz wird tat-
ſächlich getanzt, denn jeder iſt mit dem Körper
und der Seele dabei. Hermann Claudius hat
es verjftanden, die Tänze mundgerecht zu
maden, während von IJilies, Fri Beyle,
Albreczt Dürer, Ludwig Richter Federzeich»
nungen, Gehattenriſſe und Holzſchnitte als
Illuſtrationen eingefügt ſind. Friz Jörle
wd