42 Arbeiter-Jugend
Und nun wurde der Sinn und Wert dieſes unvergleichlichen Erlebniſſes unter
die kritiſche Lupe -- brr -- genommen und auf der Apothekerwage des Zweifels nach»
geprüft! Mußte es nicht in der Tat auf die Enthuſiaſtiſchen und Berauſchten wie eine
eiskfalte Duſche wirken?
Aber auch dieſe mit Sicherheit zu erwartende Verblüffung war kein zwingender
Grund zur Unterdrückung der Ausſprache. Iſt euch Weimar wirklich ein ſo koſtbarer
Beſiz, [o werdet ihr ihn mit Klauen und Zähnen zu verteidigen wiſſen und werdet ihn
eud) gerade in dieſer Verteidigung völlig zu eigen mochen. Aber ſchon ſto>t ihr:
„ZLe1]ißB?“" Klingt das nicht fatal an jenes Bild vom geſättigten Bürger an, der
ſich wohlig grunzend die Zipfelmüße über die Ohren zieht und ſic) auf dem Ruhe-
tiſjen eben ſeines Beſjißzes zum Einduſeln anſchi>t? Beſitz in dieſem Sinne -- und
handelte es ſich um die höchſten Werte -- kennt die Arbeiterbewegung, kennt die
Kampfgenoſſenſchaft des ſür ſein Menſchtum ringenden Proletariats nicht und kennt
der junge Stoßtrupp des ſozialiſtiſchen Proletariats zweimal nicht, denn alle
Jugend iſt an ſich ſchon totfeind jeglichem Beſitz und ſeiner Verführung zur Ruhe und
zum Genügen.
Die Arbeiterbewegung, der Sozialismus, iſt ihren Weg gegangen, hat ihre Siege
errungen in ſteter Selbſtverſtändigung, wie es ihre Großen genannt haben.
Gelbſtverſtändigung aber heißt für den, der dazu den Mut und die Kraft hat, daß
es feine ewigen Errungenſchaften, keine für immer gültige Wahrheit gibt, daß jede
Errungenſchaft bloß das Gprungbrett für weitere Wagniſſe, jede Wahrheit bloß das
Material ſür höhere Erkenntniſſe bildet. Die Triebfeder dieſes Prozeſſes iſt die
Kritik, der Zweifel, und ſo haben es gerade jene unſerer Großen, die dem Proletariat
nie raſtende Selbſtverſtändigung eingeſchärft haben, haben es ſich ſogar ein Marx, ein
Laſjalle gefallen laſſen müſſen, daß ſo manche ihrer Wahrheiten von der fortſchreitenden
ſozialiſtiichen Erkenntnis überholt wurde, und die Bewegung ſelbſt, das ſozialiſtiſche
Proletariat, iſt über ihre wertvollſten Errungenſchaften, ſobald ſie einmal errungen
waren, ohne Bedenken hinweggeſtürmt, immer neuen, höheren Zielen entgegen.
So darf auch uns Junge die Kritik, der Zweifel an dem, was wir erreicht haben
und zu beſißen glauben, nicht verdrießlich ſtimmen, vorausgeſeßt natürlich, was für
die Vorfoſſer der Auseinanderſeßzungsbeiträge ausnahmslos zutrifft, daß Zweifel und
Kritik im Dienſt der Bewegung ſtehen. Im Gegenteil: auch uns ſoll jene Selbſt-
verſtändigung dur) kritiſche Beſinnung und prüfenden Zweifel ein willkommener
Motor jein, die Bewegung vorwärts und empor zu treiben.
Weimar iſt ja nicht die Bewegung. Weimar war ein Sommerfeſt, und weder
ijt es immer Gommer in unſerer Bewegung, noch iſt =- ihr wißt es =- unſere Bewegung
ein ewiges Feſt. Auf Feſten bleibt des Tages Arbeit und Mühe dahinten, es ruht
der Kampf und das Waſfenklirren: Freude iſt das Panier. Und da die Jugend in
der quicklebendigen Beweglichkeit ihrer Glieder und in ver unverbrauchten Begeiſterung
ihver Herzen die geborene und geſchworene Gefolgſchaft der roſenbekränzten, tanzenden
Göttin iſt, verklärte dieſes Freudenfeſt der Jugend jener unvergeßliche Schwung
und Glanz, in deſſen Bann wir alle geſtanden haben. Daß es das erſte Geſamtſfeſt
unſeres Verbandes war und in dem Ueberſchwang jener ſeligen Tage zugleich die
Zugehörigkeit zu einer großen Gemeinſchaft ſich in ſolchen hinreißenden Eindrücken
dem Bewußtſein darbot, erhöhte und vertieſte den Sinn der Feier.
Aber davon iſt ja in unferen Reihen in Wort und Schrift genug geredet worden.
Hier, in dieſem Zuſammenhang, ſoll nur ein kleines Mißverſtändnis geſtreiſt werden.
Die Hamburger und Magdeburger Kameraden galten und gelten noch heute in der
Bewegung für die eigentlichen Träger deſſen, was man unter uns den Geiſt von
Weimar zu nennen ſich gewöhnt hat. Aber damit tut man den Hamburger und