44 Arbeiter-Jugend
als im Geſolge der Leute vom Hohen Meißner. „Erlebt“ wird ja alles, was durc
vie Sinne, durch Ohr und Auge und Naſe in uns eindringt, und was aus dem Keller-
geſchoß der Eingeweide zu uns emporſteigt, die trivialſte Hantierung des täglichen
EDEN, irgendein Faſhingsulk ſo gut wie ein grandioſes Gewitter over Beethovens
tente. .
Aber auch nichi einmal die Neunie wäre uns mehr als ein Bänkelſängerlied, ver-
ſtänden wir nicht, uns über ſie auf irgendeine Weiſe geiſtig Rechenſchaft zu geben,
ſie einzuordnen in das Inventar un'erer geiſtigen Beſtände, in unſere geſamten
geiſtigen Zujammenhänge und ſie uns damit erſt geiſtig zu eigen zu machen. Die
Erlebniſſe lieſern der Seele das Rohmaterial zu ihrer Feinarbeit, den Stoff, an dem
ſie ihre höheren Funktionen ausübt. Aber erſt wenn ſie im Bewußtſein geſtaltet,
werden ſie geiſtige Werte. Und nur aus dem geſtalteien Erlebnis, aus dem Bewußt-
ſein entſpringt die Tat, die dieſen Namen verbvient.
Bele Taten das unterbewußte, von ben ordnenden Geeienmäuchten nicht kon-
trollierte Grlebnis vollbringt, haben wir ſoeben [chaudernd im Welitkrieg und in den
Butſchen erfahren, wie denn auch in der Tat der Krieg als das irrationale (unter-
bewußte) Erlebnis ſchlechthin bezeichnet und dieſe ganze Verherrlicjung des Erlebens
und all ver unbewußten Seelenregungen, die unſere Zeit <arakteriſiert, als ein
Nachtlingen, ein „Leerlauſen“ der entſeſſelten Dämonien des Weltkrieges aufgeſaßt
werden mag. Aber jſolce Hochkonjunkturen des Erlebens ſind für die geiſtige, die
fulturelle, die bewußte Entwicklung der Menſchheit noc immer ohne Belang
geweſen, wenn ihnen nicht, wie im achtzehnten Jahrhundert, dem Sturm und Drang,
ein Kant und Goethe oder, wie der Romantik, ein Hegel und. Marx folgte.
Doch ſei dem wie ihm wolle, auch ohne ſolche pſychologiſchen Ueberlegungen
ſeuchtet ohne weiteres ein, daß das Erlebnis nie an ſich einen Wert beanſpruchen
kann, vaß immer gefragt werden muß, was erlebt wird. Da haben wir es denn
nam Weimar gehört, daß dort die Gemeinſc<aft erlebt worden ſei. Aber auch
das iſt feine Antwort; denn ſie gebiert ſofort die weitere Frage: „eine Gemeinſchaft
weſſen?“, denn auch ein Kegelklub iſt ſchließlich eine Gemeinſc<haſt. Eine Gemein
ichaft in dem vagen, gang unbeſtimmten Sinn, wie ſie manchem unter uns genügt .
zu haben ſcheint, daß wir eben beiſammen waren und uns gefreut haben, daß wir
ſo viele waren und alle von dem einen Willen zur Fveude beſeelt =- das kann uns aud)
andere Jugend, beiſpielsweiie die ſreideutſche, vor- oder nachmachen. Deshalb wollen
wir, nachdem der Foſtiubel verrauſcht iſt, im Alliag der Bewegung ſtets eingedenk
ſein, daß unſere Gemeinſchaft eine ſolche junger Sozialiſten iſt. In dem Wirbel
der geijtigen und gejellſchaftlichen Erſchütterungen, in den uns der Weltkrieg und
die Revolution geriſſen hat, ilt auch manchem Graufopf in der Arveiterbewegung
einer der elementarſten, ver am ſchurſſten herausgearbeiteien, klariten Begriffe des
wiſſenſchaftlichen Sozialismus abhanden gekommen, der der Klaſſe. Hinter dem
Sozialismus ſt2oht nicht irgendeine geſellſchaftlich ganz unbeſtimmte Volksgeinein-
ſchaft, ſondern das Proletariat, die Klaſſe, deren Kulturmiſſjion es iſt, dur< Bejahung
ihrer Klaſſenintereſſen, dur< Eroberung der wirtſchaftlichen und poiiti:ichen Macht
alle Klaſſen, eingeſchloſſen die eigene, auſzuheben und jene Vollsgemeinſchaft her-
zuſtellen, die in der jeßzigen Geſellſchaſtsordnung bloß ein leerer Schein, eine vor-
marxiſtiſche Utopie iſt. .
Das iſt auch, nach Weimar wie vor Weimar, das Bebenntnis unſerer Arbeiter .
zugendbewegung, die ja ſc<on in ihrem Namen darauf feſtgelegt iſt. Wie wir darum,
vom Zeſte zurü&gekehrt, in der Arbeit der Bewegung vem Erlebnis das Bewußt =
ſein voranſtellen, ſo beſinnen wir uns darauf, daß die Gemeinſchaft, in der wir
leben, unſere Klaſſe iſt. Das Gemeinſ<haſis-Erlebnis, das unter der.